Luxus für Sparfüchse
1.
Besser als den Wasserwerken ist es der privaten Flaschenwasserindustrie gelungen, ihre Lifestyleprodukte am Markt zu platzieren: Flaschenwasser steht in dem Ruf, besser zu schmecken und gesünder zu sein. Über Geschmack lässt sich natürlich streiten, es wäre aber einen Test wert, ob Verbraucher stilles Wasser aus der Flasche tatsächlich zweifelsfrei von frischem Leitungswasser unterscheiden können. Hinsichtlich der Inhaltsstoffe muss das Leitungswasser den Vergleich jedenfalls nicht scheuen. Die der Parteinahme unverdächtige Stiftung Warentest kommt in zwei Tests aus den Jahren 2011 und 2012 zu dem Schluss, dass Leitungswasser besser kontrolliert wird, strengeren Regeln unterliegt, viel billiger ist und außerdem ins Haus geliefert wird. Mit einer EU-Harmonisierungsrichtlinie aus dem Jahr 1980 wurde zudem der frühere Mindestgehalt von 1.000 Milligramm Mineralstoffen pro Liter aus dem Anforderungskatalog an Mineralwasser gestrichen. »Seither spielt der Mineralstoffgehalt für ein Mineralwasser keine Rolle mehr.«1 Von 30 Wässern des Tests von 2011 weisen nur drei überhaupt einen relevanten Mineralstoffgehalt auf, einige punkten immerhin mit einem einzelnen Mineral, aber jedes zweite Wasser ist schlicht mineralstoffarm. Im direkten Vergleich zeigt sich zudem, dass »in manchen Regionen […] sogar mehr Mineralstoffe aus dem Wasserhahn [fließen] als aus Mineralwasserflaschen«,2 und das nicht nur auf dem Land, sondern auch in Berlin, Köln, München und Hamburg. Auch wenn insgesamt »rechtlich alles in Ordnung ist«, enthielten zwölf der Wässer im Test von 2012 potenziell krankmachende Keime. Doch es gebe auch gute Nachrichten: Der Trend zur Belastung mit der Kohlenstoffverbindung Acetaldehyd, die Schädigungen der Leber hervorrufen kann, sei rückläufig. Alles in allem rät die Stiftung: »Wirklich empfehlen können wir keines der stillen Mineralwässer im Test. Jedes hat irgendeine Schwachstelle: Die einen bieten nur wenig Mineralstoffe, andere eignen sich nicht für Immunschwache, manche haben Kennzeichnungsmängel oder leichte Geschmacksfehler. Nicht einmal der Preis spricht für die Stillen: Handelsmarken kosten nur 13 Cent pro Liter. Im Vergleich dazu ist Trinkwasser spottbillig. Auf seine Qualität ist in aller Regel Verlass. Das Schleppen von Wasserflaschen lohnt sich daher meist nicht.«3 Auch nicht für die Gesundheit übrigens, denn entgegen aller Werbeversprechen können wissenschaftliche Untersuchungen keinen gesundheitlichen Mehrwert von Mineral- gegenüber Leitungswasser finden.
2.
Während in Deutschland der Verbrauch an Leitungswasser seit 1991 um 23 Liter pro Tag und Kopf gesunken ist, stieg der Konsum von Flaschenwasser im selben Zeitraum von 82,7 Liter pro Kopf und Jahr auf 133,1 Liter im Jahr 2009 kontinuierlich an. Auch hier lohnt sich eine Rechnung: Bei heute durchschnittlichen Preisen von 0,004 Euro pro Liter Leitungswasser würden 133 Liter 53 Cent kosten, frei Haus geliefert. Bei durchschnittlichen Preisen von 0,19 Euro pro Liter Flaschenwasser werden stattdessen 25,27 Euro plus Körpereinsatz investiert. Noch schlechter sieht die ökologische Bilanz aus. Das amerikanische Pacific Institute rechnet, dass für die Herstellung und Lagerung, den Transport und die Flaschenreinigung pro Liter Flaschenwasser ein Viertelliter Erdöl verwendet werden muss. Bei einem Konsum von 133 Litern pro Kopf und Jahr und bei einer Einwohnerzahl von 80,2 Millionen werden also nicht nur 10,6 Milliarden Liter Flaschenwasser durch Deutschland gefahren und nach Hause getragen, sondern auch 2,65 Milliarden Liter Öl verbraucht. Ein Liter Erdöl (Brent) kostet im Juni 2013 0,67 US-Dollar oder 0,5 Euro. Es bleibt ein wenig rätselhaft, warum Deutschlands Konsumenten bei der häuslichen Wasserleitung um jeden Pfennig fuchsen, aber kein Problem damit haben, 2,65 Milliarden Liter Erdöl zu einem Preis von 1,325 Milliarden Euro zu verschwenden.
3.
Wenn Geld schon keine Rolle spielt, dann doch wenigstens die Umwelt. Es lässt sich einsehen, dass Wasser gespart werden muss, wenn es knapp ist, so wie Strom und fossile Rohstoffe. Nur ist das in Deutschland, Österreich und der Schweiz derzeit nicht der Fall. In Deutschland stehen pro Kopf und Jahr 2.292 Kubikmeter Wasser zur Verfügung, in Österreich sind es 10.402, in der Schweiz gar 51.504 Kubikmeter.4 Das ergibt für Deutschland 6.279 Liter pro Kopf und Tag, 28.498 Liter für Österreich, und in der Schweiz stehen täglich sogar 141.106 Liter pro Einwohner zur Verfügung. Diese drei Länder sind sehr wasserreich, von Knappheit kann also keine Rede sein.
Zudem ist die Vorstellung falsch, Wasser sei Strom oder Öl vergleichbar. Während Strom gewissermaßen im Verbrauch verschwindet, befindet sich das Haushaltswasser in einem Kreislauf und wird nach seinem Gebrauch und seiner Reinigung den Wasserreservoiren wieder zugeführt. Es wird daher auch im eigentlichen Sinne in der Regel nicht verbraucht, sondern gebraucht. Wenn in der Folge akzeptiert wird, dass Wassersparen nur dort sinnvoll ist, wo Wasser knapp ist, nähert man sich den eigentlichen und wesentlich schmerzhafteren Fragen eines ökologisch nachhaltigen Wasserkonsums und den Beiträgen, die der Einzelne hierzu wirklich leisten kann.
4.
Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 1,14 Millionen Tonnen Rinder und knapp 5,5 Millionen Tonnen Schweine geschlachtet.5 Der durchschnittliche Wasserverbrauch für ein Kilogramm Rindfleisch (Mast, Schlachtung, Transport etc.) liegt bei 15.000 Litern Wasser; 6.000 Liter Wasser sind nötig, um ein Kilogramm Schweinefleisch zu erzeugen.6 Allein für die Produktion dieser beiden Fleischsorten, und damit absehend von Brathähnchen und Suppenhühnern, Enten und Schafen sowie allen anderen verzehrten Tierarten, wurden also vierunddreißig Billionen siebenhundertzehn Milliarden Tonnen Wasser benutzt. Das entspricht einem durchschnittlichen Konsum von 1.200 Litern pro Person pro Tag und damit ungefähr dem Zehnfachen dessen, was eine Person insgesamt sonst im Haushalt täglich verbraucht.
5.
Nicht nur Schweine und Rinder, auch Autos, T-Shirts, Schuhe, Wein und Bier, Flugzeuge, Aspirin und der ganze Rest werden unter Einsatz teilweise gewaltiger Wasserreserven fabriziert. Zur Herstellung von einem Liter Bier werden etwa 300 Liter Wasser benötigt, für eine Jeans schätzt man den Wert auf 6.000 Liter, und der Wasserverbrauch in der Produktion eines PKW wird zwischen 20.000 und 300.000 Litern angesetzt. Sofern diese Produkte aus dem Ausland bezogen werden, fließt so auch Wasser aus fernen Regionen nach Deutschland. Mit ägyptischen Kartoffeln konsumieren wir folglich Nilwasser, und beim Sockenkauf greifen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit auf chinesische, kasachische und australische Wasserreserven zurück. Ein Drittel aller Socken der Welt entstammt der chinesischen sock city Datang. Chinas inländische Baumwollproduktion beruht zu einem Teil auf dem Raubbau an den Wasserreserven des kasachischen Flusses Ili; um die Produktion langfristig zu sichern, hat China jüngst und unter großem Protest die australische Baumwollfarm »Cubbie Station« und mit ihr das Recht auf den Entzug von 460 Milliarden Liter Wasser pro Jahr erworben.7
Das indirekt konsumierte Wasser, das in industriellen und agrarischen Produkten gebunden ist, wird als »virtuelles Wasser«8 bezeichnet. Der Begriff ist zwar dafür kritisiert worden, nicht deutlich genug hervorzuheben, dass dieses Wasser tatsächlich, wenn auch indirekt, und nicht nur scheinbar in die Produktionskette eingeht. Dennoch bringt er zum Ausdruck, dass unser Wasserkonsum sich weder auf die häusliche Leitung noch auf die heimischen Reserven beschränkt, sondern die globalen Wasserhaushalte anzapft, unter anderem diejenigen wirklich wasserarmer Länder. Der direkte und indirekte Konsum inländischen und ausländischen Wassers wird wissenschaftlich als »Water footprint« bezeichnet, der ähnlich wie der CO2-Fußabdruck die wasserbezogenen Voraussetzungen und Folgen agrarischer und industrieller Produktion und Konsumtion misst. Berechnungen zeigen, dass von dem in Deutschland insgesamt auf diese Weise konsumierten Wasser 68,8 Prozent importiert werden. Damit liegt Deutschland noch über dem Anteil des Verbrauchs externen Wassers von wasserarmen Ländern wie Saudi-Arabien (66,1) und nur knapp unter dem des Libanon (72,9).9 Als wesentlicher Grund für Deutschlands negativen Wasser-Fußabdruck gilt neben dem hohen Konsum von Industrieprodukten übrigens auch der Fleischverzehr.
6.
Betrachtet man den Wasserkonsum im Zusammenhang, rücken die Sparmaßnahmen am häuslichen Wasserhahn auf einen hinteren Rang in der Prioritätenordnung eines ökologisch nachhaltigen Konsums. Dieser beschränkt sich nicht auf das Wasser aus der Leitung, sondern bezieht sich auf all diejenigen Dinge, die unter Einsatz von Wasser hier oder andernorts produziert und von uns konsumiert werden. Nicht weniger verbrauchen, sondern bewusster einkaufen, muss also die Devise lauten. Doch auch in Bezug...