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E-Book

Recht und Moral

VerlagFelix Meiner Verlag
Erscheinungsjahr2010
ReiheBlaue Reihe 
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783787319879
FormatePUB/PDF
KopierschutzDRM/Wasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Zwischen Rechtsverständnissen, nach denen es nur juridische, nicht aber moralische Rechte geben kann, und einem individualethischen Ansatz, nach dem Personen moralische Rechte haben, gibt es einen anhaltenden Streit. Im Kontext mit der Bestimmung des Verhältnisses von Recht und Moral gibt es darüber hinaus ein zweites Spannungsfeld: die Frage, ob das Recht einer Begründung durch Moral bedarf, wenn es nicht nur auf Legalität, sondern auch auf Legitimität Anspruch erheben will. Die Beiträge dieses Bandes sind - kontrovers - Differenzierungen zwischen Recht, Moral und Ethik und den Fragen gewidmet, wie sich Moral und Recht zueinander verhalten und ob moralische Ansprüche als Rechte verstanden werden können. Weitere Themen sind Gründe für die Transformation moralischer Ansprüche in positives Recht, der moralische Inhalt und die positiv-rechtliche Form der Menschen- und Grundrechte und philosophische Wege zu Ethik und Recht am Beispiel der gegenwärtigen arabisch-islamischen Philosophie.

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Leseprobe

– DIETMAR VON DER PFORDTEN

Zur Differenzierung von Recht, Moral und Ethik


Recht, Moral und Ethik sind anders als etwa Pflanzen oder Planeten keine natürlichen, sondern ›soziale Dinge bzw. Tatsachen‹, oder besser, weil etwas weiter und damit auch die idealischen Konstruktionen der Ethik umfassend: ›menschliche Gestaltungen‹ – zumindest sofern man ein mögliches göttliches Recht oder Naturrecht ausklammert. Dieses Charakteristikum einer grundsätzlichen sozialen bzw. menschlichen Gestaltung von Recht, Moral und Ethik hat zwei Folgen, eine ›tatsächliche‹ und eine ›erkenntnisorientierte‹. Die ›tatsächliche‹ Folge besteht darin, dass Recht, Moral und Ethik sich mit menschlichen Lebensformen und Gesellschaften entwickeln, das heißt vor allem differenzieren. Die ›erkenntnisorientierte‹ Folge besteht darin, dass wir Recht, Moral und Ethik anders als rein natürliche Tatsachen nicht verstehen können, ohne die ›Ziele‹ einzusehen, die ihre ›menschlichen Urheber‹ mit ihnen verfolgen.

Die Differenzierung von Recht, Moral und Ethik sowie weiterer normativer Phänomene wie Konventionen und technische Normen im Sinne der ersten, tatsächlichen Folge ist ein kontinuierlicher Prozess im Verlauf der Jahrtausende. Aber man kann innerhalb dieses Kontinuums vielleicht ›drei große Wellen oder Stufen‹ unterscheiden. Sie werden im Fortgang des Vortrags skizziert, um eine Antwort auf die hier zu untersuchende konkretere Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit ›moralischer Rechte‹ zu gewinnen: Eine erste ›legitimatorische‹ Welle ergab sich mit dem Auseinandertreten primärer, notwendig faktischer Verpflichtungen und sekundärer, auch idealischer Rechtfertigungen bzw. Legitimationen. Eine zweite ›instrumentelle‹ Welle lag dann in der Differenzierung verschiedener primärer Normordnungen wie Moral, Recht, Konventionen usw. Eine dritte ›zuordnend-individualisierende‹ Welle fixierte schließlich den Legitimationsgrund bzw. die Quelle der Normen in den jeweils begünstigten Individuen. Dies geschah über die Zuschreibung subjektiver individueller Rechte. Diese drei Wellen werden nun nacheinander dargestellt.

1. Die erste Welle bzw. Stufe der Differenzierung von primärer Verpflichtung (nómos) und sekundärer Rechtfertigung (Ethik)


Die erste, gleichsam vertikale legitimatorische Welle des Auseinandertretens von primärer Verpflichtung und sekundärer Rechtfertigung unseres Handelns durch eine normative Ethik lässt sich in der Blütezeit der klassischen griechischen Kultur, also von den Epen Homers des 9. und 8. Jahrhunderts v. Chr., bis hin zu den philosophischen Texten Platons und Aristoteles’ im 4. Jahrhundert v. Chr. lokalisieren. In den homerischen Epen ist der normative Zentralbegriff noch derjenige der ›thémis‹.1 ›Thémis‹ meint ungeschieden sowohl die primäre Verpflichtung bzw. schicksalhafte Fügung als auch die Göttin der Gerechtigkeit und Ordnung als Mitglied des vorolympischen Titanengeschlechts, Tochter des Uranos und der Gaia,2 und damit die sekundäre Rechtfertigung, welche sich aus der Göttlichkeit des Ursprungs der Verpflichtung ergibt. Diese Identität von Verpflichtung und Rechtfertigung wird – das ist wesentlich – nun mit der Begriffsverschiebung vom alten Begriff ›thémis‹ zum neuen Begriff ›nómos‹ getrennt. Der Begriff ›nómos‹ konnte sowohl den Brauch, das Herkommen, die Sitte als auch die alten Gesetze sowie die Willkürmaßnahmen der Obrigkeit und die neuen, von Menschen geschaffenen Gesetze der Polis meinen, wobei allerdings der Hauptakzent eher auf der Verpflichtung als der Bewertung lag.3 Es gibt aber – und dies ist der entscheidende Punkt dieser Begriffsverschiebung von ›thémis‹ zu ›nómos‹ und damit der ersten Differenzierungswelle – im Gegensatz zur thémis keinen Gott ›nómos‹, so dass sich beim ›nómos‹ anders als bei der ›thémis‹ notwendig die Frage nach der ›externen Legitimation‹ der Verpflichtung stellt. Und diese Frage wird insbesondere in den Schriften von Platon und Aristoteles ausgiebig erörtert. Ein Beispiel ist etwa der platonische Dialog Gorgias, in welchem der Sophist Kallikles die Rechtfertigung des ›nómos‹ auf die natürliche Stärke und Konkurrenzfähigkeit stützen will,4 während Platon sie im Guten bzw. später in der Idee des Guten verankert sieht.5

Zur Kennzeichnung der Frage nach der externen Rechtfertigung von Verpflichtungen taucht nun auch zum ersten Mal der Begriff der ›Ethik‹ auf.

Dem Begriff der Ethik liegen zwei griechische Begriffe bzw. Worte zu Grunde, die sich nur im Anlaut unterscheiden: ›éthos‹ (gr. mit kurzem Epsilon), das enger Gewohnheit, Sitte, Brauch, Übung bedeutet, und ›ethos‹ (gr. mit langem Eta), das gewöhnlicher Aufenthaltsort, Wohnsitz, Standort, Heimat, dann aber auch Gewohnheit, Brauch, Sitte und schließlich Charakter, Denkweise, Sinnesart und sittliche Beschaffenheit meint.6 Bei Aristoteles findet sich soweit ersichtlich zum ersten Mal der Ausdruck ›ethische Theorie‹, ›ethikes theorías‹.7 Er spricht des Weiteren von ›ethischen Büchern‹, ›en tois ethikois‹.8 Und in der Magna Moralia, der dritten Schrift zur Ethik, die Aristoteles zugeschrieben wird, deren Autorschaft allerdings umstritten ist, taucht auch der Ausdruck ›ethische Sachen‹, ›ethiké pragmateia‹ auf.9 Aristoteles hat demnach bereits klar zwischen den in der Realität vorkommenden Normen, also in moderner Bezeichnung den tatsächlich bestehenden primären Regelungen, etwa moralischen, rechtlichen, religiösen oder politischen Normen auf der einen Seite, und der sekundären theoretischen Reflexion bzw. Begründung und Kritik dieser tatsächlich bestehenden Normen, eben der Ethik, auf der anderen Seite unterschieden. Aristoteles ist auch der erste, von dem wir mehrere zu verschiedenen, klar abgegrenzten wissenschaftlichen Disziplinen verfasste Schriften haben. Dabei ist im Titel ›theoría‹, ›pragmateía‹ oder ›téchne‹ fortgelassen, so dass die entsprechenden adjektivischen Abkürzungen dann später zur Politik, zur Physik, zur Rhetorik und eben auch der Ethik, nämlich zur Nikomachischen Ethik und Eudemischen Ethik werden konnten, und zwar als Buchtitel wie Disziplinbezeichnungen. Ob die ursprünglichen griechischen Titel in abgekürzter oder gar vollständiger Form jeweils von Aristoteles selbst stammen oder von späteren Schülern des Peripatos bzw. Herausgebern der Schriften des Aristoteles, wie Andronikos von Rhodos, hinzugefügt wurden, ist ungewiss.

Bei Cicero findet sich, soweit ersichtlich, dann zum ersten Mal das lateinische Äquivalent des Wortes ›Ethik‹: ›philosophia de moribus‹, das schließlich zu ›philosophia moralis‹ wurde.10 Der Begriff der ›Ethik‹ bzw. ›Moralphilosophie‹ steht damit seit beinahe zweitausend Jahren für eine reflektierende, in weitergehender Form dann auch wissenschaftliche Beschäftigung mit der Moral und anderen primären Sozialnormen, das heißt für eine theoretische, durchaus aber auch praktisch relevante Analyse, Kritik und Rechtfertigung tatsächlicher sozialer Regelungen. Hunderte von Kommentaren zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles und andere Werke zur Theorie der Moral bzw. des Rechts wurden seitdem als ›Ethik‹ tituliert.11

Der Neuaufbruch der Wissenschaft im 17. und 18. Jahrhundert brachte es allerdings mit sich, dass viele Autoren wie Hobbes, Locke, Descartes und Leibniz ihren moralphilosophischen Überlegungen nicht mehr den Titel ›Ethik‹ gaben. Dies geschah vermutlich, um zu verdeutlichen, dass sie ganz anders vorgehen wollten, als Aristoteles dies getan hatte. Nur Spinoza hat noch eine Ethica verfasst. Diese enthält jedoch eine umfassende Philosophie der Welt einschließlich einer Metaphysik bzw. Ontologie. Kant nennt seine Bücher zur Moralphilosophie dann nicht mehr ›Ethik‹, sondern Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Kritik der praktischen Vernunft und Metaphysik der Sitten. Allerdings beginnt er die erstgenannte Schrift mit folgenden Worten:12 »Die alte griechische Philosophie teilte sich in drei Wissenschaften ab: Die Physik, die Ethik, und die Logik. Diese Einteilung ist der Natur der Sache vollkommen angemessen, und man hat an ihr nichts zu verbessern, als nur das Prinzip derselben hinzu zu tun, um sich auf solche Art teils ihrer Vollständigkeit zu versichern, teils die notwendigen Unterabteilungen richtig bestimmen zu können.« Auch Fichte spricht nicht mehr von einer ›Ethik‹, sondern von einer ›Sittenlehre‹, und Hegel schreibt ein Buch mit dem Titel Grundlinien der Philosophie des Rechts, das unter anderem die Moral zum Gegenstand hat. Aber im 19. Jahrhundert beginnt in allen Sprachen eine Renaissance des Disziplinen- und Buchtitels ›Ethik‹, die bis heute andauert. Es war offensichtlich zu diesem Zeitpunkt klar, dass man die Theorie der Moral als Gegenstand traktieren konnte, ohne dies zwingend auf die Art und Weise des Aristoteles zu tun. Die bekanntesten deutschsprachigen Ethiken des 20. Jahrhunderts sind Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik von Max Scheler und die Ethik von Nikolai Hartmann, die...

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