1 Einleitung
1.1 Physiologie der Schmerzentstehung
Weltweit stellt der Schmerz die Hauptursache dafür dar, dass ein Patient sich in Behandlung begibt.
Treten Erkrankungen ohne Schmerzen auf, so sind die Patienten viel schwerer für Behandlungen zu motivieren.
Die Behandlung des Schmerzes stellt daher auch eine der Hauptaufgaben des Therapeuten dar.
Gleichgültig, ob es sich hierbei um einen Arzt, Krankengymnasten, Heilpraktiker, Sportpädagogen, Psychologen oder ein Kräuterweib handelt, erfährt derjenige, der die schnellste und effektivste Schmerzbehandlung beherrscht, die größte Anerkennung.
Hierbei wird als Schmerz nicht ein einheitliches Bild, sondern eine Ansammlung unterschiedlicher Gefühlswahrnehmungen zusammengefasst. Jedem bekannt sind helle, stechende Schmerzen, gut lokalisierbare Schmerzen, häufig mit Beteiligung der Haut. Diese werden über die schnellen A-Delta-Fasern weitergeleitet. Dem stehen die sehr dumpf ziehenden Schmerzen, die schlecht zu lokalisieren sind, gegenüber. Dieser Schmerz wird durch die C-Fasern – das sind marklose, sehr langsam leitende Nervenfasern – übertragen. Die erste Schmerzumschaltung erfolgt im Rückenmarkhinterhorn. Hierbei können 3 verschiedene Wege geschaltet werden:
Zum einen der direkte und kürzeste Weg zum motorischen Vorderhorn; die Weiterleitung zum Seitenhorn, dem sympathischen Komplex, oder über das Rückenmark und den Hirnstamm aufsteigend zur Hirnrinde, dem Kortex ( ▶ Abb. 1.1).
Schmerzweiterleitung und Schmerzumschaltung.
Abb. 1.1
Entsprechend der Weiterleitung erfolgt auch eine sehr unterschiedliche Reaktion: Die Umschaltung zum Vorderhorn bewirkt eine Spannungserhöhung der zugehörigen Muskulatur. Hier wird z. B. das Wegziehen der Hand beim Verbrennen bewirkt, ehe der Schmerz wahrgenommen wird.
Die Weiterleitung in den sympathischen Komplex im Seitenhorn bewirkt eine vegetative Antwort, d. h. Veränderungen der Durchblutung, des Bindegewebsquellzustandes sowie Veränderungen der Schmerzschwelle.
Die Weiterleitung in den Hirnstamm, den Thalamus und den Kortex, bewirkt die eigentliche Schmerzwahrnehmung sowie die gefühlsbetonte Bewertung und gleichzeitig Phänomene der Schmerzprojektion sowie die sehr komplizierten bahnenden und hemmenden Begleitphänomene.
1.2 Therapeutische Möglichkeiten
Die therapeutischen Ansätze zur Behandlung des Schmerzes sind so vielfältig wie ihre Therapeuten.
Hierbei sind 4 unterschiedliche Ansätze möglich:
Behandlung des Schmerzes am Ort des Entstehens.
Behandlung des Schmerzes an den Bahnen, in denen er weitergeleitet wird.
Behandlung des Schmerzes am Ort der Wahrnehmung.
Behandlung des Schmerzes am Ort der Sekundärwirkung.
Eine zentrale Stellung in der Schmerzbehandlung nehmen die sog. Reflextherapien ein, bei denen der wirksame therapeutische Reiz außerhalb des Ortes der Schmerzentstehung gesetzt wird und auf diesen zurückwirkt. Beispielhaft sind hier zu nennen die manuelle Medizin, die Akupunkturbehandlung, die physikalisch-balneologische Behandlung und Injektionsbehandlungen.
Während man sich vielfältig noch um die Begriffsbestimmung streitet – hierbei werden Triggerpunkte, Reflexpunkte, Verquellungszonen, Akupunkturpunkte, Wirkungskreis und Zentralfeld oft für synonyme Bereiche gewählt –, wird darüber hinaus vergessen, dass man sich gemeinsam oft auf ein und das selbe Reflexphänomen zur Erzielung eines Erfolgs bezieht.
Wir möchten im Folgenden weder versuchen, diese strittigen Punkte zu klären, noch uns in Begriffsabgrenzungen verlieren, sondern vielmehr einen konkreten Extrakt der Erfahrung verschiedenster Bezirke zur praktischen Anwendung am Patienten bieten.
1.3 Anwendungsformen von Lokalanästhetika
Bei der Schmerztherapie mittels Lokalanästhesie unterscheidet man 4 verschiedene Anwendungsformen:
Segmenttherapie,
lokale Therapie,
Störfeldtherapie (spezielle lokale Therapie),
Leitungsbahnblockaden.
Die Segmenttherapie legt zugrunde, dass jeder Wirbelsäulennervenetage des Rückenmarks entwicklungsphysiologisch eine entsprechende Zone der Haut und des Bindegewebes (Dermatom), eine bestimmte Zone der Muskulatur (Myotom) und eine bestimmte Zone des Knochensystems (Sklerotom) zugeordnet sind ( ▶ Abb. 1.2). Durch die Verschaltung der Nervenfasern im Segment ist eine kreuzweise Beeinflussung möglich. So werden durch die Behandlung des entsprechenden Dermatoms, z. B. durch Quaddelbehandlungen, die dem Segment zugeordneten inneren Organe beeinflusst. Umgekehrt werden durch Erkrankungen der segmental zugeordneten Organe die entsprechenden Myotome oder Dermatome irritiert. Ebenso ist es möglich, durch Einwirkung über das Myotom oder Sklerotom eine Beeinflussung der inneren Organe zu erzielen.
Infiltrationstechnik zur segmentalten Therapie.
Abb. 1.2 Beachte die segmentalte Zuordnung von Haut, Unterhaut und Muskulatur zum jeweiligen Spinalnerv.
Die lokale Therapie erfolgt am erkrankten Gewebe bzw. am erkrankten Organ. Typisches Beispiel ist die Infiltration von Sehnen- oder Muskelansätzen oder die Infiltration bei gestörter Gelenkkapselreaktion ( ▶ Abb. 1.3).
Technik der lokalen Infiltration.
Abb. 1.3
Unter Störfeldtherapie wird eine Körperzone mit entgleister Gewebsreaktion behandelt. Es ist ebenfalls eine lokale Therapie, die meist verletzte, narbige oder chronisch-entzündlich veränderte Regionen behandelt. Der Unterschied zur klassischen lokalen Therapie besteht darin, dass diese lokalen Störfelder (Herde) fernab des eigentlichen Störfeldes ohne direkte nervale Verbindungen Erkrankungen verursachen können. Häufig werden solche chronischen Störfelder im Bereich des Zahn-Mund-Rachen-Raumes gefunden, z. B. Tonsillitis chronica, Zahnwurzelherde u. ä. Auch Narben nach operativer Behandlung können Fernstörungen verursachen. Durch die Unter- und Umspritzung des Herdes werden die Folgestörungen beseitigt ( ▶ Abb. 1.4).
Technik der Störfeldbehandlung durch Umflutung des lokalisierten Störfeldes.
Abb. 1.4
Die Lokalanästhesie an Leitungsbahnen umfasst die Infiltration und Umflutung mit Lokalanästhetika direkt an den Nervenleitungen. Hierbei wird durch die Infiltration der peripheren Nerven die Schmerzweiterleitung unterbrochen ( ▶ Abb. 1.5).
Leitungsbahntherapie.
Abb. 1.5 Hier perineurale Umflutung des Nervs. In gleicher Weise erfolgt die Behandlung der venösen und arteriellen Bahnen. Vorsicht: Vermeidung intraneuraler und intraarterieller Injektion.
1.4 Wirkungen von Lokalanästhetika
Wenn wir auch durch die Injektion von Lokalanästhetika zunächst eine Schmerzausschaltung anstreben, müssen wir uns bewusst sein, dass wir eine ganze Reihe von zusätzlichen Wirkungen durch das Lokalanästhetikum hervorrufen.
Die wichtigsten Wirkungen der Lokalanästhetika sind im Einzelnen:
1.5 Injektionstechniken
Wer Reflextherapien durch Lokalanästhetika-Injektionen beginnt, wird sehr rasch von der Wirksamkeit der Methode überzeugt werden und sie in die Palette der Routinebehandlungen einbeziehen. Trotz aller Routine und Alltäglichkeit in der Anwendung sollte jede Injektion jedoch mit großer Sorgfalt durchgeführt werden.
Zu den effektivsten Reflextherapien zählt die Behandlung mit Hilfe von Injektionen. Zur erfolgreichen Injektionstherapie sind folgende 6 Grundsätze zu beachten:
Jede Injektion ist juristisch eine vorsätzliche, gefährliche Körperverletzung und wird erst durch die Aufklärung und Zustimmung des Patienten und die Ausführung Lege artis zur „Therapie“.
- ...