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E-Book

Profitgier ohne Grenzen

Wenn Arbeit nichts mehr wert ist und Menschenrechte auf der Strecke bleiben

AutorCaspar Dohmen
VerlagEichborn AG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783732529872
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR

Konzerne sind immer wieder in Menschenrechtsverletzungen verwickelt, auch deutsche. Sie profitieren von der Ausbeutung der Arbeiter in Textilfabriken in Asien, in Kohlegruben in Südafrika oder beim Bau fragwürdiger Staudammprojekte in Kolumbien. Soziale Errungenschaften sind vergänglich, das erfahren Beschäftigte zuhauf, auch bei uns. Werkverträge, Arbeit auf Abruf und digitale Tagelöhner zeigen, dass Arbeit immer weniger wert ist. Und die Digitalisierung der Wirtschaft wird den Wettbewerb der Beschäftigten um bezahlte Arbeit drastisch verschärfen. Um weniger Jobs werden mehr Menschen konkurrieren. Wenn wir uns nicht wehren, werden Konzerne die Menschenrechte noch öfter mit Füßen treten.



<p>Caspar Dohmen, Wirtschaftsjournalist, Buchautor und Dozent, studierte Volkswirtschaft und Politik in Köln. Volontariat bei der "Rheinischen Post". Er reiste durch Afrika, Asien und Lateinamerika, vor allem zu Recherchethemen, wie sozialer Entwicklung und Wirtschaft. Er ist Autor des Bestsellers "Let´s make Money. Was macht die Bank mit unserem Geld?" und "Otto Moralverbraucher. Vom Sinn und Unsinn engagierten Konsumierens." Mehrfach wurde er unter die besten Wirtschaftsjournalisten des Jahres gewählt. Er lebt und arbeitet als Wirtschaftskorrespondent für die "Süddeutsche Zeitung" sowie als Feature-Autor, Kommentator und Kritiker für das Deutschlandradio, den WDR und SWR in Berlin und Köln.<br></p>

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Leseprobe

Kapitel 1: Wie wir arbeiten


»Sich zu Tode zu arbeiten ist die einzig gesellschaftlich anerkannte Form des Selbstmordes.«

Johann Freudenreich, Karikaturist und Gerichtsreporter8

Jeden Tag sterben im Durchschnitt 6.400 Menschen auf der Welt durch einen Unfall am Arbeitsplatz oder an einer berufsbedingten Krankheit. Damit kommen bei der Arbeit mehr Menschen ums Leben als durch Krieg und Terror. Jährlich sind es laut der Internationalen Organisation für Arbeit 2,3 Millionen Menschen.9 Möglicherweise liegt die Zahl sogar noch weit über den offiziellen Angaben, denn die globalen Produktionsnetze sind verästelt und beginnen oder enden oft dort, wo niemand hinschaut. Viele Tote, Verkrüppelte und Verletzte bleiben namenlos und ungezählt. Es sind die verschütteten Arbeiter, die in den Minen im Kongo seltene Metalle aus dem Boden holen, oder die verunglückten Kinder, die auf den Kakaoplantagen in Westafrika arbeiten, oder die Männer, die an den Stränden Asiens Schiffe mit bloßen Händen zerlegen und sich dabei Gliedmaßen abreißen, oder die Jugendlichen, die auf den Mülldeponien Afrikas den Elektroschrott zerlegen und beim Verbrennen des Plastiks hochgiftiges Dioxin einatmen. Für diese und die meisten anderen Toten muss niemand Verantwortung übernehmen. Dafür gäbe es oft auch gar keine gesetzliche Handhabe, geschweige denn jemanden, der klagt. Anders ist dies im Falle des Brandes der Textilfabrik Ali Enterprises, wo die Opfer nicht in der Anonymität blieben.

Angehörige und überlebende Arbeiter haben sich zusammengetan und stellen vor Gerichten die Frage nach der Verantwortung, in Pakistan, aber auch in Deutschland. Denn hier sitzt der Auftraggeber der Unglücksfabrik, der deutsche Textildiscounter KiK. Auf diese Weise werden Anfang und Ende einer der vielen globalen Lieferketten sichtbar.

Unterstützt werden die Betroffenen von der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights, kurz ECCHR. Die Organisation stellte gemeinsam mit medico international im März 2015 in einer Berliner Fabriketage die Klage von vier pakistanischen Opfern des Brandes gegen den Discounter KiK vor. Nach Unglücken bei den fernen Lieferanten unseres Konsums geht es hierzulande meist um Selbstverpflichtungen der Unternehmen, verantwortungsvoll einkaufende Konsumenten und neue Gesetze – aber eine Klage Betroffener aus den Ländern im Süden gegen einen Konzern im Norden wegen der Verhältnisse bei dessen Zulieferer ist etwas Neues. In einem Prozess könnte Rechtsgeschichte geschrieben werden. »Das hat es noch nie gegeben in der Bundesrepublik Deutschland«, sagt Uwe Kekeritz, Entwicklungspolitiker der Grünen bei einem Gespräch in seinem Büro im Deutschen Bundestag. Insofern sei es von höchstem Interesse für »unsere Konzerne«, weil die dann damit rechnen müssten, dass sie ebenfalls belangt werden könnten. Zu Redaktionsschluss Mitte Juni 2016 hatte das Landgericht Dortmund noch keine Entscheidung getroffen.

Anlässe für Klagen gäbe es genug. Denn Konzerne verstoßen regelmäßig gegen Arbeits- und Menschenrechte, was diverse Skandale zeigen, bei denen unter anderem die Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Vereinigungsfreiheit oder auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit missachtet werden.10 Einen Hinweis auf das Ausmaß liefert eine Studie der Universität Maastricht. Forscher haben 1.800 öffentlich zugängliche Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen aus einem Zweijahreszeitraum analysiert. Spitzenreiter mit 511 Beschwerden waren Firmen aus den USA. Dann folgten Großbritannien (198), Kanada (110) und China (94). Firmen aus Deutschland belegten mit 87 Beschwerden Platz fünf in diesem Negativranking. Überproportional betroffen sind Großbritannien und Kanada, weil dort besonders viele Konzerne ihren Sitz haben, die im Bergbau tätig sind. Die Branche war Spitzenreiter bei den von den Forschern erfassten Fällen von Menschenrechtsverletzungen. In jeweils 45 Prozent der Fälle wurde den Konzernen angekreidet, die Rechte von Arbeitnehmern oder von Angehörigen indigener Bevölkerungen verletzt zu haben. In den restlichen Fällen sahen die Beschwerdeführer die Menschenrechte von Verbrauchern verletzt.11

KiK ist übrigens beileibe kein Einzelfall – jede fünfte von den Forschern berücksichtigte Beschwerde betraf den Handel, ein Resultat der verästelten Beschaffungsketten in der globalen Wirtschaft, an deren Anfängen häufig die Menschenrechte verletzt werden, wie bei den Arbeitern, die bei dem KiK-Zulieferer Jeans genäht haben.12

Tatort Textilfabrik


Im Juli 2015 fliege ich nach Pakistan. Als Erstes bin ich dort mit Nasir Mansoor verabredet, dem stellvertretenden Generalsekretär der National Trade Union Federation, eines kleinen Dachverbandes von Gewerkschaften. Er spielt eine wichtige Rolle bei der Organisation der Kläger. Mansoor führt mich an einen Ort, wo das Unglück bis heute präsent ist, in die Leitzentrale für Krankenwagen der Hilfsorganisation EDHI in Karatschi. Dort nehmen Mitarbeiter Notfälle entgegen und alarmieren einen der Sanitäter, die mit ihren Fahrzeugen über die Stadt verteilt sind, die etwa so groß ist wie das Saarland. Schreckensnachrichten sind hier Alltag. An den Anruf am frühen Abend des 11. September 2012 erinnert sich Muhammad Azeem trotzdem haargenau. Um 18.10 Uhr sei der Alarm eingegangen, die Textilfabrik Ali Enterprises im Stadtviertel Baldia Town No. 2 brenne. Sie schickten drei Krankenwagen los. Als Azeem und seinen Kollegen klar wurde, was für ein Inferno in der Fabrik tobte, alarmierten sie weitere Sanitäter. Und dann hörten sie in der Leitzentrale über Funk das Unfassbare: Viele Arbeiter seien in dem brennenden Gebäude eingeschlossen, es gebe nur einen offenen Notausgang, und fast alle Fenster seien mit Eisenstangen vergittert. Rettungsmannschaften könnten nicht hinein und Arbeiter nicht heraus.

Muhammad Hanif gehörte zu den eingeschlossenen Arbeitern, die verzweifelt an den Eisengittern rüttelten. Nun, fast drei Jahre später, steht Hanif vor der ausgebrannten Ruine, wo er früher gemeinsam mit Hunderten Arbeitern nähte. Mit neun Jahren hätten ihn seine Eltern in eine Fabrik geschickt, erzählt er, weil sie nicht einmal das Geld für seine Schulbücher gehabt hätten. Statt schreiben und lesen lernte er nähen – wie viele hier. Ein bis zwei Monate entfernte er Fäden von den Kleidern – der Job für die Anfänger. Dann wechselte er an die Nähmaschine. Oft habe er die ganze Woche in der Fabrik verbracht, sei erst sonntags früh um drei Uhr nach Hause gegangen, um wenigstens einmal in der Woche auszuschlafen. Montags morgens stand er dann wieder in der Fabrik auf der Matte, um Textilien zu nähen. Den Brand hat er nur um Haaresbreite überlebt, weil es ihm schließlich gemeinsam mit einigen Kollegen gelang, einen Teil der Lüftungsanlage aus der Wand zu reißen. Sie zwängten sich durch das Mauerloch und sprangen ins Freie.

Zwei Tage loderten die Flammen in der Fabrik. Dann bargen die Rettungsmannschaften die Leichen und machten einen grausigen Fund. Im Keller hatte sich das ganze Löschwasser gesammelt und war durch das Feuer erhitzt worden. All die Menschen, die im Untergeschoss Zuflucht gesucht hatten, waren regelrecht gekocht worden. Von den toten Körpern konnte man die Haut abziehen wie einen Socken vom Fuß, erzählt Azeem schaudernd. Einige Tote konnten selbst mit einem DNA-Test nicht identifiziert werden. Die Sanitäter haben sie gemeinsam anonym bestattet. 259 Menschen kamen bei dem schwersten Brand in der Industriegeschichte Pakistans zu Tode.13

Grafik Nordsonne Identiy/ Brot für die Welt

Niemand weiß genau, wie viele Menschen in Karatschi, der größten Industriemetropole des Landes, leben. Schätzungen schwanken zwischen 20 und 23,5 Millionen Einwohnern. Menschen flüchten oft aus dem unsicheren Grenzgebiet zu Afghanistan in die Industriestadt am Meer, in der Hoffnung auf Arbeit und ein friedlicheres Leben. Was einiges aussagt, denn Karatschi gehört selbst zu den gefährlichsten Städten der Welt. Mansoor fährt mit mir in das ursprünglich für Militärangehörige errichtete Viertel Defence. Hier wohnt der Rechtsanwalt Faisal Siddiqi. Beide Männer könnten nicht gegensätzlicher sein: Mansoor, der überzeugte Kommunist, der einem aus scharfen Augen anblickt und traditionelle Kleidung trägt, weite Stoffhosen und lange Hemden. Und Siddiqi, der aus einer vornehmen Familie stammt, in Cambridge studiert hat, an der London School of Economics Vorträge hält und eine gehörige Portion Humor hat. Beide eint der Kampf für bessere Lebensbedingungen der Armen und Arbeiter. Die Reaktion der pakistanischen Gesellschaft auf das schwerste Industrieunglück des Landes schockierte sie gleichermaßen. »Nichts geschah, niemanden interessierte es«, empört sich Siddiqi . Die öffentliche Reaktion nach dem Brand von Ali Enterprises sei so gewesen, als ob fünf Menschen gestorben wären. Der Menschenrechtsanwalt macht dafür die generelle Kultur in Pakistan verantwortlich, die teilweise gegen Arbeiter und generell gegen Arme gerichtet sei. Was ihn besonders empört: Das Feuer allein hätte niemals so viele Menschen getötet. Es gebe schließlich grundlegende Sicherheitsmaßnahmen, die seit den 1930er-Jahren bekannt seien: Man verschließt die Türen einer Fabrik nicht von außen, man installiert Feuermelder und führt Brandschutzübungen durch. Auslöser war vor mehr als hundert Jahren der Brand der Textilfabrik Triangle Shirtwaist Company in...

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