Es gibt viele Gründe, stolz auf Deutschland zu sein
Bei der Weihe der wiedererbauten Dresdner Frauenkirche am 30. Oktober 2005 rief Bundespräsident Horst Köhler einen Satz des großen Dichters Gerhart Hauptmann aus dem Jahr 1945 ins Gedächtnis: „Wer das Weinen verlernt hat, der lernt es wieder beim Untergang Dresdens.“ Dem, so Köhler, sei sechzig Jahre später hinzuzufügen: „Wer die Zuversicht verloren hat, der gewinnt sie beim Anblick der wiedererstandenen Frauenkirche! Das kann uns besonders viel sagen in einer Zeit, in der viele Menschen Sorgen, auch Angst vor der Zukunft haben.“
Am Anfang waren es nur einige wenige Idealisten, die sich für dieses gewaltige Vorhaben begeisterten. Aber es gelang ihnen, diese Begeisterung auf so viele Menschen zu übertragen, dass der Wiederaufbau zu einer im besten Sinne des Wortes nationalen Aufgabe wurde. Besonders beachtlich war die Finanzierung. Ursprünglich war gedacht, dass der Staat für zwei Drittel der Baukosten aufkommen würde und der Rest durch Spenden aufgebracht werden sollte. Tatsächlich aber hat sich dieses Verhältnis am Ende umgekehrt. Mehr als 100 Millionen Euro, also zwei Drittel der Kosten, kamen durch private Spenden und großherzige Stifter zusammen. Viele davon waren Deutsche, die heute im Ausland leben und auf diese Weise ihre Verbundenheit mit der alten Heimat bekundeten. Die wiedererrichtete Frauenkirche wurde auch zu einem Symbol der Aussöhnung zwischen den früheren Feinden. In Großbritannien, dessen Luftwaffe am 13. und 14. Februar 1945 Dresden in Schutt und Asche gelegt hatte, sammelte allein der Herzog von Kent mehr als eine Million Euro.
Doch nicht nur das Projekt Frauenkirche hat die Klischees widerlegt, die Deutschen seien zu großen Taten nicht mehr fähig. Um den Opfern der Tsunami-Katastrophe zu helfen und den Wiederaufbau in den betroffenen Gebieten Südostasiens zu unterstützen, spendeten die Deutschen die unglaubliche Summe von 670 Millionen Euro, der höchste Betrag, der jemals in unserem Land im Rahmen einer Spendenaktion zusammenkam. Deutschland lag damit weltweit an zweiter Stelle hinter den USA.
Das Land, das sich im Mai 1945 mit vierundfünfzig Staaten im Kriegszustand befand, ist heute ein hoch geachtetes Mitglied der internationalen Völkergemeinschaft – stets bereit, Verantwortung zu übernehmen. Nur die USA und Japan steuern mehr zum Haushalt der Vereinten Nationen bei, wobei Deutschland im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten ein pünktlicher Zahler ist. Mit mehr als 7 000 Soldaten stellt Deutschland der UNO – nach den USA das größte Kontingent für friedenssichernde und -erhaltende Maßnahmen – zur Verfügung, vor allem in Afghanistan und auf dem Balkan.
Innerhalb der Europäischen Union ist Deutschland mit weitem Abstand der größte Nettozahler und ein entscheidender Motor der europäischen Integration. Die Befürchtungen vieler unserer Nachbarn, Deutschland würde sich nach der Wiedervereinigung in einer Art neuem Nationalismus von der EU fortbewegen, erwiesen sich als völlig grundlos. Im Gegenteil: Auch wenn es Deutschland vergleichsweise schwerer als anderen Mitgliedsstaaten fiel, die D-Mark, das Symbol des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs, der gemeinsamen neuen Währung Euro zu opfern, stand der deutsche Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion nie ernsthaft infrage.
Ich bin auch fest davon überzeugt, dass der europäische Verfassungsvertrag in Deutschland auch bei einer Volksabstimmung, im Gegensatz zu Frankreich und den Niederlanden, letztlich eine Mehrheit gefunden hätte. Europa mag vielen Deutschen nicht mehr jene Herzenssache sein wie noch in den siebziger und achtziger Jahren, doch über die Notwendigkeit der Integration herrscht zwischen den politischen Parteien und allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppierungen breite Übereinstimmung.
Deutschland ist so fest und friedlich in Europa verankert wie noch nie in seiner Geschichte. Niemand muss mehr vor Deutschland Angst haben.
Im Rückblick lässt sich sagen, dass die Wiedervereinigung der erste Schritt zur Osterweiterung der Europäischen Union war, der allerdings von Deutschland alleine bezahlt wurde und wird. Die rund 80 Milliarden Euro, die jährlich an Transferleistungen von West nach Ost fließen, machen etwa 4 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes aus. Kein anderes Land der Welt hat eine vergleichbare Aufgabe zu schultern. Und weil manche Schlaumeier uns seit einiger Zeit empfehlen, wir sollten uns hinsichtlich unserer Wirtschaftspolitik doch Österreich zum Vorbild nehmen, sei der Hinweis gestattet, dass diese 80 Milliarden Euro rund 80 Prozent des gesamten österreichischen Staatshaushaltes gleichkommen.
Seit der Gründung der Bundesrepublik im Mai 1949 ist Deutschland eine der stabilsten Demokratien der Welt. In keinem vergleichbaren Land gibt es eine derart breite politische Mitte. Die 5-Prozent-Hürde, die eine Partei überspringen muss, um in den Bundestag zu gelangen, verhindert eine Zersplitterung des Parteiensystems wie im Deutschland der Weimarer Republik oder heute in vielen europäischen Staaten. Sie ist aber auch niedrig genug, um neuen politischen Kräften eine parlamentarische Plattform zu ermöglichen. Der am 22. September 2005 gewählte Bundestag ist dafür ein gutes Beispiel. Trotz gelegentlich spektakulärer Einzelerfolge hatten und haben extremistische Kräfte von rechts oder links in Deutschland dauerhaft keine Chance. Das eher auf Konsens als auf Konfrontation angelegte politische Modell – bedingt auch durch die starke Stellung der Länder gegenüber dem Bund – mag in Bezug auf die Schnelligkeit politischer Entscheidungen gelegentlich von Nachteil sein, aber in ihm drückt sich auch ein hohes Maß an Berechenbarkeit und Stabilität aus. Während die durchschnittliche Lebenszeit einer italienischen Regierung etwa zehn Monate beträgt oder sich die Amtszeit eines französischen Premierministers etwa an der Dauer eines mittelmäßigen deutschen Fußballbundesligatrainers bemisst, sind in über sechsundfünfzig Jahren Bundesrepublik nur drei Legislaturperioden nicht zum vollen Ende gelangt.
Deutschland ist ein vorbildlicher Rechtsstaat, der auch in Krisenzeiten, wie etwa der terroristischen Bedrohung durch die Rote Armee Fraktion in den siebziger Jahren, rechtsstaatliche Grundsätze strikt eingehalten hat. Dieser Rechtsstaat garantiert aber vor allem auch ausländischen Investoren ein hohes Maß an Sicherheit. Die meisten mittelständischen Unternehmen, die vor Jahren aus Kostengründen in osteuropäische Länder abgewandert sind und jetzt in zunehmend größerer Zahl wieder nach Deutschland zurückkommen, geben gerade die mangelnde Rechtssicherheit anderswo als entscheidenden Grund für ihre Rückkehr an.
Wir sind ein weltoffenes, gastfreundliches und tolerantes Land. Die Fußballweltmeisterschaft wird diese Botschaft wieder in die ganze Welt tragen. Mit 8,8 Prozent ist der Anteil von Ausländern an der Gesamtbevölkerung in Deutschland deutlich höher als etwa in Frankreich (5,6 Prozent), Großbritannien oder den Niederlanden (beide rund 5 Prozent), und dennoch ist das Zusammenleben bei uns sehr viel friedlicher. Als besonders positives Beispiel kann meine Heimatstadt München dienen, die mit knapp 24 Prozent den höchsten Ausländeranteil aller deutschen Städte hat (Berlin 14 Prozent) und nicht nur mit einer Vielzahl von Hilfs- und Betreuungsangeboten, sondern auch mit einer verantwortlich vorausschauenden Stadtund Wohnungsplanung das Entstehen von Gettos verhindert hat. Wir alle erinnern uns noch an die tagelangen Bilder brennender Autos und Häuser in den Vororten von Paris im Herbst 2005.
Sicher, auch in Deutschland hat es Ausschreitungen gegeben. Die Anschläge in Mölln, Rostock oder Hoyerswerda sollen nicht vergessen sein. Ebenso wenig allerdings die Tatsache, dass die Menschen in Deutschland darin keineswegs nur ein Problem für die Polizei sahen. Hunderttausende versammelten sich zu Lichterketten, um gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zu protestieren.
Dies alles festzustellen heißt nicht, die Probleme zu leugnen, die es auch bei uns mit der Integration von Ausländern gibt. Aber bei uns herrscht doch ein soziales und gesellschaftliches Grundklima, in dem die Schwelle zur Gewalttätigkeit deutlich höher liegt als anderswo. So gibt es ebenso über die Ächtung des Antisemitismus in Deutschland einen breiten Konsens.
Zum sozialen Frieden hat ebenso das „Tarifkartell“, als das die Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften heute so gerne diffamiert wird, viel beigetragen. Auf pro tausend Beschäftigte kamen in den letzten Jahren in Deutschland durchschnittlich 4,8 Streiktage, in Großbritannien 26,4, in den USA 44,5, in Dänemark 44,6 und in Italien 177 Tage. Auch dies ein wichtiger Standortvorteil. Und es ist eine Mär, dass die deutsche Tarifpartnerschaft notwendige flexible Lösungen verhindert. So genannte „betriebliche Bündnisse“ zwischen Geschäftsführung und Belegschaft sind in Deutschland längst alltäglich. Wie sehr sich vor allem auch die viel gescholtenen...