Meine Story
Starten wir mit meiner Geschichte – und mit den Menschen und Ereignissen, die mich stark gemacht haben. Heute bin ich ein selbstbewusstes Curvy-Model, aber das war natürlich nicht immer so. Auch mir wurden allerlei Klischees um die Ohren gehauen. Ausgerechnet meine Oma hätte beinahe dafür gesorgt, dass ich ebenfalls zu einer Frau geworden wäre, die mit ihrem Körper unglücklich ist. Das wusste meine Mutter Gott sei Dank gerade noch rechtzeitig zu verhindern.
Für alle, die mich nicht näher kennen, wird es eine Überraschung sein: Ich bin ein Zwilling! Meine Schwester und ich sind eineiige Zwillinge, aber wir ähneln uns überhaupt nicht. Sie ist dunkelhaarig, schlanker und Zahnärztin. Ich bin blond, kurviger und arbeite in der Mode- und Medienbranche.
Natürlich wurden wir immer verglichen. Von Zwillingen erwartet man, dass sie gleich sind. Uns eint eine tiefe Liebe zueinander, aber wir sind völlig verschieden. Unsere Eltern haben dafür gesorgt, dass wir mit Liebe und Stärke aufwuchsen und uns möglichst unabhängig von der Meinung anderer zu individuellen Persönlichkeiten entwickelten. Klingt super, war aber nicht immer so easy. Auch ich tat mich als Kind beziehungsweise Teenager schwer, gerade als sich die weiblichen Kurven entwickelten. Selbstbewusstsein fällt halt nun mal nicht vom Himmel.
Zurück zu meiner Oma: Als meine Schwester und ich fünf oder sechs Jahre alt waren, waren wir gemeinsam mit unseren sehr dünnen Cousinen bei ihr zu Besuch. Da sagte Oma zu uns folgenden Satz: »Ihr seid aber zu dick! Ihr esst zu viel! Guckt mal eure Cousinen an, die sind nicht so dick!« Ich sehe noch heute, wie wir am Tisch saßen und unsere Münder offen standen. Bis dahin hatten wir niemals über die Figur oder über unser Essverhalten nachgedacht. Warum auch? Wir waren kleine Kinder.
Meine Oma dagegen fand uns zwar zu dick, fütterte uns aber zur Kaffeezeit trotzdem mit Nutella-Semmeln; das waren mit Schokocreme bestrichene Brotteile, die zu Schnecken gerollt waren. Oma brachte uns auch als Erste immer Schokolade mit. Doch plötzlich war unser Aussehen für sie ein ganz großes Thema. Das fühlte sich komisch für uns an und war nicht schön. »Du bist zu dick« heißt ja nichts anderes als: »Du bist nicht richtig.«
Wieder zu Hause angekommen, aßen wir erst einmal ein paar Tage lang weniger. Das rief aber sofort meine Mutter auf den Plan: »Was ist denn mit euch los?«, fragte sie. »Mama, wir wollen nicht zu dick sein!«, war unsere Antwort. Meine Mutter fiel aus allen Wolken. Sie hatte immer darauf geachtet, dass wir normal aßen, nicht zu viel und nicht zu wenig. Wir waren auch sportlich und gingen damals schon ins Ballett und zum Turnen. Man will nicht anders sein, gerade als junger Mensch möchte man immer den anderen gefallen.
Waren wir wirklich dick? Das ist eine spannende Frage, die ich mir auch jetzt noch stelle, während ich dieses Buch schreibe. Was ist eigentlich »wirklich«? Und was richten solche Sätze an?
Wenn ich mir die Fotos aus unserer Kindheit anschaue, sehe ich heute, dass wir nicht übergewichtig waren. Wir waren ganz normale Mädchen. Meine Cousinen waren auch ganz normale Mädchen. Aber während wir beide zu dem schwereren Typus zählten, gehörten sie in die Kategorie ultraschmal. Alle Menschen sind unterschiedlich, und zwar nicht nur in Bezug auf die beiden Merkmale »schwer« oder »leicht«, sondern auf unzählige andere Eigenschaften auch.
Damals jedenfalls schnappten sich meine Eltern die Oma und führten mit ihr ein ernstes Gespräch. Das war für meine Schwester und mich ein wichtiges Signal. Unsere Eltern waren für uns immer wie unsere Anwälte. Sie haben an uns geglaubt und uns gestärkt. Sie haben die Basis für meine Stärke gelegt. Meine Mama wurde für mich ein wichtiges Vorbild.
Als ich in die Pubertät kam, bekam ich als eine der Ersten in der Klasse weibliche Rundungen. Die Jungs machten große Augen, die Mädchen tuschelten. Man selbst findet das in dem Alter nur so mitteltoll. Man möchte in der Gruppe nicht auffallen. Aber natürlich sind wir als Zwillinge sowieso schon aufgefallen. Doch statt uns zu verstecken und kleinzumachen, konnten wir dank der Eltern wachsen und unsere Persönlichkeit entwickeln. Den Kauf des ersten BHs hat meine Mutter liebevoll zelebriert. Sie regte auch an, unsere aufkommende Weiblichkeit nicht hinter schlabbrigen, zeltartigen Oberteilen zu verstecken. Sie wollte gar nicht erst aufkommen lassen, dass wir uns schlecht fühlten. Dafür stellte sie uns vor den Spiegel, zählte alles auf, was an uns schön war, und ermunterte uns, das Frauwerden zu feiern. Meine Mama hat so oft gesagt, dass ich schön bin, dass ich irgendwann selbst daran glauben konnte.
Als Teenager bekommt man zwar irgendwann mit, dass man nicht die Hässlichste in der Klasse ist, aber das heißt ja noch lange nicht, dass man auch bei allen beliebt ist. Ganz im Gegenteil: Von vielen wird man ganz schnell als die Arrogante, die Eingebildete abgestempelt. Damals stand ich da als hübsche Riesin mit wachsender Oberweite, die einerseits angeschwärmt, aber andererseits abgelehnt wurde.
Dazu fällt mir eine Geschichte ein: Meine damals beste Freundin schrieb mir in mein Freundebuch, dass eine Mitschülerin zu ihr gesagt habe, ich sei eine »DICKE KUH«. Ich habe erst später begriffen, was alles in dieser Botschaft steckte. Ganz abgesehen davon, dass jemand etwas so Verletzendes über mich sagte – ich hatte eine beste Freundin, die mir in großen Lettern verriet, was sie selbst in Wirklichkeit von mir dachte.
Ich war keine Mitläuferin. Wenn es Gruppen gab, die kifften oder rauchten, habe ich nicht mitgemacht, nur um dazuzugehören. Ich habe niemanden verpfiffen, aber mich auch zu nichts überreden lassen, was ich nicht gut fand. Ich habe immer eher mein eigenes Ding verfolgt. Diese Zeit hat mich sehr geprägt. Es machte mir Spaß, mir Ziele zu setzen und dafür zu kämpfen, ob in der Musik, beim Sport oder in der Schule. Wenn ich eine Rolle in einem Stück spielen wollte, habe ich mich wochenlang darum bemüht. In dieser Zeit ist meine Stärke gewachsen, denn ich musste mich durch Schwierigkeiten durchbeißen und konnte für mich erkennen, was wirklich wichtig war. Auch unser Vater hat uns darin immer wieder bestärkt: »Mädels, guckt über den Tellerrand. Wenn ihr etwas erreichen wollt, müsst ihr euch richtig ins Zeug legen.« Und das haben wir auch getan – was dazu führte, dass wir in vielen Dingen erfolgreich wurden. Ich war eine gute Schülerin, habe zwei Musikinstrumente gelernt, nämlich Klavier und Tuba, erfolgreich in einem Orchester mitgespielt und dort Verantwortung übernommen. Aber viel wichtiger als diese Erfolge war die Erkenntnis, dass ich mehr war als eine Figur, eine Hülle. Dass ich vielmehr eine Persönlichkeit bin und mich das als Mensch ausmacht.
Ja, heute kann ich selbstbewusst sagen: Ich finde mich schön, ich liebe alles an mir. Aber das musste ich erst lernen. Viele Menschen denken, wenn man schön ist, hat man es leichter im Leben. Ich kann dir versichern, dass dem nicht so ist. »Schön« kommt gern mal in die Schubladen »dumm«, »arrogant«, »oberflächlich«. Meine Mitmenschen scannen meistens in Sekundenschnelle mein Äußeres und nehmen dann erst gar nicht mit mir Kontakt auf. So habe ich das beispielsweise in meinem Studium erlebt. Dass ich Empirische Sprachwissenschaft und Musikwissenschaft studiert habe, bringen viele auch gar nicht mit meinem Modelberuf zusammen. Warum wollen Menschen dann überhaupt mit mir Zeit verbringen? Weil ich schön aussehe? Oder vielleicht weil ich witzig bin, Humor habe und andere gern zum Lachen bringe? Weil ich warmherzig und alles andere als dumm bin?
Auf meinem Lebensweg sind mir natürlich auch Männer begegnet, die mein Gesicht schön fanden, aber mit den fraulichen Kurven nur schlecht um- gehen konnten. Sprüche wie »Fünf Kilo weniger würden dir auch gut stehen« haben mich als junge Frau verunsichert. Und wenn dein Freund dir in einer romantischen Situation in die Hüften greift und »Quiek, quiek« macht, willst du dich eigentlich nie wieder nackt zeigen. Diät, Operation, Selbstoptimierung – natürlich hatte ich auch Phasen in meinem Leben, in denen mir solche Optionen durch den Kopf gingen. Aber Gott sei Dank machen mich solche Situationen eher immer bockig. Jawohl! Dann wird mein Sportsgeist geweckt und ich will erst recht zeigen, was in mir steckt. Und erkennen, wer an mir als Person aufrichtig interessiert ist und nicht nur an meiner Hülle.
Da muss ich jetzt noch einmal auf meine Oma zurückkommen, die leider auch später nicht an mich glauben konnte: »Also für den Modeljob bist du doch viel zu dick«, war eine ihrer Reaktionen, als ich von einer Agentur entdeckt wurde und meine Reise als Curvy-Model begann. Noch dazu war es wieder eine »beste Freundin«, die tatsächlich sagte, dass sie noch nie ein »fettes Supermodel« erlebt hätte. Danke für diese Motivation!
Mein Kampfgeist hilft mir sehr in meinem Beruf. Die Mode- und Medienwelt ist spannend, aber auch anstrengend, oberflächlich und herausfordernd. Natürlich fühlt es sich ganz oft schön an, wenn meine 150 000 Instagram-Follower schwärmen, dass ich toll aussehe oder etwas gut gemacht habe. Aber ich muss auch aushalten, dass Zuschauer über mich lachen, lästern, mich angreifen oder sogar wüst beschimpfen. Das kann ich, weil ich stark bin. Deswegen ist mir auch dieses Buch so wichtig: Ich schreibe es für alle Frauen, für Frauen, die sich nicht mehr schlecht fühlen wollen, die sich nicht über ihre Figur bewerten und abwerten lassen wollen. Damit ihr lernt, euch selbst zu lieben und euren ganz eigenen Weg zu finden. So wie ich.
Dazu verrate ich...