Der Islam – ein kurzer Abriss
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Kuppellandschaft im Iran
Der Islam umfasst mehr als 14 Jahrhunderte Geschichte, geschätzte 1,6 Milliarden Menschen und vielfältige religiöse und kulturelle Traditionen. Ausgehend von seinem Ursprungsland auf der arabischen Halbinsel hat sich der Islam auf der ganzen Welt ausgebreitet; besonders präsent ist er im Nahen und Mittleren Osten, in Nordafrika und im Afrika südlich der Sahara, in Süd- und Zentralasien und mit Indonesien und Malaysia in der Region Südostasien. Er vermittelt dem Leben seiner Anhänger einen Sinn und hat die Menschen unterschiedlicher Länder und unterschiedlichen Ursprungs gelehrt, wie Brüder und Schwestern miteinander zu leben. Er hat eine Zivilisation hervorgebracht, die durch ihre Errungenschaften die ganze Menschheit bereichert hat. Im Namen dieser Religion (wie auch anderer) werden leider auch Hass und Gewalt verbreitet; auch diese Facette gehört zu einer der großen Religionen unserer Welt.
Die Entstehung des Islam
Der Prophet Muhammad wird von den Muslimen als Gesandter Gottes verehrt und als Vorbild und gutes Beispiel in allen Belangen des Lebens betrachtet. Er wurde um das Jahr 570 in der Handelsstadt Mekka geboren. Bis zu seinem 40. Lebensjahr führte er das Leben eines Händlers und zog mit Karawanen durch Arabien. Im Jahr 610 hatte er auf einem Berg nahe Mekka eine göttliche Erscheinung: Der Erzengel Gabriel verkündete ihm dort den Willen Allahs, des alleinigen Gottes. Der Händler Muhammad verstand sich nach diesem einschneidenden Ereignis als Prophet und predigte die neue Botschaft. Bis zu seinem Tod im Jahr 632 empfing er Offenbarungen durch den Erzengel Gabriel, die später im Koran zusammengestellt wurden. Zunächst verbreitet Muhammad seine Lehre nur in seiner Heimatstadt Mekka. Diejenigen, die den neuen Glauben annehmen, heißen später „Muslime“ – die „sich Gott Unterwerfenden“. Er wird mit seinen Lehren und Taten zum Begründer einer neuen Religion, des Islam. Aufgrund von machtpolitischen Auseinandersetzungen der vorherrschenden arabischen Stämme sind Muhammad und seine Gefährten in der Heimatstadt Mekka bedroht. Einige der vorherrschenden Gruppen aus Medina sind sowohl religiös als auch politisch von Muhammad überzeugt und bieten ihm Asyl an. Mit der hidschra, der Auswanderung des Propheten von Mekka nach Medina, beginnt die Zeitrechnung der Muslime. Im Jahr 621 wird Jathrib, die Stadt des Exils, zu Medina, der Stadt des Propheten. 632 stirbt Muhammad im Haus seiner Frau Aischa, deren Vater, Abu Bakr, zu seinem ersten Nachfolger gewählt wird.
Der Koran
Der Koran, das aus islamischer Sicht unumstößliche und unveränderliche Wort Gottes, ist die Grundlage des Islam und baut religionsgeschichtlich auf den heiligen Büchern der monotheistischen Religionen der Juden und Christen (Thora und Bibel) auf. Die Offenbarung des Korans erstreckte sich über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten.
Die Sammlung der Verkündigungen Muhammads wurde um 650 erstmals in eine verbindliche Fassung gebracht. Das heilige Buch wurde von Osman, dem dritten Kalifen und Nachfolger Muhammads, aufgezeichnet. Anders als die Bibel, die man auch als Geschichtswerk lesen kann, gilt der Koran allein als Gottes Offenbarung. Der Koran enthält Richtlinien und Anordnungen für das tägliche Leben und die gesellschaftliche Ordnung. Nicht nur der wörtliche Inhalt des Korans hat für die Gemeinde der Gläubigen höchste Bedeutung, sondern auch die korrekte Rezitation der Suren in der arabischen Originalsprache. Die wohlklingende Wiedergabe soll magische Wirkung haben und das Hören und Rezitieren der Suren gilt als verdienstvolle Beschäftigung. Der Koran als Buch wird von den Gläubigen besonders pfleglich behandelt und in Ehren gehalten. In vielen Haushalten wird er, in ein schönes Tuch gewickelt, an einem hoch gelegenen Ort aufbewahrt, damit kein anderes Buch „über ihm steht“. Verunglimpfungen des Korans können als Gotteslästerung geahndet und hart bestraft werden.
Das Erbe des Propheten
Der Koran ist die Manifestation des Wortes Gottes, bietet aber nicht genug Informationen, um alle Belange des Lebens zu regeln. Schon die Gläubigen der Frühzeit benötigten neben dem Koran weitere Quellen, auf die sie bei ungeklärten Fragen zurückgreifen konnten. Im Lauf der Jahrhunderte kamen weitere überlieferte Berichte über das, was der Prophet Muhammad gesagt, getan und gebilligt hatte, hinzu, die als „hadi-the“ (wörtlich: Gespräch, Mitteilung) bezeichnet werden. Die Gesamtheit der hadithe bildet die sunna (wörtlich: Brauch, Tradition). Diese Schriftensammlung dokumentiert das Leben des Propheten und empfiehlt den Gläubigen, sich am Vorbild des Propheten zu orientieren. Die Anordnungen über die religiösen Pflichten sowie ein Großteil der Scharia, des islamischen Strafrechts, lassen sich sowohl aus dem Koran als auch aus der sunna ableiten. Viele der hadithe waren allerdings gefälscht oder neu erfunden und mussten geprüft und bewertet werden. Bei jedem hadith musste festgestellt werden, ob sich die Kette der Überlieferer lückenlos bis zu Muhammad oder dem Kreis seiner Vertrauten zurückverfolgen ließ. Der Gelehrte Bukhari, der im 9. Jahrhundert lebte, soll 60.000 hadithe auf ihre Echtheit überprüft und 7000 als authentisch beurteilt haben. Die Hadith-Sammlung von Bukhari stellt die bedeutendste und bekannteste dar. Weite Teile der sunnitischen Rechtsprechung basieren auf Bukharis Zusammenstellung. Lassen sich neu entstehende Probleme nicht mit Koran und sunna allein lösen, können Konsens und Analogieschluss zu Hilfe genommen werden. Der Konsens ist ein von den Rechtsgelehrten gemeinschaftlich gefundenes Urteil zu bestimmten Fragen der Rechtsprechung. Bei der Anwendung des Analogieschlusses wird von einem im Koran oder der sunna behandelten Fall auf einen ähnlich gelagerten geschlossen. Ein oft genanntes Beispiel ist das in beiden Schriften festgehaltene Verbot des Weingenusses – im Analogieschluss wird das Verbot auf alle alkoholischen Getränke ausgeweitet. An der Frage, ob ein Konsens als Mittel der Rechtsfindung zulässig ist, entzweien sich die vier sunnitischen Rechtsschulen. Malikiten, Schafiiten, Hanafiten und Hanbaliten stehen aber trotzdem gleichberechtigt nebeneinander (zu den anderen Rechtsschulen siehe die entsprechenden Einträge im Glossar). Die Scharia („was vorgeschrieben ist“) ist das islamische Religionsgesetz und basiert auf den in Koran und sunna festgelegten Vorschriften. Sie ist der Wegweiser, mit dem die Gläubigen zu einem Leben im Sinne des Islam gelangen können. Sie wurde über drei Jahrhunderte hinweg von muslimischen Theologen und Rechtsgelehrten entwickelt. Entscheidungen zu Einzelfragen wurden zu größeren Sachgebieten zusammengefasst (eingeteilt in Ehe, Scheidung, kriegerische Auseinandersetzungen usw.). Als Fallsammlungen wurden sie in umfassenden Rechtskompendien schriftlich niedergelegt. Das islamische Recht gilt für alle Lebensbereiche und schließt ausdrücklich auch Fragen der Moral mit ein. Die rechtskundigen Gelehrten können großen Einfluss ausüben, weil in ihren Verantwortungsbereich sowohl große politische Entscheidungen als auch intimste Handlungen, Verbrechen und Fragen des alltäglichen Lebens fallen. Da die Scharia nicht von Herrschern oder staatlichen Autoritäten entwickelt wurde, hat sie in den Bereichen Staat, Verwaltung und Finanzen wenig Aussagekraft. Ihr Schwerpunkt liegt auf den Bereichen des Alltags- und Familienlebens, der Religionsausübung und den Traditionen. Die Scharia ist weder ein kodifiziertes Gesetzbuch noch ein Katalog von harten Strafen. Sie ist ein Gebilde, dessen Regeln je nach Rechtsschule variieren und das von den Rechtsgelehrten ständig erweitert wird. Im Lauf der Jahrhunderte stellten sich den Gläubigen und Rechtsgelehrten immer neue Fragen – waren es in den Anfangszeiten des Islam Themen, die sich beispielsweise um den Karawanenhandel und Tributzahlungen drehten, können es heute ganz aktuelle Themen sein wie die Einhaltung von Fastenzeiten im Ramadan in Ländern, in denen im Sommer die Sonne nicht untergeht, die Nutzung der Gentechnik oder Bekleidungsregeln für muslimische Mädchen im Sportunterricht.
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Florale Ornamente statt Bilder, hier in Isfahan (Iran)
Auch das Strafmaß der Scharia richtet sich zum größten Teil nach den in Koran und sunna beschriebenen Bestrafungen – es ist gottgegeben und verbindlich. Bei Ehebruch z. B. droht Verheirateten die Steinigung. Einem Dieb ist die rechte Hand abzuschlagen und auf...