|13|Kapitel 1
Verwaltungspsychologie – Einleitung und Überblick
Bärbel Werdes und Torsten Porsch
1.1 Psychologie in der Verwaltung
Sie haben sich für einen Beruf in der öffentlichen Verwaltung entschieden. Dazu mussten Sie zum Ende Ihrer bisherigen schulischen – oder auch bereits in Ihrer beruflichen Laufbahn – Möglichkeiten abwägen, sich ein Bild von Ihrer späteren Tätigkeit machen und sich letztendlich für die Bewerbung entscheiden. In einem Auswahlverfahren wurde geprüft, ob Sie über die Befähigung verfügen, die gewählte Ausbildung in der öffentlichen Verwaltung zu absolvieren und anschließend im Beruf erfolgreich sein zu können. Die Ausbildung, mit Anteilen in Studium und Praxis, soll Sie nun befähigen, in Ihrem Beruf handlungsfähig zu werden, Aufgaben zu bewältigen und sich neuen Situationen anzupassen.
Um einen Beruf professionell ausüben zu können, muss ein breites Spektrum von Kompetenzen erworben werden, die in ihrer Gesamtheit berufliches Handeln ermöglichen. Diese Kompetenzen sind in Personen angelegt bzw. werden über Sozialisation, Erziehung, Schule, Ausbildung, Studium und unterschiedlichste Arten weiterer Lernerfahrungen erworben. Daraus lassen sich allgemeine Kompetenz|14|modelle für jedwede Art der Berufstätigkeit formulieren (z. B. Reetz, 1999). Diese Modelle sollen erklären, worüber jemand verfügen muss, um seine Berufstätigkeit erfolgreich auszuüben. In Verbindung mit Anforderungsanalysen bezogen auf die jeweilige berufliche Tätigkeit, also den genauen Blick auf die Merkmale und Eigenschaften einer Tätigkeit, lassen sich diese Modelle spezifizieren und auf das Handeln in Professionen zuschneiden. Einzelne Professionen, wie z. B. der Lehrerberuf, sind in diesem Zusammenhang bereits intensiv betrachtet worden und weisen durchgängig eine Vielzahl von notwendigen Wissensfacetten zur Erlangung beruflicher Handlungskompetenz auf. Basierend auf den Kernaussagen des National Board for Professional Teaching Standards (National Board for Professional Teaching Standards, 2016) kann ein solches Strukturmodell zur beruflichen Handlungskompetenz in Professionen aufgestellt werden. Berufliche Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung sind bisher nicht in dieser Tiefe untersucht worden. Aus den bestehenden Erkenntnissen lassen sich aber Schlüsse für die Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung als Profession ziehen. Ausformuliert von Baumert und Kunter (2006) entsteht professionelle berufliche Handlungskompetenz im nicht hierarchischen Zusammenspiel von:
spezifischem, erfahrungsgesättigten deklarativen und prozeduralen Wissen (Kompetenzen im engeren Sinne: Wissen und Können);
professionellen Werten, Überzeugungen, subjektiven Theorien, normativen Präferenzen und Zielen;
motivationalen Orientierungen sowie
metakognitiven Fähigkeiten und Fähigkeiten professioneller Selbstregulation.
Hier wird deutlich, dass die reine Anhäufung von Faktenwissen (z. B. den Wortlaut eines bestimmten Gesetzes) und berufsbezogenen Strukturabläufen (z. B. die Bedienung einer Software in der Vorgangsbearbeitung) keineswegs ausreichend ist, um nach einem Studium berufliche Herausforderungen zu bewältigen. Das Erlernte muss durch individuelle Praxiserfahrungen einen situativen Schliff erhalten. Wertüberzeugungen, Motivation und metakognitive Fähigkeiten müssen über den Verlauf des Studiums in einer Art und Weise weiter ausgebildet werden, dass deklarative Wissensinhalte in beruflichen Situationen nutzbar werden. Selbstregulation, z. B. im Umgang mit Stress, muss erlernt und erprobt werden. Diese Anforderungen können nicht durch einzelne Module, Studienabschnitte oder gar einzelne Fächer allein erfüllt werden. Der Studienverlauf, mit entsprechenden Praxisanteilen, in seiner Gesamtheit soll berufliche Handlungskompetenz bei den Studierenden ausprägen.
Die öffentliche Verwaltung als administrativer Zweig der Exekutive in einem Drei-Gewalten-System wird im Studium wissenschaftlich aus unterschiedlichen Fächern heraus beleuchtet, die sich in den jeweiligen Ausbildungsgängen repräsentiert finden. Als Grundlage des Handelns dienen in der Verwaltung Gesetze und Vorschriften, damit liefern die Rechtswissenschaften einen großen Teil der Grundlage für das notwendige Wissen in der Verwaltung. Das Handeln der öffentlichen |15|Verwaltung hat aber immer gesellschaftliche Dimensionen und ist auch deshalb Gegenstand von Politikwissenschaften und Soziologie (Leiße, Buhl, Leiße & Berger, 2006). Die Wirtschaftswissenschaften steuern Inhalte zu Organisation, Aufbau, Führung und sozialökonomischen Aspekten der öffentlichen Verwaltung bei. Inhalte aus weiteren Fächern, wie z. B. der Ethik oder dem Steuerrecht, liefern häufig einen abstrakten Handlungsrahmen für die öffentliche Verwaltung oder auch sehr spezifische deklarative Inhalte, wie z. B. die Kenntnis einer besonderen Abgabenordnung. Auf der grundlegenden Betrachtungsebene steht aber immer der Mensch. In der öffentlichen Verwaltung sind Menschen tätig, die durch ihr Handeln auch immer auf andere Menschen wirken. In Studienverlaufsplänen und Modulbeschreibungen, aber auch in Zielen und Leitbildern ist diese Fokussierung auf den handelnden Menschen in der Regel fest verankert. Das Erleben und Verhalten dieser Menschen zu beschreiben und zu erklären, ist Gegenstand der Psychologie. Sie bildet als Wissenschaft damit eine Handlungsgrundlage für Strukturen, Prozesse und Interaktionen der öffentlichen Verwaltung.
Das Fach Psychologie besteht aus einer Vielzahl von Anwendungsgebieten, die einerseits etablierte Wissensinhalte des Faches für spezialisierte Anwendungskontexte auslegen, andererseits aber auch durch die Öffnung in die Praxis neue Wissensinhalte in der Psychologie generieren. Neben dem Transfer von Wissensinhalten in die Praxis ist auch immer eine Prüfung der Gültigkeit und Auswertung von Erkenntnissen möglich. Beide Aspekte und damit die notwendige Bidirektionalität des Erkenntnisgewinns müssen gegeben sein, um ein eigenständiges Fachgebiet zu begründen. Für die Verwaltungspsychologie sind diese Anforderungen nur teilweise erfüllt (Franz, 2013). Erkenntnisse aus der Psychologie haben sich bereits über längere Zeiträume in der Verwaltung etabliert. In den ersten Auslegungen psychologischen Wissens für die (betriebliche) Verwaltung stand vor allem die Optimierung der Arbeitsabläufe, ihre Messung und letztendlich die Steigerung der Produktivität im Mittelpunkt (Gilbreth & Gilbreth, 1922). Dabei wurden insbesondere Aspekte der Individualisierung betrieblicher Abläufe, methodische Herangehensweisen, Kommunikation und Motivation beschrieben. Diese Ausführungen wiesen einen eher allgemeingültigen arbeits- und organisationspsychologischen Ansatz auf, der für verschiedene Arbeitskontexte und Situationen einen passenden Erklärungsrahmen bot. Jahrzehnte später wurden mit der Einrichtung der Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung der Länder und des Bundes psychologische Themen explizit in Lehrpläne aufgenommen und diese etablierten sich zunehmend in der verwaltungswissenschaftlichen Literatur (z. B. Bierfelder, 1976). Thematische Schwerpunkte lagen dabei im Personalmanagement, wie auch auf dem Aspekt der Innen- und Außenkommunikation der Organisation. Diese thematische Zweiteilung hat sich bis heute in der Betrachtung der Verwaltungspsychologie erhalten (Franz, 2013). Die ursprünglichen Ansätze mit Blick auf die Produktivitätssteigerung sind dabei in vielen Fällen erkennbar geblieben. Das Anwendungsziel der Verwaltungspsychologie ist die best|16|mögliche Erfüllung der Aufgaben der (öffentlichen) Verwaltung. Diese Perspektive wird heute aber über das alleinige Produktivitätsergebnis hinaus um den Blick auf die Art und Weise der Zielerreichung und deren Wirkung auf die Nachhaltigkeit des Handelns in der öffentlichen Verwaltung erweitert. Die bestmögliche Erfüllung besteht damit nicht nur in der Betrachtung des Ergebnisses, sondern gleichwertig im Prozess dorthin. Dazu werden in der Verwaltungspsychologie das Individuum und dessen sozialer Kontext in den Mittelpunkt gestellt. Das Verhalten und Erleben der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung sowie der Umwelt der öffentlichen Verwaltung wird beschrieben, interpretiert und vorhergesagt. Es gibt bereits Ansätze, das Feld der Verwaltungspsychologie innerhalb der Psychologie weiter einzugrenzen (z. B. Beck, Koch & Fisch, 2005).