1 Diagnose Zöliakie
Die Zöliakie ist längst keine seltene Kinderkrankheit mehr. Je nach Literaturquelle ist in Mitteleuropa jeder 100. bis 300. Mensch betroffen.
Weitere übliche Bezeichnungen für die Zöliakie sind »(einheimische) Sprue« und »glutensensitive Enteropathie«. Die Zöliakie ist eine autoimmune System-Erkrankung, deren Hauptgeschehen sich im menschlichen Dünndarm abspielt. Sie basiert auf einer Unverträglichkeit gegen das Klebereiweiß Gluten, das in den Getreidesorten Weizen, Roggen, Gerste, Hafer und deren botanischen Verwandten vorkommt. Bei der Zöliakie handelt es sich um eine genetisch veranlagte Erkrankung mit einer Autoimmun- und einer Allergiekomponente.
1.1 Was genau ist Zöliakie?
Wird das unverträgliche Getreideeiweiß gegessen, reagiert das Immunsystem darauf wie auf einen feindlichen Stoff. Es werden ganz bestimmte Antikörper – Immunglobuline (= Gegenstoffe) – gebildet, die meist im Blut nachweisbar sind. Ein Teil dieser Immunglobuline sorgt dafür, dass sich die Schleimhaut im Dünndarm verändert. Zellen werden zerstört, das Gewebe entzündet sich. Mit der Zeit baut sich die normale Struktur der Dünndarmschleimhaut völlig ab. Die Dünndarmzotten, die hauptsächlich dazu da sind, ausreichend Fläche für die Aufnahme der Nährstoffe aus dem Darm ins Blut zur Verfügung zu stellen, werden abgebaut.
Die Folge: Der Körper kann bei einer eigentlich ausreichenden Ernährung die wertvollen Nährstoffe (auch Vitamine und Mineralstoffe) nicht in genügender Menge aufnehmen. Außerdem kann es durch die Entzündung des Darms zu zahlreichen Beschwerden kommen. Darüber hinaus können die Autoimmun-Antikörper auch anderen Organen schaden.
1.2 Krankheitszeichen
Die häufigsten und typischsten Symptome sind Durchfall, Blähungen und Bauchschmerzen. Die Symptome können sehr heftig sein und innerhalb kurzer Zeit kann der Betroffene viel Gewicht verlieren. Allerdings kann eine Zöliakie auch lange Zeit unbemerkt verlaufen, da die Beschwerden untypisch sein können und nicht direkt mit einer Darmerkrankung in Verbindung gebracht werden; bei einigen Betroffenen treten beispielsweise keine Bauchbeschwerden auf. Die unten aufgeführten Anzeichen können einzeln auftreten, teils aussetzen und dann nach längerer Zeit wieder neu beginnen, ohne dass die Ernährung umgestellt wurde.
1.2.1 Symptome bei Kindern
Bei Kindern beobachtet man sehr häufig Gedeihstörungen, mangelndes Wachstum und fehlende Gewichtszunahme, Durchfall, massigen, fettigen Stuhl, der sehr stark riecht, Blässe, dunkle Augenringe, einen aufgeblähten Bauch, ständige Bauchschmerzen, magere Gliedmaßen, nicht gut entwickelte Muskulatur, Missmutigkeit und erhöhte Infektanfälligkeit. Auffällig sind auch Zahnschmelzdefekte. Seltener sind Erbrechen und Verstopfung. Die Symptome treten häufig auf, sobald Gluten (z. B. in Weizengrieß, Brot oder Haferflocken) in den Speiseplan des Kleinkindes eingebaut wird. Wird das Kind lange gestillt, kann es sein, dass die ersten Krankheitszeichen sehr viel später einsetzen und die Zöliakie dann untypisch verläuft.
1.2.2 Symptome bei Erwachsenen
Erwachsene klagen oft über Übelkeit, Völlegefühl, Blähungen, Durchfallphasen, die mit Verstopfung abwechseln, Gewichtsabnahme, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Knochenschmerzen, schmerzhafte Entzündungen der Mundschleimhaut (Aphthen), depressive Verstimmungen, langwierige Infekte und Migräne. Frauen haben häufig auch Probleme, schwanger zu werden, und es besteht ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten.
Alle diese Beschwerden können auch einzeln auftreten und sind für sich genommen nicht immer eine Hilfe für die Diagnosestellung. Manchmal wird eine Milchzuckerunverträglichkeit (Laktose-Intoleranz) festgestellt, obgleich Milch lange Zeit gut vertragen wurde. Sehr häufig ist das Blutbild des erwachsenen Zöliakie-Betroffenen durch einen Eisenmangel auffällig. Von den ersten Symptomen bis zur endgültigen Diagnosestellung können auch heute oft noch mehrere Jahre vergehen.
1.3 Erst die Diagnose sichern lassen!
Sollten Sie aufgrund typischer Beschwerden eine Zöliakie vermuten, gehen Sie zunächst zum Arzt für eine klare, eindeutige Diagnose oder den sicheren Ausschluss dieser Erkrankung. Führen Sie eine glutenfreie Ernährung nicht einfach so testweise durch! Wurde die glutenfreie Ernährung nämlich erst einmal gestartet, ist eine sichere Bestätigung der Zöliakie erst wieder nach erneuter langwieriger Belastung mit Gluten feststellbar.
Wenn sich die Zöliakie bestätigt, ist es notwendig, sich vom Zeitpunkt der Diagnose an ein Leben lang glutenfrei zu ernähren. Die glutenfreie Diät greift stark in den Lebensalltag der Betroffenen ein und allein deshalb braucht diese bewusste konsequente Ernährungsumstellung eine klare Grundlage: »Ich muss wissen, warum ich das tun muss!«
Bestätigt sich der Verdacht einer Zöliakie nicht, können Sie im Anschluss an die Diagnosezeit, wenn Ihren Beschwerden keine anderen Ursachen zugrunde gelegt werden können, evtl. doch von einer glutenfreien Ernährung profitieren – und dies nun gefahrlos ausprobieren. Bessern sich die Symptome dann durch eine glutenfreie Ernährung, spricht man von einer Gluten-Sensitivität.
1.4 Wie stellt der Arzt eine Zöliakie fest?
Suchen Sie sich am besten einen Arzt, der auf Magen-Darm-Erkrankungen spezialisiert ist. Diese Fachrichtung heißt Gastroenterologie. Ein Gastroenterologe ist in der Lage, die bisher durchgeführten Untersuchungsergebnisse zusammen zu bewerten und ggf. noch ausstehende Tests durchzuführen. Durch unterschiedliche Untersuchungen, die im Folgenden genauer beschrieben werden, kann eine Zöliakie festgestellt werden.
1.4.1 Zöliakietypische Antikörper
Wenn die Symptome einen Verdacht auf Zöliakie ergeben, evtl. auch schon ein Eisenmangel im Blut festgestellt wurde, sollte das Blut auf spezielle zöliakietypische Antikörper untersucht werden. Diese heißen: IgA Gliadin, IgA Transglutaminase oder IgA Endomysium. Da es einige Zöliakie-Betroffene gibt, die kein IgA bilden können, sollte als Standard das Gesamt-IgA sowie sicherheitshalber auch das IgG mitbestimmt werden.
»Ig« steht jeweils für den Begriff »Immunglobulin« (= Antikörper), der folgende Buchstabe für die Art des Antikörpers. Bei der Zöliakie sind die Antikörper der Klasse A sehr beweisend, bei einer Nahrungsmittelallergie wird nach Antikörpern der Klasse E (IgE) gegen bestimmte Lebensmittel gesucht.
1.4.2 Biopsie
Da es beim Antikörpertest immer auch falsch positive oder falsch negative Ergebnisse geben kann, ist im Anschluss an den Bluttest mit auffälligen Antikörpern auf jeden Fall eine Biopsie der Dünndarmschleimhaut ratsam. Dabei wird über den Weg einer Magenspiegelung das Endoskop weiter in den Dünndarm geführt und ein Stückchen Schleimhaut entnommen. Die Untersuchung ist zwar nicht angenehm, jedoch risikoarm. Die Biopsie kann bei Erwachsenen ambulant durchführt werden. Die Gewebeprobe wird nach der Entnahme ins Labor eingeschickt und unter dem Elektronenmikroskop genauestens betrachtet. Bestimmte Zellen, die bei einer Zöliakie typischerweise vermehrt auftreten, werden gezählt. Die Zotten der Schleimhaut sind meist deutlich sichtbar angegriffen oder komplett zerstört. Das Schleimhautgewebe wird nach den sogenannten »Marsh-Kriterien« beurteilt. Je nach Ausprägung der Veränderungen liegt die Bewertung zwischen »Marsh 0« und »Marsh IV«. Diese genaue Bestimmung gibt klare Hinweise auf das Vorliegen einer Zöliakie.
Das linke Foto zeigt eine gesunde Dünndarmschleimhaut mit deutlich erkennbaren Zotten. Das rechte Foto zeigt den Darm eines Zöliakie-Patienten. Die Schleimhaut ist abgeflacht und ohne Zotten. (Die Fotos wurden freundlicherweise von Prof. Dr. D. Shmerling, Zürich, zur Verfügung gestellt.)
Achtung: Die Gewebeprobe für die Biopsie kann im Rahmen einer erweiterten Magenspiegelung, nicht jedoch bei einer Darmspiegelung des Dickdarms entnommen werden. Nach den typischen Antikörpern sollte im Blut gesucht werden, nicht im Stuhl.
Sichere Diagnose
Zu einer klaren Zöliakie-Diagnostik gehören: Symptome, typische Antikörper und die Biopsie. Die Diagnose wird komplett, wenn die Symptome nach der Umstellung auf glutenfreie Ernährung nachlassen und schließlich ganz verschwinden. Wird die glutenfreie Ernährung sicher und konsequent eingehalten, bilden sich die Dünndarmzotten wieder aus und können ihre Aufgabe, Nährstoffe zu resorbieren, wieder erfüllen.
Wissen: Bei Kindern und Jugendlichen kann auf die Biopsie verzichtet werden, wenn typische Beschwerden vorhanden sind, die Antikörperwerte im Blut mindestens 10-fach erhöht sind und eine genetische Veranlagung nachgewiesen ist (ESPGHAN-Diagnose-Standard 2012).
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