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Regionale Autonomie als Folge politischer Entwicklungen in Indonesien seit 1998

AutorFrank Lutz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl106 Seiten
ISBN9783640332618
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Südasienkunde, Südostasienkunde, Note: 1,3, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem wichtigen Teilphänomen der 'otonomi daerah' - der neuen 'regionalen Autonomie' - Indonesiens, nämlich mit der Neugründung von Verwaltungseinheiten, die in den Jahren seit Ende der Soeharto-Herrschaft förmlich auszuufern schien. Den Fokus meiner Analyse lege ich auf die jeweiligen Ursachen und Beweggründe für diese Prozesse. Dabei soll ein bisher noch etwas vernachlässigter Ansatz, der über die offiziell vorherrschenden politischen, administrativen und ökonomischen Erklärungsansätze hinausgehen möchte und vor allem nach sprachlichen, kulturellen, ethnischen, religiösen und historischen Faktoren hinter der Gründung neuer administrativer Einheiten sucht, weiterverfolgt und kritisch hinterfragt werden. Anhand dreier Fallstudien, die sich mit entsprechenden Entwicklungen in den Regionen Banyumas, Tapanuli und Sulawesi Selatan (Sulsel) beschäftigen, sollen dazu die jeweiligen offiziellen Begründungsansätze der lokalen Politiker den Meinungsäußerungen aus der Bevölkerung, die sich z. B. in Internet-Foren finden, gegenübergestellt werden. 'Bhinneka Tunggal Ika' - 'Einheit in der Vielfalt' - schon aus dem Staatsmotto Indonesiens wird einer der Grundkonflikte des größten in einer Nation zusammengefassten Inselarchipels der Erde ersichtlich: Es herrscht ein Widerspruch zwischen der natürlichen Heterogenität des Landes und seinem Anspruch, einen stabilen Einheitsstaat zu bilden. Weiterhin stellt sich die Frage nach der geeigneten Verwaltungsform für ein derartiges Land. Diese Frage wurde von den meisten der bisherigen Machthaber eindeutig beantwortet: Indonesien verfügt über eine lange zentralistische Tradition. Zwischenzeitliche Bemühungen, das Land zu dezentralisieren, wurden zumeist nur halbherzig durchgeführt und blieben im Ansatz stecken. Der Sturz des Soeharto-Regimes im Jahre 1998 und die folgende Demokratisierung des Landes bildeten jedoch die bisher wohl größte Zäsur in der Geschichte des unabhängigen Indonesiens. Mehr als acht Jahre nach dem Sturz Soehartos scheint es, dass sich das Land von seinen autoritären Fesseln gelöst und sich ein stabiles demokratisches Regierungssystem etabliert hat. Dies machte auch eine umfangreiche Reform der Administration notwendig. Durch einen umfassenden Macht- und Finanztransfer auf die lokalen Verwaltungen sollte der heterogenen Landesnatur Rechnung getragen und gleichzeitig ein Auseinanderbrechen des indonesischen Nationalstaats verhindert werden.

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Leseprobe

3.   Zur Entstehung des zentralistischen Staatsaufbaus in Indonesien


 

Nachdem nun einige zentrale Begriffe geklärt worden sind, soll zunächst einmal die historische Entwicklung Indonesiens zum zentralistischen Einheitsstaat grob nachgezeichnet werden, bevor etwas ausführlicher auf die Dezentralisierungsbewegungen seit 1998 eingegangen wird.

 

3.1.  Natürliche Gegebenheiten


 

Fast in jeder Hinsicht ist Indonesien ein sehr heterogenes Land. Wie eingangs bereits erwähnt, besteht der gewaltige Archipel aus rund 13.000 Inseln, die von insgesamt mehr als 300 verschiedenen Ethnien bevölkert werden. Auf diesem riesigen Gebiet leben Angehörige aller vier Weltreligionen, unter denen die Muslime mit einem Anteil von 87 Prozent an der Gesamtbevölkerung den weitaus größten Anteil stellen. Doch bilden auch die indonesischen Muslime keinen monolithischen Block: Nur eine Minderheit unter ihnen praktiziert eine orthodoxe Form des Islam, der Glaube der meisten indonesischen Muslime ist hingegen mit hinduistischen, buddhistischen und animistischen Elementen durchsetzt (vgl. Bünte 2003b: 59f.).

 

Die geographischen, ethnologischen und religiösen Gegebenheiten Indonesiens stellen sicherlich keine idealen Voraussetzungen für die Entstehung eines Nationalstaates dar, noch weniger eines zentralistisch regierten Einheitsstaates (vgl. Bünte 2003b: 61). Dass sich dieser dennoch herausbildete, kann nur historisch begründet werden. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle zunächst ein historischer Abriss über die Entstehung des zentralistisch geführten Nationalstaats in Indonesien erfolgen.

 

3.2.  Vorkoloniale Königreiche und ihr Staatsaufbau


 

Bevor die Niederländer ab dem späten 16. Jahrhundert begannen, eine Kolonialherrschaft auf dem Gebiet des heutigen Indonesiens zu errichten, hatte es im Archipel kein Königreich gegeben, das seinen Machtbereich auf das gesamte heutige indonesische Territorium ausdehnen konnte. Dennoch hatten sich bereits in dieser Zeit Vorstellungen über einen zentralistischen Staatsaufbau herausgebildet, die bis in die heutige Zeit hineinwirken.

 

Die grenzenlosen Machtbefugnisse des Herrschers gründeten sich auf die hinduistisch-buddhistische Kosmologie.[1] Danach galt der Palast des Herrschers (kraton) als Mittelpunkt des Königreichs, der Herrscher selbst wiederum als Mittelpunkt des kraton. In der Praxis jedoch nahm die Macht des Herrschers mit zunehmender geographischer Entfernung vom kraton ab. Darum sahen sich viele der Monarchen gezwungen, zur besseren Kontrolle ihres Reiches regionale Herrscher[2] einzusetzen, die in ihren jeweiligen Regionen teilweise über beträchtliche Kompetenzen verfügten (vgl. Bünte 2003b: 61ff.). Bereits in dieser Zeit zeichnete sich also ein Konflikt zwischen dem unbeschränkten Herrschaftsanspruch der Zentralregierung und der Realität teilweise mächtiger Gegengewichte in den Regionen ab. Dieser Konflikt sollte sich – wenn auch später unter völlig veränderten Bedingungen – durch die gesamte indonesische Geschichte ziehen und von Zeit zu Zeit immer wieder neu aufflammen.

 

3.3.  Die Etablierung des Zentralismus unter der niederländischen Kolonialherrschaft


 

Der entscheidende Grundstein für die Entstehung des indonesischen Nationalstaats mit seinem heutigen Territorium und seinem zentralistischen Herrschaftssystem wurde von der niederländischen Kolonialverwaltung gelegt. Diese bemühte sich von Beginn an um den Aufbau einer stark zentralistischen Herrschaftsstruktur in ihrer Kolonie Niederländisch-Indien. Zwar gab es zwischendurch Ansätze einer Dezentralisierung, diese blieben aber für breite Teile der Bevölkerung weitgehend wirkungslos.

 

An der Spitze der Kolonialverwaltung mit Sitz in Batavia, dem späteren Jakarta, standen der Generalgouverneur und ein ausschließlich mit Europäern besetzter Rat. Auf Java bestand zusätzlich auch eine lokale Verwaltung, die mit einheimischen bupati und ihren Beamten (wedana) besetzt war, jedoch lediglich für die Implementierung der von der Kolonialverwaltung beschlossenen Maßnahmen zu sorgen hatte. Auf diese Weise setzte die niederländische Kolonialregierung den traditionellen einheimischen Adel als Mittler zwischen Kolonialverwaltung und Bevölkerung ein, um ihre Kolonie besser kontrollieren zu können.

 

Zu ersten Dezentralisierungsbemühungen kam es zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Rahmen der „ethischen Politik“. Mit dem Dezentralizatie Wet (Dezentralisierungsgesetz) von 1903 wurde eine administrative Dezentralisierung mit dem Ziel einer Effizienzsteigerung durchgeführt. Zu diesem Zweck wurde eine neue dreistufige Verwaltungsgliederung geschaffen, wobei die lokale Ebene mit mehr Aufgaben betraut wurde. Darüber hinaus begann man mit der Einrichtung von Kommunalverwaltungen und der Schaffung beratender Gremien in den kabupaten und kotamadya. Da jedoch die Mitgliedschaft in diesen Gremien lediglich der einheimischen Elite vorbehalten war, profitierte die breite Bevölkerung von diesen Reformen nicht, und die Reichweite der Dezentralisierung blieb sehr begrenzt. Ab dem Jahr 1922 unternahm die Kolonialverwaltung im Rahmen des „Gesetzes zur Regierungsreform“ (Bestuurshervormingswet) mit der Schaffung der Provinzen (propinsi; auch: provinsi) als neuer Verwaltungseinheit zwischen Zentralregierung und kabupaten einen weiteren Versuch, ihre Kolonie zu dezentralisieren. Da die Provinzoberhäupter, die Gouverneure, jedoch ausschließlich der Zentralregierung gegenüber rechenschaftspflichtig waren, verblieb diese Dezentralisierungsbewegung auf der Ebene der Dekonzentration, eine politische Dezentralisierung erfolgte in keiner Weise. Insgesamt blieb das politische System Niederländisch-Indiens stark zentralistisch. Der Grundstein für den zentralistischen Einheitsstaat Indonesien war also bereits gelegt.

 

Auch in der japanischen Besatzungszeit von 1942 bis 1945 änderte sich daran nichts, da die Provinzen abgeschafft, die repräsentativen Organe der einheimischen Bevölkerung verboten und die gesamte Verwaltung in einer strengen Hierarchie dem Besatzungsregime untergeordnet wurde (vgl. Bünte 2003a: 567f., 2003b: 64ff., Schreiner 2000: 129). 

 

3.4.  Zentralismus und Dezentralisierung im unabhängigen Indonesien bis 1998


 

Die Jahre von 1945 bis 1998 bilden insofern eine Einheit, als Indonesien die Unabhängigkeit erlangt, sich aber nicht vom zentralistischen administrativen System aus der Kolonialzeit befreit hatte. Anders als seit 1998 wurde Indonesien im angesprochenen Zeitraum fast durchgehend autoritär regiert, abgesehen von einer relativ kurzen Phase der parlamentarischen Demokratie in den 1950er Jahren. Die mangelnde Bereitschaft, ein neues administratives System zu schaffen, die gleichzeitige Diskreditierung des Föderalismusgedankens aus einer antikolonialen Gesinnung heraus (vgl. Kapitel 3.4.1. dieser Arbeit), das Machtstreben der Präsidenten Soekarno und Soeharto und die Dominanz der Javaner in Politik, Administration und Kultur schufen ein Klima, das eine umfassende Dezentralisierung des Landes jahrzehntelang nahezu unmöglich machte. Im Folgenden soll nun die zunehmende Zentralisierung Indonesiens im Zeitraum zwischen der Ausrufung der Unabhängigkeit und dem Sturz Soehartos kurz nachgezeichnet werden. 

 

3.4.1.  Die Formierung des indonesischen Staates und die Absage an den Föderalismus


 

Obwohl Indonesien am 17. August 1945 seine Unabhängigkeit erklärt hatte, versuchten die Niederländer in den folgenden Jahren ihre Kolonialherrschaft zu reetablieren. Mit militärischer Gewalt und der Installation eines föderalen Staatengebildes unter niederländischer Führung auf den Außeninseln des Archipels sollte die Regierung der jungen Republik Indonesien mit Sitz auf Java in die Knie gezwungen werden. Dieses Unterfangen scheiterte jedoch, und die niederländische Regierung sah sich gezwungen, den Vereinigten Staaten von Indonesien (RIS = Republik Indonesia Serikat) im Dezember 1949 die volle Souveränität zu übertragen. Schon 1950 löste sich diese Föderation auf, und ihre Mitgliedsstaaten traten der Republik Indonesien bei – allerdings nur unter dem ausdrücklichen Versprechen der Zentralregierung, ein dezentrales Regierungssystem zu schaffen. Der Föderalismus jedoch war als mögliches Modell, die staatliche Verwaltung zu organisieren, fortan in Verruf geraten, da er stets mit der ehemaligen niederländischen Kolonialregierung in Verbindung gebracht wurde (vgl. Bünte 2003a: 568f. , 2003b: 70f.). Aus dieser Haltung ergeben sich bis zum heutigen Tage Konsequenzen, auf die in Kapitel 4.1. dieser Arbeit noch einmal kurz eingegangen werden soll. 

 

3.4.2. Dezentralisierungsbemühungen und Rezentralisierung bis 1965


 

Da die Verwaltungsstruktur des indonesischen Staates unmittelbar auf der in der Kolonialzeit geschaffenen Administration aufbaute, war es nicht weiter verwunderlich, dass der indonesische Staat gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes von 1945 als Einheitsstaat (negara kesatuan) gegründet wurde, der „unterhalb der nationalen Ebene keine...

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