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E-Book

Rembrandt

Vollständige Ausgabe

AutorGeorg Simmel
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783849617318
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Den wissenschaftlichen Versuchen, das Kunstwerk zu deuten und auszuwerten, sollte die Entscheidung zwischen zwei Wegerichtungen zugrunde liegen. Ihren Trennungspunkt bildet das Erlebnis der Kunst, die primäre, ungeteilte Tatsache, dass das Werk da ist und in dem Aufnehmenden seine unmittelbare Wirkung übt. Von hier nun geht die analytische Richtung gleichsam abwärts. Inhalt: Vorwort 1. Kapitel: Der Ausdruck des Seelischen

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Leseprobe

Die Beseeltheit des Porträts

 

Nun aber meldet sich von neuem die kunstphilosophische Schwierigkeit, mit der wir begannen.

 

Was ich von der Einheit des Körperlichen und Seelischen im Rembrandtschen Porträt, von der bloss reflexionshaften Nachträglichkeit der Zerspaltung in diese Parteien sagte, gilt genau genommen zunächst nur von der lebendigen Wirklichkeit des Menschen.

 

Deren Erscheinung ist nicht nur ein so und so geformtes und gefärbtes Stück Materie, sondern eine Totalexistenz, die der Beschauer — gleichviel ob aus bisher uns dunkeln Kräften heraus — wirklich als solche, als physisch-psychische Ungeschiedenheit, vorstellen mochte.

 

Das Bildnis aber scheint uns der hieraus abstrahierten blossen Körperlichkeit gegenüberzustellen, denn es enthält nicht das Leben und die Seele des Modells, sondern, objektiv feststellbar, dessen physische Formen und Farben.

 

Es entsteht also das Problem, wieso man auch ihm unmittelbar die ganze innere Persönlichkeit entlesen kann.

 

Die Erklärung: wir kennten aus Erfahrungen die Zugehörigkeit einer bestimmten Seele zu einem bestimmten Leibe, so dass das Bild des letzteren assoziativ das der ersteren im Beschauer reproduziere, ist gar nicht diskutabel.

 

Wenn uns das seelische Bild des Ephraim Bonus oder des Jan Six mit sicherer Deutlichkeit (wenngleich nicht in begrifflicher Ausdrückbarkeit) entgegenleuchtet, so ist es eine ganz und gar unsinnige Vermutung, Erfahrung hätte uns gelehrt, dass Menschen dieses bestimmten, hier malerisch fixierten Aussehens durchgehends eine so und so bestimmte Seelenverfassung besässen.

 

Weder habe ich je Personen gesehen, die dem Bonus oder dem Six zum Verwechseln ähnlich sahen, noch wäre es erträglich, die überzeugende Korrelation zwischen Erscheinung und Innerlichkeit etwa aus verstreuten Erfahrungen über einzelne Bestandstücke solcher Persönlichkeiten zusammenzuleimen.

 

Dass man die Beseeltheit des Porträts aus der Psychologie empirischer Assoziationen erklärt, ist der roheste Versuch innerhalb der vielfach bestehenden Tendenz: die innere Wirkung, die tatsächliche Bedeutung für den Beschauer, nicht in dem Kunstwerk, wie es unmittelbar innerhalb seiner Grenzen dasteht, zu suchen, sondern es nur als Brücke und Hinweis auf etwas gleichsam hinter ihm Liegendes gelten zu lassen, auf eine im Beschauer zustande gebrachte Vorstellung, die noch anderes enthält, ja vielleicht überhaupt etwas anderes ist, als die auf sich selbst beschränkte, mit dem Rahmen abschliessende Schauung eben dieses Kunstwerks.

 

Ist das Kunstwerk nur ein "Symbol", ein Mittel, uns etwas vorstellen zu lassen, was seine gegebene Anschaulichkeit nicht vorstellt? Ersichtlich gehört das Beseeltheitsproblem dieser allgemeinen Frage zu, die spätere Seiten prinzipiell behandeln sollen.
Wenn es richtig ist, dass das Porträt, selber ein physisches Gebilde, nur die physische Form des Porträtierten aufzunehmen vermag; wenn aber nur die lebendige Wirklichkeit des Menschen seine Beseeltheit mit dieser Form in Einheit darbietet; wenn dennoch das Porträt uns die volle Vorstellung dieser Beseeltheit weckt — so müsse eben diese Vorstellung aus einer Quelle fliessen, die anderswo als in dem Bilde selbst entspringt, wenn sie uns auch durch dieses zugeleitet wird!

 

Dieser Schluss entspricht, wie ich glaube, traditionellen Begriffen, aber nicht dem Sachverhalt.

 

Vielmehr scheint mir hier der tiefste Richtungsgegensatz zwischen Photographie und Kunstwerk sich aufzutun.

 

An der Photographie soll der Beschauer nicht haltmachen, sie erfüllt ihre Obliegenheit um so besser, je mehr sie uns an ihr Original "erinnert", sich selbst ausschaltet, so dass wir innerlich ihr Modell zu sehen glauben.

 

Jenes kann eintreten, wenn und weil ein Porträt uns vor die unmittelbare und sozusagen unwiderstehliche Wirklichkeit des Modells stellt.

 

Wir fühlen aber immer ein Grauen (Goethe sagt in diesem Fall: eine "Apprehension"), wenn eine bestimmte Ordnung der Dinge von einer, aus einer ganz andern Ordnung eindringenden Erscheinung durchbrochen wird.

 

Die Wirklichkeit des Lebendigen und die Ideellität des Kunstwerks bezeichnen eben zwei getrennte Welten, und ein Stück aus jener, das uns plötzlich innerhalb dieser entgegentritt, ist wie ein Gespenst, nur gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen.

 

Vor der Photographie kann uns solcher Schreck nicht fassen, weil sie nicht der ideellen Ordnung der Kunst zugehört, sondern von vorn herein gar nichts anderes will, als uns psychologisch einen Realitätseindruck zuführen.

 

Da sie tatsächlich nur das Körperliche reproduziert, so wäre sie sinnlos oder unerträglich, wenn sie uns nicht diesen psychologischen Weg, über sich selbst hinaus bis zu der vollen Wirklichkeit ihres Originals leitete.

 

Die grössten Porträts Rembrandts dagegen — die freilich wohl nur die Pole einer Reihe von Mischerscheinungen beider Prinzipien sind — treten uns nur als Äusserungen seiner Vision entgegen, das betrachtende Auge bleibt an die Erscheinung, wie sie dasteht, gebannt und überträgt sie nicht in die Kategorie der Wirklichkeit.

 

Damit ist nicht jener Solipsismus eines gewissen Artistentums gemeint, dem die menschliche Form auf der Leinwand nur eine Anordnung von Farbflecken, ein Sammelpunkt optischer Reize, ein besonders kompliziertes Ornament ist; alles Seelische und Übersinnliche, das seinen Gestalten einwohnt, bleibt zu Recht bestehen.

 

Aber es ist gleichgültig, ob es von dem Menschen jenseits dieser Vision gilt oder nicht gilt, es gilt, als von seinem Definitivum, von dem Menschen innerhalb dieser Vision selbst.

 

Tatsächlich ist hier also erreicht, was begrifflich unmöglich erschien: der Eindruck des nur materiellen Bildnisses, das nur Körperhaftes nachbildet, kann nicht anders ausgedrückt werden, als dass Leben und Seele unmittelbar — und nicht erst in Rückdatierung zu deren realem Bestande am Modell — mit ihm gegeben sind, an ihm empfunden werden.

 

Dieser Eindruck müsste in seiner Tatsächlichkeit auch dann anerkannt werden, wenn er uns logisch widerspruchsvoll und psychologisch nicht analysierbar wäre.

 

Und wirklich sehe ich mich zu einer genauen Auflösung des Problems nicht imstande.

 

Jene Erklärung aus psychologischer Assoziation versagt vollkommen.

 

Nicht weniger die Analogie mit der Photographie, die vermöge ihrer äusserlichen Treue allerdings über sich hinaus zum Wirklichkeitsbilde ihres Originals führt, damit aber die Sphäre der Kunst zugunsten der Realität verlässt.

 

Das Prinzip der Kunst verlangt ja gerade, — zugegeben selbst, dass man sich seiner Reinheit immer nur annähern könne — dass das Werk Inhalt, Reiz, Deutung in sich allein finde, aus sich allein heraus darbiete.

 

Mag es aus der Wirklichkeitswelt in sich hineingenommen haben, was es wolle: ist dies einmal geschehen, ist dieser Stoff erst einmal Kunst geworden, dann kann diese Form nicht wieder zur Brücke werden, auf der wir zur Wirklichkeit zurückkehren.

 

Wenn nun das Porträt, Physisches physisch darstellend, jene seelische Lebendigkeit — der Wirkung auf den Beschauer nach — ausstrahlt, die nicht dem physischen Phänomen des Modells, sondern nur seiner vollen Wirklichkeit zuzukommen scheint, so hat dieser Erfolg seine Grundvoraussetzung vielleicht darin, dass die Gestalt nicht, wie die Photographie, der Erscheinung unmittelbar entnommen ist, sondern ihrerseits die Schöpfung einer Seele ist.

 

Der alte Satz, dass die Seele sich ihren Körper baut, mag problematisch sein, da der reale "Bau" des Organismus Sache des einheitlichen Lebens ist, an dem erst die nachträgliche Reflexion Körper und Seele als selbständig wirksame Parteien sondert.
Die Körperlichkeit des Porträts aber, insoweit es Kunst ist, wird tatsächlich von einer Seele aufgebaut.

 

Dies zur Deutung der Seelenhaftigkeit des Porträts zu verwenden, indem die Beseelung der malerischen Erscheinung von ihrem Schöpfer her in Parallele zu der Beseelung der realen Erscheinung gesetzt wird — das ist auf den ersten Blick freilich die ungeheuerlichste Paradoxe.

 

Denn die künstlerische Seele schafft zwar das Gebilde als ihr objektives Erzeugnis, allein sie ist doch nicht dessen subjektive Seele, die ihm zukäme, wie die lebendige Seele ihrem eigenen lebendigen Leib.

 

Und...

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