[21]2 Wie entstehen Alpträume und warum gehen sie nicht wieder weg?
Wenn man die Entstehung von Alpträumen betrachtet, müssen drei Gruppen von Einflussfaktoren unterschieden werden. Zum einen gibt es solche Faktoren, die das Auftreten einer Störung, in diesem Fall der Alpträume, begünstigen, eine Person also besonders empfindlich dafür machen (sog. Vulnerabilitätsfaktoren). Hierzu gehören die in Kapitel 1.5 beschriebenen Risikofaktoren. Eine Person, die besonders kreativ ist und in ihrer Lebensgeschichte traumatische Erlebnisse durchlebt hat, erkrankt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an Alpträumen, als eine Person, bei der dies nicht der Fall ist. Trotzdem gibt es auch eine Reihe von kreativen jungen Frauen beispielsweise, die nicht unter regelmäßigen Alpträumen leiden. In der Regel bedarf es also zusätzlich zu den begünstigenden Faktoren auch sogenannte auslösende Faktoren. Als häufiger, wenn auch wenig spezifischer, Faktor ist hier zum Beispiel Stress zu nennen. Die auslösenden Faktoren sollen im nachfolgenden Abschnitt genauer betrachtet werden Viele werden sich jetzt denken, „nun ja, aber Stress wird doch auch wieder weniger“ oder „belastende Lebensereignisse rücken in weite Ferne“. Dennoch bleibt die Symptomatik auch darüber hinaus häufig bestehen. Bei chronischen Alpträumen findet man deshalb meist auch noch sogenannte aufrechterhaltende Faktoren, die dafür sorgen, dass die Alpträume auch dann nicht oder nicht hinreichend zurückgehen, wenn der Auslöser keine Rolle mehr spielt.
Die Unterscheidung von begünstigenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren ist auch für die Therapie und Bewältigung von Alpträumen relevant. Während das Erkennen von begünstigenden Faktoren meist vor allem hilft, ein Verständnis für die eigene Erkrankung zu entwickeln, kann und muss bei Auslösern nachgeforscht werden, ob sie eventuell immer noch wirksam sind. In jedem Fall müssen die aufrechterhaltenden Faktoren immer identifiziert und nach Möglichkeit abgebaut werden.
[22]2.1 Typische Auslöser von Alpträumen
Alpträume handeln also häufig von belastenden Situationen aus dem Alltag, aber auch von Sorgen, Befürchtungen oder Erinnerungen. Unter bestimmten Umständen treten Alpträume häufiger auf, man spricht dann von Auslösern oder auslösenden Bedingungen. Diese Auslöser können ganz unterschiedlicher Natur sein und sowohl in der Person selbst (z. B. psychische Störung, innerer Konflikt) als auch außerhalb (z. B. Umweltkatastrophe, Verkehrsunfall) liegen Auch körperliche Erkrankungen und Medikamente können eine Rolle spielen. Einen Überblick über mögliche Auslöser gibt der nachfolgende Kasten.
Ursachen und Auslöser von Alpträumen
– Horrorfilme
– Stress
– Medikamente oder Drogen
– Krankheiten
– Traumatische Ereignisse
– Ungelöste innere Konflikte
Unmittelbar einleuchtend ist der eher kurzfristige Effekt von Horrorfilmen und ähnlichem Die gesehenen bedrohlichen Inhalte sind unmittelbar nach dem Ansehen des Films im Gedächtnis sehr präsent und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Form eines Alptraums wiedererlebt werden, hoch. Personen, die zu Alpträumen neigen, wird empfohlen, auf den Konsum von Horrorfilmen, Büchern mit gruseligem oder bedrohlichem Inhalt und Ähnlichem vor allem in den Abendstunden zu verzichten.
Stress kann durch alle möglichen Dinge verursacht werden und seinerseits zu Alpträumen führen. Neben dem alltagssprachlich häufig synonym verwendeten Zeitdruck zum Beispiel auf der Arbeit kann Stress auch durch Sorgen, zwischenmenschliche oder innere Konflikte, belastende Lebensumstände und Ähnliches ausgelöst werden. Viele Menschen berichten, dass Alpträume verstärkt in „stressigen Phasen“ auftreten. Bei einigen halten die Alpträume jedoch dauerhaft an, auch wenn der Stress selbst nachlässt. Hier spielen dann aufrechterhaltende Faktoren eine große Rolle.
[23]Medikamente und Drogen wirken häufig mittelbar oder unmittelbar auf das zentrale Nervensystem. Es würde zu weit führen, alle möglichen Substanzen, die in Frage kommen, hier aufzuführen und ihre Wirkweise zu erklären. Exemplarisch können die Benzodiazepine angeführt werden, die unter den vielen verschiedenen Handelsnamen, wie zum Beispiel Valium®, Tavor® oder Lorazepam® als Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzt werden. Diese Präparate unterdrücken die REM-Schlafphasen und reduzieren somit kurzfristig die Alptraumhäufigkeit. Allerdings kommt es nach dem Absetzen zum sogenannten „REM-Rebound“, einem vermehrten Auftreten von REM-Schlaf und somit auch zu einer erhöhten Alptraumhäufigkeit. Andere Medikamente haben Alpträume während der Einnahme als Nebenwirkungen, dies gilt auch für einige Antidepressiva. Deshalb ist immer sorgsam zu prüfen, ob der Beginn der Alptraumsymptomatik nicht auch mit der Einnahme bestimmter Präparate in einem zeitlichen Zusammenhang steht.
Schwere körperliche Erkrankungen sind immer auch eine große Belastung für den Körper und die Psyche. Man stelle sich beispielsweise eine Krebserkrankung vor, die Sorge um das eigene Überleben mit sich bringt. Zahlreiche Medikamente wirken zusätzlich auf den Organismus ein. Außerdem erfährt die betroffene Person durch die Erkrankung Einschränkungen in ihrer Lebensführung, zum Teil sehr belastende Untersuchungen und Behandlungen und erlebt sich einer Situation hilflos ausgeliefert. Dieses Gefühl spiegelt sich auch in Alpträumen häufig wider, die in solchen Situationen vermehrt auftreten können.
Auch bei psychischen Störungen kommen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen spielt auch hier Stress oft eine relevante Rolle, da dieser zum einen zahlreiche psychische Erkrankungen begünstigt, zum anderen aber auch die Symptome der psychischen Störung selbst (z. B. Wahnvorstellungen) Stress auslösen. Die wohl größte psychische Belastung stellt die unmittelbare Bedrohung des eigenen Lebens oder des Lebens naher Angehöriger dar, wie es im Rahmen von schweren Traumatisierungen der Fall ist. Nahezu unabhängig davon, ob die betroffenen Personen anschließend das Vollbild einer sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung ausbilden, treten Alpträume in der Mehrheit der Fälle auf.
Die Annahme, dass Alpträume auf ungelösten inneren Konflikten beruhen, stammt ursprünglich aus der psychoanalytischen Schule von Sigmund Freud. Fasst man den Konfliktbegriff etwas weiter (Freud meinte in der Regel unbewusste frühkindliche Konflikte), so stellt man fest, dass dies tatsächlich [24]ein auslösender Faktor für Alpträume sein kann. So kann sich der innere Kampf, ob man die sichere aber unbefriedigende Arbeitsstelle kündigen soll, ebenso in Alpträumen widerspiegeln wie Konflikte mit anderen Personen.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass psychosoziale sowie physiologische Belastungen des Organismus zur Entwicklung von Alpträumen führen können. Häufig kommen dabei mehrere Faktoren zusammen, so dass im Nachhinein nicht „die eine Ursache“ ermittelt werden kann.
2.2 Warum gehen chronische Alpträume häufig nicht von alleine weg?
Neben zeitlich länger anhaltenden Auslösern wie überdauerndem Stress, einer schweren chronischen Erkrankung oder einer akuten Posttraumatischen Belastungsstörung gibt es noch weitere Faktoren, die die spontane Rückbildung (Spontanremission) von Alpträumen behindern. Diese aufrechterhaltenden Faktoren betreffen zum einen die Art und Weise, wie Erlebnisse im Gehirn verarbeitet und gespeichert werden. Zum anderen umfassen die aufrechterhaltenden Faktoren eine Reihe ungünstiger Verhaltensweisen. Diese Verhaltensweisen entwickelt man keinesfalls vorsätzlich oder auch nur wissentlich, es handelt sich dabei meist um – leider wenig erfolgreiche – Versuche, mit den Alpträumen umzugehen
Aufrechterhaltende Faktoren
– „Eingebrannte“ Gedächtnisspuren
– Vermeidungsverhalten
– Ungünstiges Schlafverhalten
– Geringes Selbstwirksamkeitsgefühl
Betrachtet man einmal, wie und wann die Dinge, die wir erleben im Gedächtnis besonders gut abgespeichert werden, so stellt man fest, dass emotional bedeutsame Inhalte besser gespeichert und wiedererinnert werden als weniger emotionale Inhalte. Jeder erinnert sich vermutlich noch an die erste Prüfung, durch die er gefallen ist oder an die erste große Liebe, beides sehr emotionale Ereignisse. „Trockene“ Fakten, die mit wenigen Gefühlen einhergehen, [25]bleiben deutlich schlechter im Gedächtnis haften (z. B. Geschichtswissen aus der Schule). Hinzu kommt, dass Inhalte, die zusammen gehören, im Gedächtnis enger verknüpft sind, als diejenigen, die nicht zusammengehören. Denkt man beispielsweise an „Mathematik“ liegt die Verknüpfung zu „Schule“ nahe. Je häufiger die Verknüpfung zwischen zwei oder mehr Gedächtnisinhalten hergestellt wird, umso eher führt der Gedanke an das eine zum anderen (was man sich zum Beispiel bei der Verwendung von Eselsbrücken zu Nutze macht). Was hat das aber nun mit den Alpträumen zu tun? Zum einen tauchen in Alpträumen Dinge aus dem Gedächtnis auf, die in der Regel ohnehin schon eine starke Verbindung haben (manchmal aber auch nicht, vgl. Kapitel 1.1) und sie gehen mit starken negativen Gefühlen einher, das heißt, der Traum an sich wird ebenfalls im Gedächtnis fest gespeichert, man spricht von einer „Gedächtnisspur“. Mit jeder Wiederholung des Alptraums verfestigt sich diese Verankerung im Gedächtnis und die...