Kapitel 1
Reiten lernen und lehren
Einführung in einen neuen Weg
Die Wurzeln der Tellington-Methode reichen bis in die 1960er Jahre zurück, als mein erster Mann Wentworth Tellington und ich die »Pacific Coast Equestrian Research Farm and School of Horsemanship« in Badger, Kalifornien, gründeten. Dort wurde unter anderem ein neun Monate dauerndes Trainingsprogramm für Reitlehrer angeboten, die zwischen 1964 und 1974 aus neun Ländern zu uns kamen.
Zu dieser Zeit schrieben wir auch gleichzeitig Kolumnen für viele verschiedene Pferdezeitschriften und verschickten unseren Newsletter in 22 Länder.
1974 schloss ich die Horsemanship-Schule in Kalifornien und begann in Europa und den USA zu reisen und die Tellington-Methode zu unterrichten. Seitdem bin ich ständig unterwegs, um diese Arbeit zu verbreiten. Ich fühle mich reich gesegnet, dass ich 19 Bücher, die in 13 Sprachen übersetzt wurden, veröffentlicht und 20 DVDs produziert habe, die meine Methode veranschaulichen. Darunter ist auch ein Video (TTouch für Dressurpferde, 1995) mit Klaus Balkenhol und Nicole Uphoff, das sich speziell an Dressurpferde und Dressurreiterinnen wendet.
Meine Erfahrungen
Ich habe schon lange einen Bezug zum Dressurreiten. In den 1960er Jahren war ich Gründungsmitglied der »California Dressage Society« und hatte das große Glück, Anfang der 1970er Jahre in Kalifornien Zeit mit Alois Podhajsky zu verbringen, dem ehemaligen Leiter der Spanischen Hofreitschule und Autor des Klassikers »Meine Lehrmeister, die Pferde« (Kosmos, 2001). Damals arbeitete er mit Kyra Downton zusammen, die mit »Kadett« die Vereinigten Staaten bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko vertrat. Dort war sie die am höchsten platzierte amerikanische Reiterin und führte ihr Team im Finale auf den achten Platz.
Das ist umso bemerkenswerter angesichts der Tatsache, dass Dressurreiten in den 1960er Jahren in den USA nicht besonders populär war: Die Kavallerie war aufgelöst worden und die »United States Dressage Federation« (USDF) wurde erst 1973 gegründet.
Als junge Reiterin war ich fasziniert von den Trainingsmethoden des französischen Reitmeisters James Fillis und von seinem Buch »Grundsätze der Dressur und Reitkunst«. Ich studierte die Klassiker und hatte das Glück, bei Hermann Friedlander zu reiten und von ihm die Kunst des Richtens zu lernen. Ich habe mit einigen der besten Dressurreiter der Welt in Ställen und Reithallen rund um den Globus gearbeitet.
Ich hatte die Ehre, Grand-Prix-Pferde zu reiten, und die Freude, die Lektionen der Hohen Schule zu absolvieren. Trotz meiner Erfahrung weiß ich, dass andere diese Lektionen sehr viel besser erklären können. Ich möchte Ihnen eine neue Art des Lernen und des Lehrens aufzeigen und Ihnen so schlussendlich helfen, Wissen aufzunehmen, während Sie Ihren Weg als Dressurreiterin gehen und dieses Wissen immer besser im Training Ihres Pferdes einsetzen können.
Meine Methode lässt sich gleichermaßen auf das Unterrichten von Vorhandwendungen wie von Einerwechseln anwenden. Sie eignet sich für ein Pferd in der Grundausbildung wie für ein Turnierpferd im Grand Prix St. Georges. Sie ist wie eine neue Brille, durch die man die Welt der Dressurwettkämpfe und des Dressurtrainings betrachtet.
Ich hoffe, dass sie eine Welle von glücklichen, zufriedenen, international auf höchstem Niveau startenden Pferden hervorbringen wird. In dieser neuen Welt, so stelle ich mir vor, werden die Resultate im Viereck nur so gut sein wie die Methoden, mit denen man sie erreicht, und wird die Kommunikation mit dem Pferd genauso großzügig belohnt wie Gehorsam gegenüber dem Gebiss.
Vergangene Trends in der Dressur – vor allem im Sport – haben mich sehr verwirrt. Es ist klar, dass ein neuer Weg nötig ist, um Höchstleistungen zu erbringen, ohne das Wohlbefinden des Pferdes oder die Integrität des Sports zu opfern. Dieses Buch ist deshalb das Ergebnis meines Abwägens und Ringens mit dem Zustand vieler Dressurpferde heute, die ich in Ställen, Trainingsanlagen und Reithallen weltweit gesehen habe.
In der Spanischen Hofreitschule
1985 unterrichtete ich ein Seminar für die Bereiter der Spanischen Hofreitschule im Privatstall von Arthur Kottas, dem damaligen Oberbereiter. Wenige Tage zuvor war ein Vollblüter, ein Springpferd zur Dressurausbildung in den Stall gekommen. Der Wallach war angespannt, und Arthur war neugierig, was ich mit dem Pferd machen würde.
Ich demonstrierte TTouches wie den Ohren-TTouch, den Aufgerollte Python-TTouch, um Vertrauen aufzubauen und Entspannung zu erreichen. Danach habe ich das Pferd geritten.
Anmerkung: Alle TTouches sowie die Übungen aus der Bodenarbeit und dem Reiten sind kurz in der Übersicht ab hier beschrieben. Sie sind ausführlicher in meinem Buch »Tellington Training für Pferde, Das große Lehr- und Praxisbuch« erklärt und beschrieben.
Der Wallach trug den Kopf hoch und war verspannt. Um ihn ins Gleichgewicht zu bringen, verwendete ich den Balancezügel und übte die von mir sogenannten »Halben Schritte«. Mit hoher Hand, eine Haltung, die ich von einem System, das sie im »Cadre Noir« in Saumur, Frankreich, verwenden, übernommen habe, forderte ich den Wallach auf, halb so lange Schritte wie normalerweise zu machen.
Nach sechs oder sieben so verkürzten Schritten, senkte ich meine Hände und ließ die Zügel durch meine Finger gleiten. Das Pferd senkte seinen Kopf, machte seinen Hals lang und den Rücken weich. Seine Schritte wurden lang und rhythmisch.
Ein pensionierter Reiter der Spanischen Hofreitschule, der am Seminar teilnahm, kommentierte: »Dieser verkürzte Schritt war früher als der »Dritte Schritt« bekannt.« Er sagte, dass diese Übung »verloren gegangen« sei. (Im Lauf der Zeit habe ich diesen Dritten Schritt in Kombination mit dem Balancezügel wie oben beschrieben bei vielen angespannten Pferden erfolgreich eingesetzt.)
Der damals erst kürzlich pensionierte Leiter der Spanischen Hofreitschule, Brigadier General Kurt Albrecht, nahm an einem meiner Kurse in Österreich teil. Ich traf ihn anschließend zwei Wochen später auf einem Dressurturnier, wo er als Richter fungierte. Er erzählte mir, dass er »beeindruckt« sei, begeistert und jedem von der Tellington-Methode »vorschwärmte«. Ich war hocherfreut!
Dressurpferde heute
Zuschauer und Liebhaber des Dressurreitens sind enttäuscht und desillusioniert. Im Zuge einer immer größeren Online-Gemeinschaft gab und gibt es einen konstanten Strom von Gesprächen und Diskussionen. Wir haben es aus vielen Quellen gehört, von Top-Experten und beunruhigten Zuschauern. Wir fangen an zu verstehen, dass LDR (»low, deep and round«), Rollkur (Hyperflexion), »blaue Zungen«, blutiger Schaum und andere »Nebenwirkungen« dieser und anderer Trainingsmethoden unakzeptabel sind, grässlich und manchmal – wenn nicht meistens – grausam. Ich habe viele unglückliche Dressurpferde gesehen, die in Hyperflexion geritten wurden, obwohl einige Tierärzte und Wissenschaftler sagen, dass die Luftwege des Pferdes in dieser Position eingeengt werden (was die »Fédération Equestre Internationale« = FEI zugibt) und dass der Stress, dem ein Fluchttier ausgesetzt ist, wenn es nicht sehen kann (was bei einem Pferd in Hyperflexion der Fall ist) erheblich und schädlich ist.
Zusätzlich sind Fragen offen, ob diese Position zu neurologischen Problemen führen kann, zu Verletzungen, die eine Karriere beenden und zu früher Arthrose. Meiner Erfahrung nach leiden diese Pferde signifikant häufiger an Schmerzen – besonders im Hals, Rücken und den Hinterbeinen bis hinunter zu Sprunggelenk und Hufen –, ganz abgesehen von den psychischen Qualen, die eine weitere (negative) Anspannung im Körper erzeugen und so das Unwohlsein verstärken.
Trotzdem wurde noch nicht genug getan, um eine weitere Verbreitung dieser Techniken zu verhindern. Während die Rollkur (Hyperflexion) inzwischen von der FEI als aggressive Form des Reitens eingestuft wird, die Gewalt anwendet und deshalb eine unakzeptable Trainingsmethode darstellt, wurde sie, was meiner Meinung nach dieselbe abnormale Position darstellt, unter dem Namen »LDR« als akzeptabel eingestuft.
Die Ausbreitung solcher Trainingspraktiken ist nicht unbedingt den durchschnittlichen Dressurreiterinnen anzulasten. Viele von ihnen sind von Trainern und Professionellen abhängig, die viel mehr wissen, um ihnen durch das Labyrinth der Dressurtheorie und der vielen Unterstützungsmöglichkeiten zu helfen.
Es liegt in der Verantwortung derer, die sowohl verstehen, wie Pferde empfinden, als auch, wie man wunderschönes Horsemanship im Gleichgewicht durch innovative Trainingsmethoden und nicht durch Zwang erreicht.
Obwohl ich mich in den siebziger Jahren aus dem wettkampfmäßigen Dressursport zurückgezogen habe, verfeinere ich meine Fähigkeit, mit Pferden auf jedem Niveau zu kommunizieren. Ich habe viel darüber nachgedacht, was heute anders als gestern ist und was morgen anders als heute sein sollte. Die Ergebnisse dieses Forschens werde ich auf den folgenden Seiten mit Ihnen teilen.
Etwas, das größer ist
Dieses Buch soll als Anschauungsmaterial für einen neuen Weg, mit Brillanz und Balance zu reiten, dienen und eine Trainingsmethode vorstellen, die Ihrem Pferd genauso viel Spaß macht wie Ihnen – der Reiterin oder dem Reiter. Durch den thematischen Gebrauch der Farben und ein Erforschen der Idee des »Mind Mapping« (siehe hier und hier) soll es sowohl Ihre linke als auch Ihre rechte Hirnhälfte ansprechen.
Es soll umsichtige Kritik gegenüber heute...