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E-Book

Schöpfung - eine Vision von Gerechtigkeit

Was niemals war, doch möglich ist

AutorAndreas Benk
VerlagMatthias Grünewald Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783786730972
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Biblische Schöpfungstexte sind Hoffnungsgedichte, Sehnsuchtsbilder und Widerstandsliteratur. Die herrschenden Verhältnisse konfrontieren sie mit einer lebensfreundlichen Utopie. Andreas Benk entwirft deshalb eine visionäre, befreiungstheologisch orientierte Schöpfungstheologie als Alternative zu globaler Ungerechtigkeit. Damit überwindet er ihre Fixierung auf die Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften. Stattdessen wird deutlich: Schöpfungstheologie hat radikale Folgen für Lebensstil, Bildung und Politik.

Dr. Andreas Benk, geb. 1957, ist Professor für Katholische Theologie/Religionspädagogik am Ökumenischen Institut für Theologie und Religionspädagogik der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.

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Leseprobe

Einführung


»Schöpfung« ist nicht ein beliebiges theologisches Thema neben anderen Themen, sondern theologisches Schlüsselthema. Das Alte Testament beginnt mit einem feierlichen Schöpfungshymnus: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; […] Gott schuf also den Menschen als sein Abbild […]. Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut« (Gen 1,1.27a.31a). Es folgt die Erzählung vom Garten Eden, in den Gott den Menschen setzt, damit er ihn bebaue und hüte (vgl. Gen 2,15). Bedeutende Schöpfungstexte finden sich unter den Psalmen, im Buch Jesaja, im Buch der Sprichwörter sowie in den Büchern Ijob und Kohelet. Schöpfung und Neuschöpfung spielen auch im Neuen Testament eine zentrale Rolle. Die Hoffnung auf das schöpferische Handeln Gottes und das Vertrauen auf Gottes Fürsorge für seine Geschöpfe bilden den Horizont für Jesu Botschaft vom »Reich Gottes« und für seine ethischen Weisungen. Nach Paulus ist Gott aufgrund seiner Schöpfungswerke für jeden Menschen erkennbar (vgl. Röm 1,19f.); die gegenwärtige Schöpfung liege in Wehen und schreie unter Geburtsschmerzen (vgl. Röm 8,22), doch mit Jesus sei eine neue Schöpfung bereits angebrochen (vgl. 2 Kor 5,17). Der Kolosserhymnus entfaltet den Gedanken von Christus als Erstgeborenem der ganzen Schöpfung: in ihm, durch ihn und auf ihn hin wurde alles erschaffen (vgl. Kol 1,15–17, vgl. Joh 1,1–3). Das letzte Buch des Neuen Testaments entwirft schließlich die Vision eines »neuen Himmels und einer neuen Erde« (Offb 21,1); in dieser neuen Schöpfung »wohnt« die Gerechtigkeit (vgl. 2 Petr 3,13).

Angesichts der biblischen Bedeutung der Schöpfungsthematik ist es nicht verwunderlich, dass der Schöpfungsglaube auch einen prominenten Platz in den christlichen Bekenntnissen einnimmt. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis, das fast allen christlichen Konfessionen gemeinsam ist, heißt es gleich zu Beginn: »Ich glaube an Gott, den Vater, den allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde«; ähnlich im nicäno-konstantinopolitanischen Bekenntnis, das auf das 4. Jahrhundert zurückgeht: »Wir glauben an den einen Gott, den allmächtigen Vater, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.« Dies belegt: christlicher Glaube kann der Frage, wie die biblischen Schöpfungstexte verstanden wurden und wie Schöpfungsglaube heute gedeutet werden kann, nicht ausweichen. Es besteht für die christliche Theologie diesbezüglich Auskunftspflicht.

Darüber hinaus ist Schöpfung nicht nur ein theologisches, sondern auch ein religionspädagogisches Schlüsselthema. An der Frage, ob Mensch und Welt Schöpfung Gottes sind, entscheidet sich für viele Menschen, wie sie insgesamt zum Gottesglauben stehen. Für Kinder bis zum frühen Grundschulalter ist der Glaube an einen Schöpfergott meist noch unproblematisch, da sie entwicklungspsychologisch zum Artifizialismus tendieren: Alles, was ist, ist demnach künstlich hergestellt. Auf diese Weise können sich Kinder auch die Herkunft der Welt am einfachsten erklären. Die wortwörtlich verstandenen biblischen Schöpfungserzählungen passen genau in dieses Bild: Alles, was ist, Himmel und Erde mitsamt den Menschen, Tieren und Pflanzen hat Gott gemacht. Spätestens in der Jugendzeit erweist sich dieser Glaube unter dem Eindruck erweiterter naturwissenschaftlicher Kenntnisse nicht mehr als trag- und entwicklungsfähig. »Also wenn jemand so sagt: ›Gott hat die Welt erschaffen‹«, meint zum Beispiel ein achtzehnjähriger römisch-katholisch getaufter Gymnasiast, »dann sag’ ich eben: ›Tut mir leid, das kann nicht sein, es ist inzwischen bewiesen, dass Gott die Welt nicht erschaffen hat.‹« Die Behauptung, biblische Schöpfungsaussagen und Evolution seien vereinbar, qualifiziert er rundheraus als »Schmarrn, weil man […] das nicht unter einen Hut bringen [kann]«1. Nicht nur der kindliche Schöpfungsglaube, sondern christlicher Glaube überhaupt verliert in der Folge seine Glaubwürdigkeit. Über diese Sicht kommen viele Menschen ihr Leben lang nicht mehr hinaus. Während früher vor allem die Theodizeefrage Glaubenszweifel auslöste, scheint heute eher die Infragestellung Gottes als Schöpfer von Welt und Mensch ein maßgeblicher Grund für den Abschied vom Gottesglauben zu sein.2 Bleibt christliche Religionspädagogik hier eine glaubwürdige und nachvollziehbare Antwort schuldig, ist christlicher Glaube unter den Bedingungen der Gegenwart nicht mehr vermittelbar.

Visionäre Schöpfungstheologie


Heute werden die Schöpfungstexte der Bibel unvermeidlich im Kontext naturwissenschaftlicher Erkenntnisse über die Entstehung der Welt und des Menschen gelesen. Im Religionsunterricht suchen engagierte Lehrkräfte bei der Schöpfungsthematik die Kooperation mit den naturwissenschaftlichen Fächern. Im Physikunterricht können dann begleitend die gängigen Modelle zur Entstehung des Kosmos behandelt werden, im Biologieunterricht die Evolution des Lebens. Doch die naturwissenschaftliche Einbettung des Themas führt die Schülerinnen und Schüler auf die falsche Fährte und verfehlt den ursprünglichen Sinn biblischer Schöpfungstexte. Um diesen Sinn freizulegen, müssen diese Texte wieder in ihrem entstehungsgeschichtlichen und biblischen Zusammenhang verstanden werden.

Wichtige Schöpfungstexte sind im babylonischen Exil entstanden. Nach der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels im 6. Jahrhundert v. Chr. wurde die politische und wirtschaftliche Elite Judas nach Babylon deportiert. Die Exilierten lebten dort nicht nur in schlechteren wirtschaftlichen Verhältnissen als zuvor in Jerusalem, sondern sie litten vor allem unter ihrer kulturellen Entwurzelung und dem Verlust ihrer sozialen Stellung. Angesichts derart bedrückender Umstände diente Schöpfungstheologie nun als eine Theologie der Hoffnung. Die großen biblischen Erzählungen von Schöpfung und Neuschöpfung der Welt illustrierten den Deportierten die Vision einer gottgewollten Welt, die ganz anders gestaltet ist, als sie von ihnen erlebt wurde.

Biblische Schöpfungstexte sind Ausdruck der Sehnsucht nach einem guten Leben. Sie sind Hoffnungsgedichte, Sehnsuchtsbilder und Protestgesänge angesichts einer unerträglichen Gegenwart. Den herrschenden Verhältnissen setzen sie kontrafaktisch visionäre Utopien entgegen – darin liegt ihre kritische Pointe. Schöpfungstexte sind nicht daran interessiert, wie die Welt und der Mensch entstanden sind. In Schöpfungstexten spiegeln sich die Visionen alttestamentlicher Prophetie, dass wider allen Anschein und »trotz allem« eine andere, eine gute und gerechte Welt möglich ist. Diese Welt ist zugleich die eigentlich gottgewollte Welt. In scharfem Kontrast zur Wirklichkeit malen die Hymnen von der Schöpfung und die Erzählung vom Garten Eden aus, wie die Verhältnisse auf Erden sein sollten, sein könnten und Gott sei Dank sein werden. Sie sind keine weltflüchtigen Illusionen, sondern orientierende, praxis- und politikrelevante Widerstandsliteratur und Hoffnungstexte.

Wie zu biblischen Zeiten zielt Schöpfungstheologie auch heute auf die Gegenwart: Visionäre Schöpfungstheologie deutet die Schöpfungstexte als utopische, das heißt als noch nie und nirgendwo realisierte Gegenentwürfe zu den herrschenden Verhältnissen und liest sie in diesem Sinn als gegenwartskritische politische Manifeste. Diese Texte stehen in der Tradition prophetischer Empörung über die lebensfeindlichen und menschenverachtenden Machenschaften dieser Welt und entwerfen stattdessen das Bild einer gottgewollten, lebensfreundlichen Welt. Visionäre Schöpfungstheologie proklamiert: eine Alternative ist möglich – hier und jetzt. Die angeblich alternativlosen Reaktionen auf die globalen Krisen und die damit verbundenen extremen sozialen Ungerechtigkeiten konfrontiert sie mit einem Denken, das sich konsequent am Weltgemeinwohl und nicht nur an privaten und nationalen Interessen orientiert. Schöpfungstheologie hält damit an der biblischen Vision fest, dass die Erde tatsächlich als gemeinschaftliches Haus für alles Leben gestaltet werden kann. Das ist eine ungleich größere Herausforderung und Zumutung als der akademische Streit, der schöpfungstheologisch völlig irrelevant ist, wie die Welt entstanden ist. Das Thema, das visionäre Schöpfungstheologie aufschlägt, ist das Projekt einer wahrhaft befreiten Weltgemeinschaft: Dieses Projekt betrifft uns alle, bringt uns in Verlegenheit und setzt uns unter Zugzwang, weil es uns eine radikale Umkehr zumutet.

Schöpfungstheologie erweist sich somit als eine Variante der Befreiungstheologie. Die mit »Befreiung« und »Schöpfung« verbundenen biblischen Vorstellungen weisen nach traditioneller Lesart allerdings in verschiedene Richtungen.3 Schöpfung scheint zurückzuweisen in eine ursprünglich heile Welt, der nachgetrauert wird, die aber unwiederbringlich verloren ist. Der Schöpfungsgedanke wirkt dann als lähmende Erinnerung, die an geschichtlich Überholtem festhält, ohne Kräfte für eine tatsächliche Erneuerung zu mobilisieren. Das Urbild biblischer Befreiungserfahrung ist dagegen der Exodus, der Aufbruch Israels aus dem »Sklavenhaus« in die Freiheit. Befreiung im Sinne biblischer Exodustradition weist nach vorne, protestiert gegen bestehende Knechtschaft, weckt Hoffnung auf Veränderung und ruft zum Aufbruch. Viele, die von Schöpfung sprechen, wollen dagegen nur retten, was noch zu retten ist. Dies ist oft gerade zum Nachteil derer, die unter den herrschenden Verhältnissen besonders darben und leiden. Wer stattdessen einen Exodus fordert, setzt darauf, dass der Auszug aus den gegebenen ausbeuterischen Strukturen und eine tatsächliche Befreiung möglich sind. Unter dem Zeichen des Exodus...

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