2. Kulturtheorien
Anknüpfend an die Erläuterungen der wichtigsten Begriffe in Kapitel 1, beschäftige ich mich im Zuge dieses Kapitels mit drei verschiedenen Kulturtheorien. Diese sind meiner Auffassung nach die wichtigsten Theorien für die Integrationsdebatte. Das neuere Modell der „Transdifferenz“ so wie andere Konzepte beziehe ich nicht in meine Arbeit mit ein, da ich die aufgeführten Modelle für wichtiger halte.
Sowohl dieses wie auch das vorangegangene Kapitel sind Voraussetzung für das Verstehen der gesamten Arbeit. Ziel dieses Kapitels soll es sein, einen Überblick über die verschiedenen Theorien zu geben, um im weiteren Verlauf meiner Arbeit besser auf die Integrationsfrage eingehen zu können. Die folgenende Kulturtheorien sind die Basis der Integrationsdebatte. In diesen Theorien werden die unterschiedlichen Arten von kulturellem Zusammenleben aufgezeigt, welche wiederum für das Gelingen oder Scheitern einer Integration von Bedeutung sind.
Im Schlussteil meiner Arbeit werde ich versuchen anhand meiner Erkenntnisse diese Theorien auf ihre Aktualität hin zu prüfen.
2.1. Die Multikulturalität
Ziel des Multikulturalismus ist das Erlangen einer multikulutrellen Gesellschaft. Es handelt sich in erster Linie also um ein politisches Konzept, welches erst mit dem Übergang zur multikulturellen Gesellschaft zu einer Theorie wird. Unter Multikulturalität versteht man eine Gesellschaft, in der mehrere verschiedene Kulturen nebeneinander bestehen. Diese sind in sich homogen, grenzen sich aber von den anderen existierenden Kulturen der Gesellschaft meist stark ab.Es kommt also nicht zu einer Verschmelzung.Der Multikulturalismus versucht indes Konzepte zu entwickeln, die es den verschiedenen ethnischen und kulturellen Gruppen ermöglichen, in einer Gemeinschaft untereinander auszukommen.[39] Die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sollen ihre Eigenexistenz beibehalten und zugleich die Anforderungen des Gemeinwesens erfüllen. Über die Umsetzung dieser Forderung herrscht jedoch noch Uneinigkeit in den Multikulturalismustheorien. Peter McLaren zufolge gibt es drei Formen vonMultikulturalismus. Zum einen die konservative, welche für die ethnische und kulturelle Diversität steht.Hier steht die Kultur des Landes zwar im Zentrum, andere Kulturen können aber in ihrer Eigenheit nebenbei existieren. Eine Vermischung der Kulturen soll vermieden werden. Des Weiteren gibt es den liberalen Multikulturalismus. Dieser macht, anders als die konservative Variante, keine Unterschiede zwischen den Kulturen. Die Kultur des Einwanderungslandes ist somit gleichwertig mit der Kultur der Muslime anzusehen. Ganz anders ausgerichtet ist die Form des kritischen Multikulturalismus. Hier findet eine Verschiebung der Kulturen statt. Es gibt keine dominante Kultur mehr und die Kultur der Einwohner eines Landes gilt als genauso fremd wie die „peripheren Kulturen“.[40]
Anhand folgender Beispiele lassen sich diese drei Arten von Multikulturalismusvereinfacht darstellen:
Europäer und Afro-Amerikaner wohnen gemeinsam in einem Land. Der Afro-Amerikaner ist aber nicht gleichgestellt mit dem Europäer, sondern wird als Diener des „weißen Volkes“ missbraucht. Der Schwarze hat demnach nicht die gleichen Rechte wie der Weiße. Es ist ihm gestattet in dem fremden Land zu leben, es gelten aber die Regeln und Rechte des „Gastlandes“. (konservativer Multikulturalismus)
Türken, Russen, Araber usw. leben alle gemeinsam in Deutschland. Sie haben untereinander die gleichen Rechte und sind auch dem „Gastland“ nicht untergeordnet. Sie haben ebenso wie die Deutschen das Recht auf eigene Gotteshäuser, die Ausübung religiöser Riten usw. (liberaler Multikulturalismus)
Es ist weder die Rede von einer deutschen Kultur noch von einer türkischen oder muslimischen Kultur. Das Resultat des Zusammenlebens verschiedener Kulturen ist eine ganz neue Kultur, welche weder als deutsch noch türkisch bezeichnet werden kann. Durch das Zusammenleben ist etwas Neues entstanden, so dass jeder zu Beginn „fremd“ist und sich an die Situation anpassen und eingewöhnen muss. (kritischer Multikulturalismus)
Nicht nur über die Umsetzung der Multikulturalismustheorien besteht Unstimmigkeit, auch die Theorie von einer multikulturellen Gesellschaft an sich stößt nicht überall auf Zustimmung, wie Wolfgang Welsch beweist.
Kulturen, die im Prinzip als autonom und kugelartig aufgefaßt [sic!] sind, können einander letztlich nicht verstehen, sondern müssen sich, der Logik dieser Auffassung gemäß, voneinander absetzen, müssen einander ignorieren, verkennen, diffamieren und bekämpfen.[41]
Welsch zu folge kann man die Probleme zwischen verschiedenen Kulturen nicht beheben, wenn man an der Vorstellung von sich abgrenzenden Gruppen festhält. Es ist nicht möglich, homogene Gruppen auf Dauer von Konflikten fernzuhalten. Erst wenn das „Multikulturalitätskonzept“ von dem alten Kulturbegriff loskommt und aufhört die Kulturenals „Inseln“ zu verstehen, ist eine „wirkliche Verständigung oder eine Überschreitung der separierenden Schranken“ denkbar.[42]
Im Hinblick auf den Islam und Deutschland bedeutet Welschs Einwand, dass es zu keinem friedlichen Zusammenleben kommen kann, wenn man den Islam weiterhin als etwas „Fremdes“ ansieht. Es kann zu keiner Verständigung kommen, da man es nicht geschafft hat, eine gemeinsame Basis zu finden. Dieser Separatismus führt früher oder später zu Auseinandersetzungen und Konflikten. Erst wenn der Islam als Teil von Deutschland angesehen wird, kann es zu einer gegenseitigen Verständigung und einem friedlichen Miteinander kommen.
Multikulturalität kann auf unterschiedliche Weise entstehen. In der Schweiz ist diese durch kulturell unterschiedliche Bevölkerungskulturen entstanden, welche sich zu einem größeren System zusammengeschlossen haben. Es kann aber auch passieren, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen in ein Land einwandern und ihre eigene Kultur komplett beibehalten. Sie passen sich nicht an die bestehende Kultur des neuen Landes an und es kommt nicht zur „Bildung eines gemeinsamen ‚Wissensvorrates‘ (meltingpot)“[43].Will Kymlickas Auffassung nach darf man den Wunsch nach Multikulturalismus jedoch nicht als Ablehnung der Integration auffassen. In einer durchweg multikulturellen Gesellschaft zu leben ist nämlich kaum umsetzbar, so Kymlicka. Man müsse Schulen und Behörden errichten, welche in der eigenen Sprache betrieben werden, und zudem wäre man komplett ausgeschlossen von den politischen und ökonomischen Entscheidungen des Landes.[44] Tendenziell sind es eher die nationalen Minderheiten, welche für die Erhaltung der eigenen Kultur kämpfen.
Es gibt einige Strategien, die in Bezug zum Multikulturalismus häufig diskutiert werden:
1. Gezielte Förderung bestimmter Gruppen2. Änderung des Lehrplans für die Fächer Geschichte und Literatur3. Berücksichtigung religiöser Feiertage in Schulen und Betrieben4. Einschränkung von Kleidervorschriften5. Antirassistische Unterrichtseinheiten 6. Normen zur Vermeidung von Belästigung am Arbeitsplatz und in der Schule7. Finanzierung ethnischer Kulturfestivals und Forschungsprogramme8. Muttersprachliches Dienstleistungsangebot für erwachsene Einwanderer9. Zweisprachiger Unterricht für Kinder von Einwanderern[45]
Dies alles sind Punkte, die die Integration fördern, und nicht, wie man auf den ersten Blick vielleicht annehmen kann, „Separatismus der Kulturen“ hervorruft. Durch die Umsetzung dieser Forderungen kann es einer Gesellschaft gelingen, dass niemand seine Kultur aufgeben muss und man gemeinsam in einer Gesellschaft auskommen kann. Die aufgezählten Strategien führen dazu, dass sich mehr Muslime am öffentlichen Leben und den staatlichen Organisationen beteiligen und sich somit in die Gesellschaft eingliedern. Sie verhindern, dass sich die Anhänger der verschiedenen Kulturen ausgeschlossen fühlen und eigene Einrichtungen zu gründen versuchen.Menschen aller Kulturen erhalten somit das Gefühl, erwünscht zu sein und mit ihren Traditionen und Sitten bezüglich der Religion und des alltäglichen Lebens akzeptiert zu werden.[46]Nimmt man Rücksicht auf islamische Feiertage, so kommt es weder zu innerlichen Konflikten noch zu Konflikten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzw. Schüler und Lehrer. Genauso wenig wie deutsche Schüler sich vorstellen können, an Weihnachten zur Schule gehen zu müssen, ist es für Schüler muslimischen Glaubens nur schwer umsetzbar, bei wichtigen religiösen Festen nicht im Kreise der Familie zu sein. Laut der unter Punkt drei aufgeführten Strategiewäre es daher sinnvoll, Feste anderer Religionen zu berücksichtigen und das Fehlen der Teilnehmer zu entschuldigen. Ebenso ist es Teil der Strategie, bestimmte Gruppen gezielt zu fördern. Dies wäre von Vorteil, um einer Person den Einstieg in ein neues Land zu erleichtern....