Einführung
Wahrscheinlich gehören Sie zu den Menschen, bei denen es schon einige Zeit her ist, dass sie einen Erste-Hilfe-Kurs oder einen »Sofortmaßnahmenkurs« für den Führerschein besucht haben. Selbst wenn Sie aus diesem Kurs noch ein paar Dinge wissen sollten, ist dieses Wissen nicht ausreichend, um für die kleinen und großen Notfälle bei Babys und Kindern gewappnet zu sein. Denn viele Vorfälle aus dem Alltag unserer Kleinen, wie z.B. das Verschlucken von Fremdkörpern, kommen in einem normalen Erste-Hilfe-Kurs überhaupt nicht zur Sprache.
AUFBAU DES BUCHES
Dieses Buch ist für die Praxis geschrieben: Janko von Ribbeck leitet seit mittlerweile 20 Jahren Erste-Hilfe-Kurse speziell für Notfälle bei Kindern. Seine Aussagen sind nicht an starre Regeln gebunden, sondern stützen sich auf Erfahrungswissen.
Die Sofortanleitungen
Im hinteren Teil des Buches finden Sie Sofortanleitungen zu den wichtigsten Erste-Hilfe-Themen. Diese Sofortanleitungen sind die Eckpfeiler für das richtige Handeln bei Kindernotfällen. Sie vermitteln einprägsam und knapp die wichtigsten Informationen, falls Sie in einer Notfallsituation nicht weiterwissen.
Die Seiten dieses Kapitels sind rot unterlegt, sodass Sie diesen Teil unverzüglich aufschlagen können.
- +Die Sofortanleitungen geben einen schnellen Überblick über angemessene Erste-Hilfe-Maßnahmen.
Telefonnummern für den Notfall
Die Notrufnummern für Deutschland, Österreich und die Schweiz finden Sie hier. Die Rufnummern für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst, den Kinderarzt und das Krankenhaus sollten Sie an dieser Stelle ergänzend hinzufügen. Hier sind die Rufnummern der Vergiftungszentralen aufgeführt.
DIE EIGENE PANIK
Gehören Sie zu den Menschen, die kein Blut sehen können und schon bei kleinen Unfällen kopflos das Weite suchen? Dann tun Sie sich mit Erster Hilfe schwer, und ich habe großes Verständnis für Sie. Denn es ist nicht einfach, als Erwachsener die nötige Ruhe und Gelassenheit zu erlernen. Wer grundsätzlich panisch reagiert, wird dieses Reaktionsmuster nur bedingt ändern können. Den wichtigsten Trick möchte ich Ihnen hier schon verraten. Es ist das Atmen. In einer Schrecksituation neigen wir dazu, den Atem anzuhalten. Mit dem Anhalten des Atems stoppen wir aber auch den Energiefluss im Körper. Die Folge sind unklare Gedanken und Handlungen. Atmen Sie durch, so wird im Zwerchfell eine Entspannung herbeigeführt, die den Energiefluss im Körper wieder harmonisiert. Mein Rat für die nächste Situation, die Sie panisch werden lässt oder aus der Ruhe bringt: Holen Sie tief Luft, und lassen Sie die Luft langsam gegen den Widerstand der Lippen entweichen.
- +Regel Nummer eins bei Aufregung und Panik: tief Luft holen.
SCHRECK UND SCHMERZEN BEI KINDERN
Verletzungen gehören zum Alltag eines Kindes. Schauen Sie einem Kind mal zu, wenn es allein spielt und sich unbeobachtet fühlt. Stößt es sich den Kopf an oder fällt es hin, wird es auch mittelstarke Schmerzen »wegstecken«, ohne zu weinen. Fühlt sich das Kind beobachtet, wird es in der gleichen Situation anders reagieren. Es wird schreien oder weinen, um die Aufmerksamkeit der erwachsenen Bezugsperson auf sich zu ziehen. Es ist legitim für ein Kind, zu schreien und Trost zu suchen. Trost und Unterstützung bauen wichtiges Vertrauen zwischen Eltern und Kind auf. Es gibt aber auch Kinder, die übermäßig jammern und sich bei jeder kleinen Schramme benehmen, als bräche die Welt zusammen. Weder für das Kind noch für den Erwachsenen ist es angenehm, wenn das Kleine wegen jeder Bagatelle heulend angelaufen kommt.
- +Ein gesunder Umgang mit Schmerz kann erlernt werden.
Man kann Kinder erziehen, ein gesundes Verhältnis zu Schmerzen und Verletzungen zu entwickeln. Hierfür gibt es ein paar Regeln, die Sie beachten sollten:
Lassen Sie das Kind auf sich zukommen
Hat sich ein Kind wehgetan, so eilen Sie nicht zu ihm und nehmen Sie es nicht auf den Arm, noch bevor es zu schreien beginnt. Lassen Sie sich und dem Kind einen Augenblick Zeit. Nehmen Sie Kontakt auf, und geben Sie dem Kind erst einmal Gelegenheit, seinen Schmerz und Schreck zu spüren. Das Kind soll lernen, zwischen leichten und starken Schmerzen zu unterscheiden. Hierfür braucht es Zeit – Zeit, in sich hineinzuhören, Zeit zum Spüren. Anschließend lassen Sie, wenn möglich, das Kind ein paar Schritte auf Sie zugehen oder krabbeln, und nehmen Sie es dann in den Arm. Damit ist das Kind selbst aktiv und kann seine Rolle als Opfer verlassen.
Sprechen Sie mit dem Kind über seinen Schreck
Meist steht bei Stürzen und Verletzungen der Schreck, den das Kind erleidet, im Vordergrund. Erstaunlicherweise ist es gar nicht in erster Linie der Schmerz, der es aus der Fassung bringt, sondern der Schreck. Deshalb sollten Sie das Kind, wenn Sie es auf dem Arm haben oder es trösten, auf den Schreck ansprechen, etwa: »Jetzt hast du aber einen Schreck bekommen, damit hast du gar nicht gerechnet.« So lernt das Kind, Schreck und Schmerz zu unterscheiden.
Lassen Sie sich durch Ihren eigenen Schreck nicht dazu hinreißen, mit dem Kind zu schimpfen, wenn etwas passiert ist. Geben Sie ihm mit freundlicher, ruhiger Stimme und Körperkontakt die Zuwendung, die es jetzt braucht
Lenken Sie das Kind ab
Eine weitere Methode, um einem Kind zu helfen, Abstand von Schreck und Schmerz zu gewinnen, ist die Ablenkung. Schon eine kleine Aufforderung, wie z.B. »Schließ mal deinen Mund!«, bringt das Kind auf andere Gedanken, und es kann leichter zum Alltag zurückkehren.
Hört man Kindern und Eltern zu, wenn es um den Verursacher kleiner Verletzungen geht, kann man oft Aussagen hören wie: »Der böse Stuhl!« oder »Die gemeine Tischkante!«. Derlei Reaktionen vonseiten der Erwachsenen sind völlig fehl am Platze. Erstens ist es einfach nicht wahr, dass ein lebloser Gegenstand an etwas schuld ist. Zweitens wird hier eine falsche Beziehung aufgebaut und ein Gegenstand zum Täter erklärt. Noch schlimmer ist es, wenn der Stuhl oder die Tischkante auch noch gehauen wird, vielleicht sogar mit Hilfe der Eltern. Damit lernt das Kind bereits früh, seine eigenen Unzulänglichkeiten und Missgeschicke auf andere zu projizieren und seine Fehler nicht zu sehen. Es ist zwar einfach und bequem, andere Umstände, Gegenstände und Personen für das eigene Fehlverhalten verantwortlich zu machen, doch das schafft im späteren Leben viele Probleme. Besser ist es, dem Kind in so einem Fall zu sagen: »Nun bist du gegen den Tisch gelaufen, da warst du wohl etwas ungeschickt. Der Tisch kann da aber gar nichts dafür.«
Nutzen Sie den Lerneifer des Kindes
Sie können das Kind nach einem Missgeschick auch danach fragen, was es durch die Situation gelernt hat. Helfen Sie dem Kind, die Antwort zu formulieren. Sie könnte z.B. lauten: »Wenn es auf dem Boden rutschig ist, muss ich langsam und besonders vorsichtig gehen.«
Kinder müssen lernen, Gefahren zu erkennen
Für Babys und Kleinkinder ist es wichtig, dass die Umwelt, in der sie aufwachsen, möglichst gefahrenfrei gehalten wird. Sie sind selbst noch nicht in der Lage, Gefahren zu erkennen, ihnen auszuweichen und richtig damit umzugehen. Sie können sich also noch nicht gefahrenbewusst verhalten.
Im Alter von drei bis vier Jahren sollte man Kindern die Möglichkeit geben, mit Gefahren umzugehen. Der Mangel an Erfahrung ist auf die Dauer nachteiliger als eine kleine Schramme. Sie sollten Kinder also nicht überängstlich vor allem bewahren.
Je früher und je besser Sie Ihr Kind anleiten, sich Gefahren bewusst zu machen und sich entsprechend zu verhalten, desto weniger müssen Sie es später überwachen oder gängeln. Und dadurch kann es sich freier und selbstständiger entwickeln und eine lebenstüchtige, verantwortungsbewusste und mit dem notwendigen Selbstvertrauen ausgestattete Persönlichkeit werden.
- +Halten Sie Ihr Kind nicht an der kurzen Leine.
Halten Sie Ihr Kind jedoch von allem fern, also »an der kurzen Leine«, kann zweierlei geschehen: Je nach Veranlagung und Möglichkeit wird es entweder die Beschränkungen und Verbote ignorieren. Dadurch gerät es erst recht in jene gefährlichen Situationen, die Sie doch gerade vermeiden wollten. Oder es wird kein Selbstvertrauen entwickeln, es wird resignieren und kaum die für das Leben notwendige Selbstständigkeit erlangen.
Erste Hilfe in Kita, Kindergarten und Tagespflege
Wenn Ihr Kind betreut wird, soll es auch sicher sein. Betreuungspersonal muss deswegen alle zwei Jahre einen »Erste Hilfe am Kind«-Kurs absolvieren. In seltenen Fällen werden die regelmäßigen Fortbildungen aber nur unzureichend durchgeführt. Fragen Sie einfach nach.
Die Erfahrung zeigt, dass in Kindergärten keine schlimmen Unfälle passieren. Aber schon ein Kind, das sich verschluckt oder einen plötzlichen Fieberkrampf erleidet, erfordert gute Kenntnisse über Kindernotfälle. Ein Erwachsenen-Erste-Hilfe-Kurs ist hierfür ungeeignet.
WER IM NOTFALL HILFT
Notruf
Einen Notruf »abzusetzen« (wie man im Erste-Hilfe-Jargon so schön sagt) ist einfacher, als Sie vielleicht vermuten. Sie müssen vor allem die wichtigste Notrufnummer – in den meisten Fällen ist der Rettungsdienst unter 112 zu erreichen – kennen. Die 112 gilt seit 2009 in...