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Retention Management von High- und Top-Potentials

Ableitung von langfristigen Bindungsstrategien für Unternehmen aus nachhaltigen Bindungselementen in Paarbeziehungen

AutorAntje Reichert
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl77 Seiten
ISBN9783640198627
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Psychologie - Arbeit, Betrieb, Organisation und Wirtschaft, Note: 2,3, Hochschule für angewandtes Management GmbH, 60 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die deutschen Unternehmen stehen mehr denn je unter Druck: von der Globalisierung und dem damit einhergehenden verstärkten Wettbewerb, über den Klimawandel und die demografischen Veränderungen bis hin zu den nötigen technologischen Transformationen. Dass das Humankapital für diese Herausforderungen einen entscheidenden Erfolgsfaktor darstellt, ist seit Jahren keine Überraschung mehr. Darüber hinaus spielen soft facts wie Führung, Motivation, Verantwortung und Kooperation eine essentielle Rolle. Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist das Problem des Retention Managements von High- und Top-Potentials. Diese Mitarbeitergruppe ist qualifiziert, talentiert und hoch arbeitsmarktfähig. Es besteht eine erhebliche Nachfrage nach diesen Angestellten, jedoch ist das Angebot an fähigen Fach- und Führungskräften sehr gering. Aufgrund dieser Diskrepanz auf dem Arbeitsmarkt sowie dem individuellen Wissensvorsprung ist für High- und Top-Potentials der gängige Wunsch nach Arbeitsplatzsicherheit oft nachrangig und dies erschwert dem Arbeitgeber die Bindung dieser kompetenten Mitarbeiter. Diese Tendenz wird durch die demografische Entwicklung in den nächsten Jahren noch weiter verstärkt werden. Die High- und Top-Potentials treten darüber hinaus selbstbewusst auf und sind sich ihres Marktwertes durchaus bewusst. Als Folge dieses Ungleichgewichts stellen sie gegenüber dem Arbeitgeber selbstsicher Forderungen. Sie geben sich im Arbeitsalltag und im Verlauf der Karriere selten mit Kompromissen zufrieden. Sie verhalten sich opportunistisch und sind auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Vor diesem Hintergrund sind High- und Top-Potentials auch tendenziell offen für Alternativangebote von Headhuntern, die in der Regel mit einem Zusatzbonus verbunden sind, wenn es zu einem Arbeitgeberwechsel kommt. Zu diesen Faktoren, die den Wechsel in ein anderes Unternehmen erleichtern sollen, gehören zum Beispiel ein Firmenwagen, eine Gehaltssteigerung, ein Home Office, eine Führungsaufgabe oder auch die Möglichkeit, Überstunden mit einem Sabbatjahr auszugleichen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, für dieses besondere Mitarbeiterklientel der High- und Top- Potentials außergewöhnliche Strategien zu entwickeln, um diese an das Unternehmen zu binden. Die Lösung hierfür soll die Verknüpfung des Retention Managements mit der stabilsten und wertvollsten Bindung von Menschen sein: der Paarbeziehung.

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Leseprobe

3 Der Status quo: Bindung aus wissenschaftlicher Sicht


 

3.1 Die Paarbeziehung


 

3.1.1 Aufbau sozialer Netzwerke


 

Psychologische Bindungstheorien als Teilsegmente der Entwicklungspsychologie, der Klinischen Psychologie und der Sozialpsychologie beschäftigen sich mit dem Bindungsverhalten und der Bindungsqualität.[22] Die Forschung differenziert zwei Kategorien:

 

die Bindungsstile bei Kindern und

 

die Bindungsstile bei Erwachsenen.[23]

 

 

Abb. 4: Entstehung von Bindungsstil und Charakter

 

Quelle: In Anlehnung an Asendorpf (2007), S. 297 ff und Friedman & Schustack (2004), S. 346.

 

Grundsätzlich sind die im ersten Lebensjahr gemachten Erfahrungen wesentlich für alle künftigen sozialen Bindungen und für die Charakterentwicklung des Individuums.[24] Dies heißt jedoch nicht, dass negative Erfahrungen in der Kindheit alle folgenden sozialen Bindungen zwangsläufig beeinflussen und belasten müssen. Ein Kind ist darauf angewiesen, dass ihm gute zwischenmenschliche Erfahrungen geschenkt werden. „Erwachsene können (...) selbst daran mitwirken, dass Kooperation gelingt“.[25]

 

Diesen Eigenantrieb zu aktivieren fällt jedoch Erwachsenen sehr viel schwerer, wenn sie als Kind keine positiven Motivations- und Beziehungserfahrungen gemacht haben.[26] Dies zeigt sich in der Extremform bis in die Ausprägung eines erhöhten Maßes an Aggression. Im Erwachsenenalter wird der jeweilige Bindungsstil in jeder Beziehung neu ausgehandelt. Bei der Untersuchung von Bindungen an enge Freunde sind durchaus noch Brücken zur Bindung an die Eltern erkennbar. Die Bindung an einen Liebespartner hat hingegen mit der Eltern-Kind-Beziehung wenig gemein, vielmehr ist sie geprägt von den Erfahrungen mit vorangegangenen Partnern.[27]

 

Die Persönlichkeit jedes Menschen wird in Kindheit und Jugend durch die Eltern, die Umwelt und die bereits gesammelten Erfahrungen geprägt.[28] Anhand des klassischen Modells der Big Five lassen sich fünf Dimensionen unterscheiden:[29]

 

Extraversion (aktiv, impulsiv, gesellig, dominant, gesprächig)

 

Soziale Verträglichkeit (freundlich, flexibel, vertrauensvoll, kooperativ)

 

Gewissenhaftigkeit (verlässlich, sorgfältig, organisiert, ausdauernd)

 

Neurotizismus (emotional labil, schüchtern)

 

Offenheit (einfallsreich, vielseitig, aufgeschlossen)

 

Diese fünf Dimensionen charakterisieren die Grundlage des persönlichen Bindungsstils im Erwachsenenalter. Die Ausbildung einer eigenen Persönlichkeit im Kindesalter ist so nachhaltig, dass im Erwachsenenalter die Umwelt kaum noch Einfluss nehmen kann. Im Gegenteil: „Im Erwachsenenalter prägt (…) die Persönlichkeit ihre Umwelt“.[30]

 

Der Grund, warum Beziehungen im menschlichen Bewusstsein eine so essentielle Rolle spielen, kann auch medizinisch belegt werden. Einen Überblick über die neurobiologische Basis zwischenmenschlicher Bindungen bietet die nachfolgende Grafik:

 

 

Abb. 5: Der Mensch als Beziehungswesen

 

Quelle: In Anlehnung an Bauer (2007), S. 69 f.

 

„Alle Ziele, die wir im Rahmen unseres normalen Alltags verfolgen, (…) haben aus Sicht unseres Gehirns ihren tiefen (…) Sinn dadurch, dass wir damit letztlich auf zwischenmenschlichen Beziehungen zielen, das heißt, diese erwerben oder erhalten wollen.“[31] Denn durch das Eingehen sozialer Bindungen werden die Glücksbotenstoffe Dopamin und Oxytozin produziert. Zusätzlich unterstützen endogene Opioide die körperliche und mentale Gesundheit. Dies ist die Voraussetzung für Konzentrationsfähigkeit, mentale Energie sowie die Reduktion von Stress und Angst.[32] So konnte in wissenschaftlichen Untersuchungen gezeigt werden, dass zwischenmenschliche Zuwendung, verbunden mit dem Versprechen, Hilfe zu leisten, das körpereigene Opioid-System aktiviert und auf diese Weise sogar körperliche Beschwerden der Betroffenen subjektiv wahrnehmbar gebessert wurden.[33] Der Aufbau eines intakten sozialen Netzes trägt damit nachweislich zu unserer Gesundheit und unserem Wohlbefinden bei. Sogar die Lebenserwartung kann durch intakte soziale Netzwerke erhöht werden.[34]

 

Schliesslich ermöglichen Spiegelnervenzellen eine besondere Form sozialer Verbundenheit. Durch sie können Menschen Mitgefühl und Empathie empfinden. Diese Komponenten funktionieren jedoch nur, wenn in der Prägungsphase des Lebens hinreichend gute Beziehungserfahrungen gemacht wurden. Auch spätere Traumatisierungen, die zu psychischen und neurobiologischen Beschädigungen der Systeme geführt haben, können das natürliche Bedürfnis nach gelingenden Beziehungen und Kooperation beeinträchtigen.[35] So muss zum Beispiel die genetische Ausstattung garantieren, dass die neurobiologischen Werkzeuge vorhanden sind. Denn ohne Bindungsstellen für die o.a. Moleküle können diese keine Wirkung entfalten.[36] Auch die Deaktivierung der Motivationssysteme sowie die Aktivierung der Stresssysteme führen langfristig zu gesundheitlichen Störungen.[37]

 

Bei der Analyse von Paarbeziehungen spielen jedoch auch aktuelle Trends eine entscheidende Rolle. Die empirische Analyse von Bindungen wird erschwert, weil heutzutage nicht mehr jede Paarbeziehung zwangsläufig in einer Ehe endet und dadurch eindeutig charakterisiert werden kann. Tendenziell ist zu beobachten, dass Paare länger mit dem Schritt zum Standesamt warten als noch vor einigen Jahren. Hinzu kommt, dass die Zahl der Ehescheidungen stetig steigt. Das Bild von dem einen Lebenspartner hat sich gewandelt in feste Beziehungen für gewisse Lebensabschnitte. Zu sich ändernden Rahmenbedingungen gehört für viele Menschen auch, dass sie nicht mehr so kompromissbereit sind in der Gestaltung von Beziehungen.[38] Durch die gestiegene Lebenserwartung wird dieser Wandel noch unterstützt.

 

Mitunter geht der Wertewandel weg von der traditionellen Familie hin zu neuen Lebenskonzepten auch mit einer beruflichen Selbstverwirklichung einher, die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie gar nicht mehr zulassen. So stellt zum Beispiel die, durch die Globalisierung geforderte, erhöhte Mobilität der Arbeitnehmer auch spezielle Anforderungen an deren soziale Netzwerke im Privatleben. In diesem Sinne müssen alle Beziehungen stärker als je zuvor individuell erarbeitet und gestaltet werden.[39] Dadurch wachsen die Ansprüche an Partnerschaften zusehends.

 

3.1.2 Gestaltung von Paarbeziehungen


 

Nachdem im vorangegangenen Abschnitt die Grundlagen für den Aufbau von Beziehungen gelegt wurden, wird nun detaillierter auf die Ausgestaltung von Bindungen eingegangen sowie auf die zu unterscheidenden Bindungsstile.

 

Als Grundlage für die Untersuchungen ist stets das Selbst- und Fremdbild der Beteiligten zu berücksichtigen.[40] Das heisst für die Gestaltung der Partnerschaft ist es wesentlich, wie die jeweiligen Personen sich selbst und auch ihre Bezugspersonen wahrnehmen. So kann eine Person sich selbst zum Beispiel positiv beurteilen, aber dem Partner misstrauen. Oder sie kann sich selbst negativ bewerten und den Partner für verlässlich halten. Dieses Arbeitsmodell lässt sich wie folgt verdeutlichen:

 

 

Abb. 6: Bindungen in Partnerschaften

 

Quelle: In Anlehnung an Zimbardo & Gerrig (2004), S. 781 f und Schmidt-Denter (2005), S. 1 ff.

 

Auf der Betrachtung von Selbst- und Fremdbild aufbauend ergibt sich eine Klassifikation der Bindungen in Partnerschaften, die vier Bindungsstile umfasst:

 

(1) Eine positive Sichtweise des Selbst und des Partners zeichnet einen sicheren Bindungsstil aus. Die Person kann Nähe zulassen und empfindet die Partnerschaft als emotional unterstützend.

(2) Eine negative Sichtweise des Selbst und eine positive Sichtweise des Partners führt zu einem ängstlich-ambivalenten Bindungsstil. Die Person ist ängstlich, was sie im Hinblick auf die Beständigkeit der Beziehung verunsichert, und sie fühlt sich zum Partner emotional stark hingezogen.

(3) Eine negative Sichtweise des Selbst und des Partners ergibt einen ängstlich-vermeidenden Bindungsstil. Die Person hat Angst vor emotionaler Nähe, vor Intimität und sie vermeidet tiefergehende soziale Beziehungen.

(4) Eine positive Sichtweise des Selbst und eine negative Sichtweise des Partners charakterisieren einen gleichgültig-vermeidenden Bindungsstil. Die Person vermeidet Intimität in der Partnerschaft, betont ihre eigene Autonomie und empfindet keine starke emotionale Abhängigkeit von ihrem Partner.

 

Eine hohe Ausprägung der Bindungsangst – auf der Basis eines negativen Selbstbildes - beinhaltet eine misstrauische und angespannte Haltung. Darunter fällt, wenn ein Partner...

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