An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem Aufblühen des Landes und der steigenden Kultur muß die Fehde allmählich in den Krieg, der Raub in die Eroberung übergegangen sein und politische Mächte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen frühesten Raufhändeln und Beutezügen, in denen der Charakter der Völker sich bildet und sich äußerst wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche Überlieferung, die äußere Entwicklung der Machtverhältnisse der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annähernder Genauigkeit zu erkennen. Höchstens von Rom läßt die Ausdehnung seiner Macht und seines Gebietes sich einigermaßen verfolgen. Die nachweislich ältesten Grenzen der vereinigten römischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie waren landeinwärts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Küste zu bis an die etwas über drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermündung (Ostia). "Größere und kleinere Völkerschaften", sagt Strabon in der Schilderung des ältesten Rom, "umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhängigen Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmäßig waren". Auf Kosten zunächst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die ältesten Erweiterungen des römischen Gebietes erfolgt zu sein.
Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria, Collatia drückten am nächsten und empfindlichsten auf Rom und scheinen schon in frühester Zeit durch die Waffen der Römer ihre Selbständigkeit eingebüßt zu haben. Als selbständige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk später nur Nomentum, das vielleicht durch Bündnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brückenkopf der Etrusker am linken Ufer des Tiber, kämpften Latiner und Etrusker, das heißt Römer und Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in die späte Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes. Durch diese Eroberungen mochte das römische Gebiet sich auf etwa 9 Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen Kämpfe ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine andere uralte Waffentat der Römer im Andenken geblieben: Alba, die alte heilige Metropole Latiums, ward von römischen Scharen erobert und zerstört. Wie der Zusammenstoß entstand und wie er entschieden ward, ist nicht überliefert; der Kampf der drei römischen gegen die drei albanischen Drillingsbrüder ist nichts als eine personifizierte Bezeichnung des Kampfes zweier mächtiger und eng verwandter Gaue, von denen wenigstens der römische ein dreieiniger war. Wir wissen eben nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und Zerstörung Albas durch Rom.
Daß in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge festsetzte, auch Praeneste, welches späterhin als Herrin von acht benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spätere verhältnismäßig ansehnliche Macht begründet haben mögen, läßt sich vollends nur vermuten.
Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte über den rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser ältesten latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, daß sie nach demselben Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige römische Gemeinde hervorgegangen war; nur daß die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene ältesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten Gemeinde eine gewisse relative Selbständigkeit bewahrten, sondern völlig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des latinischen Gaues reichte, duldete er in ältester Zeit keinen politischen Mittelpunkt außer dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er selbständige Ansiedlungen an, wie die Phöniker und die Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorläufig Klienten und künftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwürdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische Selbständigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbürger-, sondern ließ ihnen bloß, wenn sie es bereits besaßen, das allgemeine römische Bürgerrecht. Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch das Schicksal der schwächeren Gaue, die durch Waffengewalt oder auch durch freiwillige Unterwerfung einem stärkeren untertänig wurden. Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der Mark der Überwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie ihren Göttern in dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat gegründet. Eine förmliche Übersiedelung der Besiegten in die neue Hauptstadt, wie sie bei den Städtegründungen im Orient Regel ist, wird man hierunter freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die Städte Latiums konnten in dieser Zeit wenig mehr sein als die Festungen und Wochenmärkte der Bauern; im ganzen genügte die Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an den neuen Hauptort. Daß selbst die Tempel oft am alten Platze blieben, läßt sich an dem Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen Städten noch nach der Zerstörung eine Art religiöser Scheinexistenz geblieben sein muß. Selbst wo die Festigkeit des geschleiften Ortes eine wirkliche Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man mit Rücksicht auf die Ackerbestellung dieselben häufig in offenen Weilern ihrer alten Mark angesiedelt haben. Daß indes nicht selten auch die überwundenen alle oder zum Teil genötigt wurden, sich in ihrem neuen Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen Erzählungen aus der Sagenzeit Latiums der Satz des römischen Staatsrechts, daß nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die Stadtmauer (das Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natürlich wurde den überwundenen, übergesiedelt oder nicht, in der Regel das Schutzverwandtenrecht aufgezwungen; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem Bürgerrecht, das heißt dem Patriziat, beschenkt. Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die römische Bürgerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen Familienheiligtümer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu großem Ansehen erhob.
Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer größeren war natürlich nichts weniger als eine spezifisch römische Idee. Nicht bloß die Entwicklung Latiums und der sabellischen Stämme bewegt sich um die Gegensätze der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbständigkeit, sondern es gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem bedrängten Bunde der ionischen Städte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalität bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und glücklicher festhielt als irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in Hellas die Folge seiner frühen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine Größe lediglich demselben hier noch weit energischer durchgeführten System zu danken.
Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden dürfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht bloß die problematische Größe und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die Vorstandschaft unter den dreißig berechtigten Gemeinden. Die Zerstörung Albas hob natürlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstörung Thebens die böotische Genossenschaft; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten, vermögen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die römische Hegemonie über Latium bald und durchgängig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr entzogen haben mögen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenüberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Küsten gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern können. Ob der materielle Zuwachs, den Rom durch die Überwältigung von Alba erhielt, größer war als die durch die Einnahme von Antemnae...