Wenn Sie Ihren Rücken und seine Strukturen besser verstehen, leuchtet Ihnen schnell ein, was ihm guttut und was nicht. Das ist die Basis für rückenfreundliches Verhalten und auch für Selbsthilfe bei Beschwerden.
Der gesunde Rücken macht alles mit
Lenken Sie jetzt bitte Ihre Aufmerksamkeit einmal kurz auf Ihr Kreuz. Wie fühlt es sich an? Geschmeidig wie bei einer Katze oder vielleicht doch schon ein bisschen eingerostet? Ein gesunder Rücken ist stabil, aber dabei sehr beweglich. Beides ist nicht unbedingt eine Frage des Alters. Es gibt 80-Jährige, die sehr fit sind und keine Rückenbeschwerden haben. Aber leider kommen schon Kinder zu mir in die Praxis, die über Schmerzen im Kreuz klagen. Tatsächlich sind davon bereits rund 40 Prozent der 11-bis 14-Jährigen zumindest manchmal betroffen, so die Zahlen einer bundesweiten Forsa-Umfrage unter 100 Kinder- und Jugendärzten im Auftrag der Krankenkasse DAK. Dabei ist die Wirbelsäule im Kindesalter von Natur aus noch weich und flexibel. Wieso kommt es dann zu Problemen? Das liegt oft an einer schwachen Muskulatur: Denn in einem gesunden Rücken müssen alle Strukturen in und an der Wirbelsäule möglichst optimal zusammenspielen. Welche das sind, erfahren Sie jetzt.
Die Wirbelsäule
Unsere Wirbelsäule ist die zentrale Stütze des Körpers und hat sehr widersprüchliche Aufgaben. Zum einen soll sie stark und stabil sein. Schließlich ist sie es, die uns Halt gibt und damit aufrechtes Gehen ermöglicht. Zum anderen muss sie flexibel sein. Denn nur dann sind wir in der Lage, uns in alle Richtungen zu bewegen.
Schaut man von hinten auf den Rücken, scheint die Wirbelsäule eine gerade Linie zu bilden. Von der Seite betrachtet, sieht die Sache jedoch ganz anders aus: Wir erkennen zweimal ein S. Im Bereich der Halswirbel biegt sich das Rückgrat leicht nach vorn (konkav). Die Brustwirbelsäule wölbt sich dagegen nach hinten (konvex), während die Lendenwirbelsäule wieder nach vorn und die Einheit aus Kreuz- und Steißbein nach hinten zeigt. Mit diesem Hin und Her ist der Natur keineswegs ein Fehler unterlaufen. Denn das Doppel-S federt Erschütterungen ab, die beim Gehen automatisch entstehen. Wäre die Wirbelsäule gerade, bekämen wir beim Laufen Kopfschmerzen, weil unsere Schritte dann nicht abgefedert würden.
Der Aufbau der menschlichen Wirbelsäule.
Gut zu wissen: Dass sich die Wirbelsäule im Laufe der Jahre etwas abnutzt, ist übrigens nicht krankhaft. Das gehört genau so zum Leben wie Haare, die grau werden. Der Körper ist durchaus in der Lage, sich an diesen Verschleiß anzupassen – vorausgesetzt, man geht pfleglich mit sich um. Was das bedeutet, lesen Sie ab Seite 51. Deshalb gibt es viele Menschen, deren Röntgen- oder MRT-Bild Abnutzungserscheinungen zeigt, die aber keine Beschwerden haben.
Die Wirbel
Durch das Steißbein schwankt die Zahl unserer Wirbel zwischen 33 und 34 – je nach dem, ob das Steißbein aus 4 oder 5 Wirbeln besteht.
Die Wirbelsäule setzt sich aus 33 bzw. 34 Wirbeln zusammen, die von oben nach unten gezählt werden. Damit Sie Ihren Orthopäden in Zukunft besser verstehen, hier die Übersicht wie die jeweiligen Abschnitte des Rückgrats im medizinischen Jargon genannt werden:
• Die Halswirbelsäule (HWS) besteht aus 7 Wirbeln. Ärzte nennen sie C1 bis C7. Das C steht für Cervix, was aus dem Lateinischen übersetzt Nacken bzw. Hals bedeutet.
• Die Brustwirbelsäule (BWS) hat 12 Wirbel: Th1 bis Th12. Th ist die Abkürzung für Thorax, auf Deutsch Brustkorb.
• Die Lendenwirbelsäule (LWS) setzt sich aus 5 Wirbeln zusammen – L1 bis L5. Das L leitet sich vom lateinischen Lumbus für Lende ab.
• Das Kreuzbein besteht aus den 5, im Laufe der Evolution miteinander verschmolzenen Wirbeln S1 bis S5. S steht für Sacrum, auf Deutsch Kreuzbein.
• Das Steißbein war ursprünglich einmal unser Schwanz. Es hat 4 bis 5 miteinander verwachsene Wirbel. Ärzte sprechen von Co1 bis Co5, denn ins Lateinische übersetzt heißt Steibein Os coccygis.
Jeder Wirbel besteht aus einem Wirbelkörper und einem Wirbelbogen. In ihrer Mitte befindet sich ein Loch, der sogenannte Spinalkanal. Durch ihn zieht sich – gut geschützt von den knochigen Strukturen – das Rückenmark mit seinen Nervenbahnen. Auf jeder Seite des Wirbelbogens entspringt ein sogenannter Querfortsatz und auf der Rückseite der Dornfortsatz. An ihnen setzen Bänder und Muskeln an. Verbunden sind die Wirbel über sogenannte Facettengelenke.
Gut zu wissen: Die Facettengelenke können entlang der ganzen Wirbelsäule zu verschleißbedingten Schmerzen führen. Am häufigsten ist die Lendenwirbelsäule betroffen, weil auf ihr das meiste Gewicht lastet. Die Abnutzung wird zum Beispiel durch Über- bzw. Falschbelastungen wie häufiges Heben schwerer Lasten, Bücken und Überkopfarbeiten gefördert, aber auch durch zu wenig Bewegung, einen Bandscheibenvorfall oder Übergewicht.
Die Bandscheiben
Sie liegen zwischen den Wirbeln und bestehen jeweils aus einem faserigen Bindegewebsring, der einen weichen Gallertkern hat. Er enthält zum überwiegenden Teil Wasser. 90 Prozent sind es beim Baby, etwa 70 Prozent bei einem 70-Jährigen.
Gemeinsam mit den Facettengelenken ermöglichen uns die flexiblen Bandscheiben Beweglichkeit. Denn ihr Kern kann sich verlagern, wenn sich die Wirbelkörper beim Vor- oder Rückbeugen aneinanderlegen müssen.
Neben der Doppel-S-Form der Wirbelsäule sind die Bandscheiben unser zweiter Stoßdämpfer im Rückgrat. Springen wir über eine Pfütze oder heben einen schweren Getränkekasten, puffern sie die Belastung ab. Vorausgesetzt ihr Gallertkern wird gut mit Flüssigkeit versorgt, die er wie ein Schwamm aufsaugt. Und hier kommen Sie ins Spiel: Denn die Bandscheiben werden nicht über Blutgefäße genährt, sondern ausschließlich durch Flüssigkeitsaustausch. Er funktioniert aber nur richtig gut, wenn Sie sich bewegen. Das Auftanken sieht dann so aus: Bei körperlicher Aktivität wird verbrauchte Flüssigkeit aus dem Gallertkern herausgepresst. Liegen wir still, nimmt er wieder frische nährstoffreiche Flüssigkeit aus dem umliegenden Gewebe auf. Besonders gut regenerieren die Bandscheiben nachts, wenn wir schlafen. Das ist ein Grund, warum wir morgens etwas größer als abends sind. Hinzu kommt, dass sich die S-Form der Wirbelsäule im Tagesverlauf durch die Schwerkraft zusammendrückt – die Kurven also größer werden und nachts dann wieder abflachen.
Bandscheiben sind unsere Puffer oder Stoßdämpfer im Rücken.
Nachts regenerieren unsere Bandscheiben besonders gut.
Gut zu wissen: Nicht jeder Bandscheibenvorfall muss höllisch wehtun. Ich habe pro Woche zwei oder drei Patienten, bei denen man beim Blick auf die MRT-Aufnahme sagen würde: Ein monströser Bandscheibenvorfall, das muss sofort operiert werden. Doch diese Menschen sagen mir, dass es lediglich im Kreuz zieht. Die Erklärung: Je größer der Wirbelkanal, umso weniger Schmerzen verursacht ein Bandscheibenvorfall. Bei manchen hat diese Röhre, in der Rückenmark, Nerven und Blutgefäße verlaufen, einen Durchmesser von 1,5 Zentimetern, bei anderen nur von 0,8 Zentimetern.
Bandscheiben – ausdauernde Gewichtheber
Unvorstellbar, was die Bandscheiben rund um die Uhr leisten! Sind sie intakt, stemmen sie problemlos beim aufrechten Sitzen 90 Kilo, beim entspannten Stehen 100 Kilo. Lümmeln wir mit vorgebeugtem Oberkörper am Schreibtisch, drücken 170 Kilo auf die Stoßdämpfer der Wirbelsäule. Im Stehen mit nach vorn geneigtem Rumpf werden es sogar 220 Kilo. Selbst im Liegen auf dem Rücken belasten noch 20 Kilo die Bandscheiben.
Die Bänder
Damit die Wirbelsäule gleichzeitig stark und beweglich sein kann, müssen auch ihre sechs Band-Systeme intakt sein:
• Das vordere Längsband begrenzt von oben nach unten die Vorderseiten der Wirbelkörper und stabilisiert damit die Wirbelsäule Richtung Hals, Brust und Bauch.
• Das hintere Längsband zieht sich an der hinteren Fläche der Wirbelkörper entlang und grenzt den vorderen Bereich des Wirbelkanals ab.
• Die gelben Bänder – sie heißen so, weil sie tatsächlich gelblich aussehen – haben die Aufgabe, die Wirbelbögen miteinander zu verbinden.
• Die Bänder zwischen den Querfortsätzen verbinden diese wie ein kräftiges Netz.
• Die Zwischendornfortsatzbänder ziehen sich von Dornfortsatz zu Dornfortsatz und verbinden damit die einzelnen Wirbel auf der Rückseite des Rückgrats.
• Das Überdornfortsatzband verläuft vom C7 bis...