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E-Book

Ratgeber Tinnitus und Hyperakusis

Informationen für Betroffene und Angehörige

AutorCarl Thora, Gerhard Goebel
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783844418248
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Zahlreiche Menschen leiden unter Ohrgeräuschen (Tinnitus) oder einer Geräuschüberempfindlichkeit (Hyperakusis). Akute Tinnitussymptome gehen häufig in eine chronische Form über, d.h. das Pfeifen bzw. das Rauschen im Ohr bleibt über viele Jahre hinweg permanent hörbar. Wenn zudem eine Geräuschüberempfindlichkeit besteht, empfinden Betroffene den Tinnitus als noch lauter. Der Ratgeber liefert Informationen über den neuesten Wissensstand zu den biologischen und psychologischen Hintergründen des Tinnitus und der Hyperakusis. Er erklärt, wie das Gehör funktioniert, was ein Tinnitus bzw. eine Hyperakusis ist und wie man sie messen kann. Weiterhin geht es darum, was das Ohrgeräusch bzw. die Geräuschüberempfindlichkeit auslösen kann und wie sie aufrechterhalten werden. Zudem wird aufgezeigt, wie eine Akutbehandlung bei Tinnitus aussieht, auf welchen Säulen eine professionelle ambulante Behandlung beruht und welche weiteren gängigen Therapieverfahren es gibt. Schließlich wird erläutert, was Betroffene selbst gegen den Tinnitus und die Hyperakusis unternehmen können.

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Leseprobe

|13|1 Tinnitus und Hyperakusis – was ist das?


1.1 Was ist Tinnitus?


Der Begriff „Tinnitus“ beschreibt ein Phänomen, bei dem der oder die Betroffene ein Geräusch hört, das keine äußere Schallquelle aufweist. Er sagt allerdings noch nichts über die Ursache, den weiteren Verlauf oder die Konsequenzen aus.

Merke

Tinnitus ist ein Geräusch ohne äußere Schallquelle.

Und da beginnt schon eines der Hauptprobleme: Man hört etwas, das die anderen nicht hören. Das heißt, die anderen, also diejenigen, die keinen Tinnitus haben, wissen gar nicht, wie sich das anfühlt und anhört. Und noch schlimmer: Hört man etwas, das andere nicht hören, dann kann leicht der Eindruck entstehen, man bilde sich das nur ein.

Merke

Die Tatsache, dass ich etwas höre, das die anderen nicht hören, bedeutet nicht, dass es nicht da ist.

Am häufigsten ist der Tinnitus ein hoher Pfeifton, sehr häufig auch ein Rauschen, wie bei einem Radio ohne eingestellten Sender. Aber auch von Brummen, Dröhnen, Klirren oder Klopfen berichten Betroffene. Tinnitus kann sich in vielen Formen äußern. Bei der Deutschen Tinnitus-Liga (DTL; www.tinnitus-liga.de) gibt es eine Aufnahme mit typischen Ohrgeräuschen. Wenn Sie diese Aufnahme Nicht-Betroffenen vorführen, können Sie ihnen einen Eindruck davon vermitteln, wie belastend es sein kann, diese Geräusche dauerhaft hören zu müssen.

|14|1.1.1 Subjektiver Tinnitus

Tinnitus kommt vom lateinischen Wort „tinnire“, das bedeutet klingeln oder tönen. Was damit fast immer gemeint ist, ist der sogenannte subjektive Tinnitus, also der, bei dem es keine Geräuschquelle gibt und der somit nur vom Betroffenen selbst wahrgenommen werden kann. Er ist in der Regel gleichförmig, nicht pulsierend. In speziellen Untersuchungen konnte man nachweisen, dass bei Menschen mit Tinnitus die Hörrinde, also der Teil des Gehirns, in dem die Geräusche bewusst wahrgenommen werden, aktiv ist. Dies kann man auch bei Tieren (z. B. Katzen, Ratten oder Mäusen) nachweisen: Wenn man Tieren beigebracht hat, dass sie im Anschluss an einen Pfeifton Futter bekommen und dann in einer anschließenden Untersuchung bei ihnen einen Tinnitus auslöst (z. B. indem man in der Nähe ihres Ohres einen Schuss mit einer Spielzeugplatzpatrone abgibt), rennen sie zum leeren Futternapf. Sie hören offenbar einen Ton und sie erwarten, dass es, wie bisher, auf dieses Signal hin etwas zu Fressen gibt.

1.1.2 Objektiver Tinnitus (Körpergeräusch)

Vergleichsweise sehr selten gibt es auch die von den obigen Formen streng abzugrenzenden objektiven Tinnitus-Arten: Hierzu sind nur solche Geräusche zu rechnen, die vom Untersucher ebenfalls wahrgenommen werden können oder wahrgenommen werden könnten: Das Geräusch wird im Körper selbst produziert (Körpergeräusch). Es handelt sich dabei ausschließlich um akustische Signale („vibratory tinnitus“ nach Fowler, 1948; „Somatosounds“ bzw. „body sounds“ nach Dobie, 2004), die vom Organismus des Patienten ausgehen. Das Besondere am objektiven Tinnitus ist, dass dieses Geräusch mit dem Stethoskop des Arztes oder mit Mikrofonen gehört bzw. aufgezeichnet werden kann – daher die Bezeichnung objektiv. Objektiver Tinnitus wird entweder von den winzig kleinen Muskeln im Mittelohr verursacht (ähnlich dem unwillkürlichen Muskelzucken am Augenlid), vom Geräusch des pulsierend fließenden Blutes in den Arterien und Venen, das hörbare Turbulenzen verursacht (z. B. bei Kalkablagerungen in den Halsschlagadern, oder bei einem harmlosen Knick im Gefäß) oder von sehr seltenen Gefäßmissbildungen, etwa einem Knäuel von Blutgefäßen in der Nähe |15|des Felsen- und Schläfenbeins oder einem Meningeom (Hirnhautgeschwulst), ganz selten auch von einem destruktiven Prozess im Felsenbein selbst (Knochenmetastase).

Merke

Subjektiver Tinnitus ist ein Geräusch ohne mechanische Geräuschquelle. Es entsteht im Kopf und ist mit einem Mikrophon oder Stethoskop nicht hörbar.

Objektiver Tinnitus hat eine Geräuschquelle im Körper und könnte mit Mikrophon oder Stethoskop hörbar sein.

Tinnitus entsteht schleichend oder plötzlich, ein- oder beidseitig. Manche wachen mit einem Pfeifen in einem oder beiden Ohren auf, manche entdecken ihren Tinnitus nach der Schilderung von Ohrgeräuschen durch Betroffene oder Berichten in den Medien.

Der plötzliche Tinnitus tritt häufig infolge eines Knalltraumas, eines Besuchs einer lauten Konzertveranstaltung, eines Sturzes auf den Kopf (Unfall), eines Hörsturzes, einer Mittelohrentzündung (Erguss) oder infolge operativer Eingriffe am Ohr auf. Im Anfangsstadium ist jedem zu raten, sich bei einem HNO-Facharzt vorzustellen, um sich bezüglich der möglichen Auslöser untersuchen und behandeln zu lassen. Meistens verweist der Tinnitus auf einen Innenohrschaden, der im Hörtest erkennbar ist.

Nach einer gründlichen Diagnostik lassen sich individuelle Behandlungsschritte ableiten. In Kapitel 2.1 gehen wir ausführlich auf die Tinnitus bedingenden Funktionsstörungen bzw. Erkrankungen und deren Diagnostik ein. Der Tinnitus selbst sagt in der Regel aber noch nichts über die Ursache aus. Es ist leider so, dass man nur selten mit absoluter Gewissheit sagen kann, was letztendlich dem Tinnitus zugrunde liegt.

Merke

Medizinisch wird nicht der Tinnitus behandelt, sondern die angenommenen Auslöser/Ursachen des Tinnitus.

|16|1.1.3 Chronisch kompensierter Tinnitus

Die Mehrheit der Menschen mit Tinnitus leidet nicht unter ihren Ohrgeräuschen. Wir würden sie korrekt vielleicht als „Tinnitus-Betroffene“ bezeichnen, aber keinesfalls als Patienten. Menschen mit chronisch kompensiertem Tinnitus sind also diejenigen, die den Tinnitus zwar schon länger haben, denen er aber nichts oder nur wenig ausmacht, die also nicht in ihrer Lebensführung beeinträchtigt sind. Hierzu zählen etwa knapp drei Millionen Personen in Deutschland.

1.1.4 Chronisch dekompensierter Tinnitus

Unter chronisch dekompensiertem Tinnitus verstehen wir Ohrgeräusche, die mindestens seit einem Zeitraum von zwei bis drei Monaten vorhanden sind und als sehr belästigend bis quälend erlebt werden. Menschen, die unter dieser Form des Tinnitus leiden, würde man entsprechend als „Tinnitus-Patienten“ bezeichnen (das Wort „Patient“ leitet sich aus dem lateinischen Wort „pati“ ab, das sich mit „leiden“ übersetzen lässt). Hierzu zählen etwa 1,5 Millionen Personen in Deutschland.

Merke

Kompensierter Tinnitus ist ein Tinnitus, der nicht (mehr) stört.

Dekompensierter Tinnitus ist ein Tinnitus, der eine erhebliche psychische Belastung verursacht.

1.1.5 Tinnitus der Kategorie IV nach Jastreboff

Sehr oft wird bei Hyperakusis (vgl. Kapitel 1.2) von einer Besonderheit des Tinnitus berichtet. Die Betroffenen erleben, dass unter Einfluss eines an sich nicht besonders lauten Geräusches der Tinnitus überraschenderweise für mehrere Stunden lauter wird, bevor er sich wieder auf die übliche Lautstärke einpegelt. Dies wird natürlich als besonders bedrohlich erlebt und die Patienten fürchten zu Unrecht, dass der verstärkte Tinnitus nicht mehr zurückgeht. Professor Pawel Jastreboff, ein in den USA lebender Hörforscher, hat |17|dieses Phänomen als „Kategorie IV“ der verschiedenen Tinnitus-Varianten benannt. Einen richtigen Begriff dafür gibt es noch nicht. Etwa die Hälfte der bei einer großen Erhebung an 5.000 Mitgliedern der Deutschen Tinnitus-Liga (DTL) befragten Personen gibt an, von diesem Phänomen betroffen zu sein (Goebel, Hiller, Knör & Knör, 2006).

1.2 Was ist Hyperakusis (Misophonie)?


Mit Hyperakusis oder auch Misophonie bezeichnen wir eine abnorme Geräuschüberempfindlichkeit, die sich auf Geräusche – einschließlich der eigenen Stimme – bezieht, die gesunde Personen nicht stören würden. Die Betroffenen sind weitgehend normalhörig, hören...

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