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Veränderte Bewusstseinszustände
Die Idee der veränderten Bewusstseinszustände (VBZ) wurde in den 1950ern und 1960ern vor allem durch drei bahnbrechende Paradigmen in der westlichen Psychologie bekannt. Das eine war die Entdeckung der Rapid Eye Movements (REM) während des Traumschlafs, wobei zum ersten Mal physiologische Veränderungen, die sich zuverlässig mit einem bestimmten subjektiven Bewusstseinszustand in Verbindung bringen ließen, aufgezeichnet werden konnten. Die zweite bahnbrechende Entdeckung war, dass sich die Aufzeichnungen elektrischer Gehirnaktivitäten (EEG) im Frequenzbereich zwischen 8–12 Schwingungen pro Sekunde (sogenannte „Alphawellen“) eindeutig mit Ruhezuständen während der Entspannung oder Meditation bei geschlossenen Augen in Verbindung bringen ließen. Der dritte Durchbruch war die Entdeckung des LSD und anderer psychedelischer, bewusstseinserweiternder Drogen – wodurch zutiefst transformierte und transformative Bewusstseinszustände, die bis dahin nur wenigen, in meditativen oder yogischen Praktiken geübten Individuen zugänglich waren, nun ziemlich zuverlässig von gewöhnlichen Leuten erzeugt werden konnten, sofern sie sich richtig vorbereiteten und schützten und das Set und Setting stimmte.
Diese Entdeckungen von Zusammenhängen zwischen Veränderungen der neuronalen Funktionen und Veränderungen im subjektiven Bewusstsein regten eine enorme, bis heute andauernde Welle der Forschung unter Verwendung von EEG, MRI, PET und anderen Technologien an. Dieser Ansatz – die Erforschung von Verknüpfungen zwischen gemessener Gehirnaktivität und Mentalzuständen – ist zum bestimmenden Paradigma in der wissenschaftlichen Bewusstseinsforschung geworden. Es basiert auf der zugrundeliegenden philosophischen Annahme der westlich-materialistischen Weltanschauung, dass das Bewusstsein irgendwie im Gehirn liegen muss. Diese Ansicht geht auf die Arbeit des französischen Mathematikers des 18. Jahrhunderts, René Descartes, zurück, der bekanntermaßen vermutete, dass die Seele ihren Sitz in der Zirbeldrüse hätte. Die östlichen Philosophien des Yoga und des Buddhismus gehen von einem völlig anderen Ansatz aus, dessen Vorstellungen vom Geist auf systematischen Beobachtungen innerer Zustände während der Meditation beruhen.
Die wichtigste Erkenntnis, die aus den Studien mit psychedelischen Drogen in Harvard in den 1960ern resultierte, war die signifikante Bedeutung von Set (eigene Einstellung) und Setting (Umgebung) für das Verständnis psychedelischer Bewusstseinszustände. Im Unterschied zu Drogen, die sich auf die Funktion des einen oder anderen körperlichen Organs auswirken, erweitern Psychedelika die Bandbreite, den Fokus und die Klarheit der Wahrnehmung selbst – die Art, wie wir die Realität und uns selbst sehen.
Timothy Leary pflegte zu sagen, psychedelische Drogen seien für die Psychologie potenziell das, was das Mikroskop für die Biologie und das Teleskop für die Astronomie seien – indem sie die bewusste Wahrnehmung von Realitäts-bereichen und -ebenen ermöglichen, zu denen wir vorher keinen Zugang hatten. Doch so, wie das, was wir durch ein Mikroskop wahrnehmen, davon abhängt, was wir auf dem Objektträger plaziert haben (wie das Blatt einer Pflanze oder ein Tropfen Blut), so hängt der Inhalt einer psychedelischen Erfahrung (die Gedanken, Bilder, Gefühle, Empfindungen) vom zuvor existierenden Set oder der eigenen Verfassung und dem gewählten Umfeld oder Setting ab. Die Droge wirkt dabei nur als eine Art Katalysator und Wahrnehmungsverstärker.
In den Seminaren über veränderte Bewusstseinszustände, die ich viele Jahre lang durchgeführt habe, war es für mich hilfreich, dieses Grundparadigma von Set, Setting und Katalysator auf alle Bewusstseinszustände anzuwenden, von den bekanntesten zu den exotischsten. Sehr bekannte Katalysatoren oder Verstärker von VBZ (veränderten Bewusstseinszuständen) sind – außer Drogen – Hypnose, meditative Praktiken, schamanisches Trommeln, Musik, Natur, Sex und andere, sowie die normalen zyklischen chemischen Veränderungen im Gehirn, die uns in den Schlaf- oder Wachzustand befördern. Es ist auch hilfreich, das Paradigma der VBZ heranzuziehen, um psychopathologische Zustände zu verstehen, die verengend, fixierend oder dissoziativ sind sowie sich negativ und toxisch auf das Individuum, auf Familien und Gemeinschaften auswirken – Drogen- oder Verhaltensabhängigkeiten, Angst (Panikattacken), Wut (Jähzornanfälle), psychotische Anfälle, Depression, Manie oder andere. Wir werden solche Zustände in einem späteren Kapitel erörtern.
Ein Punkt, der den meisten Leuten in Gesprächen oder Diskussionen über den Begriff „veränderter Zustand“ Unbehagen bereitet, ist die scheinbare Schlussfolgerung, „verändert“ an sich sei nicht normal. Wie könnten wir dann aber davon reden, dass VBZ das therapeutische, kreative oder spirituelle Wachstum anregen? In meinen Seminaren habe ich versucht, das damit verbundene kognitive Vorurteil durch meinen Hinweis auszuräumen, dass alle Menschen mit den normalen, völlig veränderten Zuständen, die wir Wachsein, Schlafen und Träumen nennen, absolut vertraut sind.. Sigmund Freud sagte, Träume seien der „Königsweg zum Unterbewusstsein“, womit gemeint ist, dass sie den größten und bekanntesten Zugang bieten. Doch man könnte genauso gut sagen, dass Träume der Weg des gewöhnlichen Menschen sind, da jeder auf diesen nächtlichen Wegen in das Reich des Jenseits reisen kann und dies auch tut. In Indien bezog sich der „Königsweg des Yoga“ (Raja Yoga) auf die gezielte Anwendung psychologischer Praktiken, um das Bewusstsein aus seinem Alltagszustand zu befreien – und dieser Weg erfordert eine gewisse Disziplin bei dessen Studium und Anwendung.
Einige Autoren haben versucht, die negativen Annahmen, die mit der Vorstellung von „veränderten Zuständen“ verbunden sind, dadurch zu umgehen, indem sie Begriffe wie „veränderliche Zustände“, „nicht alltägliche Zustände“ oder (wie in einem kürzlich veröffentlichten Handbuch der American Psychological Association) „anomale Erfahrungen“ vorgeschlagen haben. Doch diese linguistischen Strategien verschleiern den Punkt, dass manche Zustandsveränderungen völlig normal, üblich und vertraut sind. Sollte man Träumen als „nicht-alltäglichen Zustand“ betrachten? Was ist mit Trunkenheit oder depressiver Stimmung – sind das nicht eher gewöhnliche, allzu vertraute Zustände? Des weiteren halten einige Naturvölker und schamanistisch Praktizierende dagegen, dass Zustände oder Realitäten, welche die Westler als „nicht-alltägliche“ bezeichnen, für sie sehr vertraut und gewöhnlich sind. Es gibt ein ganzes Spektrum von Bewusstseinszuständen, angefangen bei den vertrauten und allgemein bekannten bis hin zu den anomalen und exotisch extremen. Ob der Zustand nun normal oder abnormal ist, ist jedenfalls ein Urteil über die Erfahrung, das durch die Kultur und die Geschichte geprägt ist und deswegen eine akademische Frage, der keine besondere Bedeutung zukommt.
Ich habe schließlich mein eigenes anhaltendes Unbehagen bei dem Begriff „veränderter Zustand“ erkannt, abgesehen von der Tatsache, dass er die Unterscheidung zwischen gewöhnlich und nicht-alltäglich erschwert: Es hat mit der passiven Auslegung von „verändert“ zu tun, durch die suggeriert wird, dass eine äußere Instanz einem etwas angetan hat. Ein drogeninduzierter Zustand scheint diese Ansicht zu unterstützen. Doch wir müssen uns daran erinnern, dass sich normalerweise das Individuum dafür entscheidet, die Droge einzunehmen – sei es Alkohol, LSD oder Marihuana – zu einem bestimmten Zweck und mit der Absicht, das eigene Bewusstsein zu verändern. Auf ähnliche Weise begibt sich eine Person vielleicht in eine Hypnosesitzung, um im Rahmen einer Psychotherapie in einen Trancezustand zu gelangen. Die vorsätzliche Veränderung des Bewusstseins einer anderen Person ohne deren Wissen oder Einverständnis, zum Beispiel durch das heimliche Verabreichen von Drogen oder Alkohol, gilt allgemein als moralisch verwerflich und illegal.
Die Zustandsveränderungen des alltäglichen Lebens können auch aktiv oder passiv aufgenommen und erfahren werden. Wir können mit der bewussten Absicht schlafen gehen, uns auszuruhen und unsere Energien wieder herzustellen; wir können unfreiwillig „in den Schlaf sinken“, weil wir müde sind; oder wir können, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne, durch einen langweiligen Redner in einem Vortragssaal „eingeschläfert werden“. Das gilt genauso für den umgekehrten Übergang: wir können vom Wecker „geweckt werden“; einfach spontan „aufwachen“; oder uns, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn, gegen den Abwärtssog der Schläfrigkeit stemmen, um unser volles Bewusstsein und unsere Aufmerksamkeit zu steigern.
Der Buddhismus und andere spirituelle Traditionen, wie die von Gurdjieff, bezeichnen das, was wir als unseren normalen Wachzustand verstehen, als eine Art Schlafzustand, in dem wir uns unserer essenziellen Natur nicht bewusst sind. Diesen Lehren zufolge sollen uns yogische und meditative Praktiken dabei helfen, aus den schläfrigen, traumähnlichen Zuständen der gewöhnlichen, unbewussten Existenz zu erwachen – und uns über unsere höchsten spirituellen und kreativen Potenziale klar zu werden.
Um expansive, positive Bewusstseinszustände konstruktiv für mehr Gesundheit, Kreativität und Wachstum zu nutzen, müssen wir fähig sein, den Zustand, in dem wir uns gerade befinden, jederzeit wahrzunehmen, und durch ihn hindurch zu navigieren. Schamanische und alchemistische Divinationspraktiken benutzen „Sonic...