Frühneuzeitliche Tabakkonsumverbote
Im Jahre 1589 verbot ein Schreiben des Konzils in Mexiko der Geistlichkeit vor dem Lesen der heiligen Messe und jedem anderen Menschen vor der heiligen Kommunion jedwede Art von Tabakkonsum aus Gründen der Ehrfurcht vor der heiligen Eucharistie. Ein Jahr später wurde mit Exkommunikation bedroht, wer „in Sankt Peter zu Rom Tabak in irgendeiner Weise“[58] zu sich nahm. Auf weltlicher Ebene wurden die ersten Tabakkonsumverbote Anfang des 17. Jh. erlassen.
König James I. von England: A Counterblaste to Tobacco – Signalwirkung seines Pamphlets
Das Toback-Trinken, wie Tabakrauchen damals genannt wurde, verbreitete sich zunächst flächendeckend von Frankreich und Holland aus Anfang des 17. Jh. über Europa. Auch wenn das erste Zeugnis über Rauchen in Deutschland aus dem Jahre 1587 datiert (Anm. s. o.), waren es in erster Linie die rauchenden Soldaten, die im Zuge des Dreißigjährigen Krieges das Rauchen verbreiteten und nach Deutschland brachten.[59]
Nachdem zunächst das Tabakschnupfen in höfischen Kreisen praktiziert wurde, machte das Rauchen[60] erst Sir Walter Raleigh (1554–1618) in der High Society salonfähig, der es sich als Gründer der ersten englischen Kolonie in Amerika (Virginia) und als Günstling der Königin Elisabeth I. erlauben konnte, diese bis dato verpönte Art des Tabakgenusses zu pflegen. Innerhalb kürzester Zeit avancierte das Rauchen neben Tanzen, Jagen, Reiten und dem Kartenspiel zu den Künsten des Edelmannes.[61]
Mit der europaweiten Masse an Rauchern formierten sich auch die Gegner, an deren Spitze sich König James I. von England stellte. Seine Werke „A Counterblaste to Tobacco“ von 1604[62] und „Misocapnus sive de abusu tobacci“ von 1619[63] (vor allem ersteres) entsprachen zwar keinem expliziten Konsumverbot in Form einer Gesetzgebung. James I. entfachte mit seinem Appell jedoch ein enormes Echo und legte den Grundstein für ein Umdenken seitens der Gesetzgeber[64], das in Verbindung mit praktischen Gründen wie der Brandgefahr und dem Schutz vor pekuniären Problemen der Untertanen, zu einer Vielzahl an Rauchverboten in den folgenden Jahren führte: Tabakverbote wurden erlassen in Dänemark und Schweden 1632, Frankreich 1635, Neapel 1637, Sizilien 1640, im Kirchenstaat 1642, Kursachsen und Bamberg 1653, Bern 1659 und weiteren Ländern.[65] In Württemberg 1656 war der Verkauf von Tabak nur noch zu medizinischen Zwecken in Apotheken gestattet, wie in Sachsen 1653.[66]
Als konkrete Maßnahme in Form eines Quasirauchverbots („indirekte Prohibition“[67]), ordnete James I. im Jahre 1604 die Erhöhung des Einfuhrzolls für Tabak um 4000 % an. Mit einem 1621 erlassenen Gesetz wurde außerdem der Anbau von Tabak in England verboten.[68] Ansonsten beließ er es bei seinem Pamphlet, das mit religiösen, moralischen und gesundheitlichen Aspekten eine wesentliche Grundlage der Argumentationen von Tabakgegnern der folgenden Jahrhunderte bildete.[69]
Die Genese der Tabakpolitik frühneuzeitlicher Europäischer Obrigkeiten am Beispiel des Kantons Bern, 1659–1739
Die Prohibitionspolitik blieb ganz überwiegend erfolglos. Inwiefern die Gesetzgeber auf die Tatsache reagierten, dass Rauchverbote faktisch auch unter Androhung empfindlicher Strafen nicht durchzusetzen waren, lässt sich exemplarisch am Beispiel des Kantons Bern zeigen: Die Berner Regierung verhängte 1659 ein Verbot des Verkaufs von Tabak zu Genusszwecken. Als Gründe wurden angeführt, dass das Tabakrauchen von einem anfänglich vernünftigen Gebrauch in der breiten Bevölkerung zu einer missbräuchlichen Intensität angestiegen sei, die von schädlicher Wirkung für die Konsumenten sei. Drittens wohne dem Rauchen eine immense Brandgefahr inne, weil etwa auch Dienstpersonal in Ställen und Scheunen rauche, außerdem verlasse durch das Rauchen zu viel Geld das Land in Richtung tabakexportierender Länder.
Nachdem einige Verschärfungen bis 1697 keine Verbesserung zeigten, ruderte die Berner Regierung zurück und erlaubte gegen die Entrichtung einer Kopfsteuer den nichtöffentlichen Konsum von Tabak, bestraft wurde nur noch das Rauchen an Orten mit erhöhter Brandgefahr.
Ab 1719 wurde in Berner Gemeinden Saatgut verteilt nebst Anleitung zum Tabakanbau, ab 1723 war nur noch der Tabakerwerb von heimischen Krämern gestattet, um den Abfluss des Geldes aus dem Land zu stoppen. Die Tabakkommission der Regierung sah 1728 schließlich die heimische Tabakproduktion als etabliert an, so dass schon 1739 der Zehnt auf den Tabak erhoben wurde.[70]
Das Beispiel des Kantons Bern zeigt repräsentativ für andere Obrigkeiten, wie die Einsicht des Gesetzgebers bzgl. seiner faktischen Hilflosigkeit gegenüber der Tabakbegeisterung im Volk zum Versuch führte, finanziell aus dem Laster der Untertanen Profit zu schlagen.[71]
Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges[72] auf die Tabakkonsumverbote
In Schweden und Dänemark 1632, später in einigen Städten und Kantonen der Schweiz und ab der Jahrhundertmitte auch in Territorien des Reiches selbst, die vom Krieg heftig gezeichnet waren, erließ man außerdem Tabakverbote, um die Existenz der Untertanen angesichts der Kriegsfolgen vor einer finanziellen Gefährdung zu schützen.[73]
Darüber hinaus befeuerte der Krieg zwischen 1618 und 1648 die Neigung der Obrigkeiten möglichst in allen Lebensbereichen sämtliche Gesellschaftsschichten zu disziplinieren und so die Ordnung im Staat zu stärken. Besonders die Kriegsfolgen, später auch die zunehmende Bevölkerungsdichte und Urbanisierung erforderten die individuelle, leistungsorientierte Lebensführung der Untertanen, die im Zuge einer sog. Sozialdisziplinierung[74] erreicht werden sollte.[75]
Die Lasterhaftigkeit des Tabakkonsums stand dem entgegen, Konsumverbote beherbergten demnach insbesondere ab der zweiten Hälfte des 17. Jh. eine erzieherische Intention zur Wahrung der Integrität des Volkes.
Tabakbesteuerung
Im Anschluss an die gescheiterte Verbotspolitik wurden Anfang des 17. Jh. Abgaben auf den Tabak entweder in Form von Tabaksteuern oder von Tabakmonopolen erhoben. Tabakmonopole wurden entweder in staatlicher Eigenregie oder im Wege der Verpachtung an Unternehmer ausgeübt. Im Grundgedanken vereinnahmt beim Monopol der Staat neben der Verbrauchsbesteuerung auch einen Teil des Unternehmergewinns, wobei einzelne Schritte von der Erzeugung der Rohstoffe bis hin zum Tabakverkauf im Einzelhandel aus der Hand des Staates an private Unternehmer übertragen werden konnten.[76]
In Bezug auf die Art der Tabakbesteuerung lässt sich sagen, dass sich die Besteuerung fertiger Tabakwaren (sog. Fabrikatsteuer) erst spät, in Deutschland erst im 20. Jh., durchgesetzt hat. Frühere Tabakbesteuerungen, bezogen sich hingegen mehrheitlich auf die Rohstoffgewinnung (Rohtabaksteuer).[77]
Tabakbesteuerung und Tabakmonopole als fiskalische Einnahmequelle im frühneuzeitlichen Europa
Der englische König Charles I.[78] belegte 1625 erstmals den aus englischen Kolonien eingeführten Rohtabak mit einem Einfuhrzoll. Dieser wurde 1643 in eine Tabaksteuer umgewandelt, so dass Charles als Begründer dieser Steuer gilt.[79] Mit Einfuhrzöllen wurden nur Waren belegt, die nicht für den sofortigen Reexport vorgesehen waren.[80]
Kardinal Richelieu, leitender Minister Ludwigs XIII., erließ 1629 die Tabaksteuer, um den Konsum der Untertanen einzuschränken und gesundheitlichem Schaden im Volk entgegenzuwirken.[81] Diese sog. Akzise[82] hatte die Eigenschaft, dass neben dem Volk ebenfalls Adel und Klerus belastet werden konnten, ohne dass dabei die Steuerprivilegien besagter Stände angetastet werden mussten.[83]
Vorbildfunktion für das in Europa bald etablierte Tabakmonopolsystem, das sog. Appalto-System[84], hatte der im Jahre 1627 zwischen dem Herzog von Mantua und dem italienischen Händler Tugnoni abgeschlossene Pachtvertrag über ein Verkaufs- und Einfuhrmonopol für Tabak in Italien. Für die Exklusivrechte an Einfuhr, Erzeugung und Vertrieb wurden fix vereinbarte Summen gezahlt, der Händler konnte die Produkte dann frei weiterverkaufen.[85]
Dem für die Obrigkeiten äußerst lukrativen Appalto-System folgten von 1627–1657 fünf weitere italienische Regionen, etwa...