1 Einleitung
„Werbung ist zu teuer, um damit herumzuspielen.“
(Jung/von Matt 2002: 202)
Im Jahr 2004 investierte die deutsche Wirtschaft 29,22 Milliarden Euro in die Werbung. Das sind circa 1,4 Prozent des deutschen Brutto-Inlandsprodukts. An den gesamten Werbeaufwendungen in Deutschland, ist alleine die Medienwirtschaft mit einem Werbevolumen von 19,58 Milliarden Euro (Anteil von 67 Prozent) beteiligt. Damit nimmt die klassische Werbung die Spitzenstellung in der Marketingkommunikation ein. Unter klassischer Werbung versteht man all die Marketing-Maßnahmen, die in gekauftem Werberaum platziert werden können. Nach Umsatzgröße geordnet sind das Werbung in Tageszeitungen, Fernsehen, Publikums- und Fachzeitschriften, Außenwerbung und Hörfunk (vgl. Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft 2005: 9). Obwohl der Werbemarkt in den letzten Jahren stagnierte, steigt das werbliche Informationsangebot kontinuierlich an. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien, wachsende Wissensproduktion und nicht zuletzt „die ständig wachsende Zahl an Werbebotschaften […] führen zu einem information overload“ (Schierl 2003: 13 f.). Der Konsument sieht sich hierbei mit einem enormen Überangebot an Medien sowie Gütern und Leistungen konfrontiert. „Der Kampf um die Aufmerksamkeit der Rezipienten wird auf Seiten der Anbieter härter und mit wachsendem Aufwand geführt“ (ebd.: 15). Nach Siegfried J. Schmidt ist gerade der „Kampf“ um die Aufmerksamkeit die spezifische Leistung der Werbung. Hierbei müssen die Produzenten von Werbung ihre Werbebotschaften mit Ideen, Überzeugungen und Werten verbinden, die von Auftraggebern und Zielgruppe akzeptiert oder gewünscht werden (vgl. Schmidt 2000: 235). Die Werbung steht aber vor einem immer größer werdenden Problem, denn durch immer zahlreichere und bessere Produktionen von Medien- und Kommunikationsangeboten, wird das seltene Gut Aufmerksamkeit weiter verknappt (vgl. Schmidt 2000: 237).
Wie kann die Werbung unter diesen Bedingungen noch bestehen? Wie kann sie sich differenzieren und Aufmerksamkeit produzieren? Werbepraktiker meinen, indem sie den Verbraucher überraschen, auf dem falschen Fuß erwischen, erfreuen oder erschrecken, also etwas bewirken, was sie nicht erwarten. Der dazu notwendige Erfindungsreichtum, die Kreativität, wird als die sicherste Methode betrachtet, um Aufmerksamkeit zu gewinnen (vgl. von Matt 2002: 190). Hier liegt der Schwerpunkt dieser Forschungsarbeit: Kreativität wird als der Schlüssel verstanden, um Aufmerksamkeit zu generieren und Effizienz als der Maßstab erfolgreicher Werbung[1]. Diese beiden Faktoren gelten damit als die Hauptkriterien von Qualität in der Werbung, denn Werbeagenturen müssen kreativ sein, um sich von der wachsenden Konkurrenz abzusetzen und die knappe Aufmerksamkeit des Rezipienten zu gewinnen, und Agenturen müssen effektiv sein, denn nur eine nachweislich effektive Kampagne rechtfertigt die meist hohen Investitionskosten des Werbekunden (vgl. Zurstiege 2005a: 179). Kreativität und Effizienz sind also die beiden Faktoren, an der sich die Werbung in der Praxis misst, symbolisiert durch diverse Werbeauszeichnungen, wie dem GWA-Effie oder dem ADC-Award. Welche Rolle gerade diese beiden Wettbewerbe für die Werbebranche spielen und inwiefern diese als Indikatoren für Qualität von Werbung angesehen werden, soll hier in einem besonderen Maße untersucht werden.
Der Begriff der Qualität ist sehr weitreichend und diese Forschungsarbeit erhebt nicht den Anspruch, den Begriff in all seinen Facetten zu erfassen und letztgültig zu definieren. Demzufolge wird eine Differenzierung des Qualitätsbegriffs im Hinblick auf den Bereich der Werbung unumgänglich. Diese Arbeit konzentriert sich daher ausschließlich auf die Sichtweise der Experten aus dem Bereich der klassischen Werbung und deren Aussagen und Vorstellungen in Bezug auf die Qualität von Werbung. Denn um werbliche Qualitätskriterien zu erarbeiten, ist vorab eine subjektive Qualität wichtig, um Rückschlüsse auf die Objektivierbarkeit von Qualität zu ermöglichen.
Die Recherche zu dieser Studie ergab, dass keine Arbeiten und Untersuchungen vorliegen, die das Thema Qualität in der Werbung systematisch analysieren[2] – weder in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur noch in Fachzeitschriften der Branche. Zwar sind zum Thema Qualitätsmanagement in Werbeagenturen Artikel in Fachzeitschriften wie der Horizont und der WuV (Werben und Verkaufen) erschienen, doch geht es in diesen Veröffentlichungen um eine Optimierung und Zertifizierung von Arbeitsabläufen in Werbeagenturen und nicht um Qualität der Werbemedienangebote an sich. Da weder die Werbebranche noch die Kommunikationswissenschaft, sich bisher mit diesem Themenkomplex systematisch auseinander gesetzt hat, bietet sich hiermit eine interessante Gelegenheit, diesen Gegenstand in einer Magisterarbeit ausführlicher zu untersuchen. Darüber hinaus ist meine persönliche Motivation dahingehend begründet, dass ich durch meine Praktika und mein Studium Anhaltspunkte für qualitativ hochwertige Werbung kennen gelernt habe und nun die Möglichkeit nutzen kann, meine Kenntnisse aus Theorie und Praxis in dieser Arbeit zu manifestieren.
Bei den verwandten Forschungsfeldern der Werbung, ist der Qualitätsdiskurs ein wichtiges und sehr eingehend diskutiertes Thema. Daher werden zunächst die aktuellen Qualitätsdebatten des Journalismus und der Public Relations (PR) beschrieben. Die daraus resultierenden Erkenntnisse bilden das Fundament für die weitere Herangehensweise dieser Arbeit. Infolgedessen ergibt sich daraus folgende Annahme, die der allgemeinen Forschungsfrage vorausgeht:
Qualität als Maßstab für die kategoriale Trennung von guter und schlechter Werbung hat sich noch nicht – im Vergleich zu ähnlichen Maßstäben in PR und Journalismus – mit verbindlichen Terminologien etabliert.
Die daraus resultierende allgemeine und übergeordnete Forschungsfrage lautet daher: Wie kann man Qualität von klassischer Werbung definieren?
Weitere Fragen, an die sich diese Arbeit orientiert, lauten wie folgt: Welche Indikatoren gibt es für eine qualitative Klassifizierung von Werbung? Wie definieren Experten aus klassischen Werbeagenturen Qualität von Werbung?
Mit Hilfe dieser Fragen soll versucht werden, Qualitätskonzeptionen für Werbung zu entwerfen – aus einer kommunikationswissenschaftlichen wie auch aus einer praxisorientierten Sichtweise heraus. Ziel dieser Forschungsarbeit ist die Entwicklung eines Kriterienkatalogs für Qualität in der Werbung, der auf die Reflexion von Aussagen von Werbeexperten basiert. Die Grundlage hierfür bildet eine qualitative Befragung von zwölf Werbefachleuten aus klassischen Agenturen. Das Verhältnis zwischen Kreativen und Beratern ist hierbei ausgewogen, um mögliche Schwerpunkte im Hinblick auf Kreativität auf der einen Seite und Effizienz von Werbung auf der anderen Seite auszugleichen.
Ausgehend von den Forschungsfragen und aufbauend auf dem Theorieteil dieser Arbeit, ist die Befragung in drei Fragekomplexe gegliedert:
1. Qualität in der Werbung im Allgemeinen.
2. Effizienz und Kreativität in der Werbung.
3. Qualität in der Werbung im Speziellen.
Beurteilung von Kampagnen (Jamba, VW Golf GTI).
Die vorliegende Forschungsarbeit setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Einem theoretischen und einem empirischen Teil. Der Theorieteil besteht aus drei Kapiteln. Im ersten Kapitel, Werbung als Forschungsgegenstand, wird die Werbetheorie aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive behandelt. Hier steht unter anderem die Werbung als System, die Werbewirkung sowie die Kritik an der Werbung im Fokus der Untersuchung. Im zweiten Kapitel, Qualitätsdiskurse in der Kommunikationswissenschaft, werden zunächst die wesentlichen Aspekte der Qualitätsdiskurse der Public Relations und des Journalismus erörtert. Daran anschließend wird der aktuelle kommunikationswissenschaftliche Forschungsstand zum Thema Qualität in der Werbung vorgestellt. Dieses Kapitel schließt mit einem Exkurs über die Qualitätsmanagement-Diskussion in der Werbung. Das dritte Kapitel befasst sich mit Kreativität und Effizienz in der Werbung. Hier wird näher erläutert, was kreative und effiziente Werbung auszeichnet und welches die wichtigsten Werbepreise der Branche sind. Des Weiteren werden zwei konkrete Werbekampagnen vorgestellt, die in ihrer Machart extrem unterschiedlich, aber gleichermaßen sehr erfolgreich sind und dementsprechend für divergente Meinungen beim Publikum wie auch in der Werbebranche selbst sorgen. Diese Fallbeispiele wurden im...