BETHUEL KIPLAGAT: Vom Kolonialismus zur Partnerschaft
Letztes Jahr jährte sich die Veröffentlichung von Chinua Achebes erstem Roman «Things Fall Apart» («Okonkwo oder Das Alte stürzt») zum fünfzigsten Mal. Sein Buch wurde zu einem der wichtigsten literarischen Werke für die postkoloniale afrikanische Identität. Es beschreibt die tiefgreifenden gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungen, die die Ankunft des ersten Missionars in einem afrikanischen Dorf auslöste. Dieses erste Zusammentreffen zog viele weitere Ereignisse nach sich, die weitreichende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Afrika und Europa haben sollten, im Guten wie im Schlechten.
Das Alte stürzt. Nichts bleibt wie es war. Welche Lehren können wir aus dieser historischen Gesetzmäßigkeit für unsere Beziehungen ziehen? Meiner Meinung nach ist es wichtig sich einzugestehen, dass wir vor unserer Geschichte nicht weglaufen können, da sie über unsere Zukunft entscheidet. Afrika und Europa sind verbunden durch Kultur, Sprache und Religion – durch unsere gemeinsame Geschichte.
Ziel dieses Beitrags ist es, die Spuren der verschiedenen europäischen Akteure sowie ihre Beziehung zu den Menschen in Afrika zu verfolgen. Eine solche Spurensuche ermöglicht uns den Übergang in eine gemeinsame partnerschaftliche Zukunft.
Als Kolumbus in Amerika landete, wusste er nicht, welche historischen Auswirkungen dies für die Menschen in Afrika haben würde. Aber dieser Moment in der Weltgeschichte löste eine Kettenreaktion aus, die auch noch tief im Herzen Afrikas zu spüren sein sollte. Die Folgen der Entdeckung von Christoph Kolumbus haben jahrhundertelang bis auf den heutigen Tag den Lauf der Geschichte beeinflusst. Heute können der mächtigste Politiker der Welt und seine Frau – die Obamas – ihre Ursprünge nach Afrika zurückverfolgen.
Die von Kolumbus entdeckte Neue Welt benötigte für ihre Plantagen so viele Arbeitskräfte, dass sich das Augenmerk der Siedler beinahe unwillkürlich auf den afrikanischen Kontinent zu richten begann. Durch die Anwendung von Gewalt und in Zusammenarbeit mit korrupten afrikanischen Eliten fingen die europäischen Sklavenhändler im Landesinneren Afrikas Sklaven und brachten sie in tagelangen Märschen an die Küste, von wo sie über den Atlantik nach Amerika transportiert wurden. Als der Sklavenhandel eingestellt wurde, waren ganze Städte und Dörfer vollkommen entvölkert und ruiniert. Das menschliche Leid war immens.
Aber Gott sei Dank gab es auch Männer und Frauen, die entsetzt waren angesichts dieses Menschenhandels und sich für seine Abschaffung einsetzten. Es war nicht leicht, dieses so lukrative Geschäft zu beenden, aber William Wilberforce und seine engagierten Mitstreiter ließen sich nicht beirren. Nach dreißig langen Jahren konnten sie das britische Parlament für ihre Sichtweise gewinnen, woraufhin der Sklavenhandel nicht nur für Großbritannien, sondern allgemein verboten wurde.
Die Epoche des Sklavenhandels markiert naturgemäß einen der Tiefpunkte in den Beziehungen zwischen Europa und Afrika. Europa machte Afrikaner zu einer Ware, die man kaufen, verkaufen und besitzen konnte. Jahrhunderte sind seither vergangen, aber die Erinnerung verfliegt vielleicht noch jahrelang nicht. Sie wirft unbemerkt von beiden Partnern einen Schatten auf das gegenseitige Verhältnis und die Zusammenarbeit.
Das Engagement des William Wilberforce und seiner Mitstreiter führte zu einem ausgeprägten Interesse am afrikanischen Kontinent und bereitete den Boden für Entdecker.
Der herausragendste und berühmteste unter diesen Entdeckern war kein anderer als David Livingstone, der den südlichen Teil Afrikas von Osten nach Westen kreuz und quer bereiste. Er kam ohne Begleitung und war unter den damaligen Umständen unzureichend für eine jahrelange Expedition ausgerüstet. Wen außer seinen afrikanischen Begleitern hätte er um Hilfe bitten können? Gemeinsam erlebten sie schöne und schwere Zeiten. Die afrikanischen Begleiter sorgten für seine Sicherheit, versorgten ihn mit Nahrungsmitteln und pflegten ihn, wenn er krank war. Als er dann im Landesinneren des heutigen Tansania starb, ließen sie ihn nicht einfach zurück. Seine beiden treuen Diener und Begleiter trugen seine Leiche quer durchs Land bis zur Küste, um sicherzugehen, dass er in seiner Heimat im Kreise seiner Vorfahren die letzte Ruhe finden würde. Welch ein Einsatz und welch eine Treue.
Unabhängig davon, was der weiße Mann den Afrikanern antat, war dennoch Raum für den allumfassenden Geist der Liebe. Im Fall Livingstones wirkten nicht Zwang oder Gewalt, sondern die Liebe. Die Lebensgeschichte Livingstones war mehr als ausreichend, um dieses universale menschliche Gefühl zu wecken.
Nun schlug die Stunde der Völkerkundler und Missionare.
Als die Völkerkundler Erzählungen von Stämmen mit ungewöhnlichen und fremdartigen Kulturen erreichten, drängte es sie, diese vor Ort zu untersuchen. Dazu mussten sie mit und innerhalb dieser Gemeinwesen leben. Sie beobachteten vor Ort, um die Kultur und die Bräuche dieser Gemeinwesen zu verstehen. Diese Forschungsarbeiten erforderten lange Aufenthalte bei den zu untersuchenden Gruppen. Den Völkerkundlern blieb keine andere Wahl, als sich ganz auf das Leben der Afrikaner einzulassen und sich von ihrem Schutz abhängig zu machen.
Viele Jahre über prägte die Arbeit dieser Völkerkundler das Verständnis und die Einstellung der Europäer gegenüber den Afrikanern. Der Eindruck, den sie vermittelten, war im großen und ganzen negativ. Leider zeichneten sie ein Bild von primitiven und unzivilisierten Afrikanern. Indirekt haben sie womöglich sogar zum Sklavenhandel beigetragen, denn Afrikaner galten nicht als vollwertige Menschen und durften daher wie Ware gehandelt werden. Sogar die Missionare wurden von diesem Bild beeinflusst.
Die Missionare kamen, um das Licht und die Frohe Botschaft zu Menschen zu bringen, die im Dunkeln lebten. Die ersten Missionare hatten keine andere Wahl, als sich für ihre Arbeit von der Unterstützung und Hilfe der jeweiligen Dorfgemeinschaften abhängig zu machen. Ihre Arbeit wurde sehr geschätzt.
Kurz nach 1840 erreichten zwei von einer britischen Missionsgesellschaft ausgesandte deutsche Missionare mit ihren Frauen die kenianische Küste, um unter den dortigen Küstenbewohnern zu wirken. Ihre Namen waren Rebmann und Krapf. Sie verbrachten ihr ganzes Leben damit, den Menschen an der heutigen kenianischen Küste zu dienen. Das war eine Lebensaufgabe. Dafür gaben sie alles auf, was sie hatten, wovon auch ihre Gräber zeugen.
2001 organisierten ehemalige Schüler der Alliance High School in Kenia die Feierlichkeiten anlässlich des 75. Geburtstags ihrer Schule. Die Schule war gemeinsam von verschiedenen Missionsgesellschaften gegründet worden und hat einen maßgeblichen Beitrag zum Entstehen einer kenianischen Führungselite geleistet. In Anerkennung und Würdigung des Engagements ihrer in den Anfangsjahren meist europäischen Lehrer luden die Ehemaligen die nun pensionierten Lehrer ein und übernahmen alle Kosten für deren Aufenthalt. Dieses Zusammentreffen war geprägt von schönen gemeinsamen Stunden und gegenseitiger Anerkennung und Dankbarkeit. In jüngster Zeit haben die Ehemaligen den Bau mehrerer Wohnheime ermöglicht und sie nach ehemaligen Schulleitern benannt.
Um Zuneigung, Respekt und Dankbarkeit für diejenigen deutlich zu machen, die ihr Leben in den Dienst Afrikas und besonders der Schule gestellt haben, kümmerten sich die Ehemaligen um die Beerdigung eines allseits bekannten und beliebten ehemaligen Schulleiters und sorgten dafür, dass er auf dem Schulgelände bestattet wurde.
Während solch besondere Beziehungen entstanden, gab es aber auch Kräfte, die sie untergruben. Hier kommt der Kolonialismus ins Spiel.
Afrika ist und bleibt unumstößlich mit Berlin verbunden. Die 1884 abgehaltene Berliner Konferenz der damaligen Großmächte hatte weitreichende Konsequenzen für den Kontinent und die Menschen in Afrika. Die Aufteilung des Kontinents unter den europäischen Großmächten ohne die Einbeziehung der unmittelbar Betroffenen war ein Spiegelbild ihrer egozentrischen Einstellung.
Die Kolonialisierung hatte schwerwiegende Folgen für die Afrikaner. Die vielen, die versuchten, sich zu widersetzen, wurden niedergerungen und gezwungen, Untertanen der neuen Machthaber zu werden. Das war der Tiefpunkt der Beziehungen. Rassismus und Apartheid herrschten von nun an vor.
Weiße und Afrikaner lebten in unterschiedlichen Stadtteilen, besuchten verschiedene Schulen und sogar Kirchen und wurden in unterschiedliche Krankenhäuser eingewiesen. Die Toten wurden auf separaten Friedhöfen beigesetzt. Die einen waren die Herren, die anderen die Knechte. Die Lage begann sich allerdings zu destabilisieren, und es kam zu großen Aufständen auf dem ganzen Kontinent, woraufhin den Afrikanern endlich ihre Unabhängigkeit gewährt wurde.
Nach der Unabhängigkeit glaubten die Afrikaner nun endlich ihre eigenen Herren zu werden. Aber diese Hoffnung wurde nicht erfüllt, denn sie kamen zu der Erkenntnis, dass zur Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsdienstleistungen, Bildungsangeboten und Wohnraum sehr viele Ressourcen benötigt wurden. Nach und nach wurde konditionierte Entwicklungshilfe geleistet und untergrub die hart erkämpfte Freiheit. Bis heute wird Entwicklungshilfe politisch und diplomatisch instrumentalisiert, um Zugeständnisse zu erreichen, oder auch dafür, bestimmte Länder auf Linie zu bringen. Das, was an Partnerschaft zwischen Europa und Afrika existiert, ist eine ungleiche Partnerschaft. Es stellt sich die Frage, ob dieses Verhältnis nicht am zutreffendsten als Ausbeutung bezeichnet werden...