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RaumZeitWärmePlastik - Der Begriff des Raumes bei Joseph Beuys

AutorJérôme Kost
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl79 Seiten
ISBN9783656399797
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Landschaftsarchitektur, Landespflege, Gartenbau, Note: 1,3, Technische Universität Berlin, Veranstaltung: Landschaftsarchitektur, Freiraumplanung, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit will keine Designstrategie oder Entwurfstheorie entwickeln, sondern eine Konstitutionsbeschreibung liefern der res activa der Menschheit einerseits und im Kleinen des Hineingestelltseins des Wesenskerns jedes einzelnen Menschen in diese großen Zusammenhänge andererseits. Es wurde versucht, den Kosmos Beuys an aktuelle Diskussionen der Raumgestaltung anzuschließen. Gezeigt hat sich dabei vor allem zweierlei. Erstens ist das chronologische Zeitkonzept unter dem Aktionsbegriff nicht hinreichend, um Aktion beschreiben zu können. Der Zeitbegriff des Chronos muss also erweitert werden um jenen des Kairos. Zweitens ist der Raumbegriff zunächst unter dem Konzept des Raum-Zeit-Kontinuums zusammen mit der Zeit als Prozess zu denken und dann unter dem Wärmebegriff als Plastik. Was den Raum betrifft, macht Einstein dessen Krümmung sichtbar und Joseph Beuys dessen Umstülpung. Insofern ist die Topologische Wende, die Beuys fordert, eine viel umfassendere, als die meisten Menschen nach der kapitalistischen Kulturrevolution überhaupt zu denken wagen. Bei Joseph Beuys soll sein Verständnis des Raumbegriffes und weiterer Begriffe, die sich an diesen angliedern, erfragt werden. Parallel soll bei Niklas Luhmann hauptsächlich sein Begriff des Menschen interessieren, um den Beuys´schen Raumbegriff klarer herausarbeiten zu können. Dieser geht, wie deutlich werden wird, eine unauflösliche Verbindung über den Begriff der Plastik mit dem Begriff des Menschen ein und über den Begriff der sozialen Plastik mit der Gesellschaft. Joseph Beuys beurteilt den Menschen als das zentrale Geschehen der Welt, Niklas Luhmann hingegen interessiert sich überhaupt nicht für den Menschen und auch nicht für Raum. Dennoch ist die Luhmannsche Systemtheorie ein viel diskutiertes Angebot zur Gesellschaftsbeschreibung geworden. Zwei konträre Positionen, die hier gegeneinander gehalten werden, um die jeweils andere scharf zu stellen. Im Kapitel Physik werden die wissenschaftsgeschichtlichen Grundlagen, also die Geistesgeschichte geklärt, aus der Beuys seinen erweiterten Kunstbegriff ableitet. Mit Panopticon sind die baulichen Grundlagen der uns umgebenden Architekturen gemeint, mit Systemtheorie ist die Systemtheorie Luhmannscher Provenienz gemeint und mit Umstülpung der räumlich-überräumlich zu verstehende Vorgang im einzelnen Menschen, durch den eine soziale Plastik erst bewusst und damit wirklich werden kann.

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Leseprobe

Physik


 

Das Erleben der Zeit taucht beim Menschen an dem Punkt auf, wo er zum ersten Mal Ich zu sich sagt. Hier trennt er ein Vergangenes und ein Zukünftiges und hat damit gleichzeitig die Fähigkeit zu erinnern und zu planen. Die ersten Erinnerungen und das erste Ich-Erlebnis markieren den Punkt der Entstehung der persönlich erlebten Zeit.

 

In dem Film Absolute Giganten, auf dem Rücksitz mit Telsa im Ford Granada, bei der Fahrt in den morgengrauenden letzten gemeinsamen Tag, erinnert sich Floyd: „Die erste Sache an die ich mich erinnern kann is: wie ich von meiner Mutter an Sylvester ne Wunderkerze bekommen hab. Der Himmel war voll mit Raketen und Feuerwerkskörpern die explodiert sind und sprühten und es war laut! Aber ich hatte keine Angst sondern hab meine Wunderkerze in den dunklen Himmel gehalten und wie wahnsinnig geschüttelt. Ich hab sie so doll geschüttelt, so wahnsinnig doll, wie ich irgendwie konnte, oder noch doller, bis ich nich mehr konnte und immer weiter, besinnungslos und immer doller. Und ich war klein und die Wunderkerze auch - aber ich war beim Größten und Unglaublichsten dabei was ich je gesehen hatte. Das Tollste und Größte was es gab und ich war dabei, ohne das ich es wusste - dass ich irgendwas wusste. Ich glaub ich hab in meinem ganzen Leben nie wieder etwas so gemacht. So doll und kompromisslos und total. Ich glaub ich hab auch nie wieder in meinem Leben irgendwas erlebt, was so groß war und so gigantisch.“[12]

 

Die hier angesprochenen Themen Zeit, Aktualität, Engagement, zeigen die starke wechselseitige Bedingtheit von Erlebnis und Aktion und damit von Leben und Welt. Diese kleine Geschichte kann uns in die Richtung einer Dimensionserweiterung führen, wie sie Joseph Beuys erarbeitet hat. Damit zusammen hängen unter anderem Fragen, mit denen sich traditionell die Physik beschäftigt: „Die Physik stellt Fragen nach Geometrie und Dimension, Ursprung und Entwicklung, Aufbau und Struktur des Raumes: ist der Raum absolut zu verstehen, als ein äußeres Gefäß, oder relativ, als relationaler Maßstab zweier Ereignisse? Wie verhalten sich Raum, Zeit und Materie zueinander - und zu Feldern? Welche Geometrie besitzt der Raum, wie viele Dimensionen finden sich: 4, 10 oder gar 26? War der Raum schon immer da, oder ist er selbst in Evolution begriffen? Wie ist seine Herkunft und Zukunft zu begreifen (`Big Bang´, Endknall oder kontinuierliche Expansion)? Ist der Raum begrenzt oder unbegrenzt, endlich oder unendlich, gefüllt oder leer? Ist er überall gleich strukturiert und weist die gleiche Richtung auf (Homogenität, Isotropie)? Ist er kontinuierlich oder diskret (Quantisierung)? Wie verhalten sich entfernte Teile des Raums zueinander (Nicht-Lokalität)? Welche Raumstrukturen zeigen sich in der uns Menschen zugänglichen Natur der mittleren Größenordnung (fraktale Raumdimensionen)? Ist es legitim, die heutige Existenz des Menschen als Erklärungstyp für die verblüffende Feinabstimmung physikalischer Naturkonstanten sowie für die Struktur des Raums heranzuziehen (Anthropisches Prinzip)?“[13]

 

Dieses Anthropische Prinzip findet sich bei Joseph Beuys in dem Begriff der Wärme: „Es kommt eine Zeit, in der der Zeit- und der Wärmebegriff den Raumbegriff erweitert.“[14] Es ist dies auch die zentrale Aussage, an der die Raumforschung nachfragt: was ist hiermit gesagt? Hierzu soll zunächst der Frage nach den wissenschaftsgeschichtlichen Vorraussetzungen des „Appellcharakter[s] seiner Werke als Zeugnisse seines Umganges mit Raum zur Überwindung des Raums und nicht zu dessen Beherrschung“ nachgegangen werden.[15]

 

Für Albert Einstein gilt die „Auffassung des Raumbegriffes als hervorgegangen aus der Erfassung des Inbegriffes von Lagerungsrelationen zwischen Körpern. [Dies] wird auch durch die Betrachtung der Entwicklung der wissenschaftlichen Raumlehre, der Geometrie, bestätigt.“[16]

 

Denn „von einer [...] Gravitationsdeterminierung der Raumzeit-Geometrie wird gesprochen. Damit hat, so Max Born, die `Geometrie als eine auf die wirkliche Welt anwendbare Lehre [...] keine Sonderstellung vor anderen Zweigen der physikalischen Wissenschaft´“[17] mehr. Beuys definiert Raum ebenfalls als relationales Gefüge, wenn er erlebt wie „die ganze Welt abhängt von ein paar Brocken Material. Von der Konstellation des Wo-eine-Sache-steht, des Ortes, geographisch, und des Wie-die-Sachen-zueinanderstehen.“[18] Er hat die Vorstellung von Raum als Produkt der Beziehung von Dingen. Bei seinen Installationen kommt es darauf an, wie und wo die Dinge liegen zueinander und zum Gebäude.[19] Die Lagerungsqualität erscheint als raumkonstituierend auch im Zwischenmenschlichen: Soziales ist das Sich-ins-Verhältnis-setzen zum Anderen. Die Frage, wie sich der Eine zum Anderen verhält, macht den Anderen erst zum Mitmenschen. Diese Verhältnissetzung konstituiert die soziale Plastik. Bezüglich des plastischen Begriffes sind also zunächst zwei Erkenntnisse von Bedeutung. Die physiktheoretischen Entdeckungen zeigen, dass der aus Verhältnissen gebildete Raum erst mit der Wärmetheorie möglich geworden ist zu verwirklichen. Und diese Möglichkeit hat Konsequenzen für jeden Menschen, denn die Erweiterung des Raumes in die Plastik macht Gestaltung erst möglich für den einzelnen Akteur.

 

Albert Einstein sieht den Feldbegriff, welcher für Beuys´ plastische Arbeit zentrale Bedeutung hat, zugunsten des Raumbegriffes verschwinden: „Das Gesetz der Lichtausbreitung im leeren Raume in Verbindung mit dem Relativitätsprinzip hinsichtlich der gleichförmigen Bewegung hatte mit Notwendigkeit zur Folge, daß Raum und Zeit zu einem einheitlichen vierdimensionalen Kontinuum verschmolzen werden mußten. [...] Der Raum verliert [zunächst] mit der allgemeinen Relativitätstheorie seinen absoluten Charakter. [...] Der Zustand des Raumes gewann [dann jedoch] Feldcharakter; der geometrische Raum war dem elektromagnetischen Felde in dieser Hinsicht analog geworden.“[20] Und schließlich: „Nach den hier vertretenen Gesichtspunkten sieht also das axiomatische Fundament der Physik so aus. Das Reale wird aufgefaßt als vierdimensionales Kontinuum mit einer einheitlichen Struktur bestimmter Art (Metrik und Richtung). Die Gesetze sind Differentialgleichungen, welchen die genannte Struktur, d.h. die als Gravitation und Elektromagnetismus in Erscheinung tretenden Felder genügen. Die Matriellen Teilchen sind Stellen hoher Felddichte ohne Singularität. Zusammenfassend können wir symbolisch sagen: Der Raum, ans Licht gebracht durch das körperliche Objekt, zur physikalischen Realität erhoben durch Newton, hat in den letzten Jahrzehnten den Äther und die Zeit verschlungen und scheint im Begriffe zu sein, auch das Feld und die Korpuskeln zu verschlingen, so daß er als alleiniger Träger der Realität übrig bleibt.“[21]

 

Joseph Beuys geht hier noch weiter. Mehr noch, er kommt von einer ganz anderen Seite, aus der Kunst, und öffnet die Wissenschaft für das tägliche Leben jedes einzelnen Menschen. Der Anlass zu diesem Unterfangen ist für Beuys der Raumüberschuss der Plastik von Wilhelm Lehmbruck. „Beuys charakterisiert diesen Gehalt als `räumliche Erweiterung nach innen´.“[22] In diese Richtung, auf Wahrnehmung, dann auf Bewusstsein, dann wieder auf Wahrnehmung, weißt auch Johannes Stüttgen: „Das Gebot der Stunde ist die Überwindung des mental-rational auf das Dreidimensional-Räumliche fixierten Zeitbegriffs der neuzeitlichen Bewußtseinsstruktur“.[23] Denn, so Beuys: „Wenn du den Geist im Ziel hast, hast Du auch ein anderes Konzept der Zeit ... Du siehst, die Zeit auf der Erde ist eine physikalische Wirklichkeit. Sie findet statt im Raum. So ist es die Raum-Zeit-Relation, über welche Einstein spricht. Dies gibt bereits eine Art Hinweis auf eine andere Dimension, aber ich denke, diese andere Dimension ist etwas, was wir noch zu entdecken haben ... Wenn ich sage, daß wir es noch zu entdecken haben, dann ist es bereits entdeckt. [...] Dies ist die Wärmequalität. [...] Die Qualität von Wärme. Diese Dimension ist tatsächlich eine andere Dimension, welche nichts zu tun hat mit der Raum- und Zeit-Relation. Es ist eine andere Dimension, die kommt, um an einem Ort zu existieren und welche wieder fortgeht. Das ist ein sehr interessanter Aspekt der Physik, da bis jetzt die meisten Physiker nicht vorbereitet sind, mit der Wärmetheorie sich zu befassen. Thermodynamik war immer ein sehr komplizierter Stoff.“[24]

 

Diese Dimensionserweiterung ist also keine statische, sondern muss originär in jedem Augenblick neu erzeugt werden im relationalen Zusammenhang: „Ich habe erlebt, an dieser Stelle, als kleines Kind, daß man mit Material etwas Ungeheures ausdrücken kann, was für die Welt ganz entscheidend ist, so hab ich´s erlebt. Oder sagen wir, daß die ganze Welt abhängt von der Konstellation von ein paar Brocken Material. Von der Konstellation des Wo-eine-Sache-steht, des Ortes, geographisch, und des Wie-die-Sachen-zueinander-stehen, ganz einfach. [...] Ich habe nur gesehen, da war eine Eisenstange, und da waren Eisenelemente, die lagen da rum in verschiedener Form in die Erde versunken und guckten raus, und ich habe mich regelmäßig, wenn ich aus der Schule kam - weil da eine Umsteigestelle für die Straßenbahn war - da hingesetzt und habe mich da, im heutigen Sprachgebrauch könnte man sagen, ganz absinken lassen, in...

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