Vorwort
Zum Schluss schaut Pierre Brice noch einmal so wie damals. Mit diesen Augen, in denen ein ganzes Leben liegt. Mit diesem Blick, mit dem er sich in die Ferne sehnt.
Den ganzen Tag über redeten wir über sein Leben. Nun aber steht Pierre Brice beim Abschied vor dem Fenster seines Wohnzimmers. Er schweigt und sieht hinaus in die Weite seines Landsitzes. Ganz so wie damals in seinen Filmen von irgendeinem Felsen gen Horizont. Die Pose, die ihn unsterblich machte.
Er sieht dabei immer noch aus wie Winnetou. Wie einer, der jederzeit wieder unsere heilen Kinderwelten retten könnte. Der ganze Ernst des Lebens, von dem die Erwachsenen immer redeten, lag damals in seinem Gesicht. So stellten wir uns das als Kinder zumindest vor. Und wir glaubten, mit so einem Blick lässt sich all das, was uns an Ernst im Leben erwarten sollte, bestens begegnen. So also müsste man in die Zukunft sehen, die so riesig groß vor uns lag. Dann würde alles gut. Pierre Brice machte uns Mut.
Nun, ein paar Jahrzehnte später während meines Besuchs in seinem Haus in der Nähe von Paris, macht er dieses Abschiedsgeschenk mit seinen Fernwehaugen – und lässt tatsächlich alles wieder gut sein. Und erzählt dann ganz offen, wie er sich sein Ende ausmalt. Kurz vorm Hinausgehen sagt er zu seiner Frau: »Ich werde, wenn ich im Himmel bin, dort oben auf dich warten …« Es ist sein letztes großes Interview vor seinem Tod im Jahr 2015.
Pierre Brice war vielleicht der Unsterblichste all jener Unsterblichen unserer Kindheit. Er bestärkte uns wie kein anderes unserer großen Vorbilder. Er beschützte unsere Tagträume und winzigen Ideale. Und er spielte den Helden artgerecht mit einer Minimalmimik, die irgendwo zwischen Derrick und Denkmal lag. Mehr wäre verkehrt gewesen. Brice brauchte keinen anderen Gedichtsausdruck. Er musste nur schauen.
Es ist vielleicht ein Trost, hier mit ihm zu beginnen. Mit Pierre Brice, dem Mann, der schon 1965 dem eigenen Tod trotzte. Erst auf der großen Leinwand und später dann in Hunderten von Wiederholungen auf den Fernsehschirmen. Als Winnetou noch am Samstagabend lief. Es war eine andere Zeit – eine Zeit, in der wir noch große Wünsche hegten und fest darauf vertrauten, dass sie sich erfüllen würden.
Vielleicht, weil wir Kinder waren. Vielleicht, weil die Zeiten wirklich besser und friedlicher waren oder uns, so viel anders als heute, besser und friedlicher erschienen. Jedenfalls wollten wir das Unvermeidliche damals noch nicht hinnehmen. Sogar den Tod nicht. Ganze Generationen von Winnetou-Fans waren entsetzt über das viel zu frühe Ende ihres Helden in Winnetou III – so sehr, dass die Macher den Tod, jenen großen Unausweichlichen, austricksten. Sie ließen Pierre Brice als Häuptling der Apachen in seiner Rolle prompt wiederauferstehen und drehten einfach statt der geplanten drei Teile noch ein paar weitere Abenteuer. Und alle waren erleichtert. Denn in unserer zweiten großen Wirklichkeit, im Film, war das möglich. Der flimmerte in den Lichtspielhäusern im 16:9-Format, aber war unserer wahren Welt fast ebenbürtig. Denn damals staunten wir noch. Auch außerhalb der Kinos.
Solange Pierre Brice lebte, verlängerte er unsere Kindheit. Dank ihm waren manche von uns vier oder fünf Jahrzehnte länger Junge oder Mädchen als geplant. In unseren Herzenswinkeln.
Dann kam die Zeit, als er bald tatsächlich sterben sollte. Aber mit der Aussicht auf einen Wolkenplatz. Einen Glauben an den Himmel, vielleicht auch bloß an das Gute, braucht es dazu. Dann ist Winnetou in unseren Gedanken bis heute nicht ganz tot. Dann sitzt er da oben.
Vielleicht gelingt es diesem Buch, ein solches Gefühl zu hinterlassen. Ein kleines Schweben. Eine Hoffnung. Unseren legendären Samstagabendhelden zur Ehre. Und was das Schönste ist: Die meisten großen Künstler in diesem Buch leben ja noch. Auch deswegen habe ich es geschrieben: um ein paar Unsterbliche von heute zu feiern. Es wird für sie keine Nachfolger geben.
Bei ihren Auftritten jubelte das Publikum schon vor Jahrzehnten und tut es heute noch. Und man spürt zudem, wie sehr der Applaus auch von Dankbarkeit getragen ist. Es geht um Lagerfeuermenschen wie etwa Thomas Gottschalk, aber auch um dessen Vorbild Hans-Joachim Kulenkampff. Wenn beide am Samstagabend im Fernsehen waren, versammelten sich die Familien vor dem Bildschirm wie einst um Glut und Flamme.
Dieses Buch möchte aber auch ein Lebensgefühl nachzeichnen. Viele von uns spüren, dass wir am Ende einer Epoche stehen und dass nichts bleibt, wie es war. Wir sehen, dass die echten Typen, die Charaktermenschen, langsam abtreten oder aussterben. Nicht nur jene der Samstagabende, bei denen wir so viel Halt fanden – so viel Geborgenheit. Oder sogar Glück. Vielleicht befinden wir uns in einer Zeit des Heldensterbens.
Dabei sehnen wir uns mehr denn je nach Vorbildern. Diesem wehen Gefühl möchte ich die Giganten der nächsten Kapitel gegenüberstellen. Denn einige von ihnen sind nicht nur große Künstler, sondern auch wahre Überlebenskünstler.
Sie haben viele von uns geprägt und erheitert, mit ihrer Unangepasstheit ermutigt. Sie alle sind Freigeister. Und eines leider nicht mehr ganz so fernen Tages werden wir sie vermissen. Denn gefühlt waren sie schon immer da, sie begleiteten uns fast lebenslänglich. Weil sie unverwechselbar, kantig und einzigartig sind.
Beginnen möchte ich mit Udo Lindenberg, dessen Songs der Soundtrack unserer jugendlichen Samstagabendfreiheiten war. Mit ihm im Walkman oder dem Kassettenradio unserer ersten Autos zogen wir los in die Nacht und ihre Abenteuer. Später dann als Erwachsene freuten wir uns, wenn er samstags bei Wetten, dass..? auftrat.
Udo Lindenberg wird in den folgenden Gesprächen mitunter sehr ernst werden. Zur Aufheiterung wird er dann kurz seinen Hut heben. Bloß ganz flüchtig – weil wir gerade über das Unsichtbare und Geheimnisvolle reden und er erzählen und zeigen will, was sich dort oben so verbirgt. Ein bisschen »hochsensibles« Haar immerhin, keine Glatze. Und unterm Haar, in seinem Kopf, ein ebenso sensibler Geist. Dann setzt er die Brille ab und zeigt zwei mit Kajal geschminkte Augen. Voll von gelebtem Leben. Von seiner Seele. Und ja, auch ein wenig von Panik. Selbst jetzt, im Zenit seines Erfolgs, glimmt sie an manchen Tagen noch um seine Pupillen herum – auch wenn er noch so gern das Gegenteil behauptet. So sehr und lange, dass »Keine Panik« seit Jahrzehnten sein Markenzeichen ist. Er kennt sie aber bis heute, diese Panik. Davon wird er gleich erzählen.
Udo Lindenberg wird ein paar seltene Augenblicke lang in die Tiefen seines Gemüts schauen lassen und uns auf seinem Rockliner mit auf große Fahrt nehmen. Er wird sich an seine dunkelsten Tage erinnern. An jene, als er dem Tod näher war als dem Leben. Und dann wird er zum Glück seiner Gegenwart gelangen. Auch davon wird er in diesem Buch erzählen.
Ist Götz George wirklich tot? In vielen Herzen – oder wie man heute sagt: gefühlt – ist er bis heute nicht gestorben. In seinem letzten großen Interview, das ich mit ihm führen durfte, verriet er, wie er vor seiner großen Herzoperation noch mit den Ärzten scherzte: »Nun strengt euch mal ein bisschen an! Sonst muss ich abtreten, und dann seht ihr keinen Schimanski mehr!« Und dann erzählte er, wie er sich sein Ende ausmalt.
Aufmuntern wird uns danach zuverlässig Barbara Schöneberger, die vielleicht letzte große Hoffnung des TV-Samstagabends. Die stets so ungestüm fröhlich und ohne Ängste ist. In ihrem Wohnzimmer erklärt sie, was ihre Sonne scheinen lässt.
Konstantin Wecker flutet in seinen Konzerten mit Gefühl. Hier spricht der Liedermacher über Nahtoderlebnisse. Und über Engel, die ihn zurück zur Erde schickten, als er sich schon im Himmel glaubte.
Es folgt Hape Kerkeling, der Mann, der uns alle von Herzen lachen ließ und sich nun zurückgezogen hat. Sehr offen blickt er zurück auf seinen bunten Weg, der mal so dunkel begann, als er mit acht Jahren am Grab seiner Mutter stand.
Thomas Gottschalk teilte als Junge dieses Schicksal; er stand vor dem Sarg seines Vaters. Und dennoch hat dieser Mann den Deutschen eine Leichtigkeit geschenkt, die ihresgleichen sucht. Woher sie rührt und wie er sie bewahrt, erzählt er hier und katapultiert sich dabei noch einmal zurück in seine Kindheitswelt.
Jan Fedder ist der letzte große Volksschauspieler. Und geht noch einmal zurück an den Ort, an dem er berühmt wurde. Zusammen mit seinen Filmkameraden von damals taucht er zurück in die Originalkulisse aus Das Boot.
Christiane Hörbiger erinnert sich an den bittersten Moment ihres Lebens – und umso stärker und stolzer an das, was sie aus ihm schöpfte für ihr weiteres Leben und ihre Kunst.
Dann folgt Alfred Biolek, der seine Gesprächspartner öffnen konnte wie kein Zweiter. Nun erzählt er von der Zeit, als er nicht mehr wusste, wer er war.
Sie alle sind unsere Samstagabendhelden. Und dieses Buch möchte auch ein Dank sein für all das, was wir ein Leben lang erlebt haben mit diesen Stars: grandiose Unterhaltung, große Gefühle und ergreifende Lieder.
All diese Ausnahmekünstler sind Standing-Ovations-Stars. Die Zuschauer haben sich vor ihnen erhoben, tun es bis heute und bringen ihnen ihre Zuneigung im besten Wortsinn aufrecht entgegen. Aber auch die Beklatschten haben ihr Publikum manches Mal erhoben. Sie haben es nicht nur unterhalten, belustigt und berührt. Sie haben es auch erbaut. Ganz genau so, das hoffe ich, sollen sie es bitte noch eine ganze Weile weiter tun.
Wenn ich mich als Autor dieses Buchs gelegentlich selbst einbringe, dann deswegen, weil ich Ihnen diese Samstagabendhelden...