Juni 2016
Er steht vor dem Mikrophon und beschreibt sein Leben. Zumindest eine Seite davon:
Ich würde also nicht heiraten und keine Kinder haben, folglich würde ich nur mein eigenes Leben verbocken. Und das bekam ich ja wohl ausgezeichnet hin. Ich würde niemanden betrügen, weil ich mich auf niemanden einließ, und ich habe mich auch noch nie wohl gefühlt in meiner eigenen Haut. Die Angst war mein ständiger Begleiter. Scheiße, ich hab solche Angst.
Rob arbeitet heute in den RAK Studios in London mit dem Songwriter Johnny McDaid zusammen. Das Schreiben eines Songs kann ein intimer Vorgang sein, bei dem man oft mehr Zeit damit verbringt, Erlebnisse und Gedanken auszutauschen, als tatsächlich Texte oder Melodien zu erschaffen. Wie wäre es, hat Johnny vorgeschlagen, wenn Rob diese erbarmungslose Beichte einfach mal von Musik begleitet erzählen würde? Keiner müsste es jemals hören. Rob lässt es auf einen Versuch ankommen.
Ich weiß, wenn man jünger ist, glaubt man, es muss irgendwann besser werden, denn wenn man jung ist, fühlt man sich unsterblich, man denkt, diese Scheiße kann doch nicht ewig dauern. Aber jetzt bin ich schon eine ganze Weile auf der Welt, und es hört nicht auf. Ich habe den Horizont überschritten und trete immer noch auf der Stelle.
Robs derzeitige Angstzustände, die sich zunehmend verschlimmert haben, hängen auch mit seinem neuen Album zusammen. Er hat eine Menge neuer Songs geschrieben – wie viele, weiß er selbst nicht so genau, es mögen sechzig, siebzig oder achtzig sein –, doch er ist immer noch auf der Suche nach etwas, das er einfach nicht finden kann. Es soll nicht nur gut sein oder besonders und wahrhaftig, nein, es soll schlicht und ergreifend unvergleichlich sein. Ein Hit.
Ich bin neidisch und unbedeutend und unsicher, überempfindlich und ungebildet. Ich bin überzeugt, mein Erfolg ist nur ein Fehler in der Matrix. Ach, und es verletzt mich mehr, als es sollte, wenn man mich fett nennt … untalentiert … peinlich.
Nicht sehr wahrscheinlich, dass daraus der Song wird, den er sucht. Aber er macht trotzdem weiter.
Später wird er es so formulieren: «Ich habe versucht, ehrlich zu sein.»
Denn vielleicht sprichst du damit aus, was ich von mir selbst denke. Und ich würde keinen anderen so behandeln, wie ich mich selbst behandle. Es fällt mir so leicht, all meine Fehler aufzuzählen. Und so schwer, positiv zu bleiben. Es gibt kein Entkommen.
Im Laufe der Jahre hat er nicht wenige Songs geschrieben, in denen er sich dem Mann gegenüber, der sie singt, erbarmungslos und unnachsichtig zeigt. «Er wirft sich vor den Bus», merkt Johnny an, «bevor ihn jemand schubsen kann.» Aber auch wenn die Selbstgeißelung zu Robs ergiebigsten Themen zählt, hat er sie bisher immer besser verschleiert, in Metaphern gekleidet, durch Humor getarnt oder mit dem ihm eigenen süffisanten Bombast präsentiert, bei dem Selbstkritik wie Angeberei klingt.
Doch dies hier ist mehr als ein ungeschminkter Abdruck seiner finstersten Gedanken.
Ich habe mich mit Drogen, Alkohol, Frauen, Fernsehen, dem Internet und Zigaretten selbst therapiert. Liegt es an meiner unveränderlichen DNA, dass ich nicht vorwärtskomme, oder trete ich nur in die Fußstapfen meiner Vorfahren?
Erst am Ende dieses bedrückenden Monologs gibt es einen winzigen Moment der Hoffnung, eine kleine Wendung nach dem Motto «Allen Widrigkeiten zum Trotz» und «Meine Stärke liegt in meiner Schwäche»:
Tatsächlich ist meine Verletzlichkeit meine Stärke gewesen. Nur dadurch habe ich erreicht, was ich erreicht habe. Und ich habe all das geschafft, weil ich dachte, ich kann es nicht.
Ein kümmerliches Fazit nach all der gnadenlosen Selbstgeißelung.
Dennoch, heute hat er einiges zustande gebracht: eine auf drei Minuten eingedampfte Autobiographie, in der er eloquent von seinen Zweifeln und Ängsten und Unsicherheiten erzählt. Sie nennen den Song I Am Me, nach einem anderen Abschnitt daraus, in dem mehrmals wiederholt wird: Wherever I am, That’s where I’ll be … I am me. Das ist natürlich nicht der herausragende, universelle Hit, nach dem Rob gesucht hat, aber manchmal lässt sich die Kreativität nicht in eine bestimmte Richtung zwingen.
Die Suche wird weitergehen müssen.
*
Rob schreibt ununterbrochen Songs.
Ihm ist bewusst, dass manche Leute denken, er sei der Typ Popstar, der sich ein schönes Leben macht und Popstardinge tut, und von Zeit zu Zeit stellt dann jemand ein paar neue Stücke für ihn zusammen – vielleicht unter Mitwirkung des Stars, aber nicht zwingend –, und er bringt ein Album heraus. Heutzutage gibt es genug derartige Beispiele, und für manche von ihnen funktioniert dieses Arrangement ganz wunderbar.
Rob hingegen ist ein ganz anderer Typ Popstar, und zwar schon seitdem er Mitte der 1990er Jahre angefangen hat, Songs zu schreiben. Der Typ, der unaufhörlich an Stücken arbeitet, weil er das eben macht. Und der jeden Sieg, jedes Scheitern, jedes Hoch, jedes Tief, jede Phantasie, jede Angst, jede Liebe, jeden Hass, jeden dummen und jeden klugen Gedanken, jeden Ehrgeiz, jeden Traum, jede nachhallende Erinnerung, jede Angeberei, jeden Witz, jede kluge, geistreiche Bemerkung und jeden schlechten Reim, jede Hoffnung und jede Enttäuschung … kurz gesagt alles, was ihm aus dem Chaos und der Erhabenheit seines Lebens gerade entgegenstolpert, in ein Lied nach dem anderen packt. Sogar in viel mehr Lieder, als irgendjemand jemals hören wird.
Er hat es damals nicht vielen anvertraut, doch Ende 2006 zog er sich aus seinem Popstarleben zurück. Inzwischen wird er zugeben, dass er es wahrscheinlich auch deswegen nicht groß herumerzählte, weil er tief in seinem Innern wusste, dass er irgendwann zurückkommen würde. Dennoch, damals redete er sich fast drei Jahre lang ein, dass seine Tage als Popstar hinter ihm lagen. Und nicht einmal in dieser Zeit hörte er auf, Songs zu schreiben. Es kam ihm überhaupt nicht in den Sinn. Wenn man ihn damals in seinem neuen Einsiedlerleben als ehemaliger Popstar besuchte und ihm gegenüber anmerkte, wie merkwürdig man es fand, dass er einem weiterhin neue Sachen vorspielte und häufig Songschreiber-Freunde zu Besuch da waren, erntete man nichts als einen leicht genervten Blick. Ob man denn nicht verstehe, dass er sich von etwas ganz anderem zurückgezogen hatte? Davon – wenn er es schon in Worte fassen musste –, der «Popstar Robbie Williams» zu sein, mit sämtlichen Begleiterscheinungen. Er hatte sich von allem da draußen zurückgezogen. Aber warum um Himmels willen sollte er deswegen aufhören, Songs zu schreiben? Das konnte er ja hier im Schutz seines Hauses tun, gemeinsam mit Freunden. Und niemand brauchte davon zu erfahren. Es war einfach das, was er machte.
Es ist ihm also ein Bedürfnis, Songs zu schreiben. Dennoch musste er bei seiner Rückkehr feststellen, wenn man nur lange genug ein erfolgreicher Popstar war, erwachsen daraus Zwänge, die sich mit den Jahren wandeln und immer massiver werden. In einer erfolgreichen Popkarriere gibt es eine magische Zeit, in der man einfach loslegt, in der offenbar alles mühelos gelingt, in der beim kleinsten Flüstern die ganze Welt die Ohren spitzt. Jeder Song trifft den Nerv der Zeit, und eine Weile lang glaubt man, dass man gar nicht danebenzielen kann.
Und dann, als hätte sich ein Zahnrad in einem weit entfernten himmlischen Getriebe unmerklich verschoben, hört es eines Tages auf. Das passiert jedem, sei er noch so talentiert, noch so berühmt. Ausnahmslos. Von diesem Punkt an erntet man vielleicht weiterhin großen Erfolg und Beifall und Reichtum, aber nie mehr mit der Leichtigkeit früherer Zeiten.
*
Wir haben also Juni 2016, und in nicht einmal fünf Monaten soll er laut Plan das erste Robbie-Williams-Album mit neuen Stücken seit vier Jahren herausbringen; sein erstes Album als Popstar über vierzig. Der Druck hat immens zugenommen. Es mag ja ganz vergnüglich sein, zur Selbstverwirklichung Lieder zu schreiben, aber Material zu liefern, das danach bewertet wird, ob es einen schwer zu definierenden Standard erfüllt, ist weitaus anstrengender.
Er trägt alle Songs, die er in den letzten vier Jahren immer mal wieder geschrieben hat, ständig auf seinem Laptop mit sich herum. (Na ja, um genauer zu sein, der neuesten Version seines Laptops. Unglaublich häufig passiert es, dass mal wieder einer kaputtgeht – in der Regel fällt er herunter, oder es passiert ein Missgeschick, in das Badewasser involviert ist – und ein Techniker ins Haus bestellt wird, der Robs Daten auf ein neues Modell überspielt.) Rob nutzt die Menschen in seinem Umfeld gern als Testpublikum für die Songs, die ihn gerade beschäftigen – oft der neueste, manchmal aber auch ältere, an die er sich gerade erinnert. Manche hat er mit seinem alten Songwriting-Partner Guy Chambers geschrieben, andere mit Mitgliedern seiner Liveband, wieder andere mit alten Freunden aus Stoke, einige mit dem Produzenten Stuart Price und dann noch den ein oder anderen mit unterschiedlichen Musikern, die er zufällig getroffen hat oder die ihm von Freunden empfohlen wurden. (Bezeichnenderweise fühlt Rob sich wohler dabei, mit jemandem, den er nicht kennt, einen Song zu schreiben, als mit ihm essen zu gehen.) Selbst wenn weniger als die Hälfte dieser Songs ernsthafte Anwärter für das neue Robbie-Williams-Album sind, ist das immer noch eine Menge Material.
Die Frage, die er sich immer wieder stellt und die stets unausgesprochen im Raum hängt, lautet: Ist auch ein Hit dabei? Es gibt viele Songs, auf die...