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E-Book

Romain Rolland

AutorStefan Zweig
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl440 Seiten
ISBN9783849628796
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Romain Rolland war ein französischer Schriftsteller, Musikkritiker, Pazifist und Freund Stefan Zweigs. Er wurde 1915 als dritter Franzose mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Zweigs Biografie zeichnet nicht nur den Menschen Rolland, sondern auch sein Werk.

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Leseprobe

Die Erneuerung des französischen Theaters


 


Mit der gläubigsten Seele hat der junge Dichter seine ersten dramatischen Aufrufe zum Heroismus geschaffen, eingedenk von Schillers Wort, daß glückliche Epochen der reinen Schönheit sich hingeben können, schwache aber das Beispiel vergangenen Heldentums bedürfen. Er hatte einen Ruf zur Größe an seine Nation gesandt – sie gibt keine Antwort. Und unerschütterlich in der Überzeugung von dem Sinn, von der Notwendigkeit dieses Aufschwungs, sucht Rolland nun die Ursache dieses Mißverstehens, und er findet sie, mit Recht, nicht in seinem Werk, sondern im Widerstand der Zeit. Tolstoi hat ihm in seinen Büchern und in jenem wundervollen Briefe als erster die Unfruchtbarkeit, die Sterilität der bürgerlichen Kunst gewiesen, die in ihrer sinnlichsten Ausdrucksform, im Theater, mehr als irgendwo den Zusammenhang mit den ethischen und ekstatischen Kräften des Lebens verloren hat. Ein Klüngel eifriger und betriebsamer Stückeschreiber hat die Pariser Theater besetzt, die Probleme, die sie darstellen, sind Varianten des Ehebruches, kleine erotische Konflikte, niemals eine ethische allmenschliche Angelegenheit. Das Publikum der Theater, von den Zeitungen übel beraten und in seiner seelischen Trägheit bestärkt, will sich nicht aufraffen, sondern sich ausruhen, sich vergnügen, sich amüsieren. Das Theater ist alles, nur keine »moralische Anstalt«, wie sie Schiller gefordert und d'Alembert verteidigt hat. Kein Atem von Leidenschaft geht von dieser spielerischen Kunst in die Tiefe der Nation, nur oben wird vom leichten Wind Wellenschaum aufgesprüht: eine unendliche Kluft spannt sich von dieser geistreich-sinnlichen Unterhaltung zu den wahren schöpferischen und empfänglichen Kräften der Nation.

 

Rolland erkennt, von Tolstoi belehrt, von jungen leidenschaftlichen Freunden begleitet, die moralische Gefahr dieses Zustandes, er erkennt, daß jede dramatische Kunst, die sich von dem heiligen Kern einer Nation, vom Volke, absondert, im letzten Sinne wertlos und verderblich ist. Unbewußt hatte er schon in seinem »Aërt« verkündet, was er nun programmatisch sagt, daß im Volke am ehesten Verständnis für die wahrhaft heroischen Probleme zu finden sei: der schlichte Handwerker Claes ist dort der einzige in der Umgebung des gefangenen Prinzen, der sich nicht mit der lauen Ergebung abfindet, sondern dessen Herz von aller Schmach seines Vaterlandes brennt. Schon sind in den andern Kunstformen die ungeheuren Kräfte der Volkstiefe bewußt geworden, Zola und die Naturalisten haben die tragische Schönheit des Proletariats sich zu eigen gemacht, Millet, Meunier haben den proletarischen Menschen zum Bildwerk erhoben, der Sozialismus die religiöse Macht des kollektiven Bewußtseins entbunden – nur das Theater, die unmittelbarste Wirkung der Kunst auf den einfachen Menschen, hat sich in der Bourgeoisie isoliert und den ungeheuren Möglichkeiten der Bluterneuerung verschlossen. Es treibt unentwegt geistige Inzucht sexueller Probleme, es hat den sozialen Gedanken, den elementarsten der neuen Zeit, über seinen kleinen erotischen Spielen vergessen und ist in Gefahr zu verdorren, weil seine Wurzeln nicht mehr ins ewige Erdreich der Nation hinabdrängen. Und Rolland erkennt: die dramatische Kunst kann von ihrer Blutleere nur am Volke genesen, der französische Feminismus des Theaters nur wieder sich ermännlichen durch einen lebendigen Kontakt mit der Millionenmasse. »Seul la sève populaire peut lui rendre la vie et la santé.« Das Theater darf, wenn es national sein will, nicht nur Luxusprodukt der oberen Zehntausende sein: es muß die moralische Nahrung der Masse werden und selbst produktiv die Fruchtbarkeit der Volksseele beeinflussen.

 

Dem Volke ein solches Theater zu geben, ist nun das Werk seiner nächsten Jahre. Ein paar junge Menschen ohne Konnexionen, ohne Autorität, durch nichts stark als durch die Leidenschaft und Ehrlichkeit ihrer Jugend, versuchen inmitten der ungeheuren Gleichgültigkeit der Stadt und gegen die geheime Feindlichkeit der Presse diese große Idee zu verwirklichen. In ihrer »Revue dramatique«, veröffentlichen sie Manifeste, suchen sie Schauspieler, Bühnen, Helfer, sie schreiben Stücke, versammeln Komitees, sie verfassen Sonderschreiben an die Minister – mit dem ganzen fanatischen Idealismus der Aussichtslosen arbeiten diese Wenigen, ohne daß die Stadt, die Welt, ihre Bemühungen ahnt, an der Aussöhnung des klaffenden Kontrastes zwischen bürgerlichem Theater und der Nation. Rolland wird ihr Führer. Sein Manifest »Le Théatre du peuple« und sein »Théatre de la Révolution« sind ein dauerndes Denkmal jener Bemühung, zeitlich mit einer Niederlage endend, aber wie alle seine Niederlagen menschlich und künstlerisch zu einem moralischen Triumph gestaltet.

 

 

Appell an das Volk


 


»Die alte Zeit ist abgetan, die neue Zeit fängt an.« Mit diesem Worte Schillers eröffnet Rolland seinen Appell in der Revue dramatique im Jahre 1900. Zwiefach ist der Ruf: an die Dichter und an das Volk, daß sie sich zu einer neuen Einheit finden, zum Theater des Volkes. Die Bühne, die Stücke sollen ganz dem Volke gehören, nicht das Volk soll sich ändern (denn seine Kräfte sind ewig und unabänderlich), sondern die Kunst. Der Zusammenhang soll in der schöpferischen Tiefe sich vollziehen, es darf keine gelegentliche Berührung, sondern muß eine Durchdringung, eine schöpferische Begattung sein. Das Volk braucht seine eigene Kunst, sein eigenes Theater: es muß in Tolstois Sinne der letzte Prüfstein aller Werte sein. Seine starke, mystische, seine ewig religiöse Kraft der Begeisterung muß zu einer bejahenden und bestärkenden erhoben werden, die Kunst, die im Bürgertum siech und blutlos geworden ist, an seiner Stärke gesunden.

 

Dazu ist notwendig, daß das Volk nicht nur gelegentliches Publikum sei, flüchtig begönnert von freundlichen Unternehmern und Schauspielern. Die Volksvorstellungen der großen Theater, wie sie seit jenem Dekret Napoleons in Paris üblich sind, genügen nicht. Für Rolland sind jene Versuche, daß sich die Comédie Française ab und zu herabläßt, die pathetischen Hofdichter Corneille oder Racine für die Arbeiter zu spielen, wertlos: das Volk will nicht Kaviar, sondern gesunde bekömmliche Kost, es bedarf zur Nahrung seines unzerstörbaren Idealismus eine eigene Kunst, ein eigenes Haus, und vor allem eigene Werke, die seinem Fühlen, seiner Geistigkeit gemäß sind. Es darf sich nicht als Gast und als Geduldeter fremder Gedankenwelt fühlen, es muß in dieser Kunst sich selbst, seine eigene Kraft erkennen.

 

Gemäßer schon scheinen ihm die Versuche, die einzelne, wie Maurice Pottecher, in Bussang mit dem »Théatre du peuple« gemacht haben, in dem sie vor kleinem Publikum leichtfaßliche Stücke spielen. Aber diese Versuche gelten nur einem kleinen Kreis: die Kluft in der Dreimillionenstadt zwischen der Schaubühne und der wirklichen Bevölkerung bleibt unausgefüllt, die zwanzig oder dreißig Volksdarbietungen kommen dort bestenfalls einem verschwindenden Teil der Bevölkerung zugute, und sie bedeuten vor allem keine seelische Bindung, keinen moralischen Aufschwung. Die Kunst ist ohne dauernde Einwirkung auf die Masse, die Masse wiederum ohne Einwirkung auf die dramatische Kunst, die – indes sich Zola, Charles Louis Philippe, Maupassant längst an dem proletarischen Idealismus befruchtet haben – steril und volksfremd geblieben ist.

 

Ein eigenes Theater also dem Volke! Was aber dem Volke bieten in diesem seinem Haus? Im Flug durchblättert Rolland die Weltliteratur. Das Resultat ist niederschmetternd. Was ist dem Arbeiter der Klassiker der französischen Bühne? Corneille und Racine mit ihrem gebundenen Pathos sind ihm fremd, die Feinheiten Molières kaum verständlich. Die klassische Tragödie, die griechisch-antike, würde ihn langweilen, die romantische Hugos seinen gesunden Wirklichkeitsinstinkt abstoßen. Shakespeare, er der allmenschliche, wäre ihnen näher, aber es täte not, seine Stücke erst zu adaptieren und damit zu fälschen, Schiller in den »Räubern« und dem »Wilhelm Teil« hat durch den hinreißenden Idealismus noch am meisten Enthusiasmus zu erwarten, aber er, wie Kleist im »Prinzen von Homburg«, sind gerade dem Pariser Arbeiter national irgendwie entlegen Tolstois »Macht der Finsternis« und Hauptmanns »Weber« hätten den Vorteil der Verständlichkeit, hier aber liegt zuviel Drückendes im Stofflichen der Werke, die, gut angetan, das Gewissen der Schuldigen zu erschüttern, bei dem Volke nur ein Gefühl der Bedrückung statt der Befreiung schaffen würden. Anzengruber, der rechte Volksdichter, ist zu sehr aufs Wienerische beschränkt, Wagner, dessen Meistersinger Rolland ein Höhepunkt allverständlicher erhebender Künste scheinen, ohne Musik nicht repräsentativ.

 

Soweit der Blick ins Vergangene geht, er findet keine Antwort auf seine sehnsüchtige Frage. Aber Rolland ist nicht einer von denen, die sich entmutigen lassen, immer schöpft er aus Enttäuschungen Kraft. Hat das Volk keine Bühnenstücke für sein Theater, so ist es Pflicht, heilige Pflicht, sie der neuen Generation zu schaffen. Und in einem jubelnden Appell endet das Manifest »Tout est à dire! Tout est à faire! A l'oeuvre!« Im Anfang war...

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