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E-Book

Ratgeber Trauma und Posttraumatische Belastungsstörung

Informationen für Betroffene und Angehörige

AutorAnke Ehlers, Thomas Ehring
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl76 Seiten
ISBN9783844429497
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Traumatische Erlebnisse, wie z.B. ein schwerer Unfall, eine Vergewaltigung oder andere Gewalttaten, eine Naturkatastrophe oder Kriegshandlungen können nicht nur zu schweren körperlichen Verletzungen führen, sie sind auch ein psychischer Schock. Vielen Menschen fällt es nach einem Trauma schwer, mit dem Erlebten fertigzuwerden. Sie fühlen sich niedergeschlagen, schreckhaft oder ärgerlich und denken viel über das Ereignis nach. Lebhafte Erinnerungen an das Ereignis bestimmen ihren Alltag und können sie selbst im Schlaf verfolgen. Ziel des Ratgebers ist es, Betroffenen und ihren Angehörigen zu helfen, die individuelle Reaktion auf das Ereignis besser zu verstehen und ihnen zu vermitteln, dass die Reaktionen nach einem traumatischen Erlebnis normal und verständlich sind. Der Ratgeber beschreibt, wie sich die psychischen Folgen eines Traumas äußern und geht dabei vor allem auf die Merkmale der Posttraumatischen Belastungsstörung ein. Er erklärt, warum sich diese Reaktionen entwickeln und warum sie manchmal nicht von alleine wieder weggehen. Viele Menschen erholen sich auch ohne professionelle Hilfe im Laufe einiger Monate von einem Trauma. Für Betroffene, denen es schwerfällt, mit dem Erlebnis allein fertigzuwerden, gibt es wirksame Behandlungsmöglichkeiten, die in diesem Ratgeber anschaulich dargestellt werden. Darüber hinaus geben die Autoren Hinweise für Angehörige, die nahestehenden Personen helfen möchten, ihr Trauma zu bewältigen.

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Leseprobe

|25|2 Wie entsteht eine Posttraumatische Belastungsstörung und warum geht sie nicht von alleine weg?


Im ersten Kapitel haben wir beschrieben, welche seelischen Probleme nach traumatischen Erlebnissen auftreten können und wann man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung spricht. Wir haben betont, dass die Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung eine verständliche Reaktion auf extrem belastende Erlebnisse darstellen und dass fast alle Menschen solche Symptome in den ersten Tagen und Wochen nach solchen Erlebnissen haben. In diesem Kapitel möchten wir uns der Frage zuwenden, wie die Posttraumatische Belastungsstörung entsteht und warum sich einige Menschen nicht von allein von den Folgen traumatischer Erlebnisse erholen.

Wir möchten Ihnen dabei einige Erkenntnisse aus der Forschung zur Posttraumatischen Belastungsstörung vorstellen. So wurden psychologische Faktoren identifiziert, die die Erholung von traumatischen Erlebnissen behindern und so die Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung aufrechterhalten. Dies hat direkte Konsequenzen für die psychotherapeutische Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung, die wir in Kapitel 3 vorstellen.

Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung sich weiterhin bedroht fühlen, auch wenn das Trauma schon lange zurückliegt. Dies verhindert, dass sie das Ereignis hinter sich lassen können. Das Gefühl der aktuellen Bedrohung scheint vor allem zwei Quellen zu haben, nämlich (1) die Art und Weise, wie das Trauma im Gedächtnis gespeichert wird, und (2) die Art und Weise, wie Menschen die Welt und sich selbst nach einem traumatischen Ereignis mit anderen Augen sehen. Weiterhin zeigt die Forschung, dass (3) einige Dinge, die Betroffene tun, um ihre Symptome in den Griff zu bekommen, zwar kurzfristig Erleichterung bringen, aber längerfristig die Posttraumatische Belastungsstörung aufrechterhalten.

Wir gehen im Folgenden genauer auf jeden dieser drei Faktoren und einige zusätzliche Befunde ein. Aus Platzgründen können wir den Stand der Forschung nur kurz umreißen, ohne Einzelheiten zu berichten. Auch konzentrieren wir |26|uns auf Befunde, die direkt für die Behandlung bedeutsam sind. Falls Sie sich weniger für den Hintergrund der Behandlung interessieren und sich vor allem über Therapiemöglichkeiten informieren möchten, können Sie auch direkt das Kapitel 3 aufschlagen.

2.1 Besonderheiten des Traumagedächtnisses


2.1.1 Wiedererleben und aktuelle Bedrohung

Wie bereits in Kapitel 1 beschrieben, ist das ungewollte Wiedererleben des Traumas in Form von Bildern oder anderen Sinneseindrücken aus dem Trauma ein wichtiges Merkmal der Posttraumatischen Belastungsstörung. Im Gegensatz zu Erinnerungen an andere Lebensereignisse sind diese Bilder oder Empfindungen sehr lebhaft und deutlich – fast so, als würde das Trauma „hier und jetzt“ noch einmal passieren. Dies führt dazu, dass Menschen auch die Gefühle, die sie während des Traumas hatten, in der ursprünglichen Form wiedererleben, z. B. Todesangst oder Verzweiflung, obwohl in der gegenwärtigen Situation keine Gefahr besteht. Auch körperliche Reaktionen wie Herzklopfen, Schwitzen, Zittern oder Schmerzen können beim Wiedererleben genauso stark wieder auftreten wie während des Traumas.

Obwohl beim ungewollten Wiedererleben Teile eines vergangenen Ereignisses aus dem Gedächtnis abgerufen werden, scheint es im „Hier und Jetzt“ stattzufinden und wird wie eine aktuelle Bedrohung erlebt. Es erscheint den Betroffenen so, als würde das Trauma noch einmal passieren oder unmittelbar bevorstehen.

Beispiele

Peter arbeitete als Sozialarbeiter in einem Heim. Bei einer Spätschicht brach Feuer aus. Peter war in seinem Arbeitszimmer und hatte keine Fluchtmöglichkeit. Die Flammen kamen immer näher, und Rauch und Hitze waren unerträglich. Peter war überzeugt, dass er sterben würde und seine Kinder nie wiedersehen würde. Er war von Trauer überwältigt. Zum Glück wurde Peter in letzter Minute gerettet und lebte seitdem auch weiterhin mit seinen Kindern zusammen. Dennoch wurde er jedesmal, wenn er an diesen Moment aus dem |27|Trauma erinnert wurde, so traurig, dass er seine Tränen nicht zurückhalten konnte. In diesen Momenten des Wiedererlebens war es ihm so, als hätte er seine Kinder tatsächlich nie wieder gesehen.

Sabine wurde von einem Fremden vergewaltigt. Der Täter bedrohte sie mit einem Messer und sagte, er würde sie umbringen, wenn sie nicht täte, was er wolle. Er zwang sie zu erniedrigenden Handlungen. Wenn sie daran erinnert wurde, war Sabine von Scham überwältigt und machte sich starke Vorwürfe, dass sie sich nicht mehr gewehrt hatte. Beim Wiedererleben der für sie schlimmsten Momente erinnerte sie sich nicht daran, dass der Täter sie zuvor mit einem Messer bedroht hatte.

2.1.2 Speicherung des Traumas im Gedächtnis

Wie kommt es zu dieser „Zeitreise“ beim Wiedererleben? Wie kommt es dazu, dass Peter weiterhin von den Gefühlen aus dem Trauma überwältigt wird, obwohl seine schlimmsten Befürchtungen nicht eintraten? Wie kommt es dazu, dass Sabine weiterhin von Schamgefühlen geplagt ist und sich beim Wiederleben der schlimmsten Momente nicht daran erinnert, dass der Täter sie mit einem Messer bedrohte?

Die Gründe hierfür liegen in der Art und Weise, wie das Trauma verarbeitet und im Gedächtnis abgespeichert wurde. Ergebnisse der Gedächtnisforschung legen nahe, dass unsere Erlebnisse normalerweise in verarbeiteter Form gespeichert werden. Dazu gehören zwei Aspekte: Zum einen werden vor allem der Gesamteindruck und die Bedeutung des Erlebnisses im Gedächtnis abgelegt und weniger die einzelnen Sinneseindrücke. Außerdem wird das Erlebnis im Gedächtnis in ein Netzwerk ähnlicher Erinnerungen eingeordnet, so dass es mit anderen Erinnerungen verbunden ist, vor allem mit solchen Informationen, die für die Bedeutung des Ereignisses von Bedeutung sind.

Bei traumatischen Erlebnissen ist diese Verarbeitung unvollständig. Ein Trauma ist so überwältigend, so anders als alles bisher Erlebte, und passiert meist so unerwartet, dass man nicht in der Lage ist, das Trauma schnell und geordnet zu verarbeiten. Zum einen wird daher das Erlebnis, insbesondere die schlimmsten Momente, sozusagen in unverarbeiteter Rohform im autobiografischen Gedächtnis abgespeichert. Diese Rohform zeichnet sich v. a. |28|dadurch aus, dass sie viele der ursprünglichen Sinneseindrücke, Gefühle und Körperempfindungen enthält und nur wenig geordnete bzw. verarbeitete Gedanken. Aber auch der zweite Aspekt der Verarbeitung, nämlich die Einbettung in ein Netzwerk anderer Erinnerungen, ist beeinträchtigt. So kommt es dazu, dass bei Peter der Moment, in dem er glaubte, dass er im Feuer sterben wird und seine Kinder nicht wiedersehen wird, im Gedächtnis nicht verknüpft ist mit den anderen Erlebnissen, die er seitdem mit seinen Kindern hatte. Das hat zur Folge, dass ihm das Wissen, dass er weiterhin mit seinen Kindern zusammenlebt, nicht gegenwärtig ist, wenn er diesen Moment wiedererlebt. Dieser Moment hat deshalb nichts von seinem Schrecken und seiner Traurigkeit für ihn verloren. Ebenso ist bei Sabine der Moment während des Traumas, in dem sie die erniedrigenden Handlungen durchführte, in ihrem Gedächtnis unzureichend verknüpft mit dem Moment, als der Täter sie mit dem Messer bedrohte. So ist die Information, dass sie gute Gründe hatte, sich nicht zu wehren, ihr nicht gegenwärtig, wenn sie die Erniedrigung wiedererlebt.

Merke

Die Besonderheiten der Traumaerinnerung lassen sich vielleicht am besten in einem Bild zusammenfassen. Dabei kann man sich das Gedächtnis wie einen Schrank vorstellen. Alltägliche Erinnerungen werden in diesem Schrank abgelegt, indem sie zunächst ordentlich gefaltet (d. h. verarbeitet) und dann an den passenden Ort eingeordnet (d. h. mit ähnlichen Erinnerungen und relevanten Informationen verbunden) werden. Daher können diese Erinnerungen bei Bedarf wieder hervorgeholt werden, sie fallen aber nur selten von alleine aus dem Schrank heraus. Die Speicherung der Traumaerinnerung im Gedächtnis kann hingegen mit der Situation verglichen werden, dass viele Dinge ungeordnet ganz schnell in diesen Schrank hineingeworfen werden, so dass man die Tür nicht ganz schließen kann. Die Tür wird daher häufig aufgehen, und die Dinge werden...

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