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E-Book

Schurkisch!

Über das Böse und das Gute im Film

AutorAndrea Freitag
VerlagMühlbeyer Filmbuchverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783945378366
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
'Alle Menschen lieben Helden' - aber Hand aufs Herz: Das Spektakel des Schurken, der in unsere Welt einbricht, ist meistens doch viel spannender. Egal in welcher Kultur, egal in welchem Genre: Das Böse existiert und es fasziniert uns. Doch was macht den echten Schurken aus? Besteht seine Daseinsberechtigung nur darin, den Helden besser aussehen zu lassen? Und wie 'gut' muss jemand sein, um als Held zu gelten? In 'Schurkisch! - Über das Gute und das Böse im Film' untersucht Andrea Freitag die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von strahlenden Helden und düsteren Schurken - und unser Verständnis von Gut und Böse im Film. Insbesondere die Filme 'PINOCCHIO', 'DER KÖNIG DER LÖWEN', Christopher Nolans Batman-Trilogie, 'DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER' und die 'NIGHTMARE ON ELM STREET'-Reihe eröffnen einen ganz anderen Blick auf das wahre Gesicht von Schurken und Helden.

Andrea Freitag, geboren 1987, ist Medien- und Kulturwissenschaftlerin. Nach einer Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste beim Westdeutschen Rundfunk absolvierte sie ein Bachelorstudium in Medien- und Kulturwissenschaften und ein Masterstudium in Medienkulturanalyse. Derzeit lebt und arbeitet sie in Düsseldorf.

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Leseprobe

2. Die Dependenz der Darstellung

»Aber wann ist ein Held ein wahrer Held?«1

Jedes Genre hat typische Handlungsverläufe und Figuren, die der Hauptfigur begegnen und für sie bestimmte Funktionen erfüllen. Im Heldenepos beispielsweise tauchen Einheimische, weise Zauberer oder Mutterfiguren auf, die den Helden in seiner Aufgabe unterstützen und anleiten können.2 Nur durch sie kann er sein Potential entfalten und zu einem wahren Helden und universalen Menschen werden.3 Mit jedem Helden ist immer auch ein Antagonist, ein Widersacher und Verführer verbunden. Dabei muss es sich nicht unbedingt um eine personifizierte Gestalt handeln, auch Phänomene wie z. B. Naturkatastrophen, ein feindlich gesinntes Umfeld oder Schicksalsschläge können als Antagonisten fungieren. Die Essenz ist: Sobald etwas nicht »gut« ist, muss es »böse« sein.4

Es stellt sich jedoch die Frage, warum der Held nicht aus sich selbst heraus zum Helden werden kann. Warum sind Schurken und Widersacher notwendig, um die Entwicklung des Helden zu katalysieren? Ist der Held nur ein Opfer seiner Umstände? Insbesondere im Superheldenfilm entstehen Superhelden und Superschurken immer wieder in gegenseitigem Einfluss: Wie beispielsweise in Tim Burtons BATMAN (1989), in dem Bruce Wayne (Michael Keaton) ohne die Ermordung seiner Eltern durch den Joker (Jack Nicholson) nie zu Batman geworden wäre, und in dem der Joker seine größten Schurkentaten niemals ohne die Herausforderung Batmans begehen würde. Ein typisches Motiv für Superschurken (die im Gegensatz zu »normalen« Schurken meist über übermenschliche Fähigkeiten verfügen5) ist die persönliche Rache, der der Held sich entziehen muss. Die »Helden« im Horrorfilm haben meist eine weniger persönliche Beziehung zu ihrem Schurken. Der Horrorfilm-Schurke fordert zumindest anfangs nicht speziell den Tod des Protagonisten, sondern tötet alles, was ihm im Weg steht. Helden werden erst die, die das Zusammentreffen mit ihm überleben und ihren Überlebensdrang über ihre Furcht und ihre Vorbehalte stellen. Ohne die Bedrohung durch den sie jagenden Widersacher würden die Protagonisten im Horrorfilm nicht zu gewalttätigen, aber in Notwehr vollzogenen Handlungen fähig sein. Typisch hierfür ist das »Final Girl« als intelligente und üblicherweise sexuell nicht aktive Frau, die schon vor Beginn der Ereignisse etwas abseits der Gruppe steht.6 Eine der ersten Figuren dieses Typs ist Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) aus John Carpenters HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS (HALLOWEEN, 1978), eine Babysitterin, die den Mörder Michael Myers (Tony Moran) ausschalten muss, um selbst zu überleben (hierzu mehr in Kapitel 5 »Das Böse im Horrorfilm«).

Im Disneyfilm wiederum stehen sich der Held und der Schurke zu Beginn meist nahe. Es ist der böse Plan des Schurken, der das Leben des Helden aus dem Gleichgewicht bringt und einen Ausgleich fordert. Scar in Disneys DER KÖNIG DER LÖWEN beispielsweise will selbst König werden, tötet darum den amtierenden König Mufasa und will es ebenso mit seinem Neffen Simba tun, der jedoch fliehen kann. Ohne die Tyrannenherrschaft Scars müsste Simba sich ihm nicht zum Kampf stellen, um das Königreich zurückzuerobern. Seinen »Platz im ewigen Kreis des Lebens« muss man ihm erst streitig machen, damit er sich besinnen und sein wahres Potential als rechtmäßiger König erkennen kann (siehe hierzu Kapitel 3.3 »Der Schurke als Nemesis«).

Die dramaturgische Aufgabe des Schurken ist es also, den Helden möglichst spektakulär mit einer Ausnahmesituation zu konfrontieren. Allein durch die Anwesenheit einer Person, die zum Stereotyp »Schurke« gezählt wird, wird die Geschichte vorangetrieben. Weitere Erklärungen, die nur den Lauf der Geschichte verlangsamen würden, sind nicht notwendig.7 Dabei wirkt der Schurke entweder, indem er den Helden in eine ihm unbekannte und daher bedrohliche Situation bringt, oder aber indem er eine nicht mehr verantwortbare Bedrohung für das Allgemeinwohl darstellt. Insbesondere die Bedrohung der gesamten Menschheit, die dann stellvertretend durch einige wenige Individuen gerettet werden muss, ist ein klassischer Handlungsverlauf diverser Filme. Häufig ist der Schurke hierbei selbst eine Personifikation des Hindernisses, das überwunden werden muss. Im Science-Fiction-Film beispielsweise sind die Außerirdischen zugleich die aktiven Gegenspieler und die ungewisse Bedrohung an sich. Ihre Körpergröße, ihre Fähigkeiten, die Stärke ihrer Kampfflotte und ihre Waffen sind überwältigend und übermenschlich. Sie sind das Fremde des Makrokosmos8, des unbekannten da draußen, das Rätsel aufgibt und scheinbar nur positiv wirkt, wenn es vernichtet wird. Im Horrorfilm hingegen wird die Lebenswelt des Protagonisten laut Ursula Vossen auf einen winzigen Mikrokosmos zurückgedrängt, innerhalb dessen Gut und Böse ohne Gesetze neu verhandelt werden.9 In diesem Mikrokosmos wird alles auf das instinktive Überleben beschränkt, jeder andere Aspekt des alltäglichen Lebens ist bedeutungslos. Dadurch gewinnen selbst die kleinsten Ereignisse, wie z. B. das Knacken eines Astes im Wald, immens an Bedeutung.

Die Größe und Heldenhaftigkeit des Helden hängt zwar entscheidend von den Taten ab, ist jedoch, wie oben genannt, auch von seiner Position als Protagonist der Geschichte abhängig. Für das alltägliche, normale Überwinden eigener Zweifel oder das bloße Weiterleben nach einem Schicksalsschlag wird niemand zum Helden erklärt. Wenn jedoch das Böse droht, die Menschheit zu vernichten, so scheint dies (im Film) ein ausreichender Grund zu sein, über das alltägliche Verhalten hinauszuwachsen und stellvertretend für das Prinzip des Guten gegen Andere zu kämpfen. Der Held bezwingt eine gefährliche äußere Bedrohung, indem er den Kampf in seinem Inneren gewinnt10, und umgekehrt. Jedoch wäre der cineastische Kampf gegen das Böse im Inneren und Äußeren nicht so anziehend, wenn das Böse nicht auch irgendwie faszinierend, irgendwie gut wäre (»Gut« jedoch nicht im Sinne des Guten, sondern vielmehr synonym für »etwas«, das der Mensch braucht).

Das Böse der eigenen Persönlichkeit auszuleben, oder auch nur damit in aktivem Kontakt zu stehen, ist in einer moralisch geprägten Gesellschaft sanktioniert. Filme bieten die Möglichkeit der Katharsis11, d. h. der Reinigung von diesen »bösen« Einflüssen durch eine winzig kleine Teilhabe daran. Es ist die Faszination, sich mit dem Bösen auseinander zu setzen und daran zu partizipieren, ohne gesellschaftliche Sanktionen befürchten zu müssen, die das cineastische Böse anziehend erscheinen lassen kann. Das gilt jedoch nur bis zum Ende des Kampfes, an dem das Böse zwangsläufig verliert. Aber bis es soweit ist, kann es ein Spektakel seiner moralisch frei erscheinenden Weltsicht entfalten.12

(…) [A]t first sight, evil seems to threaten the symbolic order (before it is eventually hunted down and overcome), but due to its ›pre-censored‹ nature it never stands a chance. The clash with ›pre-censored‹ evil allows for the desired, but at the same time dreaded, encounter with the Other.13

Gewiss ist die Darstellung des Bösen nicht nur vom Genre, sondern auch von der Altersfreigabe abhängig. In Deutschland wird insbesondere durch die FSK (Freiwillige Selbstkontrolle) versucht zu regulieren, wer mit welcher Art von Film und somit auch welcher Art von Gewalt, Sexualität und Bosheit in Kontakt kommt. Kindern und Jugendlichen scheint der Kontakt mit dem Bösen weniger zuzutrauen zu sein als den »erfahrenen« Erwachsenen, die den Balanceakt zwischen moralisch richtigem Urteil und fiktivem Ausleben der eigenen Untiefen bewältigen können. Der Umgang mit einer allzu reizvollen Darstellung des bösen Aktes ist aber immer eine Gratwanderung.

[Es geht] weniger um die Aspekte des Entsetzlichen und Abstoßenden, als vielmehr um die Momente der Attraktion und Faszination. Gemeint ist also jener merkwürdige Umstand, daß das Böse, obwohl offiziell verpönt und insgeheim von niemandem im Ernst für sich selbst als persönliche Erfahrung gewünscht, dennoch in der Lage ist, in unseren Augen eine Anziehungskraft und düstere Schönheit zu entwickeln, die man nicht ohne weiteres vermuten durfte.14

Die Art und Weise, wie dieses Böse bzw. der Schurke im Film inszeniert werden, ob also Potential zur Identifikation gegeben ist oder nicht, macht nicht nur den Reiz des Filmes sondern auch seine moralische Wirkung aus. Nicht alles Böse wird im Film verurteilt, es gibt sogar gerechtfertigte, scheinbar »böse« Handlungen, die nie als solche wahrgenommen werden. Wenn der Held und der Schurke die gleiche, meist gewalttätige Handlung vollziehen, so wird sie sehr unterschiedlich bewertet (siehe hierzu auch Kapitel 3.3 »Der Schurke als Nemesis«).

Der Zuschauer soll sich mit dem Helden identifizieren, jedoch kann er sich der Faszination des Schurken nicht völlig erwehren. Außerdem hat der Zuschauer »oft aufgrund seiner...

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