Vorwort
Das Buch widmet sich der schwierigen Beziehung von Psychopharmakologie und Psychoanalyse. Es geht aus von der festen und in der Praxis gelebten Überzeugung des Herausgebers, dass die Psychoanalyse in Theorie und Praxis für die Psychiatrie unentbehrlich ist – und dies ganz entgegen dem Zeitgeist, der nicht mehr auf psychodynamisches Denken in der Psychiatrie zählt. Ein weiterer Ausgangspunkt, der gleichsam in umgekehrter Stoßrichtung wirkt, ist die Überlegung, dass die Psychoanalyse verarmt, wenn sie sich nicht den Herausforderungen stellt, die mit den Menschen, die psychiatrisch behandelt werden, gegeben sind. Die Psychoanalyse kann sich diesen Herausforderungen ja sehr gut stellen, heute mehr denn je, da die Konzepte sich immer mehr auf die schweren psychischen Störungen ausgerichtet haben.
Auf diesen grundsätzlichen Überlegungen baut die spezifische Fragestellung des Buchs auf; es widmet sich ja nicht allgemein dem Verhältnis von Psychiatrie und Psychoanalyse, sondern untersucht es anhand eines spezifischen Arbeitsgebiets, der Psychopharmakologie. Noch immer wird, entgegen der praktischen Häufigkeit kombinierter Anwendung, in der Theorie oft ein Trennungsstrich gezogen, so als schlössen sich beide Verfahren aus. Aber auch wo sie nebeneinander angewendet werden, wird diese Kombination wenig reflektiert, und wo das geschieht, so bleibt die Analyse merkwürdig unbeholfen und oberflächlich.
Diesem Mangel will das Buch entgegentreten. Es will das Verhältnis von Psychopharmakologie und Psychoanalyse in seiner Tiefe und Breite ausloten, und zwar in folgenden Hinsichten:
• Was verändert sich an der therapeutischen Beziehung, wenn Psychopharmaka gegeben werden? Damit verbunden ist das durchaus kontrovers behandelte Thema, ob denn die Behandlung mit Medikamenten in der Hand des Analytikers liegen sollte oder ob sie nicht besser an eine andere Person abzugeben wäre.
• Was verändert sich an der medikamentösen Behandlung, wenn sie durch eine psychodynamische Reflexion begleitet wird? Dazu gehört, die subtilen und unbewussten Bedeutungen des Medikamentes zu erfassen, aber auch, die subliminalen Nebenwirkungen und psychotropen (unbeabsichtigten) Effekte besser zu erfassen. Dazu gehört auch die Frage, ob eine psychodynamisch fundierte Medikamentengabe nicht Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Rechtfertigungspflicht des Arztes haben muss.
• Wie lässt sich die Grundlage eines Zusammenwirkens psychodynamischer und neurobiologischer Effekte theoretisch und konzeptuell fassen? Untersucht werden dabei die neurobiologischen Mechanismen, die durch Psychopharmaka oder durch Psychotherapie angestoßen werden. Es werden aber auch psychopathologische Grundlagen zu erarbeiten sein, wenn denn die Psychopathologie nach wie vor als Grundlagenwissenschaft der Psychiatrie gelten darf, die darauf abzielt, verschiedene methodologische Zugangsweisen miteinander ins Gespräch zu bringen.
• Schließlich soll spezifisch nach dem speziellen Bedeutungsgehalt und den speziellen Wirkungen der Psychopharmakologie unter einer psychoanalytischen Grundlage bei einigen wichtigen Krankheitsbildern, vor allem den psychotischen und den depressiven Störungen, aber auch beim ADHS, den Essstörungen und Sexualstörungen gefragt werden. Hier geht es gewissermaßen um eine spezielle psychodynamische Psychopharmakologie, die bislang nicht oder nur in ersten Andeutungen existiert.
Aus den oben stehenden konzeptuellen Bemerkungen hat sich zwanglos die Gliederung des Buches ergeben. In einem ersten Teil geht es in einem sehr weit gefassten Sinn um das Verhältnis von Psychopharmakotherapie und psychoanalytischer Therapie. Durch die Gabe von Psychopharmaka verändert sich die therapeutische Beziehung, das Medikament erzeugt pharmakotrope Übertragungen und Gegenübertragungen. Umgekehrt gilt aber auch, dass eine psychodynamische Fundierung der Medikamentengabe Auswirkungen auf die Medikamenteneffekte selbst hat. Eine psychodynamische Psychopharmakologie ist notwendig; sie zu etablieren ist das Ziel dieses Buches (Joachim Küchenhoff). Im zweiten Beitrag des ersten Teiles wird der Frage nachgegangen, ob Pharmakotherapie und Psychoanalyse denn einander ausschließende therapeutische Wege sind. Diese Fragestellung wird am Beispiel der Behandlung von schweren Persönlichkeitsstörungen diskutiert. Plädiert wird für eine fruchtbare Dialektik zwischen der medikamentösen und der psychotherapeutischen Behandlung, ein konstruktives Miteinander soll ein additives Nebeneinanderstellen von Pharmakologie und Psychotherapie ersetzen. Die Grundlagen für ein solches Miteinander werden in dem Beitrag dargestellt (Christopher Rommel).
In einer ethischen Perspektive schließlich ist es nicht statthaft, Pharmakotherapie und Psychotherapie so zu kontrastieren, dass die gute Psychotherapie der ethisch problematischen Medikation entgegengesetzt wird. Beide Verfahren sind anfällig für Irreführung und Manipulation, wenn auch auf eine je unterschiedliche Weise. Die Selbstbestimmung des Patienten zu wahren oder im Fall der Zwangsmedikation wiederherzustellen, das ist nicht nur durch ein Verstehen im Rahmen der Beziehung zum leidenden Menschen möglich (Giovanni Maio).
Im zweiten Teil werden integrative Forschungsperspektiven aufgebaut und Konzepte des Zusammenwirkens beschrieben. Dieser Teil kann gleichsam als die »allgemeine psychodynamische Psychopharmakologie« gelten. Betrachtet man nicht nur die Beziehungsperspektive, sondern geht man von den neurobiologischen Prozessen aus, die einerseits durch Psychotherapie, andererseits durch die Psychopharmakologie bewirkt werden, so gliedert sich die spezifische Fragestellung des Buches in die allgemeine Fragestellung des Zusammenspiels von mentalen und körperlichen Prozessen ein. Es ist also notwendig, die Perspektiven der Neuropsychoanalyse und des Embodiments als Grundlage zu nehmen, um das Verhältnis von psychopharmakologischer und psychotherapeutisch-psychoanalytischer Wirkung miteinander zu vergleichen (Marianne Leuzinger-Bohleber). Einen anderen Ansatz zur Erklärung des Zusammenwirkens von Medikation und Psychotherapie wählen Resch und Parzer in ihrem Beitrag. Sie beschreiben ein psychopathologisches Modell, in dem eine funktionale Beschreibung von Symptomen entscheidend ist. Die von den Patienten beklagte und gezeigte Symptomatik wird so auf die Umweltbedingungen bezogen, Handlungsäußerungen werden auf ihre Zielsetzungen hin definiert, die situative Überforderung der erkrankten Person wird dargestellt und schließlich wird auf die strukturellen Defizite der Persönlichkeit geachtet. In diese Funktionsanalyse lässt sich die Wirkung der verschiedenen Verfahren gewissermaßen eintragen (Resch und Parzer). Als Grundlage des Verständnisses lässt sich aber auch eine psychodynamische Konzeption wählen. Stavros Mentzos hat hier Vorarbeiten geleistet; auf der Grundlage dieser Arbeiten entfaltet Münch ein psychodynamisches Konzept des pharmakologisch-therapeutischen Zusammenhanges. Ausgangspunkt ist das Modell des intrapsychischen Konfliktes, der im Fall der psychotischen Störungen als Dilemma zwischen Selbstbezug und Objektbezug verstanden werden kann. Die Störung selbst stellt einen – wie immer auch problematischen – Lösungsansatz dieses oder anderer Dilemmata dar. Die pharmakologische ebenso wie die psychotherapeutische Behandlung greift auf unterschiedliche Weise ein in den Umgang mit den beschriebenen Dilemmata (Alois Münch). Zum allgemeinen Teil einer psychodynamischen Psychopharmakologie gehört die Frage nach der Patientenautonomie; die Zwangsbehandlung ist der Prüfstein dafür, wie das Verhältnis von Psychopharmakologie und Psychoanalyse gedacht werden muss. Wird die Zwangsbehandlung im Kontext der Beziehungsdynamik gesehen, kann die Psychoanalyse dazu beitragen, eine Pragmatik der Psychopharmakologie zu ermöglichen, in der Zwang reflektiert und immer wieder auch vermieden werden kann (Claas Happach).
Der dritte Teil des Buches widmet sich der »speziellen psychodynamischen Psychopharmakologie«. In Bezug auf depressive Störungen lohnt es sich zu berücksichtigen, welche Symptome medikamentös beeinflussbar sind und welche Persönlichkeitsfaktoren für eine länger anhaltende psychodynamische Psychotherapie sprechen. Interessant ist es auch, der Forschungsfrage nachzugehen, welche somatischen Faktoren sich durch Psychotherapie bei depressiven und bipolaren Störungen verändern. Auch bei den affektiven Störungen sollte die Behandlung monokausale Ätiologiekonzepte überwinden, so dass die Psychotherapie neurobiologische Veränderungen anstößt, ebenso wie die antidepressive Medikation die Psychotherapie fördert. So ist ein neuropsychodynamisches Verständnis der Depression zu erreichen (Heinz Böker). Immer muss bei der uns interessierenden Frage des Verhältnisses von Psychopharmakologie und Psychoanalyse der Ort der Therapie reflektiert werden; aus der Perspektive einer niedergelassenen Psychiaterin sieht die Medikamentengabe anders aus als...