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E-Book

Pubertät - echt ätzend

Gelassen durch die schwierigen Jahre

AutorAllan Guggenbühl
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783451806469
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Die Pubertät kann eine schwierige Zeit sein. Türen knallen, die Musik wird aufgedreht und plötzlich verstehen sich Eltern und Kinder nicht mehr. Die Pubertät ist eine Zeit, in der sich die Jugendlichen von ihren Eltern loslösen und neue Wege gehen. Das wissen Eltern und trotzdem fällt diese Veränderung allen schwer. Doch kein Grund zur Panik! Der erfahrene Jugendlichentherapeut Allan Guggenbühl bietet Eltern eine gute Orientierungshilfe und macht ihnen Mut, ihren heranwachsenden Kindern mehr zuzutrauen.

Allan Guggenbühl, Prof. Dr., Psychologe FSP, dipl. analyt. Psychotherapeut SGAP; Leiter des Instituts für Konfliktmanagement und Mythodrama in Zürich/Bern (www.ikm.ch). Professor an der Pädagogischen Hochschule des Kantons Zürich. Arbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen der Stadt Bern.

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Leseprobe

Vom Traum zur Wirklichkeit


Das Gefühl des Scheiterns bei den Eltern


In vielen Schulen herrscht unter den Lehrerteams der Konsens, dass Eltern heute ihrer Rolle nicht mehr gerecht werden. Diese Auffassung wird auch von vielen Politikern (z. B. Al Gore, dem früheren Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten) und Erziehungswissenschaftlern geteilt. Sind Eltern heute überfordert? »Klar ist er frech«, äußert sich dezidiert eine Lehrerin zu einem Schüler, »man darf sich nicht wundern, wenn der Vater nie zu Hause ist und die Mutter sich zur Sklavin degradieren lässt.« Das Verhalten der Kinder und Jugendlichen spiegelt die Eltern wider, ist der allgemeine Konsens. Wären Mutter und Vater lieb, besonnen, vernünftig, präsent, konsequent und klar, dann wäre sicher alles anders. Das Verhalten der Kinder ist eine Folge der Unterlassungen auf elterlicher Seite. Diese elternzentrierte Sicht hat zur Folge, dass bei Vorfällen außerhalb der Familie zuerst an die Eltern gedacht wird. »Es ist ganz wichtig, dass Sie mit Ihrem Sohn darüber sprechen, Sie müssen ihm zu verstehen geben, dass es einfach nicht geht, wenn er jeden zweiten Tag zu spät oder todmüde erscheint. Die Hip-Hop-Parties müssen halt verboten werden!« Die Mutter hört die Ermahnungen der beiden Lehrkräfte ihres vierzehnjährigen Sohnes. Doch was soll sie mit diesen Worten anfangen? Regelmäßig werden Kampagnen mit Appellen an Mütter und Väter organisiert. Eltern werden heute mit vielen Forderungen konfrontiert. Kinder aufzuziehen ist heute keine Nebensache, wie bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, sondern fast ein Vollberuf, der einen mutigen Entschluss voraussetzt. Wer Kinder in die Welt setzt, muss sich gut überlegen, ob er bereit ist, die vielen Opfer auf sich zu nehmen. Elternschaft ist zu einem allgemeinen Thema geworden. Die Sensibilisierung für die psychologischen Zusammenhänge bei der Entwicklung des Kleinkindes zum Jugendlichen hat zur Folge, dass den Eltern ein großer Einfluss zugeschrieben wird. Es wird hervorgehoben, dass bei den noch prägbaren Kindern die Eltern es in der Hand haben, aus ihm einen gereiften, kreativen Menschen oder einen Neurotiker oder Gewalttäter zu machen.13 Die Aufmerksamkeit, die der Entwicklung des Kindes gegeben wird, steht in merkwürdigem Gegensatz zur Tatsache, dass die Kinderzahl in den meisten europäischen Ländern drastisch gesunken ist (1,33 pro Paar in Deutschland). Je weniger Kinder die Straßen bevölkern, desto mehr werden sie zu einem Thema des öffentlichen Diskurses. Oder: Je mehr wir über Kinder und Erziehung reden, desto weniger wagen es Männer und Frauen, Eltern zu werden. Die Sensibilisierung für die Kinder und die Jugend führt zu einem differenzierteren Bewusstsein über die Zusammenhänge des Aufwachsens, löst jedoch auch Überforderungsgefühle bei den Eltern aus. Während noch Anfang des letzten Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert wenig falsch gemacht werden konnte, weil keine Normen und wenig psychologische Ratschläge formuliert wurden, wird man heute als Vater und Mutter genau beobachtet. Der Umgang mit Kindern und Jugendlichen ist nicht mehr Privatsache oder irrelevant, sondern eine Frage von allgemeinem Interesse. Bei Schulversagen, Delinquenz, psychischen Problemen oder Gewalt werden rasch Zusammenhänge mit ungünstigem elterlichen Einfluss festgestellt. »So geht es nicht!«, »Es muss sich etwas ändern!« – diese Sätze blieben obiger Mutter lange im Ohr. Sie spürte die Erwartungen und den Druck, der durch die kinderlosen Junglehrer vermittelt wurde.

Verständnisvolle Autorität oder cooler Kollege: die Doppelrolle der Erwachsenen


Als Vater und Mutter will man es seinen halbwüchsigen Jugendlichen gegenüber richtig machen. Unsere Hoffnung ist, dass das Engagement dazu führt, dass sich unsere Söhne und Töchter gesund entwickeln und mit sich selbst zufriedene Menschen werden. Wir wünschen unseren Jugendlichen einen guten Start ins Erwachsenenleben, ohne dass sie sich zu sehr gesellschaftlichen Normen und dem kollektiven Druck fügen müssen. Um unseren Anteil zu leisten, müssen wir uns die Kernaufgaben der Elternschaft vergegenwärtigen. Welches sind die wichtigsten Qualitäten, die man als Vater oder Mutter gegenüber Kindern und Jugendlichen entwickeln sollte? Es gilt, jene Eigenschaften der Elternschaft im Auge zu behalten, die jenseits aktueller Zeitforderungen und Modeströmungen aktuell bleiben.

Vater hat die Familie zu seinem fünfzigsten Geburtstag nach Rom eingeladen. Er möchte seiner Frau und seinen beiden Töchtern vier Tage die italienische Metropole zeigen. Ein reiches Kulturprogramm ist organisiert, ein wunderbares Hotel in der Nähe der Piazza Navona reserviert. Statt jedoch mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester auszugehen, bleibt die fünfzehnjährige Tochter im Hotelzimmer. Sie weigert sich, das langweilige Kulturprogramm zu absolvieren, möchte lieber im Internet surfen . Bei den Abendessen verhält sie sich mürrisch und zickig und ist voller Vorwürfe den Eltern gegenüber. Schließlich zwingen sie die Eltern, in die Sixtinische Kapelle zu kommen. Widerwillig, schimpfend willigt sie ein, sie würdigt jedoch die Deckenmalerei von Michelangelo keines Blickes, sondern die billige Lovestory in einem Heftchen hat Vorrang.

In Freundschaften finden Menschen aus Neigung, Sympathie oder gemeinsamen Interessen zueinander. Die Beziehung ist aufkündbar. Bei der Eltern-Kind-Beziehung verhält es sich komplizierter. Kinder können ihre Eltern, Eltern ihre Kinder nicht wählen. Bei der Familie handelt es sich darum um eine Zwangsgemeinschaft. Nicht die Persönlichkeit ist der konstituierende Faktor für die Beziehung, sondern biologischsoziologische Gemeinsamkeiten. Zum Vater oder zur Mutter wird man, ohne zu wissen, wen man nach ein paar Jahren vor sich haben wird. Widmet man sich einem Ekel, Monster, Genie oder einem liebenswürdigen Menschen? Wird man später miteinander auskommen, miteinander reden können? Die Eltern-Kind-Beziehung enthält von Anfang an eine unpersönliche Komponente und ist mit dem Risiko verbunden, dass man sich nicht versteht. Kinder sind nicht nur ein Produkt unserer bewussten Erziehungsmaßnahmen, sondern sie sind auch geprägt von unseren unbewussten Persönlichkeitsurteilen und Geschöpfe mit unbeeinflussbaren, vererbten Charaktereigenschaften.14

Wir wollen mit unseren Kindern eine Beziehung aufbauen, in der man sich von Mensch zu Mensch begegnet und sich in seinen persönlichen Stärken und Schwächen kennt. Kinder verhalten sich gegenüber Eltern jedoch nicht wie Freunde oder Kollegen, sondern die Beziehung zu den Eltern hat einen eigenständigen Charakter. Während jüngere Kinder den Eltern ausgeliefert sind, sodass diese die Beziehung nach ihrem Willen und ihren Wünschen gestalten, drücken die älteren Kinder der Beziehung zu den Eltern ihren Stempel auf. Die Eltern-Kind-Beziehung wandelt sich und die Kinder oder Jugendlichen stoßen die Eltern vor den Kopf, beleidigen oder provozieren sie. Zur Irritation vieler Eltern rücken die Beziehungsqualitäten der Klein- und Schulkindzeit in den Hintergrund. Die Tochter steht nicht mehr mit großen Augen in der Küche und möchte beim Kochen mithelfen, der Sohn kuschelt sich am Morgen nicht mehr ins elterliche Bett. Der Sohn oder die Tochter präsentiert sich anders und neue Persönlichkeitszüge manifestieren sich. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist nicht mit den Kriterien einer normalen Beziehung erfassbar. Kinder werden nicht automatisch zu späteren Freunden, sondern ob man sich versteht, miteinander reden und sich auch gerne haben wird, bleibt offen. Die Pflege, Fürsorge und die Tausende von Stunden, die man sich als Vater oder Mutter den Kindern widmet, haben zwar eine starke Bindung zur Folge, ob diese in eine freundschaftliche Beziehung mündet, ist jedoch nicht sicher.

Um die Rolle und die Qualitäten der Beziehung zwischen Eltern und Kindern während der Pubertät zu verstehen, müssen wir uns den tieferen psychologischen Qualitäten dieser Beziehung zuwenden. Die Eltern erfüllen ihren Kindern gegenüber eine Doppelrolle. Sie haben einerseits die Aufgabe, mit ihren Kindern oder Jugendlichen eine Beziehung aufzunehmen, sie in ihrer Individualität wahrzunehmen und ihnen von Mensch zu Mensch zu begegnen. Beziehung heißt, dass sie sich mit ihnen auf einer persönlichen Ebene auseinandersetzen, sich ihnen öffnen und sich in sie einfühlen. Sie versuchen, die Kinder nicht als Typus wahrzunehmen, sondern als Individuum. Neben dieser Beziehungsaufgabe haben die Eltern andererseits jedoch noch eine andere Rolle, die vor allem während der Pubertät an Bedeutung gewinnt. Sie repräsentieren eine unpersönliche Leitfigur. Jugendliche suchen im Vater und in der Mutter nicht nur ein Beziehungsobjekt, sondern den unpersönlichen, erwachsenen Gegenspieler, der allgemeine Regeln und Ideen darstellt. Eltern sind für Jugendliche nicht nur Individuen, mit denen sie in einer persönlichen Beziehung stehen, sondern auch kollektive Figuren. Jugendliche beginnen ihre Eltern als Größen wahrzunehmen, an denen sie sich bei der Suche nach dem eigenen Weg orientieren oder messen, gegen die sie sich auflehnen oder von denen sie sich abgrenzen können. Diese beiden Rollen sind mit spezifischen Aufgaben und Herausforderungen verbunden. Zuerst wird hier auf die Rolle der Eltern als Beziehungspartner eingegangen, anschließend die archetypische Qualität der unpersönlichen Elternrolle beschrieben.

Unsere Beziehung zu Kindern


»Alle Eltern lieben ihre Kinder!« steht lapidar in der Einleitung eines Erziehungsratgebers. Die Aussage trifft für die überwiegende Mehrzahl der Eltern zu, hilft jedoch oft...

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