Lernen und zu Zeiten das Gelernte praktizieren, ist das nicht eine Freude?
Konfuzius
Qi ist der chinesische Begriff für »Lebensenergie«. In der chinesischen Medizin gilt Qi als die belebende Kraft, die alle Lebewesen durchströmt. Ein lebendiges Wesen besitzt Qi im ganzen Körper, ein totes besitzt keines mehr – die Wärme, die Lebensenergie ist aus seinem Körper gewichen. Ein gesunder Mensch hat mehr Qi als ein kranker. Jedoch verbindet sich mit Gesundheit mehr als nur eine Fülle an Qi. Gesundheit impliziert, daß das Qi in unserem Körper rein, nicht verschmutzt und trübe ist, ungehindert fließen kann und nicht blockiert wird oder stagniert.
Qi ist außerdem die Lebensenergie, die sich für uns in der Natur manifestiert. Die Erde selbst bewegt und verändert sich andauernd, sie atmet und lebt durch Qi. Manche Wissenschaftler nennen die Erde heute – wie die Dichter im Altertum – »Gaia«, denn sie ist für sie ein lebendes Wesen. Bewundern wir die Schönheit der Tiere, Fische, Vögel, Blumen, Bäume, Berge, des Meeresgrunds und der vorüberziehenden Wolken, sind wir in Kontakt mit ihrem jeweiligen Qi und spüren intuitiv das Einssein mit ihnen. Wir Menschen sind ein Teil der Natur und teilen uns das Qi mit den anderen Wesen dieser Erde.
Gong bedeutet »Arbeit« oder »Erfolg durch Ausdauer und Übung«. Daher heißt Qigong »Arbeit mit der Lebensenergie«. Wir lernen, den Fluß und die Verteilung des Qi in unserem Körper zu kontrollieren, um unsere Gesundheit zu stärken und zu einer ausgewogeneren Beziehung zwischen unserem Geist und unserem Körper zu gelangen.
Qigong versteht sich als ganzheitliches System mit Selbstheilungstechniken und Meditation, es ist ein althergebrachtes und kontinuierlich fortentwickeltes Verfahren, das gesundheitsfördernde Körperhaltungen, Bewegung, Selbstmassage, Atemtechniken und Meditation umfaßt. Durch diese verschiedenen Übungsmethoden soll Qi im Körper gesammelt und gespeichert werden wie in einem Reservoir. Außerdem kann durch diese Techniken unreines oder verschmutztes Qi – eine Krankheiten auslösende Substanz – gereinigt und in reines, heilendes Qi umgewandelt werden. Ziel einiger Qigong-Übungen ist es daher, das unreine Qi, ähnlich wie beim Atmen, auszuscheiden und so zu eliminieren. Beim Atmen wird Sauerstoff, reine Energie, absorbiert, während gleichzeitig Kohlendioxyd, verbrauchte Energie, ausgestoßen wird. Qigong-Übungen können wie korrekte Atemtechniken helfen, diesen Gasaustausch effizienter zu gestalten.
Qigong wird »Übung« oder »Training« genannt, weil es nicht wie Arzneimittel für eine begrenzte Zeit »verordnet« wird, sondern vielmehr täglich praktiziert werden soll. Dies läßt sich leicht bewerkstelligen, da es ebensoviel Spaß macht wie jede andere Sportart und doch durchschnittlich nur 20 bis 40 Minuten unserer täglichen Zeit erfordert. Man benötigt weder eine spezielle Ausrüstung noch einen großen Übungsraum.
Jeder kann Qigong üben. Es gibt Übungen für jedes Alter und jeden Gesundheitszustand sowie Übungen im Stehen, Sitzen und Liegen. Mit nur geringen Veränderungen können die meisten Übungen, die für das Stehen entwickelt wurden, auch in sitzender oder liegender Position ausgeführt werden. Auf diese Weise wird Qigong zu einer idealen Trainingsmöglichkeit für körperlich Angeschlagene.
Qigong-Arten
Die Qigong-Techniken lassen sich in zwei Hauptkategorien unterteilen: »Übungen-in-Bewegung« oder »Aktives Qigong« (donggong) und »Übungen-in-Ruhe« oder »Meditatives Qigong« (jinggong). Aktives Qigong besteht aus sichtbaren Bewegungen. Der ganze Körper bewegt sich entweder wie beim Tanzen von einer Position in eine andere, oder er verharrt in einer Position, während die Arme verschiedene Stellungen durchlaufen. In China und im Westen sind die Übungen-in-Bewegung am populärsten. Donggong gilt als aktiv (yang), doch das Passive (yin) ist darin enthalten. Der Körper bewegt sich zwar, der Geist ist jedoch entspannt und ausgeglichen, er ist zur Ruhe gekommen.
Bei den Übungen-in-Ruhe ist der ganze Körper reglos. Das Qi wird durch geistige Konzentration, Visualisierung und präzise Atemtechniken kontrolliert. Übungen-in-Ruhe gelten äußerlich als yin, passiv, innerlich jedoch als yang, aktiv. Der Körper verharrt regungslos, er atmet lediglich. Der Geist ist wach und konzentriert sich aktiv auf das Qi.
Verkürzt ausgedrückt: Übungen-in-Bewegung sind Körpertraining, während Übungen-in-Ruhe als Meditation betrachtet werden. Doch diese beiden Kategorien lassen sich nicht streng voneinander trennen. Ruhe und Bewegung sind relative, keine absoluten Prinzipien. Es geht darum, die richtige Balance zu finden zwischen Yin und Yang, nicht nur im Qigong, sondern auch im täglichen Leben. Suchen Sie Ruhe und Ausgeglichenheit in der Bewegung; seien Sie bedacht und aufmerksam in der Ruhe.
Anwendungen des Qigong
Es gibt die verschiedensten Gründe, warum sich Qigong-Übungen empfehlen. Der wichtigste Grund: Mit Qigong kann man Krankheiten vorbeugen und seine Gesundheit verbessern. Dieses Buch befaßt sich in erster Linie mit diesem »Medizinischen Qigong« (yijiagong). Es läßt sich als ein in sich geschlossenes und unabhängiges System der Selbstheilung praktizieren, das man sich durch Bücher, Videos, Kassetten und mit Hilfe professioneller Qigong-Lehrer aneignen kann. Viele in chinesischer Medizin geschulte Ärzte verordnen ihren Patienten Qigong. Zu den Methoden chinesischer Medizin zählen Akupunktur, Verabreichung pflanzlicher Arzneien, Massage und Qigong. Chinesische Ärzte empfehlen Qigong entweder als Ergänzung zu anderen notwendigen Therapien oder als eine Trainingsmöglichkeit, um Gesundheit zu erhalten. Patienten, die Qigong praktizieren, erholen sich schneller von Krankheiten und werden in die Lage versetzt, ihre Gesundheit in die eigenen Hände zu nehmen.
Die »Äußere Qi-Heilung« (wai qizhiliao) ist eine alte chinesische Methode der »Heilenden Hände« und ein Zweig des Medizinischen Qigong. Hat der Qigong-Schüler gelernt, seinen inneren Qi-Fluß zu kontrollieren, kann er oder sie versuchen, andere zu heilen. Der (die) Heiler(in) legt seine (ihre) Hände auf oder neben den Körper des Kranken, taxiert dessen Qi-Zustand und überträgt dann sein heilendes Qi (siehe Kapitel 15).
Nach einigen Monaten Praxis in Selbstheilungs-Qigong äußern Studenten manchmal: »Ich habe jetzt so viel Energie. Was soll ich denn damit anfangen?« Die Antwort lautet: »Teile sie mit anderen!« Durch Praktizieren der Äußeren Qi-Heilung können Sie heilende Energie mit Freunden, Liebsten oder Patienten teilen. Sie können auch Qi mit der Natur teilen, indem Sie in schöner und kraftspendender Natur spazierengehen. Die Natur besitzt die wundervolle Gabe, uns Entspannung und Ausgeglichenheit zu schenken, indem sie uns lebensnotwendige Energie spendet und etwaige Spannungen in uns abbaut.
Beim »Meditativen oder Spirituellen Qigong« (jinggong) soll der Übende vor allem eine klare und ruhige Geisteshaltung und eine tiefere Selbstbewußtheit entwickeln, außerdem soll er zur Harmonie mit der Natur finden. Einige Autoren unterteilen das Meditative Qigong in zwei Unterkategorien, in die buddhistische (fojiagong) und daoistische Qigong-Meditation (daojiagong), je nachdem ob die buddhistische oder daoistische Philosophie einen stärkeren Einfluß ausübt. Der Übergang zwischen diesen beiden Qigong-Schulen ist jedoch häufig fließend. Die buddhistische und daoistische Philosophie haben sich im Verlaufe der chinesischen Geschichte stets gegenseitig beeinflußt, und dies gilt auch für die beiden Qigong-Zweige. Anhänger des Meditativen und Medizinischen Qigong eint das gemeinsame Ziel, Geist und Körper zu kultivieren (xingming shuang xiu) – die chinesische Entsprechung für »ein gesunder Geist in einem gesunden Körper«. Da sich Geist und Körper gegenseitig beeinflussen, ist es unmöglich, einen rundum gesunden Körper ohne gesunden Geist zu besitzen und umgekehrt. Daher wird Meditatives Qigong auch stets als Ergänzung zum Medizinischen Qigong praktiziert.
Mit »Konfuzianischem Qigong« (rujiagong) wird die Festigung des Charakters angestrebt. In den Lehren des chinesischen Weisheitslehrers Konfuzius (551–479 v. Chr.) wird die Bedeutung ethischen Verhaltens und harmonischer zwischenmenschlicher Beziehungen unterstrichen. Obwohl nicht überliefert ist, daß Konfuzius selbst Qigong praktizierte, beschäftigten sich doch viele seiner philosophischen Anhänger ebenfalls mit Qigong. Das Konfuzianische Qigong stellt den traditionellen chinesischen Gedanken in den Mittelpunkt, daß ein gesunder Mensch ein größeres Potential besitzt, sich integer zu verhalten. Wer behutsam mit der eigenen Person umgeht, verhält sich höchstwahrscheinlich auch rücksichtsvoll anderen Menschen gegenüber. Entsprechend führt Unachtsamkeit gegenüber der eigenen Person auch zu Achtlosigkeit anderen Menschen gegenüber und zu unmoralischem Verhalten. Das Konfuzianische Qigong gilt weniger als eine Schule denn als eine Geisteshaltung. Seine Anhänger bedienen sich der gleichen Qigong-Techniken wie die Anhänger anderer Schulen. Sie unterscheiden sich lediglich in ihrem Ziel und verwenden Qigong, um Güte, Aufrichtigkeit, Respekt und andere Tugenden zu kultivieren.
»Kampf-Qigong« (wugong) leitet sich aus den chinesischen Kampfkünsten (wushu) ab, den populärsten sportlichen Aktivitäten in China. Obwohl zum Kampf-Qigong Übungen gehören, die...