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Seelsorge

Ein Leitfaden

AutorAndreas von Heyl
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783451802522
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Trösten, Zuhören, nach neuen Wegen suchen. Ob in der Gemeinde, am Krankenbett oder im Hospiz: Seelsorge ist längst nicht mehr nur die Aufgabe von Pfarrern. Dieses Buch unterstützt Haupt- und Ehrenamtliche bei ihrem Dienst am Menschen. Dabei setzt es bei den Grundlagen an: Wie hört man zu? Welche Rolle spielen die Gefühle? Wie geht man mit Ängsten um? Aber auch: Wie hält man die Balance von Nähe und Distanz? Ein unverzichtbarer Leitfaden für jeden, der zuhörend helfen möchte.

Andreas von Heyl, geb. 1952, ist erfahrener Gemeinde- und Krankenhauspfarrer. Er habilitierte 2003 über das Thema Realität und Prävention des Burnout-Syndroms bei Pfarrer/innen. Er hat Zusatzausbildungen in KSA und prozessorientierter Psychologie und ist heute Privatdozent für Praktische Theologie an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau sowie Leiter der 'Fortbildung in den ersten Amtsjahren' in der Evang.-luth. Kirche in Bayern. 2006 schloss er seine Ausbildung zum 'Geistlichen Begleiter' am Institut für theologische und pastorale Fortbildung der katholischen Kirche in Freising ab.

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Leseprobe

1. Seelsorge – erste Annäherungen


Was ist das eigentlich: Seelsorge? Stellt man Menschen diese Frage, kommt heraus, dass die meisten eigentlich wissen, was Seelsorge ist. Sie können es nur nicht so gut in Worte fassen. Wir spüren, ob uns ein Mensch guttut, ob uns ein Wort oder ein Gespräch weiterbringt oder ob das Gegenteil passiert. Wir sagen: Da ist jemand, mit dem ich reden kann. Wir wissen, an wen wir uns wenden würden, wenn wir in einer schwierigen Lebenssituation sind, und wem wir da lieber aus dem Weg gehen. Wir erinnern uns, wann wir in unserem Leben Seelsorge gebraucht und bekommen haben, wer dann da war und sich um unsere Seele »gesorgt« hat, uns gab, was in diesem Moment für unseren inneren Menschen wichtig war. Ebenso erinnern wir uns, wann und von wem wir enttäuscht worden sind. Solche negativen Erfahrungen bleiben lange im Gedächtnis.

Die Bibel – ein Seelsorgebuch


Das Wort »Seelsorge« kommt so in der Bibel nicht vor. Aber in einer Vielzahl von biblischen Geschichten geschieht das, was wir als Seelsorge bezeichnen. Im Grunde genommen ist die ganze Bibel ein einzigartiges Seelsorgebuch, das fortwährend davon erzählt, wie Gott, Jesus und dann auch die Apostel seelsorglich am Menschen handeln bzw. gehandelt haben. Diese seelsorgliche Dimension der Bibel hat der ehemalige Leipziger Professor für Praktische Theologie, Jürgen Ziemer, einmal schön beschrieben. Er unterscheidet zwischen: »Seelsorge der Bibel, Seelsorge mit der Bibel und Seelsorge in der Bibel«.3 In der ersten Perspektive wird die Bibel als die zentrale Ur-Kunde der Seelsorge gesehen, als das Buch, in dem von Anfang bis Ende die Rede ist von Gottes Liebe zu den Menschen und seiner Sorge um ihre Seele, um ihr Wohl und ihr Heil. Die zweite Perspektive betrachtet die Bibel als eine reichhaltige Sammlung von Erzählungen und anderen Texten, die Menschen trösten und ermutigen können – und als solche in der Seelsorge Verwendung finden. In der dritten Perspektive kommt in den Blick, wie Gott, die Propheten, Jesus und die Apostel Menschen im Einzelnen seelsorglich begegnet sind. Daraus können wir für unsere heutige Art, Seelsorge zu betreiben, viel lernen. Allerdings geht es nicht um simple Imitationsversuche. Wir sind weder Jesus noch Paulus. Aber an der Art und Weise, wie in den biblischen Geschichten im Sinne Gottes und Jesu mit Menschen umgegangen wird, richten sich die Grundwerte der christlichen Seelsorge aus.

Die Psalmen: Seelsorgliche Poesie


Die Psalmen sind eine ganz eigene »Seelsorgeliteratur«. Es handelt sich um eine Sammlung von bildstarken und emotionalen Gebeten und Liedern, die vielen Menschen aus dem Herzen sprechen, nicht zuletzt auch darum, weil die dunkle und leidvolle Seite des Menschseins darin nicht verschwiegen wird. Die Beter, die vor bald dreitausend Jahren ihre Gefühle in Worte kleideten, bringen Erfahrungen zum Ausdruck, die auch wir Heutigen noch machen:

»Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Knochen haben sich voneinander gelöst; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.« (Psalm 22,18)

»Meine Tage sind vergangen wie ein Rauch, und meine Gebeine sind verbrannt wie von Feuer. Mein Herz ist geschlagen und verdorrt wie Gras, dass ich sogar vergesse, mein Brot zu essen. Mein Gebein klebt an meiner Haut vor Heulen und Seufzen. Ich bin wie die Eule in der Einöde, wie das Käuzchen in den Trümmern. Ich wache und klage wie ein einsamer Vogel auf dem Dache. Denn ich esse Asche wie Brot und mische meinen Trank mit Tränen.« (Psalm 102,4–10)

Aber nicht nur leidvolle Empfindungen werden in den Psalmen zur Sprache gebracht, sondern auch die tiefe Gewissheit des Geborgenseins bei Gott, etwa im 23. Psalm, wo der Beter bekennt:

»Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.«

Oder im 139. Psalm:

»Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht schon wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.«

Wieso kann man solche Texte als seelsorglich bezeichnen? Viele Menschen, damals wie heute, tun sich schwer damit auszudrücken, wie ihnen ums Herz ist. Die Psalmen bieten Worte an, mit denen das gelingt. Worte, mit denen man einem anderen Menschen sagen kann: »Schau her, genau so geht es mir. So sieht es in meinem Inneren aus.« Worte, mit denen man auch ein Gebet formulieren kann: »Sieh, Vater im Himmel, so wie dem Beter im 102. Psalm geht es mir. Hilf mir!« oder: »Ich fühle mich so geborgen bei dir, wie es im 139. Psalm aufgeschrieben ist.« Menschen, die sich in Not befinden, aber auch viele, die ein starkes Gottvertrauen in sich spüren, fühlen sich von diesen Betern verstanden. Sich von einem anderen Menschen verstanden zu fühlen ist eine der wichtigsten Erfahrungen in der Seelsorge.

Gottes Sorge um uns als Grund unserer Seelsorge


Vom Standpunkt des Glaubens aus kann man sagen: All unsere menschliche Seelsorge ist im Grunde nichts anderes als die Konsequenz der göttlichen Seelsorge, der Tatsache, dass wir Gott am Herzen liegen. Er hat den Menschen als sein Gegenüber geschaffen und ihm diese wunderbare Erde als Heimat gegeben. Er hat sich ihm in liebender Sorge zugewandt, bedingungslos und absolut. Seine Liebe zu den Menschen gipfelt im Tod Jesu am Kreuz. Die Folge ist, dass Menschen, die sich Gott verbunden wissen, sich nun auch ihrerseits anderen Menschen in liebender Sorge zuwenden. In der Bibel werden für diese Zuwendung verschiedene Worte gebraucht, z.B. Trösten, Ermahnen, Zurechthelfen, Beistehen, Füreinander-Sorge-Tragen, einander Dienen. Das Wort »cura«, das in der lateinischen Bibel oft in diesem Zusammenhang gebraucht wird, hat eine doppelte Bedeutung: »Sorge; sorgen; sich kümmern« und: »Heilung; am Prozess der Heilung mitarbeiten«. Wo Menschen sich um andere Menschen kümmern, verringert sich deren Kummer. Wo Menschen sich um andere Menschen sorgen, beginnt der Prozess der Heilung.

»Allgemeine« und »spezielle« Seelsorge


In der Kirchengeschichte begann man bald zu unterscheiden zwischen der Seelsorge, die durch den gesamten Dienst der Kirche am Menschen geschieht, vor allem durch Wortverkündigung, Sakramentsverwaltung, Diakonie und Unterricht (lateinisch: cura animarum generalis), und der speziellen Seelsorge (cura animarum specialis), dem explizit seelsorglichen Handeln im jeweiligen Einzelfall.

Nach wie vor betrachten die führenden Vertreter der Amtskirche die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament als wichtigste Aufgabe der Kirche. Die Menschen, die in den großen Kirchenumfragen der letzten Jahrzehnte zu Wort kommen, sehen das anders. Für sie rangieren an der ersten Stelle dessen, was sie von der Kirche erwarten, Seelsorge und Diakonie. Die Mehrheit der Bevölkerung ist der Meinung: Die Kirche soll sich der Menschen mit ihren inneren und äußeren Nöten annehmen. Dazu ist sie da. Tut sie das nicht, braucht man sie nicht. Wenn sie es aber tut, kommt ja die Verkündigung auch zu ihrem Recht. Seelsorge und Diakonie sind letztlich nichts anderes als die »tätige« Verkündigung des Evangeliums der Liebe Gottes zu den Menschen. Das Wort Gottes kommt hier zwar nicht so zur Sprache wie in einem Gottesdienst oder einer Unterrichtsstunde. Aber es ereignet sich, es geschieht der Wille Gottes, wenn jemand einem anderen zuhört oder ihm Gutes tut.

Dilettantische Seelsorge brüskiert und verletzt


Weil Seelsorge tiefe Schichten der Persönlichkeit eines Menschen erreicht, werden durch sie auch tiefe Wirkungen erzielt, durch gute Seelsorge gute, durch schlechte Seelsorge schlechte. Immer wieder einmal erleben Seelsorgende, dass ihnen Menschen von ihrer tiefen Enttäuschung mit der Kirche erzählen, etwa, weil ein Pfarrer sie vor vielen Jahren durch eine barsche Äußerung brüskiert hat, oder weil er eine gewünschte Amtshandlung aus formalistischen Gründen abgelehnt hat. Ähnliche Frustrationen können entstehen, wenn sich der Hilfe- oder Ratsuchende vom Seelsorger falsch verstanden oder sogar manipuliert fühlt. Solche Verletzungen schmerzen oft über Jahre. Die Betroffenen sprechen darüber natürlich auch im Familien- und Freundeskreis und so geschieht es, dass durch dilettantisches Verhalten von Seelsorgenden oft eine ganze Gruppe von Menschen von »ihrer« Kirche enttäuscht wird und auf Distanz geht. Dilettantisch wird die Seelsorge immer da, wo der Gesprächspartner in seiner Befindlichkeit nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen und angenommen wird (hierzu siehe unten, Kapitel 9).

Seelsorge geschieht »nichtdirektiv« und »partnerzentriert«


In den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelte der amerikanische Psychologieprofessor Carl Ransom Rogers (1902–1987) die von ihm so genannte »Gesprächspsychotherapie«. Rogers war ein typischer Vertreter der neuen »humanistischen« Psychologie, die ihr Ziel vor allem darin sieht, bei den Klienten die in jedem Menschen vorhandenen Selbstheilungskräfte und Wachstumsenergien freizusetzen und zu stärken.

Er formulierte verschiedene Bedingungen für eine gelingende therapeutische Beziehung: Sie hat vor allem »nichtdirektiv« und »klientenzentriert« zu sein, d.h. der Gesprächspartner mit seinen Bedürfnissen und Gefühlen steht im Mittelpunkt, er gibt die Richtung, das Thema und das Tempo der Gespräche vor. Der Therapeut ist kein »Lehrer« oder...

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