Dem Fremden auf Java fallen besonders die Masse Chinesen auf, die überall als Krämer die Straßen durchziehen, in kleinen Kaufläden sitzen, in allen offenen Werkstätten hämmern und feilen, schneidern und schustern, ja auch in ihren Cabriolets, mit Malayischen Kutschern und Bedienten, reich aber stets in ihre Nationaltracht gekleidet, durch die Straßen fahren. Diese Nationaltracht ist übrigens bei ihnen nicht etwa, wie der Zopf, eine Nationaltugend, der sie sich nicht aus eigenem Willen entschlagen möchten, sondern sie sind von der Holländischen Regierung genöthigt, dieselbe beizubehalten. Vor einigen Jahren hatten sie sich nämlich einmal europäisiren wollen, es war ihnen das aber nicht gestattet worden; den Frack und Zopf haben sich die Europäer als ausschließliche Vorrechte vorbehalten.
Die Chinesen sind nun allerdings durch die ganze Stadt zerstreut – was nämlich den Geschäftstheil derselben betrifft, und wo des ungesunden Klimas wegen, gar keine Europäer oder doch nur sehr wenige wohnen und schlafen – ihren Hauptsitz haben sie aber in dem sogenannten Chinesischen Viertel, das ausschließlich von ihnen bewohnt wird, und das wahrlich eher einem Bienenkorbe, als irgend etwas anderem gleicht. Sobald man nur, vom kali besaar aus über die Brücke tritt, beginnen schon die Chinesischen Kaufläden, und dicht gedrängt, in kleinen niedrigen, schmutzigen Buden, jede mit ihrem Götzenbild und mit Lampen und Weihrauchgefäßen verziert, kauert Händler an Händler. Besondere Theile dieses Viertels sind dabei wieder besonderen Handwerken gewidmet; in einem Theile sind die Färber, in einem andern die Lakirer, hier die Korbflechter, da die Schmiede, dort die Zimmerleute. Nur die Schuster und Schneider, wie auch Kunstfeuerwerker, die bei den Chinesen eine sehr bedeutende Rolle spielen, sind überall herum zerstreut, da sie auch zugleich mit ihrem Geschäft gewöhnlich einen kleinen Laden verbinden.
In diesen Läden findet man Alles, was man sich nur denken kann, und die Chinesen sind auch in der That, einige sehr wenige Europäische Handlungen in der Stadt selber ausgenommen, die einzigen Detailhändler, Mäkler, Krämer etc. Kurze und lange Waaren, Eisen- und Flechtwerk, Produkte, Ausschnitt- und Modewaaren, Schuhe und Schirme, Tabak- und Theehandlungen, Apotheken und Droguerien etc., eins steht im bunten Gemisch neben dem anderen. In eben dieser Art durchkreuzen sich die winkligen engen Straßen, die überall von schmutzigen Canälen durchschnitten werden, und sich einander so gleich sehen, daß sich der Fremde leicht in ihnen verirren kann; und dazwischen wimmelt und schwärmt ein geschäftiges, fleißiges, unermüdliches Volk, und es summt und schwirrt, hämmert, schmiedet, rasselt, saust und klingt vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein, über dem fleißigen, unermüdlichen Viertel dieser wunderlichen Stadt, in einer Stadt, dem lautern Räderwerke menschlichen Fleißes und Schaffens.
Die Chinesen sind jedenfalls das industriöseste Volk das ich je gesehen, und sie haben, was ihren Handel und ihr Handeln anbetrifft, ungemeine Aehnlichkeit mit unseren europäischen Juden. Ein chinesischer Krämer ist nie außer Fassung zu bringen, und wer ihm einmal ein Gebot gethan, muß auch von ihm kaufen. Dabei schlagen sie entsetzlich vor – es ist äußerst gefährlich selbst die Hälfte des Geforderten zu bieten, denn der Bietende setzt sich dem aus, daß er sich auf einmal und zwar ganz unerwartet als überraschter Eigenthümer einer Sache findet, die zu kaufen er vor wenigen Augenblicken noch kaum einen Gedanken hatte. Ich habe Sachen, die ich nicht haben wollte, und auf die ich, um nur mein Umherschauen im Laden in etwas zu entschuldigen, ein Drittheil des Geforderten bot, wohl oder übel mit fortnehmen müssen, und glaube ich bin doch noch geprellt worden.
Sie lassen sich keine Mühe verdrießen ihre Waaren an den Mann zu bringen, und laufen mit ihren Lasten bis in die entferntesten Theile der Stadt. Dabei haben sie aber das, als unendlichen Vorzug vor unseren Juden voraus, daß sie sich keiner Arbeit scheuen, und da wo sie nicht mit Handeln durchkommen, mit eben solchem Eifer, eben solcher Ausdauer zu Hammer, und Ambos, zu Nadel oder Ahle greifen, – worin sie eine Geschicklichkeit entwickeln, in der sie sicherlich von keinem Volke der Welt übertroffen worden. Das thut der Jude, besonders der deutsche, nicht. Auf dem Schiffe auf welchem ich zum ersten Mal nach Nordamerika überfuhr, befanden sich eine große Menge auswandernder Juden, und die meisten von diesen hatten in Deutschland, wahrscheinlich durch Verhältnisse gezwungen, ein Handwerk gelernt – Handwerke bei deren Ausübung sie sich dabei in Amerika, mit nur mäßigem Fleiß hätten eine sichere Existenz gründen können; aber ich weiß von allen denen auch nicht einen einzigen, der bei seinem Handwerk geblieben wäre, und nicht die erste sich ihm bietende Gelegenheit benutzt hätte, zum ewigen Handel und Schacher zu greifen. Sie ließen sich dabei keine Mühe verdrießen, das muß man ihnen lassen, und ich bin Manchem von ihnen begegnet, der ein schweres schweres Bündel auf dem Rücken durch's Land keuchte, aber lieber das, als die leichteste und nur stete Arbeit thun, und dabei dem unwiderstehlichen Reiz des »Profitchens« entsagen.
– Es ist das eine eigene Naturgabe. –
Mir lag besonders daran, in dem chinesischen Viertel einige chinesische Eigenthümlichkeiten aufzufinden; nichts war aber, wunderbarer Weise, gerade schwieriger als das, denn in fast allen chinesischen Läden fand man nur sehr wenige chinesische Waaren und das meiste bestand aus eingeführten europäischen Gütern. Europäische Porcellanfiguren, Nippsachen, Schirme, Schmuck, Tücher, Kästchen, Lithographien, Cattunen etc. Sogar Eisele und Beisele, wie sie sich über die Leipziger Butterbemmen freuen, standen einsam und trostlos in einer dieser chinesischen Buden und über ihnen hingen chinesische Papierschirme und neben ihnen standen Theekisten und Tuschkästchen – armer Eisele und Beisele, wo seyd ihr nicht überall hingekommen. Das Komischste von der Sache war, daß sie dem Chinesen, der sie mit Wohlgefallen betrachtete, keineswegs Fremde waren, und auf meine, anscheinend unschuldige Frage nach ihnen – ich verleugnete den Baron mit seinem Hofmeister, und der Hahn krähte nicht – antwortete er freundlich – »Eisele – Beisele.« »Bagoes« setzte er dann empfehlend und mit gutmüthiger Zopfbewegung hinzu.
Chinesisches Steingut, Thee, Tusche, Papier, Papierschirme, weiße Schminke und einige chinesische Hausmittel sind fast das einzige, was man wirklich ächt in diesen Läden bekommt, alles andere ist europäisch oder im Lande selbst gefertigt.
Interessant für den Fremden sollten die chinesischen Pasar oder Marktabende seyn, und einer der jungen Deutschen in Batavia war freundlich genug, mich dorthin zu führen, da ich im Anfang noch nicht bekannt genug war, meinen Weg in dem Gewirr von Straßen Nachts allein zu finden. Wir fuhren etwa um neun Uhr vom Hotel fort, und ließen den Wagen, im chinesischen Viertel angekommen, am Marktplatz halten, von wo uns schon wüste lärmende Musik und Singen und Schreien, Cymbel-, Pauken- und Gongschlagen und das wunderbar ängstliche Kreischen der Spielenden entgegentönte.
Mitten auf dem Marktplatz war ein hohes bedecktes Bambusgerüst, eine Art großen offenen Taubenschlags, errichtet, der von einigen stammenden Oellampen – d. h. Schalen voll Oel, in denen breitmächtige Dochte flackerten – erleuchtet wurde. Das Orchester – eine wunderliche Bande von Spektakelmachern – saß oben mit darin, an den Seitenwänden des Theaters, das sich keiner Coulissen, sondern hinten nur zweier »Abgänge« erfreute, und auf der Bühne selbst stand eine Art Tisch oder Altar und ein paar Kästen mit alten Kostümen und Bärten, aus denen die Schauspieler, den Rücken dem Publikum zugewendet, und oft noch immer in dem Geist ihrer letztgehaltenen Reden fortgesticulirend, während dem Spiele selbst ihre Kleider wechselten; eine ungeheuere Zeitersparniß, die wirklich auf deutschen Bühnen nachgeahmt zu werden verdiente, wo die Damen besonders manchmal oft unverhältnißmäßig viel Zeit zum Umkleiden brauchen.
Den Raum zwischen den einzelnen Musikern, den Wänden des Theaters, dem Hintergrund und den Lampen füllte eine staunende glückliche Masse jugendlichen Publikums aus, das an den Pfosten hinaufgeklettert seyn mußte, um den vollen Genuß der selbst in der Ferne betäubenden Musik und des ohrenzerreißenden Gekreisches in nächster Nähe zu haben.
Die Schauspieler, von denen ich noch bis auf den heutigen Tag nicht weiß, ob es Männer oder Frauen waren, denn die Gestalten verriethen das erste und die Stimmen das zweite Geschlecht, figurirten in altchinesischen und tartarischen Trachten auf dem Gestell herum, schlugen mit Stöcken und hölzernen Schwertern auf eine höchst leichtsinnige und armverdrehende Weise um sich, und schrien sich dabei die unglaublichsten Dinge und zwar mit einer Stimme in die Ohren, als ob sie über den Niagarafall hätten hinüberbrüllen wollen. Fast alle waren weiß geschminkt, und ihre Hauptkunst schien in einem fortwährenden ununterbrochenen Armverdrehen und in der Grundbedingung zu bestehen, ihre Körper wie Glieder auch nicht für eine Sekunde ruhig zu halten. Man wurde förmlich seekrank, wenn man sich die abenteuerlichen Gestalten, an denen man weder Geschlecht noch Form erkennen konnte, wie trunkene Kreisel...