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Quantenfische

Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel

AutorDieter Lüst
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl382 Seiten
ISBN9783406622861
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel. Der heißeste Kandidat für die Entwicklung einer Weltformel, die alle physikalischen Phänomene erklären kann, ist die Stringtheorie. Der international bekannte theoretische Physiker Dieter Lüst zeigt: Sollte sie sich als richtig erweisen, so würde das die Kosmologie und unser Verständnis über den Ursprung der Naturgesetze dramatisch verändern. «Einfallsreich und mitreißend - alles über Superstrings, über die Hypothese einer Weltformel und über das kosmische Multiversum.» (Harald Fritzsch)

Prof. Dr. Dieter Lüst, geboren 1956 in Chicago, ist Leiter des Arnold-Sommerfeld-Instituts für theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor am Max-Planck-Institut für Physik in München. Er ist einer der führenden Stringtheoretiker in Deutschland und wurde im Jahr2000mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.

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Leseprobe

2.  Über die Eindeutigkeit der Naturgesetze


Das Märchen von den Quantenfischen im Fischteich


Es war einmal eine bestimmte Fischspezies, die irgendwo vor langer Zeit in einem ganz bestimmten Fischteich lebte. Diese Fische waren sehr intelligente Lebewesen. Sie konnten selbstständig Entscheidungen treffen, sie konnten sich untereinander verständigen, und im Laufe der Jahre hatten sie viele nützliche Geräte und Maschinen entwickelt, die ihnen das Leben im Fischteich sehr erleichterten. Darüber hinaus aber waren sie sehr daran interessiert, ihre Umwelt und auch sich selbst besser zu verstehen. Deswegen leiteten sie aus den verschiedenen Naturbeobachtungen und Experimenten, die sie in ihrem Fischteich durchführten, physikalische Theorien und Gleichungen her, die ihre Beobachtungen so gut wie möglich beschrieben. Über viele Jahre folgten die beobachteten Gesetzmäßigkeiten im Fischteich einem streng deterministischen Verhalten. Dies war die Epoche der klassischen Physik im Fischteich. Die Bahnen von Körpern im Teich folgten aus Gleichungen, deren Lösungen die mathematisch sehr begabten Fische im Prinzip mit beliebiger Genauigkeit berechnen konnten. In ihrer immer größer werdenden Neugierde zerlegten die Fische die Objekte, die sie in ihrem Teich vorfanden, in immer kleinere Bestandteile. Dabei entdeckten sie eines Tages etwas Sonderbares und zugleich sehr Aufregendes: Die kleinsten Teilchen bewegten sich nicht mehr auf genau vorbestimmten Bahnen, sondern waren einem neuen Zufallsprinzip unterworfen. Insbesondere, wenn man die kleinsten Teilchen auf zwei verschiedene Öffnungen in einem Hindernis lenkte, dann durchquerten die kleinen Teilchen anscheinend mal das eine und mal das andere Loch oder, noch seltsamer, beide Löcher im Hindernis zugleich. Den Fischen kam es sogar vor, als ob die kleinsten Teilchen von Fall zu Fall selbst entschieden, welche Bahn sie einschlugen. Den Fischen gelang es mit ihren Messungen nicht mehr, den Ort zu fixieren, an dem sich die kleinsten Teilchen mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit aufhielten. Jedes Mal, wenn sie den Ort eines kleinen Teilchens mit ihren Instrumenten möglichst exakt feststellen wollten, schwamm dieses Teilchen mit einer nicht genau messbaren Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Die gleiche Schwierigkeit ergab sich bei der Bestimmung der Geschwindigkeit eines Teilchens: Das Bild dieses Teilchens verschwamm dann im Wasser, und der Aufenthaltsort des Teilchens ließ sich nicht mehr genau feststellen. Es waren dies Beobachtungen, die zur Geburtsstunde einer neuen physikalischen Theorie im Fischteich führten. Die Fische gaben ihr den Namen Quantenfischtheorie.

4 Der Fisch, der drei farbige Quantenfische mit einem Mikroskop beobachtet.

Es war eine rasante Phase von zahlreichen neuen Entdeckungen. Den Fischen gelang es, die vermeintlich kleinsten Teilchen zu identifizieren, aus denen alle Körper im Fischteich bestanden – inklusive die Fische selbst. Diese kleinsten Teilchen hatten, soweit die Fische feststellen konnten, keine nachweisbare räumliche Ausdehnung mehr. Sie hatten also die Form von punktförmigen Objekten. Die Fische bezeichnen diese Urbausteine allerdings nicht als Elementarteilchen, sondern nannten sie Quantenfische, da alle Teilchen das gleiche sonderbare Verhalten aufwiesen. Vielleicht fragen wir uns, warum man im Fischteich die Elementarteilchen als Quantenfische und nicht lediglich als Teilchen bezeichnete. Der Grund dafür war, dass die Fische annahmen, die kleinsten Teilchen im Fischteich seien selbst auch Lebewesen, also kleine Quantenfische. Denn ihr Verhalten legte nahe, dass sie wegen ihrer Quantennatur selbst entscheiden konnten, wohin sie sich gerade bewegen wollten. Die Fische im Fischteich nahmen also an, dass die Quantenfische auch eine Art von freien Willen besäßen, so wie sie selbst.

Die verschiedenen Quantenfische unterschieden sich zum einen durch ihre Masse, also durch ihr Gewicht. Es gab nämlich sehr leichte Quantenfische, die mit sehr hoher Geschwindigkeit durch das Wasser schnellten. Dann gab es schwere Quantenfische, die sich langsam und träge fortbewegten. Schließlich gab es auch noch masselose Quantenfische, die mit Lichtgeschwindigkeit durch das Wasser rasten. Kurioserweise wandelten sich die verschiedenen Quantenfische beim Durchqueren des Fischteiches oftmals spontan ineinander um, sie konnten also ihre Gestalt ändern. Beim genauen Hinsehen erkannte man sogar, dass Quantenfische häufig wie aus dem Nichts im Fischteich erschienen, um dann nach sehr kurzer Zeit gänzlich wieder zu verschwinden. Bei der weiteren Beobachtung des Spiels der Quantenfische entdeckten die Fische interessante unterschiedliche Eigenschaften; zum Beispiel, dass einige Quantenfische – man nannte sie auch Quarkfische – in ganz bestimmten Farben bunt schillerten – rot, grün oder blau. Schließlich konnte man einen gesamten Zoo von Quantenfischen genau klassifizieren. Ferner fiel auf, dass die Quantenfische fortwährend weitere kleine Objekte unter sich austauschten. Auf diese Weise traten sie miteinander in Kontakt und standen in wechselseitiger Wirkung miteinander. Das Ganze sah aus wie das Ballspiel von Kindern, die sich ständig kleine, zweifarbige Bälle zuwerfen und wieder auffangen. Warf ein farbiger Quantenfisch einen bunten Ball, so passierte es, dass sich dabei seine eigene Farbe wie die eines Chamäleons änderte, wobei die Farbänderung des Quantenfisches durch die Farben auf dem Ball bestimmt waren. Genauso erging es dem Quantenfisch, der den Ball wieder auffing: War er selbst zum Beispiel rot gefärbt, während der aufgefangene Ball rot und blau gefärbt war, dann wandelte sich die Farbe des Quantenfisches von rot zu blau. Die farbigen Quantenfische waren dabei so in ihr Ballspiel vertieft, dass sie sich nie sehr weit voneinander entfernten, sondern immer ganz nahe zusammenblieben. Die farblosen Quantenfische – diese nannte man Leptonfische – hingegen konnten sich frei im Fischteich bewegen, und sie bewarfen sich auch nur mit farblosen Bällen. Quark- und Leptonfische wiesen noch eine weitere interessante Eigenschaft auf: Sie drehten sich fortwährend mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit um ihre eigene Achse. Und auch die ausgetauschten Bälle drehten sich um ihre eigene Achse, und zwar doppelt so schnell wie die Quark- und Leptonfische. Schließlich gelang es den Fischen, eine Theorie aufzustellen, die das Spiel der Quantenfische im perfekten Einklang mit allen ihren Beobachtungen beschreiben konnte. Sie nannten diese Theorie deshalb auch das Standardmodell der Quantenfische. Diese Theorie sagte auch noch einen ganz besonderen, hübschen Quantenfisch mit dem Namen «Higgsquantenfisch» voraus. Kein Fisch hatte jemals schon den Higgsquantenfisch gesehen. Aber die Fische waren davon überzeugt, dass es den Higgsquantenfisch geben musste, denn laut ihrer Theorie klammerten sich alle anderen Quantenfische mehr oder weniger fest an den Higgsquantenfisch. Dadurch wurden sie in ihrer Bewegung durch den Fischteich mehr oder weniger stark abgebremst: die schnellen und leichten Quantenfische nur sehr wenig, da sie nur sehr schwach an den Higgsquantenfisch gekoppelt waren; die schweren und trägen Quantenfische hingegen sehr stark, da sie den Higgsquantenfisch, einer schweren Last vergleichbar, mit sich herumschleppten. Nur die masselosen Quantenfische, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegten, konnten den Einfluss des Higgsquantenfisches überhaupt nicht spüren. Gemäß dem Standardmodell der Quantenfische war also der Higgsquantenfisch für die Massen der anderen Quantenfische verantwortlich. Deswegen durchstreiften die Fische jeden Winkel ihres Teiches, um nach dem Higgsquantenfisch zu suchen, bis sie ihn nach einigen Jahren mit der Hilfe einer gigantisch großen Maschine, genannt TSV 1860,[3] nachweisen konnten.

Zu guter Letzt vermuteten die Fische, dass es neben den Quantenfischen des Standardmodells noch weitere Quantenfische geben müsste, die nur sehr schwach mit den anderen Quantenfischen in Verbindung traten. Diese sollten fast durchsichtige, den Quallen ähnliche Objekte sein. Da sie sich nicht vom Wasserhintergrund abhoben, wurden sie von den Fischen auch als Dunkle Quantenfische bezeichnet. Der Grund für die Vermutung einer Existenz Dunkler Quantenfische lag in der Beobachtung, dass die Strömung des Wassers durch bestimmte, noch unbekannte Objekte mit beeinflusst sein musste. Diese aber passten nicht in die Theorie des Standardmodells.

Nach Fertigstellung des Standardmodells über die Quanten fische wollten die Fische auch verstehen, warum bestimmte Parameter ihrer Theorie, die sie durch verschiedene Messungen und Beobachtungen der experimentell arbeitenden Fische erhielten, gerade die beobachteten Werte annahmen und nicht irgendwelche beliebigen anderen Werte. Diese Messgrößen erschienen einerseits vollkommen willkürlich und nicht in der Theorie erklärbar. Andererseits stellten die Fische fest, dass bestimmte Größen nur so und nicht anders sein durften, damit es im Fischteich überhaupt Leben geben konnte. Zum Beispiel musste der Sauerstoffgehalt im Wasser einen ganz bestimmten Wert haben, um den Fischen das Leben im Wasser zu ermöglichen. Diese Umweltparameter, die entscheidend für bestimmte Lebensformen sind, bezeichneten die Fische – dem Griechischen ichthys (der Fisch) entlehnt – als ichthische Parameter. Wir würden sie natürlich als...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel2
Zum Buch3
Über den Autor3
Impressum4
Widmung5
Inhalt7
Vorwort9
1. Einführung11
2. Über die Eindeutigkeit der Naturgesetze24
Das Märchen von den Quantenfischen im Fischteich24
Klassischer Determinismus und Quantenmechanik34
3. Punktförmige Standard-Quantenfische66
4. Über die Struktur von Raum, Zeit und Extra-Dimensionen134
5. Der klassische Fischteich165
Die Allgemeine Relativitätstheorie von Einstein165
Singularitäten im Kosmos: Schwarze Löcher176
Der Urknall und die Expansion des Universums187
Die inflationäre Ausdehnung des Universums209
6. Vom klassischen Fischteich zum Quantenschaum225
7. Die Suche nach der Weltformel252
8. Die Reise ins String-Multiversum286
9. Die experimentelle Suche nach den Strings328
10. Wo sind die Grenzen der Naturwissenschaft?351
Danksagung365
Anhang367
Anmerkungen369
Bildnachweis376
Personenregister377

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