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E-Book

Quedlinburg

Kleine Stadtgeschichte

AutorThomas Wozniak
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2014
ReiheKleine Stadtgeschichten 
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783791760353
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Quedlinburg atmet Geschichte: Bis heute besticht die Silhouette der UNESCO-Welterbestadt durch zahlreiche gut erhaltene Stadttürme. Über 2100 Fachwerkhäuser, mittelalterliche Kirchen, stattliche Adelsbauten und Palais und nicht zuletzt das holperige Kopfsteinpflaster lassen Besucher in vergangene Tage eintauchen. In 1100 Jahren entwickelte sich aus einer Burg König Heinrichs I. ein fast 900 Jahre bestehendes freiweltliches Damenstift mit einer mittelalterlichen Doppelsiedlung aus Alt- und Neustadt. International bekannt wurde sie durch die außergewöhnliche Odyssee des Quedlinburger Domschatzes nach Texas und zurück. Den Spuren dieser Entwicklung folgt die Kleine Stadtgeschichte - mit neuen geschichtlichen und archäologischen Erkenntnissen, Anekdoten, Literaturzitaten und Abbildungen.

Thomas Wozniak, Dr. phil., geb. 1973 in Quedlinburg, ist wiss. Mitarbeiter am Institut für Mittelalterliche Geschichte an der Philipps-Universität Marburg; zahl-reiche Publikationen zur Geschichte Quedlinburgs.

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Leseprobe

Die politische Blütezeit – Osterpfalz der Ottonen (922–1024)


Abseits der Hauptwege geschützt


Drei Feinde bedrohten das christliche Europa am Ende des 9. und zu Beginn des 10. Jahrhunderts wieder und wieder: Von den Wasserstraßen des Nordens her fielen die Normannen über Klöster, Ländereien und Städte her; vom Süden aus bedrohten islamische Heere wiederholt die christlichen Reiche, und auf dem Landwege verbreiteten die Ungarn mit geschickt geführten Angriffen und schnellen Rückzügen auf wendigen Pferden Angst und Schrecken. Die unkontrollierbaren Ungarn orientierten sich dabei wohl an den vorhandenen Hauptverkehrswegen – wie dem Hellweg mit seinen parallelen Nebenwegen. Einer davon führte nördlich des Harzes von Westen nach Osten und kreuzte bei Ditfurt und Ballersleben fünf Kilometer nördlich von Quedlinburg den Fluss Bode. Der Ort Quedlinburg selbst lag etwas abseits der Haupthandelsrouten, und genau das könnte sein großer Vorteil gewesen sein: Die Ungarn standen nicht plötzlich, geleitet von den Hauptwegen, vor den Toren. In der Sicherheit dieses Abstands konnte Heinrich I. seine Reitertruppen ausbilden und für den Kampf vorbereiten. Später konnten er und seine Reiter im Rücken der auf den Hauptwegen vorbeiziehenden Ungarn auftauchen. Eine solche für die ungestörte Vorbereitung zum Kampf ideale, etwas abseitige Lage ist auch an anderen Pfalzorten wie Memleben beobachtet worden. Für die Ottonen scheinen in der bedrohlichen und angespannten Lage Orte notwendig gewesen zu sein, die ein sicheres Versteck darstellten. Aber wer war überhaupt dieser Heinrich I., der die Ungarn das Fürchten lehrte?

König Heinrich I. und Königin Mathilde


Der junge Heinrich I. hatte 906 eine Frau namens Hatheburg geheiratet, obwohl diese als junge Witwe bereist den Schleier genommen hatte, also in ein Kloster gegangen war. Verschiedene Bischöfe hatten dies als Grund gegen die Ehe vorgebracht, aber Heinrich scheint dies gleichgültig gewesen zu sein. Hatheburg brachte große Besitztümer mit in die Ehe. Den gemeinsamen Sohn nannte man Thankmar, nach Heinrichs früh verstorbenem älterem Bruder. Etwas später hörte Heinrich, mittlerweile über 30 Jahre alt, von der jungen, damals gerade 14-jährigen Mathilde, die in einem Stift in Engern in Westfalen erzogen wurde, das von ihrer Großmutter geleitet wurde. Heinrich wurde dort heimlich vorstellig, arrangierte sich mit der Großmutter, die ebenfalls Mathilde hieß, und heiratete – anscheinend nur mit deren Erlaubnis, ohne die Zustimmung der Eltern, des Grafen Dietrich, eines Nachkommen Widukinds, und der Reginlind – im Jahr 909 die junge Mathilde in Wallhausen.

Seine Ehe mit Hatheburg hatte Heinrich kurzerhand auflösen lassen – mit der Begründung, sie habe ja bereits den Schleier genommen. Ihre Besitzungen behielt er aber in seiner Hand. Dafür, dass er eine Frau (Hatheburg) beraubt und eine Frau (Mathilde) entführt hatte, wurde Heinrich später mit dem Beiname der »Vogelere« bedacht, einem nach neueren Forschungen durchaus derben und anzüglichen Beinamen. Der war natürlich unpassend für den später immer wieder als »ersten deutschen König« bezeichneten Heinrich I., weshalb der Name am Rand der betreffenden Chronik im 12. Jahrhundert zum »Vogelsteller« erweitert wurde. Da Heinrich I. als König viel Zeit auf der Jagd verbracht hatte, passte das deutlich besser zum Image des Herrschers. Übrigens war der Altersunterschied der Brautleute wie auch das enorm hohe Tempo der Eheschließung bereits den Zeitgenossen aufgefallen, und so formuliert die – mit einem Abstand von fast einem Jahrhundert entstandene – zweite Biografie Mathildes, die Beiden seien in sehr großer Liebe zueinander entbrannt.

Abb. 4: Darstellung der ersten Äbtissin Mathilde auf einem Glasfenster in der Stiftskirche.

Mit Mathilde war Heinrich bis zu seinem Tod im Jahr 936 verheiratet, und sie gebar ihm fünf Kinder: Otto, Heinrich, Gerberga, Hadwig und Brun. Ersterer wurde als Nachfolger seines Vaters 936 König, Heinrich wurde später Herzog von Bayern, Gerberga wurde 928 mit Giselbert von Lothringen verheiratet, und nachdem dieser 939 im Rhein ertrunken war, heiratete sie Ludwig IV., den König des Westfrankenreiches. Hadwig wurde 937/38 mit Hugo dem Großen, dem Herzog von Franzien, vermählt; ihr gemeinsamer Sohn Hugo Capet, der 987 französischer König wurde, kam um 940 zur Welt. Brun schließlich, der jüngste der Nachkommen von König Heinrich und Königin Mathilde, wurde 953 zum Erzbischof von Köln gewählt und Anfang September 953 mit dem Herzogtum Lothringen belehnt.

Obwohl Otto I. zwischen 929 und 936 zum alleinigen Mitkönig gemacht wurde und dies auch gewaltsam gegen alle Widerstände durchsetzte, versuchte sein jüngerer Bruder Heinrich immer wieder, die Herrschaft zu übernehmen. Zwischen den Nachkommen Ottos I. (Otto II. und Otto III.) und denen Heinrichs (Heinrich der Zänker und Heinrich II.) entbrannte ein fast ein Jahrhundert dauernder Wettstreit um die Macht. Diese Auseinandersetzung prägte die gesamte Epoche der Ottonen und spiegelt sich in sämtlichen im ostfränkischen Reich dieser Zeit entstandenen Quellen wider. In Quedlinburg scheinen dabei diejenigen Quellen entstanden zu sein, die für das Königtum Ottos I. argumentierten. So hielt sich hier Widukind von Corvey oft auf, der seine »Res gestae Saxonicae« der Tochter Ottos I. widmete; auch der Chronist Thietmar von Merseburg wurde eine Zeit lang hier erzogen. Auch entstanden hier die wichtigen »Quedlinburger Annalen«. Damit dies alles aber passieren konnte, war eine dauerhafte Institution notwendig, die eine stabile Erinnerung an die Mitglieder der ottonischen Familie garantieren konnte.

Stiftsgründung 936 mit weitreichenden Folgen


Erstmals wurde Quedlinburg als villa quae dicitur Quitilingaburg in einer Urkunde König Heinrichs I. vom 22. April 922 erwähnt. Bedeutend für die Entwicklung der Stadt war insbesondere das Jahr 929, als der König eine weitere Urkunde erstellen ließ, die heute als »Hausordnung« gedeutet und bezeichnet wird. Darin regelte der König Angelegenheiten seiner Familie. Seine Frau Mathilde erhielt zusätzlich zu ihrem Eigenerbe in Engern und Westfalen die liudolfingischen Familiengüter in Quedlinburg, Pöhlde, Nordhausen, Grona und Duderstadt. Diese wurden ihr mit allen Burgen, Burgbezirken, Hörigen und Dienstmannen sowie der fahrenden Habe und den Gestüten als Witwenversorgung zur freien Nutzung zugesprochen. Später bestimmte Heinrich I. Quedlinburg zu seiner Grablege. Nach seinem Tod in Memleben im Jahr 936 wurde er in der Pfalzkapelle auf dem Burgberg bestattet. Seine Witwe, Königin Mathilde, ließ sich ein paar Wochen später von ihrem Sohn Otto I. die Gründung eines Kanonissenstiftes am Grab Heinrichs I. bestätigen, das die Aufgabe hatte, des toten Königs und anderer Familienmitglieder zu gedenken und adeligen jungen Frauen eine Ausbildungsmöglichkeit und Lebensperspektive zu geben. Genau 30 Jahre lang stand Königin Mathilde dem Stift selbst als Leiterin vor, ohne je zur Äbtissin geweiht worden zu sein. Otto I. besuchte Quedlinburg in unregelmäßigen Abständen zur Feier des Osterfestes und zu den Gedenktagen seines Vaters. Ottos im Jahr 955 von seiner zweiten Frau Adelheid von Burgund geborene Tochter, die nach ihrer Großmutter den Namen Mathilde erhielt, war von Geburt an für die Leitung des Stiftes vorgesehen. Bereits mit elf Jahren wurde sie auf dem Osterhoftag 966 mit diesem Amt betraut (s. S.31). Zwei Jahre nach dem Osterhoftag, am 14. März 968, starb Königin Mathilde und wurde an der Seite ihres Gemahls, Heinrichs I., bestattet. Ihr Grab und ihr steinerner Sarkophag sind erhalten geblieben, während die Grablege Heinrichs leer ist.

Abb. 5: Siegel König Heinrichs I. an einer Urkunde von 927.

Königin Mathilde hatte sich 936 und vermutlich auch später eigene Stiftsdamen gesucht. Nach den Quedlinburger Annalen habe sie keine Personen niederen Standes in den Konvent aufgenommen, sondern nur solche von höchstem Adel, da sie davon ausgegangen sei, dass eine Hochwohlgeborene (bene nata) nur höchst selten aus der Art schlage. Mit bene nata scheinen Frauen aus den Familien der benachbarten Markgrafen gemeint gewesen zu sein, denn nacheinander lebten drei Töchter der Markgrafen von Haldensleben und mindestens zwei aus der Familie der Markgrafen von Meißen im Quedlinburger Stift. Diesen als Sanctimonialen bezeichneten Stiftsdamen scheint es freigestanden zu haben zu heiraten. Eine von ihnen, Bertlalis, unternahm im Jahr 1008 selbstständig eine Reise nach Rom. Häufige Reisen sind zwar auch von Königin Mathilde und ihrer Enkelin, der Äbtissin Mathilde, bekannt, aber es ist auffällig, dass auch die anderen Sanctimonialen solche Pilgerreisen machen durften.

Abb. 6: Als Stiftsberg gedeutetes Rekognitionszeichen auf einer Urkunde Ottos I. von 956.

In den ersten Jahrzehnten nach Gründung des Damenstiftes lassen sich zahlreiche Schenkungen durch die ottonischen Herrscher verzeichnen. Dazu gehören fast alle kleinen Dörfer in der Umgebung (von denen viele im Laufe des Spätmittelalters wüst fielen), aber auch weit entfernte Orte, wie das 170 km entfernte Soltau, im Jahr 993 der 180 km entfernte slawischen Grenzort Potsdam oder im Jahr 999 das ebenfalls 180 km entfernte Gera. Otto I. schenkte dem Stift insgesamt 48 Ortschaften, Otto II. elf und Otto III. zehn. Auch die späteren Herrscher vergaßen das Stift nicht, wohnten hier doch nahe Verwandte, und so kamen im Laufe der Zeit weitere 150 Orte zum Stiftsbesitz hinzu. Der wichtigste Besucher des bedeutenden Stiftes war sicherlich König Otto I.

Otto der Große...


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