Das Jahr 1989 bedeutete in vielerlei Hinsicht einen Umbruch. Die Ereignisse in Osteuropa und der DDR sind dabei ebenso zu nennen, wie die neue Richtung in der amerikanischen Ost- und Deutschlandpolitik. Mit George Bush trat ein Präsident ins Amt, unter dessen Führung die Außenpolitik und insbesondere die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland auf neue Grundlagen gestellt wurden. Soweit die USA aber vielleicht auch vordachten, mit den Entwicklungen, die im Laufe des Jahres 1989 voranschritten, und vor allem deren Tempo hatte auch das amerikanische Außenministerium nicht gerechnet.
Wenn von der amerikanischen Politik im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung die Rede ist, fallen viele Namen. Die Politik beschränkte sich nicht allein auf Präsident Bush oder Außenminister Baker. Eine Reihe von Personen spielten eine teils maßgebliche Rolle, auch wenn sie öffentlich eher selten auftraten, dafür aber hinter den Kulissen arbeiteten. Eine kurze Aufstellung der Hauptakteure, dort allerdings nicht nur auf die USA begrenzt, findet sich bei Zelikow und Rice.[57] Ein Blick darauf führt zu der Frage. Wer betrieb überhaupt die Außenpolitik der USA? Oder anders ausgedrückt: Wer hatte das Sagen? Für Bush, Anfang 1989 erst frisch in sein Amt gewählt, existierte nicht nur Europa als Aufgabenfeld. Schließlich galt es für ihn, sich erst einmal um eine innenpolitische Stärkung seiner Position zu bemühen. Im Folgenden sollen die Hauptpersonen auf amerikanischer Seite vorgestellt und aufgezeichnet werden, wie die Kompetenzen in der US-Administration bezüglich der Außenpolitik verteilt waren und auch heute noch sind.
Als Erstes ist festzuhalten, dass eine exakte Kompetenzfestlegung zwischen den US-Verfassungsorganen in außenpolitischen Fragen nicht existiert. In der amerikanischen Verfassung fehlen Formulierungen, die eine Eingrenzung ermöglichen. Stattdessen beruft man sich auf das amerikanische Grundprinzip der „Checks and Balances“. In der Verfassung heißt es nur, Präsident und Kongress sind für die Außenpolitik zuständig – ohne die Rollen exakt zu definieren. Dadurch besteht die Gefahr, dass Konflikte zwischen den Organen geschürt werden und Entscheidungen in der Sackgasse landen können. Nach Meinung von Außenpolitik- und Verfassungsrechtsexperten galt dies aber nur in der Theorie. Anthony Lake bescheinigte der amerikanischen Außenpolitik bis Mitte der 80er Jahre ein hohes Maß an Geschlossenheit. Einen radikalen Kurswechsel innerhalb der Politik erschwerte das in den USA herrschende System zwar deutlich, aber auch darin erkannte Lake keinen Nachteil: „Serious nations do not redefine their national interests every few years [...] Foreign policy accomplishments generally come about because a nation has been able to sustain a course of action over a long period of time.[58]“
Präsident, State Department und NSC
Wie sieht die Rollenverteilung innerhalb der Außenpolitik denn nun aus? Den Part der Exekutive erfüllt der Präsident. Er schließt unter Zustimmung des Senats Verträge mit anderen Staaten ab und führt außerdem den Oberbefehl über die Streitkräfte aus.[59] Mit George Bush, unter Reagan Vizepräsident, kam ein Mann an die Macht, der über reichlich diplomatische Erfahrung verfügte. Während des Wahlkampfes 1988 hatte Bush offengelassen, in welche Richtung seine Politik zielen würde, lediglich die Begriffe „Frieden“ und „Stärke“ wurden immer wieder hervorgehoben. Eine Betonung auf eine bestimmte Deutschlandpolitik gab es bis Anfang 1989 nicht. Es wurde allgemein angenommen, dass er die Linie seines Vorgängers Reagan weiter verfolgen würde.[60] Bushs Deutschlandbild war durchaus positiv und wie Knappe beschreibt „frei von historischen Ressentiments“, was nicht für alle US-Regierungen der Vergangenheit galt.[61]
Ihm zur Seite standen in allen außenpolitischen Angelegenheiten das Außenministerium (Department of State) mit Außenminister Baker an der Spitze und der Nationale Sicherheitsrat (National Security Council, NSC), dessen Führung Brent Scowcroft innehatte. Beide Gremien standen in einem schwierigen Verhältnis zueinander, das Elizabeth Pond als „combination of rivalry and cooperation[62]“ charakterisiert. In der Bush-Ära allerdings überwog die Kooperation zwischen beiden Gremien, was auch Robert Blackwill später ausdrücklich hervorhob. Denn der damalige Sonderbeauftragte des Präsidenten wies darauf hin, dass bis dato „lähmende bürokratische Streitigkeiten an den Ufern des Potomac eine langwierige und traurige Tradition[63]“ hatten. Problemfelder ergaben sich durch die unterschiedliche Einschätzung der Reformbemühungen Gorbatschows. Gerade beim NSC, das die Interessen der Konservativen und des Militärs vertrat, überwog die Skepsis gegenüber der Sowjetunion. „Gorbatschows Charmeoffensiven[64]“ lösten im NSC die Befürchtung aus, der starke Mann im Kreml rüttele an der Bündnistreue der Westeuropäer. Die Sowjetunion wurde noch immer als Bedrohung gesehen.
Auf der anderen Seite stand das State Department, das sich unter Baker eher einem kooperativen Element in der Politik gegenüber der Sowjetunion verschrieben hatte. Zum engen Beraterstab, dem „Policy Planning Staff“, zählten Bakers Chefberater Robert Zoellick und der Direktor des Planungsstabes Dennis Ross. Nach dem Fall der Mauer wurden außerdem Raymond Seitz und James Dobbins vom Bureau for European and Canadian Affairs in die Diskussionen mit einbezogen. Baker ging mit Bush konform in der Hinsicht, dass auch er seinen Beraterstab möglichst klein hielt.[65] Dem State Department untergeordnet waren die beiden Botschafter Vernon Walters (Bonn), von dem später noch die Rede sein wird, und Richard C. Barkley (Ost-Berlin). Beide hatten aber nur unzureichende Kompetenzen und wurden in die Verhandlungen und Entscheidungsfragen nur selten einbezogen, was insbesondere Walters später anprangerte. Das State Department betrieb seiner Meinung nach „Geheimnistuerei“ und schloss ihn als „wichtiges Bindeglied in den deutsch-amerikanischen Beziehungen“ aus.[66] Dazu ist aber anzumerken, dass Walters im Juni 1989 überhaupt erst als Botschafter eingesetzt wurde. Außerdem geriet der damals 73-Jährige oftmals in die Kritik Bakers, als er ohne Abstimmung mit dem State Department immer wieder zum, so Baker, höchst sensiblen Thema der Wiedervereinigung öffentlich Stellung bezog.[67]
Der Kongress
Präsident, State Department und NSC stehen in ihrer Entscheidungsfindung im außenpolitischen Prozess theoretisch unter der Kontrolle des Kongresses, der die Position der Legislative erfüllt. Allerdings sind die Möglichkeiten des Kongresses begrenzt. Er kann zwar Entscheidungen blockieren, aber nur in Ausnahme selbstständige Außenpolitik gegenüber der Exekutive betreiben. Im Entscheidungsprozess versuchen sich die beiden Häuser des Kongresses durch die Bildung von Ausschüssen einzubringen. Im Vereinigungsprozess geschah dies im Repräsentantenhaus mit dem „Subcommitee on Economic Stability“, dem „Small Business Commitee“ und dem „Foreign Affairs Commitee“. Der Senat beteiligte sich mit dem „Budget Commitee“, dem „Armed Services Commitee“ und dem „Foreign Relations Commitee“.
Der Präsident benötigt für außenpolitische Verträge eine Zwei Drittel-Mehrheit im Senat. Der Einfluss des Repräsentantenhauses auf die Außenpolitik ist durch die Bereitstellung von finanziellen Mittel gegeben. Der Kongress an sich kann den Handlungsspielraum des Präsidenten höchstens eingrenzen. Seine Mitglieder dürfen dabei aber nie ihre innenpolitische Verantwortung gegenüber den Wählern außer acht lassen.[68]
Politische Interessengruppen
Eine dritte Gruppe, die außenpolitisch aber eine eher schwache Rolle spielt, sind die organisierten Interessengruppen („pressure-groups“). Ihr Antrieb ist es, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, um so Druck zu erzeugen. Ihr Hauptaugenmerk liegt normalerweise im innenpolitischen Bereich. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung nahmen zu der Thematik aber auch Interessengruppen Stellung. Jüdische Verbände meldeten sich ebenso zu Wort, wie auch Amerikaner polnischer Abstammung, die sich zur Frage der Oder-Neiße-Grenze äußerten.[69] Jüdische Gruppen hatten, wie in Kapitel 2.3 erwähnt, schon im Zuge der amerikanischen Politik gegenüber der DDR versucht, Einfluss zu nehmen.
Das Zusammenspiel
Katherine Pruitt vergleicht die Entscheidungsfindung des amerikanischen Präsidenten in der Außenpolitik mit einem Kreismodell[70]: Der Präsident im Kreiszentrum wird beeinflusst durch seinen direkten Beraterstab (erster Kreis), die Ministerien (zweiter Kreis), den Kongress, die öffentliche Meinung und Interessenverbänden (dritter Kreis), sowie dem internationalen Recht, internationalen gouvernementalen Organisationen und internationalen nicht-gouvernementalen Organisationen (äußerer Kreis).
Nach Pruitt befassen sich Präsident und innerer Kreis vor allem mit den kritischen Entscheidungen, die entweder die nationale Sicherheit...