Schweinfurt im Mittelalter
Anfänge im Dunkeln – Die Entstehung der Reichsstadt
Die durch archäologische Streufunde in die Merowingerzeit datierbare erste Siedlung mit dem Namen Schweinfurt – an der nordöstlichen Spitze des Maindreiecks gelegen, zwischen Höllenbach und Marienbach – ist urkundlich ab 791 bezeugt: Hiltrih übereignet dem Kloster Fulda am 12. September dieses Jahres Besitz »in Suuinfurtero marcu«.
Abb. 1: Darstellung des Lollus. – Lithografie von Friedrich Kornacher.
Auf der östlich des heutigen Stadtzentrums gelegenen Peterstirn errichteten die Markgrafen von Schweinfurt im 10. Jh. ihre Stammburg. Ihr Einflussbereich erstreckte sich in dieser Zeit vom Frankenwald bis zu Regen und Donau, vom Mainknie bei Schweinfurt bis zu Fichtelgebirge und Böhmerwald. Das wohl als Sühnestiftung im Zusammenhang mit der Erhebung Markgraf Hezilos gegen Heinrich II. (1003) von der Markgrafenmutter Eila errichtete Nonnenkloster auf der Peterstirn wurde noch vor Mitte des 12. Jhs. in ein Männerkloster des Benediktinerordens umgewandelt. Die lokalen markgräflichen Güter einschließlich des Hausklosters gelangten auf dem Erbwege in den Besitz des Hochstifts Eichstätt (1122), dessen Rechte das Benediktinerkloster auf der Peterstirn wahrnahm; es wurde 1263/1265 auf Betreiben des Würzburger Bischofs an den Deutschen Orden übergeben.
HINTERGRUND
Bedeutung des Namens Schweinfurt
Die ältesten der vielen Deutungsversuche des Namens Schweinfurt gehen auf berühmte Humanisten der ersten Hälfte des 16. Jhs. zurück. Während sich der aus Schweinfurt gebürtige Johannes Cuspinian (1473–1529) in Analogie zu Haßfurt und Ochsenfurt für die Ableitung vom Tier ausspricht, konstruiert Beatus Rhenanus (1485–1547) eine Ableitung vom Stamm der Sweben, d. h. Schwaben, die in der Völkerwanderungszeit die hiesige Furt des Mains passiert haben sollen. Die historische Sprach- und Namenforschung zieht seit Jahrzehnten als Grundwort althochdeutsch furt (›Furt‹) und als Bestimmungswort sw?-n (›Schwein‹) heran, woraus als Namenserklärung »für Schweine gangbare Furt« bzw. »Furt, an der sich (Wild-)Schweine aufhalten« folgt (Reitzenstein, S. 206). 1991 hat Jakob Amstadt den Namen Schweinfurt im Zusammenhang mit einem germanischen Fruchtbarkeitskult ebenfalls auf das Tier zurückgeführt. Von der dem Götzen »Lollus« gewidmeten heidnischen Opferstätte und dessen sagenhaftem Standbild berichten auch die alten Stadtchronisten.
Oberhalb der markgräflichen Burg wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt eine Reichsburg errichtet. Wohl Kaiser Friedrich I. Barbarossa (reg. 1152–1190) ließ westlich des Marienbachs in Konkurrenz zur nunmehr eichstättischen villa, eine neue Siedlung anlegen. Eine civitas imperii (Reichsstadt) entstand, gelegen an einer Furt am Main und am Kreuzungspunkt der wichtigen Straßen vom Spessart/Untermain über das Werntal nach Osten zum Obermain und von Nürnberg nach Norden über den Thüringerwald nach Erfurt. Bald schon wurde der Fischerrain, eine alte Fischersiedlung am Main, in die neue Gründung einbezogen. 1230 ist erstmals urkundlich vom »oppidum Swinfurthe« die Rede. Eine Stadtrechtsverleihung ist jedoch nicht nachweisbar.
BIOGRAFIE
Judith von Schweinfurt
Markgraf Hezilo (Heinrich) erhob sich 1003 gegen König Heinrich II., der ihm die erhoffte Belehnung mit dem bayerischen Herzogtum verweigert hatte. Die daraufhin verhängte Reichsexekution machte auch vor der Burg Schweinfurt nicht Halt. Hezilos Mutter Eila konnte allerdings eine vollständige Zerstörung verhindern. Er selbst wurde bald darauf vom König begnadigt. Seine Tochter Judith (ca. 1005–1058) heiratete in den 1020er-Jahren den böhmischen Herzogssohn Bretislav. An die sich um die Hochzeit der beiden rankende Sage vom gewaltsamen Brautraub durch Bretislav und dem verlorenen roten Schuh der Judith erinnert noch heute das durch Karl Sattler (um 1871) angebrachte Relief auf der Peterstirn mit dem Schuh samt fingiertem Entführungsdatum 7. Juli 1021. Nachdem Bretislav das böhmische Herzogsamt übernommen hatte, residierte er mit seiner Gemahlin bis zu seinem Tode 1055 auf der Prager Burg. In den Wirren des Nachfolgestreits zwischen seinen Söhnen flüchtete Judith an den ungarischen Hof, wo sie am 2. August 1058 starb. Ihr Sohn Vratislav, 1085 zum ersten böhmischen König gekrönt, ließ die Gebeine der Stammmutter des böhmischen Königsgeschlechtes der Pr?emysliden nach Prag in den Veitsdom überführen.
Der Baubeginn der St. Johanniskirche wird in das ausklingende 12. Jh. datiert, erst 1325 wird sie erstmals als Pfarrkirche genannt. Das Patronat stand dem Würzburger Stift Haug zu. Beamte des Reichs und eine Münze sind in Schweinfurt in einem Mandat König Heinrichs (VII.) (reg. 1220–1235) vom 21. November 1234 bezeugt. Ob eine erste Zerstörung der Reichsstadt Schweinfurt Anfang der 1240er-Jahre, das sog. Erste Stadtverderben, schon in den Auseinandersetzungen der Würzburger Bischöfe mit den Hennebergern oder erst wenige Jahre später im Kampf um das Erbe der 1248 ausgestorbenen Andechs-Meranier erfolgte, ist bisher ungeklärt.
Der Versuch des Deutschen Ordens, alte markgräfliche bzw. eichstättische Gerichtsrechte zu reaktivieren und auf die mittlerweile westlich des Marienbachs entstandene neue Reichsstadt auszudehnen, schlug fehl. In einem Spruch vom 29. April 1282 entschied König Rudolf über die Abgrenzung der Rechte. Erstmals sind hier die Stadt und ihre Bürger als politisch handelnde Subjekte und der Vogt als Vertreter des königlichen Stadtherrn fassbar.
Königliche Privilegien für den »Stadtstaat«
An der Wende vom 13. zum 14. Jh. kann von einem gewissen Abschluss der allmählichen Stadtwerdung gesprochen werden: Das Satzungsrecht lag beim Rat, zwölf Ratsherren des obersten Kollegiums fungierten zugleich als Schöffen des Stadtgerichts. Das erste bekannte Stadtsiegel (bezeugt ab 1306) zeigt den Reichsadler mit der Legende: »S[IGILLVM] B[VR]GENSIV[M] DE SWEINVORT Q[VOD] HABENT DE GRA[TIA] REGIS«.
Die Verpfändung der Reichsstadt – damals ein gern angewandtes Mittel, um der Geldnot von König und Reich abzuhelfen – an die Grafen von Henneberg-Schleusingen (1309) und der Weiterverkauf einer Pfandhälfte an den Würzburger Bischof (1354) brachten für die Stadt die Gefahr, dem Reiche auf Dauer entfremdet zu werden. Nach der Selbstauslösung unter großen finanziellen Opfern (gegenüber Henneberg 1361, gegenüber Würzburg 1385) trat die Stadt schließlich dem Schwäbischen Städtebund, einem Schutzbündnis der Reichsstädte zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit, bei.
Abb. 2: Ältestes Siegel der Stadt Schweinfurt in einem Abdruck aus dem Jahr 1364.
In der Folgezeit stärkte eine stattliche Zahl königlicher Privilegien die Kommune nicht nur in rechtlicher, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht: Stadt- und Landgericht, Satzungsrecht, Selbstergänzungsrecht des Rates, privilegium de non evocando (d. h. Nichtzuständigkeit fremder Gerichte über die Einwohner Schweinfurts), privilegium de non alienando (d. h. Nichtverpfändungsprivileg), Kaufhaus, freie Amtmannswahl (1361, 1362); Nutzung des Mains (1397); Ablösbarkeit des Amtmanns, Bündnisrecht (1427); Blutbann (d. h. Hochgerichtsbarkeit; 1443); Recht, den Reichsvogt aus den Reihen des Rats und der Bürgerschaft zu wählen (1568); privilegium de non appellando bis zu einem Streitwert von 200 Gulden (d. h. Ausschluss der Appellation an Reichsgerichte; 1570). Damit lag alle Macht (Legislative, Exekutive, Judikative) beim Inneren Rat, dessen dominierende Rolle auch durch die soziale Konflikte offenlegenden Verfassungskämpfe (1446/1450 und 1513/1514) nicht angetastet werden konnte. Mit der Einführung der Reformation 1542 konnte der Innere Rat auch die Kirchenhoheitsrechte an sich bringen.
Abb. 3: Karte des Territoriums der Reichsstadt Schweinfurt mit Oberndorf, Zell, Weipoltshausen und der Exklave Madenhausen.
Ein eigenes Territorium erwarb Schweinfurt mit Oberndorf (1436) von den Herren von Thüngen und den Besitzungen des Deutschen Ordens mit den Dörfern Zell und Weipoltshausen (1437). Durch diese Erwerbungen wurde eine beträchtliche Erweiterung der Stadt von 14 ha auf 43 ha in nordwestlicher Richtung möglich. Nach dem Erwerb der Exklave Madenhausen (1620) umfasste dieses Territorium, dessen Einwohner zum Rat in einem Untertanenverhältnis standen, also kein Bürgerrecht genossen, 53 km2.
Bürgeraufstände und Ratsverfassung
Die Kodifizierung, also Festschreibung der Ratsverfassung wurde ausgelöst durch die gescheiterten Bürgeraufstände von 1446 bis 1450 (»Große Ratsverstörung«) und 1513/1514 (»Aufruhr in der Gemeinde«). In beiden Fällen waren die Ursachen im Wesentlichen gleich: Die Beschränkung des Inneren Rates auf wenige Familien, Steuererhöhungen und die fehlende Rechnungslegung vor der Gesamtgemeinde hatten zu Unmut unter der Bevölkerung geführt. Die nach der Niederschlagung des Aufruhrs am 13. Juni 1514 vom Schweinfurter Reichsvogt Graf Wilhelm von Henneberg und kaiserlichen Commissarien errichteten »Statuta und Ordnungen« blieben als maßgebliches Verfassungsstatut – abgesehen von den Modifikationen 1776 – bis zum Ende der reichsstädtischen Epoche in Kraft. Ein drakonisches Strafgericht – neben fünf Enthauptungen (Philipp Horst, Steinmetz; Valentin Braun, Schneider; Albert Apel, Büttner; Klaus Rudolf, Häcker;...