2 Psychotherapie bei jungen Erwachsenen: Was wirkt?
Inge Seiffge-Krenke
Durch eine neue Entwicklungsphase zwischen Jugend- und Erwachsenenalter, das sogenannte emerging adulthood (Arnett, 2004), haben sich Entwicklungsbesonderheiten ergeben, die einen veränderten therapeutischen Zugang für die 18- bis 30-Jährigen erfordern: Sie sind keine Jugendlichen mehr, aber auch noch keine Erwachsenen, sind also auch in Bezug auf die therapeutische Technik »in between« (Arnett, 2000, S. 471). In diesem Beitrag werden allgemeine Prinzipien und therapeutische Vorgehensweisen dargestellt. Als Rahmen dient die veränderte Identitätsentwicklung, die bei vielen Patienten, unabhängig von der spezifischen Symptomatik, beobachtbar ist und zu einem Thema in der Behandlung werden sollte. Die in diesem Beitrag geschilderten Veränderungen in der Identitätsentwicklung und die sich daraus ergebenen Identitätsprobleme haben Konsequenzen für die Therapie, die sich v.a. in der Einschätzung von Zeitverläufen, der Bedeutung des Rahmens und dem Einfluss der neuen Medien sowie in den veränderten Gewichtungen der Interventionsformen, also von Halten, Deuten und Klarifikation, äußern. Die Benennung von Realitäten hat angesichts der verschobenen Zeitverläufe bei Eltern und Kindern eine große Bedeutung. Ich-stärkende und strukturgebende Interventionen, die Selbst-Objekt-Differenzierungen betreffen, stehen im Vordergrund und das richtige Maß supportiver Techniken muss bedacht werden. Von besonderer Bedeutung ist auch der Umgang mit Abstinenz bzw. analytischer Neutralität. Insofern ist der therapeutische Umgang mit jungen Erwachsenen nicht einfach (vgl. Seiffge-Krenke, 2013), sondern erfordert besondere therapeutische Sensibilität.
2.1 Globale Wirksamkeit: Die Ergebnisse von Meta-Analysen
Verschiedene Studien belegen eine Zunahme psychischer Störungen in der Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen. Bereits vor einigen Jahren zeigte eine Analyse der Gesundheitsberichte verschiedener gesetzlicher Krankenkassen (Lademann, Mertesacker und Gebhardt, 2006) die zunehmende Bedeutung psychischer Störungen beim Krankenstand auf. Der Anteil der psychischen Störungen lag dabei je nach Krankenkasse zwischen 6 und 13% und nahm Rang 3 bis 5 ein. Die Reporte der Jahre 2004 und 2005 zeigten für die Altersgruppen von 15 und 24 Jahren eine kritische Entwicklung im Bereich psychischer Störungen im Vergleich zu den Vorjahren. Bedeutsame Anstiege fanden sich seit 1997 bei 20- bis 24-jährigen Frauen, seit 2003 bei Männern ab dem 20. Lebensjahr. Dieser Trend spiegelte sich auch in einer Zunahme stationärer Behandlungsfälle aufgrund psychischer Störungen bei den 15- bis 24-Jährigen um 15% wider, weitere Zunahmen von 11% waren bei 20- bis 24-jährigen Frauen zu verzeichnen. Derartige Zunahmen können für verschiedene Störungsbereiche aufgedeckt werden, besonders groß sind sie bei Persönlichkeitsstörungen, wo sich nach ersten Zunahmen in der Adoleszenz ein zweiter Gipfel um das 23. bis 24. Lebensjahr findet (Schmid und Schmeck, 2008). Die starken Zuwachsraten gelten auch für die Depression. Busch et al. (2013) belegten beispielsweise an einer Stichprobe von 8000 Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren, dass die Untergruppe der 18- bis 29-Jährigen die höchste Prävalenz depressiver Störungen (10%) im Vergleich zu den älteren Altersgruppen aufweist, und bestätigen auch die geschlechtsspezifischen Zunahmen (Prävalenz für 18- bis 29-jährige Frauen 12%, für gleichaltrige Männer 8%). Diese Zunahmen stehen vermutlich in enger Beziehung mit veränderten Formen des Aufwachsens und der Eltern-Kind-Beziehung, die sich in den letzten 10 bis15 Jahren abgezeichnet haben, die sich in einer Verlängerung der Jugendzeit bzw. einer neuen Entwicklungsphase »emerging adulthood« äußern, in der weiterhin eher jugendspezifische Entwicklungsaufgaben bearbeitet werden und der Eintritt ins Erwachsenenalter noch nicht erfolgt ist sowie eine relativ starke Unterstützung und Versorgung durch die Eltern (»Helikopter-Eltern«) erfolgt. Diese entwicklungsbezogenen Veränderungen, zusammen mit der großen Schwierigkeit, normale und pathologische Verläufe zu trennen, sprechen dafür, dass zukünftig Kinder- und Jugendlichen-Therapeuten verstärkt mit jungen Menschen über das 21. Lebensjahr hinaus, der bisherigen Obergrenze (VAKJP, 2003), arbeiten sollten.
Bei der Analyse der Wirksamkeit tiefenpsychologisch fundierter und psychoanalytischer Therapien für die Altersgruppe der »emerging adults« müssen die separat vorliegenden Befunde für die Altersgruppen Jugendliche bzw. Erwachsene herangezogen werden, da Studien an der Altersgruppe 18–30 Jahre bislang nicht vorliegen. Diese Altersgruppe liegt also auch in Bezug auf die Wirksamkeit »in between«, wie die folgenden Ausführungen zeigen. Allerdings gibt es Studien, etwa die Studie zur Wirksamkeit der teilstationären Psychotherapie (z. B. Agarwalla und Küchenhoff, 2004), die ohne Altersangaben der Patienten auskommen. Offenbar steht die Frage des Alters eines Pateinten, d. h. ein entwicklungsbezogenes Denken, eher nicht im Zentrum der Wirksamkeitsstudien, denn die untersuchten Stichproben haben oft einen sehr großen Altersrange von 18 bis 65 Jahre. In den folgenden Abschnitten dieses Beitrags wird jedoch verdeutlicht, dass Fragen des Alters und der Zeit von sehr großer therapeutischer Relevanz sind.
Ein Blick in die Forschung zeigt, dass die vorliegenden Studien zur Qualitätssicherung in der analytischen Psychotherapie bei Jugendlichen insgesamt nicht so systematisch und umfangreich sind wie bei erwachsenen Patienten, dass aber die Wirksamkeit ähnlich gut ist (Döpfner und Lehmkuhl, 2002). Neuere Übersichten zur Wirksamkeit von psychoanalytischen Therapien bei Jugendlichen belegen, dass insgesamt 21 kontrollierte Studien gemäß den Mindestanforderungen für die Begutachtung von Wirksamkeitsstudien vorliegen sowie sechs umfangreiche Katamnesen (vgl. Übersicht in Seiffge-Krenke, 2011; Seiffge-Krenke und Nitzko, 2011), für die Wirksamkeit, insbesondere den langfristigen Effekt dieser Therapien (Winkelmann et al., 2000). Dies gilt insbesondere für Langzeittherapien (Seiffge-Krenke, 2010a), die 80 und mehr Stunden umfassen, mit deutlichen Verbesserungen der Symptomatik zwischen 62 und 90% und weiterer klinischen Kriterien, während Kurzzeittherapien bei bestimmten Störungsbildern, z. B. Depression (Horn et al., 2005) für nicht ausreichend angesehen wurden. Diese Studien zeigen auch, dass es wichtig ist, getrennte Einschätzungen von Jugendlichen, ihren Eltern und den behandelten Therapeuten einzuholen, da die Eltern die Symptomschwere, insbesondere bei internalisierenden Störungen, und den Behandlungserfolg im Vergleich zu den Jugendlichen bzw. ihren Therapeuten unterschätzen (Seiffge-Krenke und Nitzko, 2011). Die Therapeuten berichteten einen starken Rückgang der psychischen und körperlichen Symptomen durch die Behandlung und sowie eine deutliche Besserung der zuvor bestandenen Kommunikationsprobleme des Jugendlichen in Bezug auf Eltern, Geschwister und Freunde. Die Eltern nahmen nur eine schwache, die jugendlichen Patienten jedoch eine sehr signifikante Symptomverbesserung wahr.
Belege zur Wirksamkeit bei erwachsenen Patienten sind in den vergangenen Jahren relativ zahlreich und für verschiedene Krankheitsbilder erhoben worden (z. B. Leichsenring, 2004; Brockmann, Schlüter und Eckert 2006). So fanden Leichsenring und Mitarbeiter (2004) eine Effektgröße von 1,17, was einem sehr hohen Effekt entsprach, bei durchschnittlich 21 Stunden umfassenden Kurzzeittherapien. In einer weiteren Meta-Analyse, die sieben Studien, in denen Langzeittherapien untersucht wurden, einschloss, berichten Leichsenring und Rabung (2008) bei komplexen psychischen Störungen wie Persönlichkeitsstörungen eine Effektgröße von 1,8, verglichen mit Kurzzeittherapien. Aber auch Meta-Analysen aus anderen Ländern, so etwa die 23 Studien an insgesamt 1431 Patienten umfassende Meta-Analyse von Abbass et al. (2006), fand hohe Effektstärken von 0,97 für eine allgemeine Symptomverbesserung nach einer durchschnittlich 40 Stunden umfassenden Therapie. Ein immer wiederkehrendes Ergebnis dieser Studien war, dass die Wirkung psychodynamischer bzw. psychoanalytischer Langzeittherapien nicht nur andauert, sondern mit der Zeit zunimmt.
2.2 Was wirkt? Spezifische Wirkmerkmale analytischer Therapie
Während also die globale Wirksamkeit psychodynamischer Ansätze für die Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen vermutlich ähnlich gut sein wird wie für die Altersbereiche, die bislang in der Forschung getrennt analysiert wurden – Jugendliche und Erwachsene –, ist es wichtig, sich die...