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E-Book

Seele und Gesundheit

Band 1 Diagnosen

AutorMichael Depner
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl504 Seiten
ISBN9783749472222
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
"Seele und Gesundheit" ist der Titel einer Webseite, die sich mit den Ursachen, Erscheinungsformen und Heilungsmöglichkeiten seelischer Erkrankungen befasst. Der vorliegende Band ist der Beginn einer Buchreihe, die die Erkenntnisse und Sichtweisen, die auf der entsprechenden Webseite (https://www.seele-und-gesundheit.de/) dargestellt werden, ins Printmedium überträgt. Band 1 trägt den Titel "Diagnosen". Die Gliederung folgt dabei nicht der schulmedizinischen Klassifikation der psychiatrischen Krankheiten, wie sie zum Beispiel von der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) vorgegeben wird. Vielmehr werden die beschriebenen Zustände und Krankheitsbilder alphabetisch aufgelistet. Das trägt dem Konzept von "Seele und Gesundheit" Rechnung. Weder Webseite noch Buchreihe verfolgen vorrangig das Ziel, rein akademisch distanziertes Wissens zu vermitteln, wie es etwa ein Student der Psychiatrie zu erlernen hätte. Obwohl "Seele und Gesundheit" auch das bietet, wendet sich das Projekt darüber hinaus ausdrücklich auch an jeden interessierten Laien, der sich eingehend mit den Fragestellungen der Psychiatrie befassen möchte. Kaum jemand glaubt heute noch, dass psychiatrische Probleme bloß Außenseiter der Gesellschaft treffen. Seelische Symptome und Erkrankungen aller Art sind weit verbreitet. Die meisten Menschen erfahren sie im Laufe des Lebens am eigenen Leibe; oder sie leben mit Bezugspersonen, die mit dem einen oder dem anderen Problem behaftet sind. Außerdem hat jeder eine Persönlichkeit, deren Dynamik Parallelen zu den akzentuierten Persönlichkeiten aufweist, die die Psychiatrie als Persönlichkeitsstörungen beschreibt und deren Charakteristika zu besonderen Beziehungsproblemen führen können. "Seele und Gesundheit" versucht, den Leser über die Wissensvermittlung hinaus bei seiner persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Dabei soll die Lektüre ebenso informativ wie vergnüglich sein. Zum Stil der Buchreihe gehört ein besonderes Bemühen um Verständlichkeit, auch dann, wenn die besprochenen Sachverhalte komplex erscheinen.

Michael Depner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach vierzehn Jahren klinischer Tätigkeit, arbeitet er seit 1998 in eigener Praxis. Bislang hat er vier Bücher veröffentlicht: Vom Hören und Staunen Der Kontakt und Cham Weder Jude, Christ noch Moslem Seele und Gesundheit - Band 1 Diagnosen

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Leseprobe

1. Abnorme Gewohnheiten (Störung der Impulskontrolle)


Es mag sein, dass es eine abnorme Gewohnheit ist, den Nagel des linken Ringfingers zwei Zentimeter lang werden zu lassen. Da dadurch aber kein nennenswerter Schaden entsteht, würdigt die ICD eine solche Gewohnheit keines Blickes.

Nicht jede Marotte wird so berühmt, dass die Psychiatrie ihr einen Namen gibt. Zu Recht! Denn formal gesehen sind Marotten zwar abnorme Gewohnheiten, es fehlt Ihnen aber die Macht, ein Leben aus der Bahn zu werfen.

Definition

Unter der Überschrift Abnorme Gewohnheiten bzw. Störungen der Impulskontrolle fasst die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) eine Reihe seelischer Störungen zusammen, die durch neurotische Verhaltensweisen gekennzeichnet sind. Dabei kommt es zu vernunftwidrigen Handlungen, die der Kranke nur schwer unterdrücken kann.

Gemeinsames Merkmal abnormer Gewohnheiten ist, dass die Handlungen entweder dem Kranken selbst oder dem Umfeld schaden.

Störung der Impulskontrolle oder krankhafte Impulsbildung

Der Begriff Störung der Impulskontrolle greift zu kurz... und führt sogar in die Irre.

Ist der Impuls, Feuer zu legen, triebhaft zu stehlen, sein Geld an Automaten zu verplempern oder solange an der Haut herumzuknibbeln, bis das Blut fließt, denn normal? Und ist daher nur derjenige krank, dem es misslingt, solche Impulse unter Kontrolle zu halten, während der Gesunde es schafft, die Nachbarscheune nicht anzustecken, obwohl es ihn dazu ständig in den Fingern juckt?

So ist es gottlob nicht. Das Leben wäre erst recht eine Strapaze, müsste man bei jedem Gang durchs Kaufhaus aufpassen, dass man nicht straffällig wird oder lockten Spielkasinos gar jeden Passanten wie Sirenen griechische Seefahrer an.

Um Gottes willen! Wo kämen wir hin, würden rund um die Spielkasinos Passanten pulkweise an Laternenpfosten gekettet, damit sie dem Gesang einarmiger Banditen widerstehen. Und welcher Passant erreichte noch den Arbeitsplatz, hinge er mit seinen Leidensgenossen am Pfosten fest? Die Politik tut manches, um das Land in den Abgrund zu führen, aber Kasinos zuzulassen, deren Anblick bei jedermann Impulse auslöst, die Lichtmasten aus der Verankerung zu reißen drohen, würde selbst sie nicht wagen.

So stimmt es wohl: Dem manifest Kranken misslingt es nur allzu leicht, die Problemimpulse in Schach zu halten. Sein eigentliches Problem liegt aber tiefer: darin dass sie überhaupt entstehen.

Gewohntes und Ungewöhnliches

Auch der Begriff Gewohnheit überzeugt nicht jeden. Eine Gewohnheit ist eine Verhaltensroutine, die sich aus pragmatischen Gründen einschleift. Man sagt: Wir sind es gewohnt, gegen 18 Uhr zu essen. Man hat sich an ein Muster gewöhnt, das dem Leben Struktur gibt. Kann man aber mit gleichem Recht sagen: Der Kleptomane hat sich an den Diebstahl für ihn nutzloser Gegenstände gewöhnt? Oder gar: Ich bin es gewöhnt, Feuer zu legen... so wie man sich an Arbeitsbedingungen gewöhnt haben mag? Sich an etwas gewöhnt zu haben, heißt: Es sind dabei wenig Affekte im Spiel. Genau das ist bei abnormen Gewohnheiten aber anders. So heißt es, die pyromane Tat sei mit wachsender innerer Spannung und starker Erregung verbunden. Der Pyromane erlebt eher Ungewöhnliches.

Einteilung

Klassifiziert werden vier konkrete Syndrome mit jeweils spezifischer Verhaltensstörung. Darüber hinaus gibt es die Kategorie der Sonstigen Störungen. Dazu nennt die Klassifikation eine Störung mit intermittierend (lateinisch inter = dazwischen und mittere = schicken), also gelegentlich auftretender Reizbarkeit. In der Praxis wird man bei diesem Symptom an eine bipolare affektive Störung oder an eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung denken.

Zu den sonstigen abnormen Gewohnheiten kann auch das Nägelkauen (Onychophagie) und das Hautknibbeln (Dermatillomanie, Skin Picking Disorder) gerechnet werden. Die ICD-Klassifikation geht hier einen anderen Weg. Sie ordnet Nägelkauen, Nasebohren (Rhinotillexomanie) und Daumenlutschen gemeinsam mit exzessiver Masturbation und einer sogenannten Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität "anderen Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in Kindheit und Jugend" (ICD: F98) zu; wobei sie bezüglich einer Abgrenzung der Aufmerksamkeitsstörung zur ADS schweigt.

Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle gemäß ICD-10-Klassifikation der WHO

NameICD
Pathologisches SpielenF63.0
Pathologische Brandstiftung (Pyromanie)F63.1
Pathologisches Stehlen (Kleptomanie)F63.2
Pathologisches Haareausreißen (Trichotillomanie)F63.3
Sonstige Störungen der Impulskontrolle (z.B. Hautknibbeln)F63.8
Intermittierend explosibles VerhaltenF63.81

Verhaltens- und emotionale Störungen

Sonstige Verhaltens- und emotionale Störung mit Beginn in Kindheit und
Jugend (z.B. Nägelkauen, Nasebohren, Daumenlutschen)
F98.8
Pathologisches Spielen (Spielsucht)

Dynamik und emotionale Symptome des Glücksspiels zeigen große Ähnlichkeit mit denen der stoffgebundenen Süchte. In der psychiatrischen Praxis hat es sich daher durchgesetzt, das Pathologische Glücksspiel als Suchterkrankung aufzufassen; obwohl der Vergleich hinkt. Zur Dynamik der stoffgebundenen Sucht gehört eine Wechselwirkung zwischen der psychotropen Substanz und dem Organismus, auf dessen Strukturen sie trifft.

Unter einer psychotropen Substanz versteht man einen Wirkstoff mit spezifischen Wirkungen auf Realitätswahrnehmung, Denken und Fühlen; sowie gegebenenfalls auf das Verhalten. Der Begriff enthält die griechische Wurzel trepo (τρεπω) = wenden, umwandeln. Ein Synonym ist: psychoaktive Substanz. Diese Interaktion spielt bei der Entstehung stoffgebundener Süchte eine große Rolle. Sie bahnt und festigt den Prozess. Bei der Spielsucht fehlt sie.

Zwang oder Gewohnheit

Zwangshandlungen und abnorme Gewohnheiten dienen der Verdrängung unangenehmer Gefühle. Darin sind sie gleich. Die abnorme Gewohnheit benutzt der Kranke aber nur um unangenehme Gefühle durch angenehmere zu ersetzen. Er hat keine Theorie, wozu sein Handeln sonst noch gut ist. Der Zwangskranke hat spezifische Befürchtungen.

Wenn ich nicht noch einmal kontrolliere, ob der Ofen aus ist, könnte das Haus abbrennen.

Er meint, dass etwas Schlimmes passiert, wenn er seinem Impuls nicht folgt. Er handelt, um bestimmte Zwecke zu bewirken.

Pathologische Brandstiftung (Pyromanie)

Von den Taten pathologischer Brandstifter erfährt man aus den Medien. Charakteristisch ist, dass den pathologischen Brandstifter der Impuls zu seinen Taten immer wieder überkommt. Ihm geht es um die Brandstiftung an sich, ohne dass er das Feuer aus sonstigen Gründen legt; zum Beispiel aus Rache, um die Versicherung zu betrügen, aus wahnhaften Impulsen heraus oder politisch motiviert. Nicht jeder psychisch Kranke, der Feuer legt, leidet unter Pyromanie. Brandstiftung kommt auch im Zusammenhang mit anderen psychischen Erkrankungen vor; zum Beispiel:

  • im Alkohol- oder Drogenrausch
  • als feindselige Handlung dissozialer oder paranoider Persönlichkeiten um Widersacher zu schädigen
  • bei endogenen oder exogenen Psychosen aus wahnhafter Verkennung der Realität heraus
  • im Rahmen akuter Manien: Ich wollte bloß mal eine Bücherverbrennung ausprobieren.

Jenseits der Pyromanie bleibt die Brandstiftung psychisch Kranker sporadisch, während sie bei der Pathologischen Brandstiftung zu einem Verhaltensmuster wird.

Pathologisches Stehlen (Kleptomanie)

Das Motiv des Kleptomanen liegt nicht in konkreter Bereicherung. Wie bei allen Störungen der Impulskontrolle geht es auch hier um den Abbau emotionaler Spannungen. Daher stiehlt der Kleptomane im Gegensatz zum gewöhnlichen Kriminellen auch nicht gezielt. Der Kriminelle stiehlt Sachen selektiv, Sachen, die er selbst gebrauchen oder lukrativ verhökern kann. Der Kleptomane wählt das Diebesgut weder nach persönlicher Brauchbarkeit noch nach Wert. Hat er gestohlen, hortet er die Sachen, verschenkt sie oder er wirft sie einfach weg. Ihm geht es nicht um das, was er stehlen kann, sondern darum, dass er stehlen kann. Der Akt ist keine ökonomische Maßnahme, sondern ein psychisches Regulativ.

Trichotillomanie

Bei der Trichotillomanie handelt es sich um den heftigen Drang, sich Haare auszureißen. Der Bezeichnung enthält die griechischen Begriffe thrix (θριξ) = Haar und tillein (τιλλειν) =...

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