Schritt Eins: Wer bin ich?
Ich bin vierzig Jahre meines Lebens im großen Teich mit geschwommen, ich habe mich an die Spielregeln gehalten: Es war okay, aber da waren Fragen, die gingen nicht weg und da waren Ereignisse, die auch nicht weggingen.
Immer wieder dasselbe gebrochene Herz. Immer wieder dasselbe Scheitern. Warum?
Eines der unzweifelhaften Merkmale, dass du den Fluss des Lebens verlassen hast und als Schlingpflanze an einem Ast im Gebirgsbach hängst, ist die Wiederholung. Dieselben Situationen, nur andere Figuren, dieselben Dialogzeilen, nur ein anderes Thema, dasselbe Gefühl, fremd zu sein in der Welt.
Mir zum Beispiel fiel auf, dass ich in immer neuen Varianten daran scheiterte, Agenten, Lektoren, Produzenten, Intendanten und Redakteure vom besonderen Wert meiner Bücher, Theaterstücke und Drehbücher zu überzeugen. Werke, die ich mit echtem Herzblut, unter Schweiß und Tränen geschrieben hatte.
Ich hatte mich gerade mit dramatischem Getöse von dem einen Geschäftspartner getrennt und trat einen Begrüßungsbesuch bei dem nächsten an, mit dem selbstverständlich alles besser werden würde. Kurz bevor ich meine Hand auf die Klinke der Bürotür legte, entdeckte ich auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs das Firmenlogo meines Ex-Partners. Eine Niederlassung seiner Firma in einer anderen Stadt. Wenn ich damals schon die Fähigkeit besessen hätte, das Leben zu lesen, wie es Jäger und Fährtenleser tun, hätte ich begriffen, was das Leben mir sagen wollte: Du bist eine Tür weiter gekommen, und genau genommen nirgendwohin.
Es dauerte noch einmal drei Jahre, bis das Leben mir genügend Torten ins Gesicht geworfen hatte, bis ich weinte und unter Tränen begriff: Du wiederholst immer den gleichen Quark. Hör auf Schuldige zu suchen. Schau in den Spiegel.
Die Sprache der Natur – Wir können sie lernen, heute und jetzt.
Die Natur spricht eine leise Sprache, zu leise, um von uns zivilisierten Grobklötzen verstanden zu werden. Mit Grobklötzen meine ich nicht nur mich, sondern, soweit ich das als Europäerin des 21. Jahrhunderts überblicken kann, fast die ganze verdammte Spezies Mensch. Es soll in Sibirien eine Gruppe 1000 Jahre alter transformierter Wesen geben, die nehme ich aus. Abgesehen davon, führe ich zu meiner und der Entschuldigung aller an: Ich bin / Wir sind Teil eines kollektiven Phänomens: Die Zivilisation hat uns betäubt.
Den lieben langen Tag tun wir nichts anderes, als unsere reine Seele mit Lärm zu beballern und mit Illusionen zu hypnotisieren. Wir machen uns zu bedürftigen, abhängigen, wehrlosen Objekten. Sobald wir morgens aufwachen, stricken wir an unseren eigenen niederschmetternden Wirklichkeiten. Wir haben die Sprache des Lebens, des Überlebens, des Wachsens, des Überfließens, der Glückseligkeit vergessen und eine Menge Mist gelernt.
Wir beherrschen die Spielregeln des Untergangs. Wir haben nicht gelernt, was der Wind, die zitternden Blätter, der Nebel und das Schweifschlagen der Pferde uns lehren können. Wir haben nicht gelernt, was unsere Vorfahren über eine Million Jahre lang gelernt haben, sobald sie den ersten Fuß in die Welt streckten und was sie nicht aufhörten zu lernen, bis sie den letzten Blick in den Himmel warfen. Aber wir können es lernen. Heute und jetzt. Ich habe es gelernt und du kannst es lernen. Das habe ich mir mit diesem Buch zur Aufgabe gemacht.
Spurenleser werden
Ich habe es hauptsächlich von Pferden gelernt, aber letztlich ist es egal, ob du es von einer Küchenfliege, einem Löwen, einem Gebirgssturm oder deinem eigenen Körper lernst: Es ist immer die gleiche Sprache, die gleiche befreiende Weisheit. Fang nicht das Untergangsspiel an, zu glauben, jemand hätte bessere Lehrer als du. Dein bester Lehrer ist das Leben selbst.
Es beginnt mit einem feinen Hinsehen, einem noch feineren Hinhören und einem noch feineren Hinfühlen. Mein Leben begann sich grundsätzlich zu ändern, als ich genau damit begann: die Spuren zu lesen, die Zeichen zu sehen, mit der Kraft zu reiten.
Auf diesen Weg nehme ich dich mit in diesem Buch. Es war und ist mein Weg, genauso wie es deiner sein wird, wenn auch in einer ganz anderen Form. Mein Weg ist eigen und dein Weg wird eigen sein, hoffentlich. Es gibt keine zwei Wege, die sich gleichen. Allein diese Weisheit befreit uns von all den Versuchen, uns gleichmachen zu wollen, es anderen nachmachen zu wollen oder den Versuchen, so gut oder schlecht wie ein anderer zu sein.
Auch wenn jeder seinen eigenen Weg geht, habe ich doch in den vielen Workshops und Trainings, in denen ich Menschen auf ihren Reisen begleitet habe, so viel von der Gesetzmäßigkeit der Reise gelernt, dass ich mit einiger Gelassenheit sagen kann: Ich kenne den Weg. Ich kann dich begleiten auf deiner Reise, wie auch immer sie aussehen mag.
Wer bist du?
Mit dieser Frage beginnt alles.
Eine Frage, die ich mir nie wirklich gestellt hatte. Ich war ein Mensch mit einer Körpergröße, einer Bekleidungsgröße, einem Intelligenzquotienten, ich wusste, wie lange ich brauchte, um ein Jogurt auszulöffeln, ich hatte mir meine Lieblingsrollen im Drehbuch des Lebens ausgesucht: Mutter, Geliebte, Autorin, spirituelle Lehrerin, Freundin, Pferdebesitzerin. Aber was war meine Essenz? Hätte ich die Frage früher gestellt, hätte ich mir viele Wiederholungen ersparen können.
Freibeuterin der Meere
Ich hätte zum Beispiel erkannt, dass mein Hunger nach Freiheit und Selbstbestimmung so groß ist, dass niemand mir sagen darf, was ich tun soll, darf oder muss oder nicht tun soll, darf, muss. Ich muss mit jedem Atemzug selbst bestimmen können, wo sich meine Gedanken oder Füße hinbewegen. Wenn nicht, werde ich verstockt, manipulativ und unausstehlich. Ich breche notorisch aus Gefängnissen aus. Wobei die Frage, was und wer ein Gefängnis ist, allein von mir bestimmt wird. Nicht selten bin ich selbst das Gefängnis. Anpassung hat bei mir eine kurze Verfallszeit. Jetzt, wo ich es weiß und danach handle, erlebe ich keine Wiederholungen mehr, sondern stets neue Abenteuer, wie es sich für eine echte Piratin gehört.
Die Frage „Wer bin ich?“ ist eine grundlegende Frage, die weitreichende Folgen hat. Leider wird sie selten gestellt, was noch weitreichendere Folgen hat.
Hätte ich mich deutlicher gefragt, wer ich bin, hätte ich auch bemerkt, dass in mir ein gnadenloser Henker am Werk ist, ein hohes Gericht, ein innerer Kritiker, ein alles zerfleischender Zweifler, ein Nörgler und Miesmacher, ein Buchhalter, der alle meine Untaten auflistet und keine Entschuldigungen akzeptiert. Ich muss bisweilen unausstehlich sein für andere – und es ist mir nicht einmal bewusst. Ich merke es erst, wenn sie mir die Haare ausreißen.
Wir sind schon mitten im Wespennest des Blickes in den eigenen Spiegel gelandet. Dieselben Eigenschaften habe ich festgestellt, die unsere besondere Begabung ausmachen, sind auch die Klippen, hinter denen der Abgrund lauert. Ich bin eine Künstlerin – eine Schriftstellerin, eine Pferdefrau und als solche muss ich vollkommen selbstbestimmt, wild und unabhängig sein. Immer auf der Flucht vor jenen, die mich einsperren wollen. Ich bin eine Schriftstellerin und ich brauche Selbstkritik, Buchhaltergeist, Präzision des Wortes, nur zuweilen gehen sie mit mir durch und ich zerstöre das, was ich besonders gut machen wollte. Eine andere Fähigkeit, um noch ein Beispiel zu nennen, ist Einfühlungsvermögen. Auch diese Fähigkeit brauche ich in hohem Maße, um mich in Figuren aus Büchern und in Menschen, die ich begleite, und in Pferde hineinversetzen zu können. Auch sie kann mir zum Verhängnis werden: Ich vergesse mich selbst und bin jemand anderes. Ich verliere meine Grenzen, und das ist für keinen der Beteiligten schön. Dies alles gilt für mich. Für dich gelten ganz andere Eigenschaften und Bedürfnisse.
Hier beginnt deine Reise, deine erste Aufgabe auf dem Weg des Helden, der Heldin. Denn das ist dein Weg: Herausforderungen zu meistern und den Dämonen ins Auge zu blicken, um deine Kraft zu finden.
Deine Aufgabe 1
Notiere spontan und ohne lange zu überlegen, drei Eigenschaften, die dich zum Scheitern bringen, mit denen du immer wieder bei deinen Mitmenschen aneckst.
(Notiere nun alles auf einem Block oder im Roadmap) |
Und jetzt notiere drei Eigenschaften, auf die du stolz bist. Die dich besonders auszeichnen, die dich erfolgreich sein lassen.
(Notiere nun alles auf einem Block oder im Roadmap) |
Ja, ich weiß, das mit dem Stolz ist schwierig für uns, denn wir sind ja bescheiden, wir wollen nicht auffallen und keinesfalls als Angeber gelten. Aber hast du dir schon einmal deinen Hund oder den deines Nachbarn angeschaut, wenn er auf dem Höhepunkt seines Erfolgs ist, oder ein Pferd, dem der Wind in die Mähne bläst? Sie sind stolz. Weil Stolz, im Gegensatz zu narzisstischer Selbstbefriedigung, der Ausdruck unserer Kraft und Schönheit ist.
Stärken und Schwächen
Wenn wir uns nach unseren Stärken fragen, werden die Schwächen gleich mitgeliefert. Oft fallen sie uns schneller ein als unsere Stärken. Sie scheinen offensichtlicher zu sein und sie führen zu den vermaledeiten Wiederholungen. Daran ist nichts Verwerfliches. Selbstkritik in der richtigen Dosis ist eine untergehende Tugend, die dringend wiederbelebt werden muss. Auf dem Weg der Naturweisheit geht es darum, Schwächen und Stärken als Spiel von Energie wahrzunehmen. Es geht...