Mit Bewusstsein trainieren
Häufig wird unser Körper als »Wunderwerk der Natur« bezeichnet. Aufgrund der erstaunlichen Vielseitigkeit und der technisch fast nicht messbaren Geschwindigkeiten mancher biologischer Prozesse unseres Organismus scheint dieser Begriff wirklich passend zu sein. Bereits wenn wir unsere Trainingshose in die Sporttasche legen, geschehen innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde hunderte von chemischen und mechanischen Abläufen, die wir bei dieser alltäglichen Handlung gar nicht bewusst realisieren. Was passiert dann wohl erst, wenn wir eine ganze Stunde fleißig trainieren?
Die Knochen des menschlichen Skeletts bilden das »passive« Gerüst des Körpers.
Aufwärmen, Gewichte stemmen, abkühlen, Stretching – alles scheint so selbstverständlich. Wenn unser Körper einwandfrei funktioniert, ist es das auch. Wieso sollten wir uns also weiterführend damit beschäftigen?
Weil das theoretische Rüstzeug über die Grundlagen unseres Körpers sehr nützlich ist, wenn man ein ausgewogenes, individuelles und vor allem erfolgreiches Krafttrainingsprogramm planen und durchführen will. Zum einen erhöhen diese Kenntnisse die Sensibilität dem eigenen Körper gegenüber, zum anderen wird man die Praxis an sich besser verstehen können, wenn man weiß, wie am Training beteiligte Strukturen arbeiten und reagieren. Das aktive Training bleibt sicher das Gleiche – dennoch wird sich etwas verändern: Ihr Bewusstsein für die Sache selbst. Und dies wird sich letztendlich auf Ihren Trainingserfolg auswirken.
Betrachten Sie dieses Kapitel als »Betriebsanleitung« für Ihren einzigartigen und wertvollen Körper. Es wird sich lohnen!
Was uns bewegt
Körperliche Bewegung ist »äußere« und »innere« Bewegung. Die äußere Bewegung erkennt man sehr einfach, wenn wir während des Trainings eine Maschine bedienen, oder – um das Beispiel von vorhin aufzugreifen – wenn wir unsere Trainingshose in die Sporttasche legen. Zur inneren Bewegung gehören der Herzschlag, die Darmtätigkeit, die Kontraktionsvorgänge innerhalb der Muskulatur, das Zellwachstum und vieles mehr. Beide Bewegungsformen hängen häufig unmittelbar zusammen, denn wenn wir z. B. trainieren (äußere Bewegung), kontrahieren unsere Muskelfasern (innere Bewegung). Man könnte etliche weitere Beispiele anführen. Themenbezogen konzentrieren wir uns in diesem Kapitel auf diejenigen Mechanismen, welche für Trainingsbewegungen verantwortlich sind. Dafür zuständig ist der so genannte Bewegungsapparat, der aus zwei verschiedenen, wenn auch zusammenarbeitenden Teilen besteht:
1. dem passiven Bewegungsapparat
2. dem aktiven Bewegungsapparat
Der passive Bewegungsapparat
Etwa 200 Knochen bilden das menschliche Skelett. Je nach Länge, Stärke oder Entwicklungsgrad nehmen sie Einfluss auf unser äußeres Erscheinungsbild, die Körperform. Zusammen mit den Gelenken und Bändern bilden die Knochen den passiven Bewegungsapparat.
Aufbau und Funktion der Knochen
Die Knochen sind sozusagen das Gerüst des Körpers. Um sie herum sind alle Weichteile angeordnet. Ohne das Skelett wären wir nur eine formlose Masse. Aufgrund ihrer erstaunlichen Bauweise sind sie verhältnismäßig leicht, sehr stabil und weisen dennoch eine gewisse Flexibilität auf. Sie bestehen zu 27% aus organischen, zu 56% aus anorganischen Substanzen und zu 17% aus Wasser. Die anorganischen Bestandteile verleihen dem Knochen die Festigkeit und Härte, die organischen die Elastizität. Beide Anteile sind so miteinander verflochten, dass ein Knochen den meisten existierenden Materialien in seinen Eigenschaften weit überlegen ist. So besitzt er die Zugfestigkeit von Kupfer und die Flexibilität von Eichenholz. Seine Druckfestigkeit liegt weit über der Beständigkeit von herkömmlichen Baumaterialien wie z. B. Sandstein. Die äußere Schicht des Knochens besteht aus einer festen Rindenschicht, im Inneren findet man ein schwammartiges Gewebe, das Knochengebälk. Die Zwischenräume des Knochengebälks sind mit Knochenmark gefüllt, welches für die Produktion der roten Blutkörperchen verantwortlich ist. Knochen sind also lebendiges Gewebe. Zeit unseres Lebens ist das Skelett ständigen Auf-, Ab- und Umbauprozessen unterworfen. Dabei richten sich diese Prozesse auch nach den einwirkenden Belastungen. Wer nur auf der Couch lungert, braucht natürlich kein so stabiles Knochengerüst, wie ein Sportler. Krafttraining zählt demnach zu denjenigen Belastungen, worauf Knochen reagieren und zwar im positiven Sinne. Das Gewebe wird dichter, der Knochen selbst gewinnt an Dicke und somit insgesamt an Stabilität.
Aufbau der Knochen und Gelenke am Beispiel des Hüftgelenks.
Aufbau und Funktion der Gelenke
Eine von vielen Voraussetzungen für Bewegung im Alltag und Sport sind die Gelenke, welche stets durch zwei aufeinander treffende Knochenenden gebildet werden. Die bewegungsverursachenden Gelenke nennt man auch »echte Gelenke«, z. B. das Schulter-, das Knieoder Hüftgelenk. Neben diesen gibt es noch »unechte Gelenke«, welche eher zu den starren Verbindungen zählen. Beispiele sind hier die Verbindung von Elle und Speiche oder die verknöcherten Verbindungen des Kreuzbeines. Echte Gelenke haben besondere Merkmale, die den unechten fehlen. So sind die Knochenenden zweier artikulierender Knochen mit hyalinem Gelenkknorpel überzogen, sodass eine glatte Oberfläche entsteht und die Reibung, welche durch Bewegung entsteht, herabgesetzt wird. Zwischen diesen Knorpelflächen befindet sich ein dünner Gelenkspalt. Das Gelenk wird insgesamt durch eine Gelenkkapsel luftdicht abgeschlossen. Zusätzlich sorgen Bänder für die passive Stabilität der Gelenke. Sie sind für die Begrenzung von Gelenkbewegungen mitverantwortlich (Bänderhemmung). Wer diese Bewegungsgrenzen gewaltsam durchbricht, z. B. beim Umknicken des Fußes, überdehnt seine Bänder. Im Extremfall können sie reißen. Jede Bandverletzung mindert die Stabilität eines Gelenkes. Vor Wiederbelastung müssen derartige Verletzungen vollkommen ausheilen!
Der aktive Bewegungsapparat
Das Muskelsystem, genauer gesagt die Skelettmuskulatur, besteht aus hunderten verschiedenen Muskeln. Jeder einzelne haftet mit mindestens zwei Sehnen an mindestens zwei Knochen des Skeletts. Dabei läuft jeder Muskel über mindestens ein Gelenk. Durch diese Vergurtung und die Fähigkeit der Skelettmuskulatur sich zusammenzuziehen (Kontraktion), wird Bewegung möglich. Die Skelettmuskeln – der Einfachheit halber im Folgenden oft nur Muskeln genannt – und Sehnen werden deshalb auch als aktiver Bewegungsapparat bezeichnet.
Verschiedene Formen der Muskulatur.
Muskelformen
Kein Muskel gleicht einem anderen. Sie lassen sich nicht nur nach verschiedenen Funktionen, sondern auch durch allerlei Größen, Breiten und Längen unterscheiden. Dennoch kann man typische und wiederkehrende Grundformen erfassen.
Spindelförmige Muskeln stellen die einfachste Form dar: Der Muskelbauch verjüngt sich nach beiden Seiten hin, jedes Ende geht in eine Sehne über, deren Enden an zwei unterschiedlichen Knochen befestigt sind. Jeder Muskel – nicht nur die spindelförmigen – läuft über mindestens ein, manchmal auch über zwei oder drei Gelenke. Davon abgeleitet bezeichnet man sie auch als ein-, zwei- oder mehrgelenkige Muskeln. Bei den gefiederten Muskeln zieht sich die Sehne am Muskelbauch entlang nach oben, sodass die Muskelfasern wie bei einer Feder ihren Ansatz finden. Man unterscheidet einfach und doppelt gefiedert.
Muskelgewebe und Muskelkontraktion
Unabhängig von Form oder Länge hat jeder Skelettmuskel einen identischen strukturellen, faserigen Aufbau. Die feine Bauweise beruht wie bei jedem unserer Organe auf einer bestimmten Anordnung von Zellen, den Muskelfasern, die durch Bindegewebe zu Muskelfaserbündeln zusammengefasst sind. Mehrere solcher Bündel ergeben einen Muskelstrang, mehrere Stränge den ganzen Muskel. Eine einzige faserartige Muskelzelle besteht aus mehreren 1000 parallel verlaufenden Myofibrillen. Sie sind die entscheidenden Bauteile der Muskulatur, da diese sich wiederum aus kontraktionsfähigen Filamenten zusammensetzen, den Aktin- und den Myosinfilamenten. Diese zwei Filamente schieben sich bei willentlicher Kontraktion ineinander, sodass sich die Z-Linien, auch Z-Scheiben genannt, einander nähern und in der Gesamtheit den Muskel verkürzen. »Willentlich« bedeutet, dass ein entsprechender Kontraktionsbefehl von uns bewusst signalisiert und infolgedessen eine Bewegung eingeleitet wird. Im völlig entspannten Zustand der Muskulatur liegen diese Filamente ruhig nebeneinander. Dieses Ineinandergleiten geschieht keineswegs sehr fließend. Es sind...