1. Kapitel
Hitlers General
Es war im Spätsommer des Jahres 1934, als Rommel erstmals Hitler begegnete. Der »Führer« war anläßlich des Reichsbauerntages nach Goslar gekommen, wo Rommel als Kommandeur eines Jägerbataillons diente. Auf dem Platz vor der alten Kaiserpfalz schritten sie nebeneinander die von Rommels Bataillon gestellte Ehrenformation ab: der Offizier mit der strengen Dienst- und Pflichtauffassung und sein Oberbefehlshaber, ein Vabanque spielender Besessener, hinter dessen vordergründiger Revisionspolitik sich wahnwitzige, rassenideologisch motivierte Welteroberungspläne verbargen. So verschieden Rommel und Hitler auch sein mochten, so gab es doch auch viel Verbindendes im Leben beider Männer, die an jenem Tag gewiß nicht ahnten, wie nahe sie das Schicksal noch zusammenführen sollte.
Die Weltkriegsteilnehmer
Der Major und der Reichskanzler gehörten ein und derselben Generation an. Als Jahrgang 1891 beziehungsweise 1889 waren sie in eine Zeit hineingeboren worden, in der Europa ganz im Banne eines überbordenden Nationalismus stand. Überall bekannten sich die Menschen leidenschaftlich zu ihrer nationalen Identität, suchten nach ihren gemeinsamen Wurzeln und überhöhten sich als völkische Gemeinschaften. Am ausgeprägtesten war dies zwangsläufig dort, wo man wie in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie mit vielen Völkerschaften in einem Staatsverbund hatte leben müssen. Wohl auch deshalb träumte Hitler schon in Wiener Jahren von einem großen Nationalstaat aller Deutschen, das hieß von einem Zusammenschluß Deutsch-Österreichs mit dem Deutschen Reich, das 1871 von Bismarck aus einem Flickenteppich deutscher Staaten – darunter auch Württemberg, die Heimat Rommels – zusammengeführt worden war.
Neben dem Nationalismus prägte der Imperialismus die Zeit, in der Rommel und Hitler aufwuchsen. Anders als die durch ihr Vielvölkerproblem anachronistisch gewordene Habsburgermonarchie, die nur noch um die Aufrechterhaltung ihrer kontinentaleuropäischen Großmachtrolle rang, unterließ das vor Kraft strotzende Deutsche Reich keine Anstrengung, um in die Reihe der imperialen Mächte aufzurücken. Entsprechend hoch war auch der Stellenwert alles Militärischen. Nachdem vom Heer der Weg zur Reichsgründung erkämpft worden war, sollte – als Wilhelm II. das Ruder in die Hand genommen hatte – eine starke Überseeflotte Deutschlands »Platz an der Sonne« sichern, den andere, wie etwa Großbritannien oder Frankreich, schon längst besaßen.
Mitzuwirken bei der Verwirklichung dieses Ziels, dessen verspätete Reklamation durch eine regelrechte Sendungsideologie von der Überlegenheit des »deutschen Wesens« kompensiert zu werden schien, wurde von den allermeisten Deutschen als patriotische Pflicht empfunden. Der Traum vom deutschen Imperium, der die übrigen Mächte auf einen unversöhnlichen Kurs gegen das Reich bringen sollte, wirkte wie Opium für die Nation und übertünchte den latent schwelenden Konflikt zwischen dem Obrigkeitsstaat mit seinem überlebten Drei-Klassen-Wahlrecht und den arbeitenden unterprivilegierten Massen.
Wie im Rausch taumelte dann die Nation im August 1914 in den Krieg. Was von den Mächtigen in den europäischen Hauptstädten – auch in Berlin – letztendlich niemand wollte, was durch einen tödlichen Automatismus von Mobilmachung auf Mobilmachung in Gang gesetzt worden war und was sich schließlich zu einem Weltkrieg auswuchs, wurde von den Menschen als Erlösung empfunden. Das Deutsche Reich würde nun seine Ketten sprengen, würde sich aus seiner einengenden europäischen Mittellage befreien und zu nie gekannter Größe emporsteigen, glaubte man in der Gewißheit eines kurzen siegreichen Krieges. Romantische Vorstellungen von unvergänglichem Schlachtenruhm und Heldentum, wie sie aus den weit zurückliegenden Waffengängen des Krieges 1870/71 herrührten, verstellten den Blick auf das Kommende, auf Vernichtung und Massensterben, wie sie der Krieg in der inzwischen technisierten und industrialisierten Welt mit sich bringen würde.
So zog eine ganze Generation letztendlich nichts ahnender, erlebnishungriger junger Männer – gefeiert von der Heimat – in einen alle Vorstellungskraft sprengenden Krieg, der sie entscheidend prägen sollte. Zu ihnen gehörte der junge Leutnant und Zugführer Rommel, dessen Infanterieregiment »König Wilhelm I.«, Nr. 124, im oberschwäbischen Weingarten stationiert war. »Das ist ein Leuchten vor Freude, Begeisterung und Tatendrang in all den jungen Gesichtern. Gibt es etwas Schöneres, als an der Spitze solcher Soldaten gegen den Feind zu ziehen«, beschrieb Rommel die Stimmung in der Kaserne am 1. August, ehe er den Auszug seiner Musketiere schilderte: Am darauffolgenden Abend sei das Regiment mit »klingendem Spiel und strammem Tritt aus der Garnisonsstadt zur Verladung nach Ravensburg (marschiert). Zu Tausenden geht die Bevölkerung mit. Endlose Militärzüge rollen bereits mit kurzen zeitlichen Abständen der bedrohten Westgrenze zu. Unter nicht enden wollenden Hurrarufen fährt das Regiment bei einbrechender Nacht ab.« [1]
Mit dabei war auch der ehemalige Obdachlosenasylbewohner Hitler, dem der Krieg zur willkommenen Möglichkeit wurde, sein gescheitertes Leben hinter sich zurückzulassen. Trotz seiner österreichischen Staatsangehörigkeit war es ihm gelungen, als Freiwilliger ins 16. Bayerische Infanterieregiment aufgenommen zu werden, mit dem er in der zweiten Oktoberhälfte 1914 an die Westfront verlegt wurde. Die »unvergeßlichste und größte Zeit seines irdischen Lebens« hätte nun begonnen, meinte Hitler, der davon überzeugt war, daß gegenüber den Ereignissen dieses »gewaltigen Ringens« alles Dagewesene in »schales Nichts« zurückgefallen sei. [2]
Mit welcher naiven Erwartungshaltung, mit welchem Idealismus junge Männer wie Rommel und Hitler ins Feld zogen, zeigen ihre weiteren Selbstzeugnisse. Rommel berichtete, daß er befürchtet habe, zum ersten Gefecht zu spät zu kommen. Hitler schrieb in Mein Kampf von seiner erwartungsfrohen Zugfahrt mit begeisterten bayerischen Infanteristen den Rhein entlang und dann gen Westen: »Eine einzige Sorge quälte mich in dieser Zeit, mich wie so viele andere, ob wir nicht zu spät zur Front kommen würden. Dies alleine ließ mich oft und oft nicht Ruhe finden (…).« [3]
Die Konfrontation jenes Idealismus mit der grausamen Wirklichkeit des Krieges, wie sie im aufopfernden und ebenso verlustreichen Einsatz der deutschen Studentenregimenter auf dem Schlachtfeld von Langemarck zum Symbol werden sollte, verschweißte Millionen Soldaten zu einer Schicksalsgemeinschaft. Das elementare Erleben des Krieges, der allgegenwärtige Tod, ob von Rommels Kameraden beim Vormarsch seiner Weingartener Musketiere in Richtung Maas im Herbst 1914 oder in dem »Stahlgewitter« der ersten Ypernschlacht, die Hitler durchlitt, entrückten Klassenschranken und gesellschaftlichen Dünkel zu Ritualen einer anderen Welt. Nur noch in der Gemeinschaft war man stark, brachte man leichter die Todesverachtung auf, wenn etwa beim Sturmangriff über Flanderns Feldern, wie Hitler im Nachhinein schrieb, die »eisernen Grüße über unsere Köpfe uns entgegenzischten« [4].
Beide Männer hielten jedoch nicht nur durch, ja bewährten sich Jahr für Jahr. Mehr noch: Sie legten eine außerordentliche Tapferkeit an den Tag – und dies, obwohl zunächst nichts darauf hinzudeuten schien. Hitler – so hatte die K. und K.-Musterungskommission in Salzburg im Februar 1914 festgestellt – sei »zum Waffen- und Hilfsdienst untauglich« [5]. Und auch die militärische Laufbahn des im schwäbischen Heidenheim als Sohn eines Oberrealschullehrers geborenen Erwin Eugen Rommel hatte weiß Gott nicht vielversprechend begonnen. Nur widerstrebend, auf Veranlassung seines strengen Vaters hin, hatte sich der 18 Jahre alte Schüler des Realgymnasiums Schwäbisch Gmünd beim kaiserlichen Heer, bei Artillerie, Pionieren und Infanterie beworben. Artillerie und Pioniere lehnten ab, die Infanterie nahm ihn. Mitte Juli 1910 trat er in das Weingartener Infanterieregiment ein. Im März des darauffolgenden Jahres wurde er zur Königlichen Kriegsschule in Danzig abkommandiert, wo er während der folgenden neun Monate einen Offizierslehrgang absolvierte. Der ihn zum Abschluß beurteilende Ausbildungsleiter glaubte, in Erwin Rommel einen »durchschnittlichen« Soldaten vor sich zu haben. »Militärisch brauchbar« und »geistig genügend veranlagt« sei er, hieß es in seinem Abgangszeugnis lapidar. Was jedoch schon den Ausbildern an der Kriegsschule auffiel, waren sein Eifer, seine »strenge Dienstauffassung« und insbesondere seine immer wieder in seinen Beurteilungen hervorgehobene »große Willenskraft«. [6]
Diese Willenskraft war es auch, die Rommel im Weltkrieg als einen hervorragenden Truppenoffizier ausweisen sollte. Schon als Zugführer tat er sich bei den erbitterten Kämpfen in den Argonnen hervor, in denen sich die württembergischen Regimenter unter General Mudra einen besonderen Ruf erwarben. In seinen in den dreißiger Jahren niedergeschriebenen und schließlich als Buch unter dem Titel Infanterie greift an veröffentlichten Gefechtsberichten schilderte Rommel den erbitterten Kampf – und seine unverbrüchliche Entschlossenheit, »niemals« vor dem Feind zu weichen. So schrieb er über ein Gefecht, das Ende September 1914 in der Nähe von Varennes stattfand: »Ein Häuflein meiner ehemaligen Rekruten prescht mit mir durchs Unterholz....