1 Wie ich zum Schamanismus kam
Schamanen, das waren bei uns in Deutschland eine Zeitlang jene Leute, die mit großen Lederhüten, Stirnbändern, Türkisketten und zahlreichen Amuletten bestückt schon durch ihr Äußeres kundtaten: »Seht alle mal her, ich bin etwas Besonderes.« Nein, sie interessierten mich wirklich nicht und ich hielt gar nicht viel von dieser Form der Selbstdarstellung. Als ich einmal zu einem Vortrag ging und während der gesamten Zeit eine junge Frau – sie sprach ein breites Niederbayerisch und trug einen Poncho aus den Anden mit dazugehörigem Stirnband – unaufhörlich vor sich hin trommelte und allen den Ratschlag gab, sie doch einmal aufzusuchen, denn sie sei eine Schamanin, war das Maß voll. Das war mehr, als ich ertragen konnte, schließlich war ich gekommen, um den Vortrag zu hören. Während ich ärgerlich vor mich hin brummelte, sprach mich eine andere Frau an: »Bevor Sie über Schamanen schimpfen, sollten Sie einmal einen Lehrgang besuchen, damit Sie wenigstens wissen, worüber Sie schimpfen!« Da musste ich wirklich lachen, denn sie hatte nicht unrecht, so genau wusste ich über den Schamanismus nicht Bescheid. Das wollte ich ändern. Verwandte und Freunde, denen ich von meinem Vorhaben erzählte, warnten mich: »Du kannst das natürlich tun, aber denke daran, dass es dein ganzes Leben verändern kann, und das vielleicht anders, als du denkst!«
Erste Erfahrungen mit schamanischer Therapie
Das war vor beinahe dreißig Jahren. Und sie hatten recht, denn der Schamanismus hat mein Leben wirklich in unglaublicher Weise grundlegend verändert, indem er Fähigkeiten in mir weckte und mir Aufgaben erteilte, mit denen ich nie gerechnet hatte. Er ist seitdem zu einer faszinierenden Bereicherung meiner Welt geworden.
Einige Jahre arbeitete ich damals bereits in meiner Naturheilpraxis und begann bald, zunächst vorsichtig, schamanische Elemente in meine Therapien einzubauen, wenn mir das Krankheitsbild und der Patient selbst dazu geeignet schienen. Als sich gute Erfolge einstellten, wurde ich mutiger. Durch die vielen Behandlungen bekam ich überraschende Einsichten und Erkenntnisse über die Ursachen von Blockaden im Zellsystem und die daraus folgenden seelischen oder körperlichen Leiden. Auf meinen Trancereisen in die Obere Welt zu meinem geistigen Lehrer – wir kommen auf all das noch genauer zu sprechen – wurde mir beispielsweise ein Gebet oder eine Art Zauberspruch geschenkt, mit dem ich solche Blockierungen auflösen konnte, und das deutlich spürbar für den Betroffenen. Das war ein echter Fortschritt in meiner Therapie, denn jetzt konnte ich den Patienten nicht nur neue Erkenntnisse vermitteln, sondern eine echte Befreiung von jahrelangen Blockaden bewirken.
Genau das ist das Besondere meiner speziellen schamanischen Behandlung: das definitive Löschen von Belastungen und das Zurückbringen von verlorenen Seelenteilen. Die vielen Einblicke in die Zellsysteme meiner Patienten zeigten mir auch, dass die Lösung ihrer Beschwerden nicht mit Methoden des Ethnoschamanismus zu erreichen war, denn sie trugen alle die Chiffren des kollektiven Unbewussten des Abendlands in sich. Ich hielt es für unpassend, ihnen auf dem sensiblen Gebiet der Heilung etwas Fremdes aufzupfropfen. Daher richtete ich meine Forschungen genau auf dieses Thema und erkannte die vielen schamanischen Elemente in der christlichen Kultur und Kunst, die uns lehren, wie Menschen unserer Breiten zu heilen und zu schützen sind.
Die Schulmedizin wird aufmerksam
Als zusätzliches und sehr wertvolles Geschenk betrachte ich es, dass nach dem Fall der Mauer renommierte Schulmediziner aus Ostdeutschland, die mich von meinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen her kannten, auf mich zukamen. Allen voran Dr. Rainer Wander, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuraltherapie und Akupunktur. Unter dem Motto: »Jetzt wollen wir doch mal sehen, ob der Schamanismus wirklich etwas bewirken kann«, luden sie mich zu Seminaren ein, auf denen sie selbst die schamanische Heilarbeit erlernen wollten. Es begann ein spannendes Abenteuer, denn ich wurde geprüft und getestet. Sie öffneten mir daraufhin ihre Praxen beziehungsweise Kliniken und ließen mich Patienten mit problematischen Erkrankungen behandeln. Die Ergebnisse der schamanischen Arbeit kontrollierten sie anschließend mit schulmedizinischen Methoden. Durch diese Zusammenarbeit habe ich viel gelernt und auch viel an Sicherheit gewonnen. Denn schamanisch Reisen ist ein wenig wie Klavierspielen, je öfter man übt, desto besser wird es.
Schamanisches Grundwissen
Wie aber fing es bei mir an? Nach der Begegnung auf dem von der Trommelnden gestörten Vortrag hörte ich bald von einem Seminar, einer Art Einführungskurs in den Schamanismus. Heute weiß ich, dass ich von Glück reden kann, einen seriösen Einstieg in dieses Metier erfahren zu haben. Eine meiner größten Überraschungen auf diesem Kurs war, dass ich schamanisch »sehen« konnte, und zwar sofort. Dabei war ich doch eigentlich gekommen, um den ganzen Unsinn zu widerlegen und nicht, um schließlich als »Bekehrte« dazustehen.
Uns wurde erklärt, dass es drei Welten gibt: die Untere, Mittlere und die Obere Welt. Der Schamane bereist während seiner Trance hauptsächlich die Untere, um mit den Geistern der Tiere und Pflanzen zu kommunizieren. Und in diese sollten wir dann auch reisen. Dafür sollten wir uns einen natürlichen Eingang, vielleicht unter einem Baum oder in einer Höhle vorstellen, uns gedanklich in ihn hineinbegeben, um dann senkrecht hinunter in die Untere Welt zu gelangen. Dort unten würden wir sehr wahrscheinlich unser Krafttier treffen, das für die schamanische Arbeit unerlässlich sei. Wir legten uns also auf unsere Matten und warteten darauf, dass die Leiterin die Trommel schlug, damit wir für unsere Aufgabe die nötige Konzentration halten konnten.
Ich hatte mir schon eine Höhle, die ich tatsächlich einmal besucht hatte, ausgesucht, und auch für mein Krafttier hatte ich mich schon entschieden, denn für mich als Katzenliebhaberin kam nur ein Tier der Katzengattung infrage, vielleicht ein kleiner Panther oder Leopard.
In Gedanken stieg ich in die dunklen Räume der Höhle, und plötzlich endete die Imagination: Ich roch Erde und Stein, fühlte eine kühle Feuchtigkeit und hörte das Tropfen von Wasser, das vom Felsen sickerte. Ich sah Moos, das an einigen Stellen wuchs, und es drängte mich hinabzusteigen, in die untere Welt, immer tiefer hinunter. An einer Biegung versperrte mir ein riesiger Bison den Weg, dessen zottiges Fell bläulich und phosphoreszierend schimmerte. Er schnaubte und schüttelte den mächtigen Schädel. Ich versuchte mich an verschiedenen Seiten um ihn herumzudrücken, aber er presste mich sanft an die feuchten Wände der Höhle. Es gab kein Vorbeikommen.
Das Trommeln ging zu Ende, ich hatte mein erhofftes Katzentier nicht getroffen, sondern war einfach in der Höhle stecken geblieben. Während ich den lebhaften Reiseberichten der anderen Teilnehmer lauschte, musste ich frustriert bekennen, versagt zu haben. Ich hatte in der Höhle festgesessen und war nicht in der unteren Welt angekommen wie alle anderen.
Drei Tage scheiterte ich an diesem Bison, und drei Tage dauerte es, bis ich endlich begriff, dass er mein Krafttier ist und mir aus der unteren Welt ein Stück entgegengekommen war, um mich abzuholen! Welch unglaubliche Freude durchströmte mich bei dieser Erkenntnis. Die Ereignisse in den anderen Welten überschlugen sich: Ich wurde gleichsam in die schamanischen Parallelwelten hineingeschleudert und lernte auf diesen inneren Reisen die wundersamsten Wesen und Orte kennen. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Da ich mich immer für die darstellende Kunst interessiert hatte, erkannte ich auch, dass viele der alten Künstler schon vor mir dort gewesen sein mussten, denn ich entdeckte Orte, Gebäude und Wesenheiten, die sie vor Hunderten von Jahren gesehen und auf Fresken oder in Stein wiedergegeben hatten. Ich war in meiner Welt angekommen!
Verbündete finden
Wir bekamen von unserer Lehrerin nun den Auftrag, schamanisch in der Natur zu arbeiten, um dort unsere Erfahrungen zu machen. Dazu sollten wir in der festen Absicht, einen Verbündeten zu finden, in die Landschaft hinausgehen. Unser erster Verbündeter wäre ein Baum. Wenn wir ihn gefunden hätten, würde er uns mit einem Geschenk zeigen, dass er uns angenommen hätte. So ein Geschenk könnte zum Beispiel ein Blatt sein, das auf uns herabfiel, ein Zweiglein oder ein Tannenzapfen. Es stehe uns völlig frei, in welche Richtung wir draußen gehen würden, wir hätten einige Stunden Zeit für diesen Auftrag. Da das kleine Seminarhaus mitten im einsamen Niederbayern stand, von Wald und Wiesen umgeben, war es kein Problem, in die Natur einzutauchen. Aber wohin sollte ich mich wenden?
Ich trat zum Hoftor hinaus und blieb stehen, ein kühler Windhauch streifte meine Wangen. Ich hatte den Impuls, diesem Wind zu folgen. Mein Blick für die Umgebung wurde plötzlich unscharf und wie getrieben folgte ich dem Sog des mit mir verbündeten Baumes, der mich zu sich zu rufen schien. Ich trabte über winterliche Wege, durch verschneite Felder und schließlich immer weiter in einen dunklen Fichtenwald hinein. Wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen bog ich mit untrüglicher Gewissheit nach links ins immer dichter werdende Unterholz ab. Die Bäume wurden höher und das Unterholz immer dichter, aber ich kämpfte mich durch Schnee und Geäst, bis ich endlich auf Händen und Knien kriechend den Baum entdeckte. Tatsächlich, da vorn stand er, wie selbstverständlich erkannte ich ihn sofort: Es war eine kleine, junge Eibe, kaum...