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Rational Choice: Theoretische Analysen und empirische Resultate

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl334 Seiten
ISBN9783531908663
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
In der Soziologie finden Rational-Choice (RC)-Erklärungen zunehmende Verbreitung. Sie sollen einerseits zu einer Lösung allgemeiner theoretischer Kernprobleme (Erklärung von sozialer Ordnung, Kooperation und sozialen Normen) beitragen. Darüber hinaus dominiert die RC-Theorie mittlerweile zahlreiche Felder der empirischen Forschung. In diesem Band beschreiben namhafte Autoren die umfangreichen theoretischen und empirischen Anwendungsmöglichkeiten. Ein Schwerpunkt der theoretischen Arbeiten sind Analysen sozialer Normen. Die empirischen Beiträge und Anwendungen behandeln ein breites Spektrum von Themen, u.a. aus der Soziologie des abweichenden Verhaltens, der politischen Soziologie und der Analyse des Terrorismus. Abgerundet werden die Aufsätze durch methodologische Überlegungen. Der Band liefert Studierenden und Forschern eine umfassende Orientierung über wichtige Entwicklungslinien dieses Forschungsprogramms.

Dr. Andreas Diekmann ist Professor für Soziologie an der ETH Zürich.
Dr. Klaus Eichner ist Professor für Soziologie am Insitut für Soziologie der Universität Hamburg.
Dr. Peter Schmidt ist Professor für empirische Sozialforschung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Gießen.
Dr. Thomas Voss ist Professor für Theorie und Theoriegeschichte am Institut für Soziologie der Universität Leipzig.

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Leseprobe
Zur Abhangigkeit des individuellen Verlangens nach sozialer Kontrolle von der Intensitat der Kriminalitätsfürcht (S. 223-224)

Kurt Mühler

Vorbemerkungen

Angesichts wachsender terroristischer Gefahren, die nicht mehr nur ein Fakt der Vergangenheit oder anderer weit entfernter Regionen sind, sondern Teil der Alltagserfahrungen zu werden drohen, steigert sich auch die Wahrnehmung von Kriminalität, Devianz im allgemeinen und ihren Folgen. Kann sich ausbreitende Fürcht in der Bevölkerung, Opfer von Straftaten zu werden, dazu führen, dass demokratische Grundrechte zugunsten größerer Befugnisse des Staats zur Stabilisierung der öffentlichen Sicherheit geopfert werden konnten? Stehen wir etwa am Beginn eines Tauschs von erhoffter Sicherheit gegen demokratische Rechte?

Verbreitet sich der Glaube, mit weitreichenden Einschränkungen persönlicher Rechte mehr öffentliche Sicherheit zu erreichen? Ganz allgemein kann man fragen, fordert die Angst, Opfer krimineller Handlungen zu werden, zugleich bereits das Verlangen nach einem starken Staat, der hart bestraft und das Leben seiner Burger auf Schritt und Tritt kontrolliert? Die Frage, welche untersucht werden soll, ist: Erhöht die Kriminalitätsfurcht einer Bevölkerung direkt den fordernden Druck auf den Gesetzgeber, die soziale Kontrolle zu erhöhen?

Es gehört zu den klassischen Hypothesen in der Sozialforschung, dass die Fürcht von Menschen, Opfer einer Straftat zu werden, sich sowohl in ihrem Strafverlangen als auch in dem Verlangen nach Erhöhung sozialer Kontrolle niederschlagt. Wenn tatsachlich ein Zusammenhang zwischen Kriminalitätsfurcht und den Forderungen nach hoher sozialer Kontrolle besteht, dann muss man auch nach den Ursachen von Kriminalitätsfurcht fragen, um zu deren Manipulationsmöglichkeiten zu gelangen, denn Kriminalitätsfurcht ist nicht lediglich eine Folge objektiver Kriminalitätsbelastung, sondern basiert auf den Zusammenhangen der Definition sozialer Situationen.

Diese wiederum kann man gezielt beeinflussen. Hinsichtlich der Manipulierbarkeit von Kriminalitätsfurcht ist die Skandalisierungshypothese in Bezug auf die modernen Massenmedien wohl eine der bekanntesten. Es scheint sehr plausibel, nach dem Anteil der Berichterstattung in den Medien an der Erzeugung von Kriminalitätsfurcht zu fragen und in der Quoten- bzw. Auflagendynamik des Wettbewerbs die Hauptursache verzerrender Darstellungen sozialer Wirklichkeit zu sehen.

Eine weitere Basisannahme, die Vulnerabilitätshypothese, beinhaltet, dass personale, sozial relevante Eigenschaften eine gesteigerte Kriminalitätsfurcht bewirken. Sind solche Eigenschaften vorhanden oder stellen sich solche Eigenschaften ein, dann entsteht tendenziell eine gesteigerte Fürcht. Nimmt man beide Annahmen zusammen, dann kommt man zu dem Schluss, dass es besonders furchtempfängliche soziale Gruppen sowie besonders fürchterzeugende Medien gibt. Kumuliert Fürcht im Sinne bestimmter Eigenschaften bzw. Rezeptionsgewohnheiten?

Das größte Fürchtpotential wäre dann bei älteren Frauen (Vulnerabilitats hypothese), die sich ihr Weltbild mittels Boulevardpresse bilden (Skandalisierungshypothese), zu finden. Der Zusammenhang zwischen Kriminalitätsfurcht und Kontrollverlangen müsste sich dann exemplarisch auf der Grundlage hoher Fürcht empirisch beobachten lassen. Alternativ zu dieser Art des Zusammenhangs kann man folgendes annehmen: Die Grundüberzeugungen eines Menschen sind die Ursache seiner Vorstellungen darüber, wie weit soziale Kontrolle gehen darf bzw. muss. Diese Grundüberzeugungen bilden sich im Rahmen der politischen Sozialisation heraus und bleiben lebenslang mehr oder weniger stabil. Nach diesen Grundüberzeugungen wählen Menschen Medien aus, die sie rezipieren und votieren sie für eine bestimmte Praxis der sozialen Kontrolle.

Die Kriminalitätsfurcht kann in einem solchen Zusammenhang z.B. die Rolle einer alibigebenden Große spielen. Das bedeutet, Menschen, die ihrer Grundüberzeugung nach materialistisch und konservativ eingestellt sind, suchen nach Medien, welche ihre Grundüberzeugungen bestätigen und nehmen die soziale Realität aufgrund eines entsprechenden Frames wahr, welcher bestätigende Ereignisse besonders hervorhebt. Demzufolge entsteht die Wirkung der „Skandalisierung" normbrechender Ereignisse erst durch die Disposition der betreffenden Akteure. Sowohl die überhöhte Wahrnehmung von Einzelereignissen als auch das Herunterspielen bzw. Nichtwahrnehmen des tatsachlichen Geltungsgrads von Rechtsnormen geht dann vom Akteur, d.h. seiner dispositionellen Bereitschaft für eine bestimmte Sichtweise aus.
Inhaltsverzeichnis
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