Einleitung
Schumanns Leben und Schaffen vollzog sich in einer kaum faßbaren Intensität, obgleich es immer wieder krisenhaft überschattet war. Wichtige Daten und Aspekte dieser komplexen Künstlerbiographie finden sich in der angefügten Chronik bzw. im Kontext einzelner Werkeinführungen. Vorweg soll zwei übergreifenden Fragen nachgegangen werden, zunächst derjenigen nach der stilistisch-ausdruckshaften Entwicklung des Schaffens und einiger dabei zu beachtender Bedingungsfaktoren, danach jener nach den Lebensdivergenzen und den Umständen von Schumanns tragischem Ende.
Das kompositorische Ergebnis von Schumanns breit gestreutem künstlerischen Wirken ist ein Gesamtwerk von universaler Weite. Es umspannt alle wichtigen Gattungen, gewichtet diese freilich unterschiedlich. Der kompositorische Aufbruch im Klavierjahrzehnt war gleichermaßen von jugendlicher Dynamik wie von einer kompromißlosen Progressivität geprägt. All die Kühnheiten und stilistischen Verwerfungen, die Intensivierung, ja Übersteigerung gefühlsbetonter Momente, die Darstellung des Dunkel-Untergründigen, aber auch des Skurrilen, verweisen zugleich auf einen unmittelbaren Einfluß frühromantischer Ideen. Diese traten Schumann in ihrer ganzen Vielschichtigkeit im Werke seiner damaligen Lieblingsdichter Jean Paul und E. T. A. Hoffmann entgegen. Dabei stieß er auch auf die geradezu beschwörende Anhäufung der Formel »poetisch« (bzw. »Poesie«), einen wichtigen Leitbegriff romantischer Ästhetik. Mit ihm war, den engeren Bereich der Dichtung weit übergreifend, die Vorstellung einer der »prosaischen« Welt des Alltäglich-Banalen entgegengestellten höheren Wirklichkeit verbunden. Diese konkretisiere sich im freien Spiel der schöpferischen Phantasie und vermittle Empfindungen neuer Art, ja öffne gleichnishaft das Tor zu tieferen Erkenntnissen. Der theoretische Hintergrund dieser Anschauung findet sich vor allem in den kunstphilosophischen Passagen von Schellings Transzendentalphilosophie. Ihnen zufolge wird die im letzten bestehende Einheit von Endlichem und Unendlichem nicht auf dem Wege des begrifflichen Denkens, sondern gerade und vornehmlich durch die Kunst vermittelt. Schönheit ist in diesem Sinne zugleich ein gleichsam sinnliches Aufscheinen des Absoluten. Wie zuvor schon Beethoven, war Schumann von dieser Metaphysik durchdrungen. Unermüdlich forderte er vor allem in seiner ersten Schaffensphase eine solch »poetische« Erneuerung und Vertiefung der Musik. Mit seiner Idee der »Davidsbündler« schuf er sich einen fiktiven Kreis verschworener Mitstreiter zur Realisierung dieses Vorhabens. Vorbilder dafür bot die zeitgenössische Literatur in mancherlei Varianten, so etwa E. T. A. Hoffmann mit seinen Serapions-Brüdern (1819-21). Schumann besetzte seinen geheimen Zirkel im Laufe der Zeit mit allen wichtigen Freunden und Künstlerkollegen. Wieck wurde zum Meister Raro, Clara zu Cilia oder Chiara bzw. Chiarina, Mendelssohn zu Meritis, Dorn zum Musikdirektor und sein langjähriger Jugendfreund Flechsig zum Jüngling Echomein. Von diesen und manch anderen Eingeweihten wußte er sich gestärkt und beflügelt, dem Beispiel Davids gegen die Philister zu folgen und den Kampf gegen musikalisches Mittelmaß, gegen alles Geistlos-Epigonenhafte aufzunehmen. Sich selber wies er zwei gegensätzliche Charaktere zu. Er führte sie am 1. Juli 1831 ein: »Ganz neue Personen treten von heute in’s Tagebuch – zwey meiner besten Freunde, die ich jedoch noch nie sah – das sind Florestan und Eusebius.« (Tb I, S. 344) Das damit aufgegriffene romantische Doppelgängermotiv war ihm seit langem vertraut. Es bezieht sich direkt auf das so konträre Zwillingspaar Vult und Walt aus Jean Pauls Flegeljahren (1804), in allgemeinerer Weise aber auch auf E.T.A. Hoffmanns genialisch-sprunghafte und gefährlich gespaltene Persönlichkeit des Kapellmeisters Kreisler.
Romantisches Denken schloß in einer dialektischen Weise auch die Verehrung historisch bedeutsamer künstlerischer Leistungen und die Einschmelzung älterer Sprach- und Stilformen ein. Schumann bekannte sich nachdrücklich zu diesem Prinzip. »Die Zukunft soll das höhere Echo der Vergangenheit sein«, notierte er in den frühen dreißiger Jahren (Tb I, S. 304). Seine wichtigsten Leitbilder waren Johann Sebastian Bach, Beethoven und Schubert, was in seinem Studienprogramm, in vielen kompositionstechnischen und stilistischen Entsprechungen, nicht zuletzt aber in zahlreichen Zitatverbindungen belegt ist. In der Musik dieser als unerreichbar bewunderten Vorgänger sah er zugleich das Ideal des Romantisch-Fortschrittlichen und damit »Poetischen« in schönster Weise verwirklicht. Daß er von Anfang an gleichsam als rationales Korrektiv zu seinem unerschöpflichen Einfallsreichtum hohe gestalterisch-handwerkliche Ansprüche an sich stellte, war gewiß auch eine Konsequenz aus dieser Beziehung.
Es scheint, als habe die 1840 mit der Eheschließung erreichte Stabilisierung der persönlichen Verhältnisse Schumanns Kräfte für eine Ausweitung der kompositorischen Pläne freigesetzt. Nach der intensiven Erfahrungsbildung an den verschiedensten Formen und Genres der Klaviermusik wie auch im Bereich des Liedes wandte er sich nun systematisch der Erschließung weiterer Gattungen zu. Die progressive ästhetische Grundhaltung blieb dabei zunächst ungebrochen erhalten. Dies zeigt sich gleichermaßen im kammermusikalischen Schaffen wie im sinfonischen Werk. Im Laufe der Jahre wurde sie dann allerdings durch andere, teilweise explizit antiromantische Tendenzen zurückgedrängt. Inspiriert vom nationalen Aufbruch und den Forderungen nach der Erschließung des Künstlerischen für ein breiteres Verständnis, auch mitbestimmt durch ein wachsendes pädagogisches Interesse, vereinfachte er nun immer wieder seine Schreibweise. In besonderer Weise wurden von dieser Tendenz das chorische wie oratorische Schaffen, außerdem seine Beiträge zur Bühnenmusik erfaßt. Die Abkehr von der kühnen ursprünglichen Diktion hatte aber auch andere Gründe. Zum einen mußte Schumann angesichts zuweilen drückender finanzieller Sorgen und seines unablässigen Kampfes um Anerkennung bestrebt sein, die Verbreitung und den Absatz seiner Werke zu erleichtern. Zum andern wirkten sich wohl auch die im Laufe der vierziger Jahre auftretenden gesundheitlichen Turbulenzen in dieser kompositorischen Beschränkung aus. Interessanterweise ergab sich gerade in der bedrängendsten Periode eine einschneidende Änderung seiner Schaffensweise. Schumann äußerte sich dazu im Frühsommer 1846 wie folgt: »Ich habe das Meiste, fast Alles, das kleinste meiner Stücke in Inspiration geschrieben, vieles in unglaublicher Schnelligkeit, so meine 1 ste Symphonie in B Dur in vier Tagen, einen Liederkreis von zwanzig Stücken ebenso [gemeint ist die dann auf 16 Lieder reduzierte Dichterliebe], die Peri in [...] verhältnismäßig ebenso kurzer Zeit. Erst vom Jr. 1845 an, von wo ich anfing alles im Kopf zu erfinden und auszuarbeiten, hat sich eine ganz andere Art zu componiren zu entwickeln begonnen.« (Tb II, S. 402) Eine letzte Entwicklungsstufe, welche zeitlich ebenfalls nicht trennscharf zu definieren ist, vielmehr sich schon lange vor der Krisenzeit 1852-54 angekündigt hatte, brachte dann mit der graduell unterschiedlichen Reduktion des klangsinnlichen Elements zugunsten subjektiv-verschlüsselter Ausdrucksformen und herberer Töne eine noch deutlichere Distanzierung von der stilistisch-ausdruckshaften Fülle früherer Neueren Forschungen ist es zu danken, daß die unmittelbar nach Schumanns Tod einsetzende Abwertung solcher Spätwerke allmählich einer sachlicheren Betrachtungsweise weicht.
Schumanns Biographie ist reich dokumentiert. Hauptquellen dafür sind die den Zeitraum von Januar 1827 bis Januar 1854 erfassenden Tagebuchaufzeichnungen, die sie ergänzenden, von 1837 bis ins Todesjahr reichenden Haushaltsbücher, des Weiteren ein umfangreicher Briefwechsel wie auch zahlreiche Aufzeichnungen aus der engeren und weiteren Umgebung des Komponisten (vgl. die Literaturhinweise). Sie alle weisen auf einen äußerst wechselhaften Lebensverlauf hin. Phasen unbeschwerten Wirkens wurden regelmäßig und in zunehmend rascher Folge von Abschnitten belastender Art abgelöst. Die dabei auftretenden Probleme erwuchsen aus dem Zusammentreffen einer höchst komplizierten Persönlichkeitsstruktur mit erheblichen äußeren Widrigkeiten. Schumann war starken inneren Spannungen unterworfen, neigte bald zum Überschwang, bald zu tiefer Depression. All dies trat erstmals während der Studentenjahre voll zutage. Auf sich selbst gestellt, war er damals hin- und hergerissen zwischen einem exzessiv freizügigen Lebensstil und dem Streben nach verantwortlicher Selbstgestaltung. Immer wieder verlor er im Widerstreit mit seinen – wie er sagt – »dämonischen« Kräften. Rückhaltlos vertraute er dies seinem Tagebuch an, wenn es dort etwa heißt: »Ich sinke...