»Das einzig Wahre für einen Schauspieler ist die Bühne«
Ihr ganzes Leben lang wird den Filmstar Romy Schneider der beinahe angstvoll zu nennende Respekt vor dem Begriff »Theater« nicht verlassen. »Das einzig Wahre für einen Schauspieler ist die Bühne«9 ist ein Satz, der in dieser oder ähnlicher Form immer wieder in Interviews fällt. Auf dem Theater allein beweise sich der gute Akteur, im Gegensatz zu serieller Atelierarbeit sei dort nichts wiederholbar. Neben eigenen, zwar geringen, aber auf ihre Art außergewöhnlichen Erfahrungen mit dem Medium dokumentiert die Feststellung auch einen gewissen dynastischen Stolz. Väterlicherseits waren Romy Schneiders Vorfahren bis in die fünfte Generation Schauspieler, deren Name sich von Feretti in Retty gewandelt hatte und die im Laufe der Jahrhunderte von Italien über Österreich-Ungarn nach Deutschland gelangt waren. Das mimische Talent der Familie schien sich auf jeglicher Bühne bewähren zu können, denn Giovanni Maria Mastai-Feretti gelangte als Pius IX. im Jahre 1846 zu päpstlichen Würden. Als Romys Großmutter Rosa Albach-Retty Ende der 1970er Jahre ihre Autobiographie vorbereitete, überlegte sie, dass Romys Verwandtschaft mit einem Papst die Medien zweifellos interessieren würde, fragte aber spöttisch: »Glauben Sie, daß man das dem Papst antun soll?«10
Romy Schneiders Urgroßeltern sind der Schauspieler und Regisseur Rudolf und die Sängerin Käthe Retty (geborene Schäfer), ihre Großmutter die Schauspielerin Rosa Retty, die 1874 in Hanau geboren wird und 105 Jahre später in Baden bei Wien verstirbt. Sie ist von 1891 bis 1894 am Deutschen Theater in Berlin engagiert und gehört von 1903 bis 1958 stolze 55 Jahre lang dem Wiener Burgtheater an, das bis zum Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie 1918 noch »k.u.k. Hofburgtheater« heißt und zu deren Ehrenmitglied man sie 1928 macht. Sechzehn Jahre zuvor, am 13. Mai 1912, wird sie per imperialem Dekret zur »Hofschauspielerin« ernannt, eine vom Kaiserhaus finanzierte Equipage bringt sie fortan zu Proben und Vorstellungen. Die Familie Habsburg kennt sie aus der Nähe. 1898 beobachtet sie Kaiserin Elisabeth zwei Monate vor deren Tod in einer Gastwirtschaft und erlebt, wie ungeniert die Monarchin dabei mit ihrem künstlichen Gebiss hantiert. Bis ins hohe Alter erinnert sich Rosa Retty an den Menschenauflauf, als man die ermordete Kaiserin von Genf nach Wien in die Hofburg bringt, an die Kandelaber der Straßenlaternen mit den abgeschraubten Brennern, mit denen die Mariahilfer Straße vom Westbahnhof bis zur Ringstraße wie von Fackeln erhellt wird. Einige Jahre danach gewährt Kaiser Franz Joseph ihr eine Audienz, und sie zeigt sich durchaus angetan von dem greisen Monarchen: »Er war zu diesem Zeitpunkt weit über achtzig, hatte sich aber Figur und Haltung eines Jünglings bewahrt.«11
Durch die bekannteste Filmrolle ihrer Enkelin bleibt sie den populärsten Repräsentanten der k.u.k.-Monarchie weiterhin »verbunden« und erlebt dabei mitunter seltsame Situationen: In den späten 1950er Jahren besucht die Burgschauspielerin mit Freunden die Wiener Kapuzinergruft, in der die Gebeine der habsburgischen Herrscher aufbewahrt werden. Als der Pater Guardian den Sarkophag der Kaiserin Elisabeth beschreibt, assoziiert eine Besucherin spontan: »Jessas, die Sissi, die Romy is g’storben?«12
1970 gratuliert Otto Habsburg-Lothringen der 95-Jährigen zum Geburtstag. Fiktion und Realität überschneiden sich in diesem Moment für eine Frau, die in zwei Jahrhunderten gelebt hat. Sie bedenkt kurz für sich, dass, nachdem ihre Enkelin die Kaiserin Elisabeth gespielt hat, der vor ihr Stehende ihr »Urgroßneffe« wäre. In die Konversation fließt das nicht ein: »Wir redeten von alten Zeiten. Von der Wirklichkeit natürlich. Nicht vom Film.«13
Rosa Retty steht noch mit altösterreichischen Theaterlegenden wie Adolf von Sonnenthal und Josef Kainz auf der Bühne. Letzterer wird ihr väterlicher Freund und Mentor (»Merke dir, Rosi, die höchste Kunst ist nichts anderes als potenzierte Natur.«14), sie wird 1958 als erste Schauspielerin mit der nach ihm benannten »Kainz-Medaille« ausgezeichnet. 1899 heiratet Rosa Retty den Offizier Karl Walter Albach (1870–1952), die Theaterzettel führen sie seit diesem Zeitpunkt als Rosa Albach-Retty. Auf einem Foto aus dem Jahre 1896 trägt Karl Albach k.u.k.-Uniform, kunstvoll gezwirbelten Schnurrbart und den treuherzigen Blick, den sein Sohn Wolf später erfolgreich im Leben wie im Film auf- und einsetzen wird. Martialisch wirkt er nicht, eher wie ein in des Kaisers Rock posierender Charmeur. Nicht der schwere Säbel ziert die auf ihm ruhende Hand, sondern ein schwerer Ring am kleinen Finger derselben.
Am 28. Mai 1906 wird ihr Sohn Wolfgang Helmut Walter Albach geboren. Als Kind versucht seine Mutter, die er stets mit »Roserl« anredet, ihn für die zu Märchen umgedichteten Theaterklassiker zu interessieren, seine Aufmerksamkeit gilt jedoch eher den Berichten über Eifersuchtsmorde und Kasseneinbrüche, die ihm das Dienstmädchen Anna aus der »Neuen Freien Presse« und der »Kronen Zeitung« vorträgt. Er spricht breiten Wiener Dialekt, und seine Mutter bezeichnet ihn als dickköpfig: »Wie später Romy, war auch er als Kind immer darauf bedacht, seinen Willen unter allen Umständen durchzusetzen.«15 Als weiteres Charakteristikum ihres Sohnes definiert Rosa Albach-Retty eine gewisse Leichtlebigkeit: »Er konnte schwer nein sagen. Film, Autos und Frauen waren, solange er jung war, die Leitmotive seines Lebens. Später las er eine Menge guter Bücher und befasste sich mit Religion und Philosophie.«16
Der erste Theaterbesuch langweilt oder, österreichisch gesprochen, »fadisiert« ihn. Trotzdem entscheidet er sich Jahre später für die Bühne. Nachdem sie ihren »Wolfi« mit einiger Mühe durch die Mittelschule gebracht hat, akzeptiert Rosa Albach-Retty seinen Entschluss, das Reinhardt-Seminar zu besuchen, um wie seine Vorfahren den Schauspielberuf zu ergreifen. Wolf Albach, der seinem eigenen später wieder den Namen Retty anhängt, wird 1926 an das Burgtheater engagiert, wo er in einigen Stücken an der Seite seiner Mutter agiert. Arthur Schnitzler vermerkt in seinem Tagebuch am 22. März 1927: »Die Retty vorzüglich als Comtesse; ihr Sohn Albach spielte sehr nett ihren Sohn.«17 Talentsucher der Ufa erspähen den »sehr netten« jungen Bonvivant 1932 und laden ihn zu Probeaufnahmen nach Berlin ein. Er erhält eine Rolle neben Lilian Harvey in Zwei Herzen und ein Schlag und hat auf Anhieb Erfolg. In der Folge wird er in zahlreichen weiteren Leinwandproduktionen spielen, welche die Sodaperlen der leichten Unterhaltung im Titel tragen. Erst 1959 kehrt Albach-Retty ans Burgtheater zurück und bleibt dort bis zu seinem Tod 1967 engagiert.
1933 präsentierte er seiner Mutter die (erste) »Frau seines Lebens«, die deutsche Filmschauspielerin Magda Schneider. Seine zukünftige Gattin entstammt einem völlig anderen sozialen Umfeld. Die am 17. Mai 1909 als Maria Magdalena Schneider in Augsburg-Pfersee geborene Tochter eines Installateurs erarbeitet sich ohne künstlerischen Rückhalt innerhalb ihrer Familie nach Anfängen als Stenotypistin über Konservatorium und Ballettschule eine erfolgreiche Karriere als Sängerin, Bühnen- und schließlich auch Filmschauspielerin. Nach dem Augsburger Stadttheater gelangt Magda Schneider an das Münchener Theater am Gärtnerplatz. Dem folgen Engagements nach Wien und 1930 die erste Filmrolle in Boykott. Zwei Jahre später entsteht Zwei in einem Auto unter der Regie von Joe May in Paris; das Drehbuch schreibt Ernst Marischka, der über zwanzig Jahre später für die Karriere ihrer Tochter wegbestimmend sein wird.
Magda Schneider berichtet in ihren Memoiren von einem Hollywood-Angebot, das sie ablehnt. Als Gründe gibt sie Bodenständigkeit an und die Tatsache, sich gerade mit dem Wiener Schauspielkollegen Albach-Retty verlobt zu haben, den sie 1933 während der Dreharbeiten zu Kind, ich freu mich auf dein Kommen kennengelernt hat. Am 11. Mai 1937 heiraten die beiden auf dem Standesamt von Berlin-Charlottenburg, die kirchliche Trauung folgt am 2. August in St. Bartholomä am Königsee in Bayern, in der Gegend liegt auch das künftige Familiendomizil, in dem die anschließende Feier abgehalten wird. Als Trauzeugen fungieren die Eltern des Bräutigams, man einigt sich auf den Familiennamen Albach.
Rosa Albach-Retty war vom Fleiß ihrer Schwiegertochter angetan, ihrer selbstgestalteten Karriere und vor allem ihrer Darstellung der Christine Weyring in Max Ophüls’ Verfilmung von Arthur Schnitzlers Liebelei (1933), eine Rolle, in der ein Vierteljahrhundert später auch ihre Enkelin Romy zu sehen sein wird. Weitere Charakterrollen werden Magda jedoch nicht angeboten. Zwischen 1933 und 1943 drehen Schneider und Albach-Retty dafür neun gemeinsame Filme, avancieren neben Lilian Harvey und Willy Fritsch zu einem der Standard-Liebespaare des deutschen Films, übertreffen diese sogar zeitweilig an Popularität.
Ein Paar auf der Leinwand, das auch im Leben eines ist, fasziniert das Publikum und schürt phantasievolle Spekulationen. Zu ihren größten Erfolgen gehören Geschichten aus dem Wiener Wald (1934), Die Puppenfee (1936) und Zwei glückliche Menschen (1943). Letzterer entsteht, als sie privat längst nicht mehr miteinander glücklich sind und ihre Ehe ein Auslaufmodell.
Im März 1938 erhält Rosa Albach-Retty die Nachricht, dass sie im Herbst Großmutter wird. In ihren Memoiren gibt sie an, den Namen des Kindes ausgesucht zu haben, indem sie die Vornamen der beiden Großmütter (Magda Schneiders Mutter hieß Maria) zu Rosemarie...