Da glaubt sich was zusammen!
Was ist Synkretismus?
Die griechische Silbe »syn-« (auch in ihren Variationen »sys-«, »syl-« und »sym-«) bedeutet »zusammen« oder »mit«, bezeichnet also eine Verbindung. Einige griechische Begriffe, in denen sich diese Silbe findet, sind in unseren aktiven Wortschatz eingegangen, zum Beispiel die Sympathie, die Synthese, das System, das Symbol, die Symmetrie oder die Symphonie. Außerdem kennen wir Fachwörter wie die Synchronisation, die Synapse, das Symposion oder die Synode. All diese Vokabeln haben einen wertneutralen Klang – nur beim Wort Synkretismus zucken diejenigen zusammen, die wissen, was sich dahinter verbirgt.
Genutzt wird es, um im Bereich einer Religion das Phänomen zu bezeichnen, Elemente aus anderen Religionen aufzunehmen und einzugliedern. Dieses Verfahren kann man ohne Bewertung beobachten. So erforscht die zeitgenössische Religionswissenschaft synkretistische Erscheinungen wie »Einfluss (einer Religion auf eine andere); Vereinigung (zweier Religionen); Eingliederung (fremder Gottheiten in eine Religion); Gleichsetzung (verschiedener Götter); Verschmelzung (verschiedener Gottheiten)«, wie der Religionswissenschaftler Ulrich Berner bemerkt. Er gibt zu bedenken, Synkretismus habe auch mit der Auseinandersetzung einer Religion mit modernen weltanschaulichen Systemen, die sich nicht als Religion verstehen, zu tun. Die ganze Dynamik religionsgeschichtlicher Prozesse umfasse zudem die Auswirkungen von Wissenschaft oder Wirtschaft auf die Religion.
Hermann Usener, ein Philologe und Religionswissenschaftler aus Bonn, bezeichnete 1898 Synkretismus noch als »Religionsmischerei«. Dieses Urteil setzte die Vorstellung voraus, es gäbe eine »reine Religion«, die an Qualität einbüße, also verwässert oder verfälscht würde, wenn sie aus »fremden« Religionen etwas übernähme.
Ein Austausch von Göttern war in der Antike ein probates Verfahren. Die Götter und Göttinnen der Römer waren, wie bereits dargelegt, kaum mehr als Kopien der griechischen Vorbilder und sie korrespondierten mit den noch älteren ägyptischen Gottheiten.
Ein betont synkretistisches Produkt ist die Bahá’i-Reli- gion. Ihr Gründer Mirza Husain Ali Nuri erklärte 1863 in Bagdad (damals Osmanisches Reich, heute Irak), er sei nach Adam, Mose, Krischna, Buddha, Zarathustra, Christus und Mohammed der letzte und wichtigste Prophet. Er nannte sich fortan Bahá’u’lláh, »die Herrlichkeit Gottes«. Er gab Königen und anderen Staatsoberhäuptern bekannt, er sei gesandt, die Welt am Ende der Zeiten zu erlösen und Gottes Willen für ein neues Zeitalter zu verkünden.
Bahá’u’lláh (1817–1892) war zunächst selbst Anhänger eines persischen Religionsgründers, der sich als »Bab« verstand, als »Pforte der Erkenntnis«. Nach dessen Tod übernahm Bahá’u’lláh die kleine Anhängerschaft und weitete sie rasch aus. Vom Schah aus Persien verbannt, emigrierte er zunächst nach Bagdad, wo er sich 1863 zum »Verheißenen aller Religionen, dessen Kommen der Bab vorausgesagt habe«, erklärte.
Die heute 5 bis 8 Millionen Anhänger dieser Religion, die Bahá’i, glauben an einen Gott, der sich in allen Religionen offenbart, besonders jedoch durch den eigenen Stifter Bahá’u’lláh, der als Heilsbringer verehrt wird. Ihre ethische Grundhaltung beruht auf der Verkündigung von der Einheit der Menschheit in Frieden und Gerechtigkeit: »Der Hauptzweck, der den Glauben Gottes und Seine Religion beseelt, ist, das Wohl des Menschengeschlechts zu sichern, seine Einheit zu fördern und den Geist der Liebe und Verbundenheit unter den Menschen zu pflegen« (Bahá’u’lláh). Als Weg zum großen Ziel werden eine Welteinheitssprache und -währung, ebenso eine Weltgesetzgebung durch eine Weltregierung proklamiert. Von Anfang an verfolgte man in vielen Ländern die Bahá’i und verbannte sie aus dem Land. Noch heute ist diese Religion im Iran verboten. Das administrative Zentrum der Bahá’i liegt im israelischen Haifa.
Die monotheistischen Religionen, die nur den einen Gott verehren, betrachten den Synkretismus kritisch als eine Bedrängnis für den rechten Glauben. Die hebräische Bibel beschwört immer wieder die Gefahren herauf, die erwachsen, wenn man sich fremden Völkern – etwa Babylon – öffne; das schade dem Jahwe-Glauben und führe ins Unglück. Auch der Islam lehnt Synkretismus schroff ab. In beiden Religionen pflegt man das mehrmalige tägliche Bekenntnis, dass es wirklich nur einen Gott gibt. Offenbar bedarf es dieser nachdrücklichen Einschärfung, denn aller Erfahrung nach wird genau das wiederholt eingeimpft, was in Vergessenheit zu geraten droht. Den Christen werfen beide Religionen demnach auch bis heute vor, die Dreifaltigkeitslehre sei mit einem wahren Ein-Gott-Glauben unvereinbar.
Eigenartig: Würden wir die Vorstellung, dass es nur einen einzigen Gott gibt, wirklich ernst nehmen, dann könnte man den Synkretismus begrüßen, da doch überall ein und derselbe Gott bezeugt und verehrt wird, nur eben auf verschiedene Art und Weise.
Abgrenzung und Beeinflussung
Wenn man die Entwicklung eines Menschen, eines Volkes oder eines Landes betrachtet, spricht man von dessen Geschichte. Was in dieser Zeit geschieht, kann oft erst im Nachhinein recht verstanden, aufgeschrieben und interpretiert werden.
In Bezug auf Glaubensgemeinschaften und insbesondere für das Christentum gibt es noch zwei weitere Begriffe, die hierbei eine Rolle spielen: Das Wort »Heilsgeschichte« bezeichnet die Geschichte Gottes mit seinem Volk. Er handelt innerhalb der »profanen« Geschichte für das Heil der Menschen, von der Schöpfung bis zur Vollendung der Welt. Die »Kirchengeschichte« dagegen betrachtet die Entwicklung der Institution durch ihre Verstrickungen in die Geschehnisse der jeweiligen Zeit.
Die ersten Jahrhunderte des Christentums waren geprägt vom Ringen um den rechten Glauben und vom Überleben als eigenständige Religion. Die beiden »Apostelfürsten« Petrus und Paulus waren die Ersten, die den neuen Glauben in eine fremde Umgebung transferierten, denn das Christentum entstand in Landstrichen, die bereits religiös geprägt waren. Dem Apostel Petrus wurde nach neutestamentlichem Zeugnis von Jesus eine besondere Verantwortung für die Leitung der Kirche übertragen. Ob diese Beauftragung allerdings nur für ihn persönlich galt oder ob damit ein Amt geschaffen worden war, das auch seine Nachfolger gegenüber den übrigen Christen bevorzugte, das sollte später zu einem gravierenden Streitpunkt werden. Zur Aufgabe des Petrus gehörte es, innerhalb der »Mutterreligion« der ersten Christen (also des Judentums, denn in dem Land, in dem Jesus lebte und seine Botschaft verkündete, waren die allermeisten Menschen jüdischen Glaubens) den Glauben an Jesus als den Messias zu verteidigen. Wir haben ihm aber auch einen entscheidenden Schritt zur Öffnung des Christentums zu verdanken. Als traditionell sozialisierter Jude hielt er sich streng an die jüdischen Speisegebote. Doch dann hatte er eine Vision, während er auf einem Hausdach wartete, dass das Essen fertig wurde: »Er sah den Himmel offen und ein Behältnis wie ein großes Leinentuch herabkommen, das an seinen vier Enden auf die Erde herabgelassen wurde. Darin waren allerlei vierfüßige und kriechende Tiere der Erde und Vögel des Himmels. Und eine Stimme rief ihm zu: Steh auf, Petrus, schlachte und iss! Petrus erwiderte: Niemals, Herr! Noch nie habe ich etwas Unheiliges und Unreines gegessen. Da rief die Stimme zum zweiten Mal: Was Gott für rein erklärt hat, sollst du nicht unrein nennen! Das geschah dreimal. Dann wurde das Behältnis sogleich wieder in den Himmel emporgehoben« (Apostelgeschichte 10,11–16).
Unmittelbar darauf verlangten Boten des »heidnischen« Hauptmanns Kornelius, Petrus zu sprechen, denn dieser wollte Petrus kennenlernen. Der Apostel deutete seine Vision in der Weise, dass er die Gastfreundschaft des Kornelius annehmen und dessen Boten selbst Gastfreundschaft gewähren sollte. Könnten wir die Vision des Petrus, die sich um Speisegebote drehte, nicht auch erweitern auf eine Gastfreundschaft gegenüber »fremden« Glaubensvorstellungen?
Paulus hingegen war durch die Begegnungen auf seinen Reisen durch die damalige Welt gezwungen, dem Glauben ein System zu geben und ihn den Griechen und Römern verständlich und schmackhaft zu machen. Er verkündete die Frohe Botschaft unter den sogenannten Heiden und löste damit das Christentum als eigenständige Religion aus dem Bereich des Judentums heraus.
Paulus kannte beispielsweise den im römischen Reich verbreiteten Mithraskult bereits aus seiner Heimat Tarsus. Kaufleute und Sklaven brachten den persischen Gott Mithra ins Römische Reich. Er gilt als Verkörperung des Lichts und des Guten und als Beschützer der Wahrheit. Der Mithraskult, zu dem nur Männer zugelassen waren, praktizierte bereits eine Art Taufe, bei der man wie auch zu anderen Gelegenheiten Weihwasser gebrauchte. Zudem predigte man hier Tugenden wie Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung.
Die Anhänger des Mithras glaubten an ein überirdisches Paradies und an eine von Dämonen bevölkerte Hölle. Mithras galt ihnen als Sohn eines himmlischen Vaters und einer irdischen Jungfrau. Sie kannten eine Sintflut, glaubten an die Unsterblichkeit der Seele, an ein Jüngstes Gericht und an die Auferstehung der Toten am Ende aller Zeiten. Vor allem bei römischen Soldaten war dieser Kult sehr beliebt.
Auf den wenigen erhalten gebliebenen Mithrasdarstellungen wird er als Überwinder eines Stiers dargestellt, durch dessen vergossenes Blut die Welt erlöst wird. Die Darstellung kann auch als Sinnbild für den Kampf des Lichtes gegen die Finsternis gedeutet werden. Das Stieropfer vollzog man...