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Grundlagen des Process Life Cycle Managements
Die vorliegende Monografie will zeigen, dass das Ziel möglichst hoher Ressourceneffizienz, aber auch die Ziele niedriger Umweltbelastung und Kosten durch ein chemiespezifisches Process Life Cycle Managementsystem schneller, leichter und sicherer erreicht werden können.
Gegenstand der Ausführungen der einzelnen Abschnitte dieses einführenden Kapitels sind einige überwiegend theoretische Grundlagen, deren Kenntnis zum Verständnis der nachfolgenden Kapitel erforderlich ist. Dabei geht es vor allem um Definitionen, Modelle sowie um die zu berücksichtigenden rechtlichen und faktischen Gegebenheiten.
Der hier verwendete Begriff „Managementsystem“, beim Militär und z. T. auch in der Wissenschaft als „Führungssystem“ bekannt, bezweckt das zielorientierte Führen einer Gemeinschaft wie z. B. eines Truppenverbandes, eines Unternehmens oder eines Vereins. Das System besteht aus drei Elementen (Teilsystemen), unter denen es vielfältige Wechselwirkungen gibt:
- Aufbauorganisation („Führungsorganisation“)
- Ablauforganisation („Führungsvorgänge“)
- (Management-)Instrumente („Informationssysteme“)
Managementsysteme sind grundsätzlich Sache der Unternehmen, d. h. ihre Einführung und Unterhaltung steht in der Verantwortung der Unternehmensleitung. Diese Freiheit wird allerdings teilweise durch staatliche Gesetze eingeschränkt. Immer wenn der Gesetzgeber Missbrauch verhindern bzw. bestimmte Interessen(gruppen) schützen will, greift er ein und erlässt Gesetze z. B. zum Schutze der Gläubiger (seit 1884) oder der Aktionäre (seit 1965) in den Rechnungslegungsvorschriften des Aktiengesetzes [1]. Die rechtlichen Gegebenheiten sind somit bei den Managementsystemen zu berücksichtigen.
Ein wesentlicher Teil des Führens besteht im Fällen von Entscheidungen im Hinblick auf bestimmte Ziele. Infolgedessen muss jeder, der sich mit Managementsystemen beschäftigt, vor allem klarstellen, welche Typen von Entscheidungen gefällt und welche (Management-)Ziele dabei verfolgt werden.
Die nachfolgenden Abschnitte dieses einführenden Kapitels befassen sich schwerpunktmäßig mit
- den Modellen der (Management-)Entscheidungen,
- den anzustrebenden (Management-)Zielen,
- den Gesetzen bezüglich Umweltmanagementsystemen,
- dem Messen von Ressourceneffizienz und anderen Umweltschutzzielen,
- dem neuen Konzept der „Nachhaltigen Chemie/Green Chemistry“,
- der Integration der Managementsysteme,
- der Organisation des Innovation Chain Managements (ICM) und
- einem System für Process Life Cycle Management (PLCM).
2.1 Managemententscheidungen
Die Managemententscheidungen stehen stets im Mittelpunkt unserer Betrachtungen. Die Denkweise und Modelle der modernen „entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre“ [2, 3] sind grundlegend für die Methoden, die in den nachfolgenden Kapiteln behandelt werden. Aus diesem Grunde wird hier die entscheidungsorientierte Denkweise kurz vorgestellt. Nach dieser steht der „Entscheidungsträger“ einem „Entscheidungsfeld“ gegenüber, das aus einem beeinflussbaren Teil („Aktionsfeld“) und einem nichtbeeinflussbaren Teil („Umfeld“/ „Umwelt“) besteht. Bei der Entscheidung wählt der Entscheidungsträger aus dem Aktionsfeld diejenige Aktion/Alternative aus, die im Hinblick auf seine Ziele „die besten oder nützlichsten Konsequenzen aufweist“ [4]. Um die oft komplexen Entscheidungen der Praxis zu unterstützen, wurden „Entscheidungsregeln“ entwickelt. Heinen unterscheidet zwischen normalen Objekt-Entscheidungen und Meta-Entscheidungen. Zu Letzteren gehört z. B. die Festlegung organisatorischer Strukturen und der Managementziele.
Der Ablauf rationaler Entscheidungen lässt sich in einem Phasenschema abbilden, z. B. Anregungsphase, Suchphase, Auswahlphase, Durchführungsphase, Kontrollphase. Auf dieses Ablaufschema wird hier nicht näher eingegangen, genauso wenig wie auf die Problematik von Gruppenentscheidungen, bei denen jede Gruppe versucht, ihre eigenen Interessen weitestgehend zur Geltung zu bringen. Im Rahmen des Themas konzentrieren wir uns auf gut strukturierte Entscheidungssituationen, die durch folgende Merkmale gekennzeichnet sind: „eine bestimmte Anzahl von Alternativen, hinreichend bekannte Konsequenzen, klar formulierte Ziele sowie Regeln, mit deren Hilfe eine eindeutige Rangordnung der Alternativen gebildet werden kann“ [5].
Bei Managemententscheidungen ist meist nicht nur ein Ziel, sondern ein ganzes Bündel von Zielen zu berücksichtigen (Zielpluralität). Die Zielbeziehungen lassen sich nach Heinen [6] in drei Klassen einteilen:
1) Ziel A steht zu Ziel B in komplementärer, konkurrierender oder indifferenter Beziehung,
2) Ziel A ist wichtiger als Ziel B,
3) Ziel A ist das Oberziel des (Unter-)Ziels B.
Tabelle 2.1 Schema einer Entscheidungssituation
Eine komplementäre Zielbeziehung liegt vor, wenn ein steigender Zielerreichungsgrad hinsichtlich A mit einem steigenden Zielerreichungsgrad hinsichtlich B verbunden ist. Eine konkurrierende Beziehung liegt vor, wenn ein steigender Zielerreichungsgrad hinsichtlich A mit einem abnehmenden Zielerreichungsgrad hinsichtlich B verbunden ist. Eine indifferente Beziehung liegt vor, wenn ein steigender oder abnehmender Zielerreichungsgrad hinsichtlich A keinen Einfluss auf den Zielerreichungsgrad hinsichtlich B hat.
Bei Zielkonflikten – die in der Praxis sehr häufig vorkommen – muss eine Zielgewichtung vorgenommen werden. Bei dieser handelt es sich um eine vorgelagerte Meta-Entscheidung des oberen Managements. Das Ziel mit der höchsten Gewichtung wird Hauptziel genannt. Im angeführten Beispiel (Tabelle 2.1) ist Ziel 1 mit dem Gewichtungsfaktor 7 das Hauptziel und Ziel 2 das Nebenziel (Gewicht 4). Multipliziert man die Zielerreichungsgrade (Z mit Werten zwischen 0 und 10 in der Tabelle) mit den Gewichtungsfaktoren, erhält man als „Nutzen“ z. B. für die Alternative A1: 5 × 7 + 9 × 4 = 71. Da die Alternative A2 den höchsten Nutzen aufweist, fällt die Entscheidung zu ihren Gunsten aus.
Bei der Entscheidungsfindung kann aber auch so vorgegangen werden, dass ein Ziel, z. B. das Hauptziel, maximiert wird unter Einhaltung bestimmter Mindestanforderungen für die anderen (Neben-)Ziele. Hätte man beispielsweise als Mindestanforderung für das Ziel 2 (Tabelle 2.1) einen Zielerreichungsgrad von 6 festgelegt, wäre die Entscheidung zugunsten der Alternative A1 ausgefallen. Daraus sieht man, dass die angewandte Entscheidungsregel einen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis der Entscheidung hat.
In der Unternehmenspraxis treten häufig Zielkonflikte auf. Diese erschweren die Managemententscheidungen (vgl. Abschnitte 4.3 und 9.5). So kann beispielsweise die Verbesserung der Materialeffizienz eines Prozesses mit einer Verschlechterung der Umweltbelastung oder einer Erhöhung der Kosten verbunden sein.
Eine wichtige Rolle in den Unternehmen spielen Zielhierarchien. Bei diesen stehen die Ober- und Unterziele in einem komplementären Verhältnis. Eine Steigerung der Erfüllung der Unterziele bedeutet zugleich auch eine Steigerung der entsprechenden Oberziele. Als Beispiel sei die Zielgröße/Kennzahl „Materialeffizienz“ (BA = Bilanzausbeute) angeführt, die eine Schlüsselrolle in dieser Monografie (vgl. Kapitel 3) spielt. Die Oberzielgröße BA wird gesteigert durch die Steigerung ihrer beiden Unterzielgrößen (BAt und spBA). Die Unterzielgröße spBA wiederum wird gesteigert durch Steigerung ihrer drei Unter-Unterzielgrößen (RA, MATR, EAp).
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass entscheidungsorientierte Informationen stets auf das „Aktionsfeld“ fokussiert sind, weil nur dieses durch die zu treffende Entscheidung beeinflusst wird. Entscheidungsorientierte Informationen betreffen somit stets den Verantwortungsbereich des Entscheidungsträgers. Informationen über das „Umfeld“, das er weder beeinflussen kann noch verantworten muss, sind allenfalls als Hintergrundinformationen von Interesse. Obwohl diese Aussage als selbstverständlich erscheint, wird sie in der Praxis häufig z. B. bei Diskussionen über die Ökobilanz (vgl. Abschnitt 5.1) missachtet: Die meist von unabhängigen Instituten erstellten Ökobilanzen betrachten den Materialstrom in der Regel von der Rohstoffgewinnung über die Bearbeitungsprozesse vieler Unternehmen hinweg bis zum Endprodukt. Eine solche unternehmensübergreifende Ökobilanz ist sicherlich eine wichtige Information für staatliche Gremien, wohingegen sie auf der Ebene einzelner Unternehmen allenfalls als eine mehr oder weniger interessante Zusatzinformation dienen kann. Da sie nicht auf das unternehmensbezogene „Aktionsfeld“ des Managements fokussiert ist, liefert sie auch keine entscheidungsorientierten Informationen im Hinblick auf die...